Mittwoch, 27. Dezember 2017

Zwei Völker, die ihre Revolutionen überlebten

Wenn darüber gesprochen wird, was wir Deutschen nicht können, dann taucht oft die Bemerkung auf, dass wir nie eine richtige Revolution zustande gebracht hätten. Eigentlich bin ich darüber sehr froh. Was uns da erspart blieb, wird klar, wenn ich mir Frankreich und Russland ansehe. Rein zufällig las ich im letzten Quartal zwei Bücher, die sich mit zwei großen zurückliegenden und überwundenen Revolutionen beschäftigten, der französischen von 1789 und der russischen von 1917. Beide Ereignisse hinterließen ihre Spuren in der europäischen Geschichte. Sie strahlten auf ganz Europa aus. Man kann beide als fiebrige Erkrankungen ganz Europas ansehen.

Beispiel Frankreich

Ernst Schulin (1929-2017) war Professor für Neuere Geschichte in Freiburg. Sein Standardwerk Die Französische Revolution (2013, 307 S.) erhielt kurz vor seinem Tode eine Neuausgabe, in der aktuelle Forschungsergebnisse verarbeitet waren.

Die Literatur über die Französische Revolution fülle Bibliotheksregale. Das meiste sei politisch sehr einseitig. Die Revolution würde fast immer rechtfertigend erklärt. Zwei Autoren fallen aus diesem Rahmen. Alexis de Tocqueville versuche eine Art von Analyse. Vor allem ziehe er Vergleiche mit der ganz anders gearteten Entwicklung in den USA. Hippolyte Taine (‚Les origines de la France contemporaine‘) hat sein Werk in sechs Bänden gegliedert und bemühe sich um eine detaillierte und ausgewogene Darstellung. Edmund Burkes Betrachtungen aus der Sicht eines britischen Konservativen aus dem Jahre 1790 ('Reflections on the Revolution in France') wurden in ganz Europa sehr beachtet, so auch von dem jungen Clemens von Metternich. Für Karl Marx sei es schwer gewesen zu akzeptieren, dass die politische vor der sozialen Revolution kam.

Die Revolution brach nicht von einem Tag auf den andern aus ─ so die Sicht der Historiker. Sie hatte eine Jahrzehnte lang währende Vorgeschichte. Es gab immer mehr Beschwerdehefte (frz. doleances), schließlich führten Missernten zu höheren Brotpreisen. König Ludwig XVI. und sein Premier Jacques Necker wollten die Steuern erhöhen und riefen dazu eine Volksversammlung ein. Es erschienen dazu nur wenige Adelige und Pfarrer. Hauptsächlich waren es Vertreter des Dritten Standes (frz. tiers), also des gemeinen Volks. Die Versammlung nannte sich trotzdem Generalversammlung (frz. assemblé generale).

Der Marquis de Mirabeau verhinderte, dass der König die Versammlung auflöste. Die Angst vor deutschem und schweizerischem Eingreifen führte zur Aufstellung von Bürgerwehren. Durch den Sturm auf die Bastille (7/1789) verschaffte das Volk sich Waffen und befreite (nebenher) fünf Gefangene. Als der König nachgab, begann der Adel zu fliehen. In einigen Städten, so in Straßburg, wurden die Stadtoberen ersetzt. Als das Gerücht eines Adelskomplotts um sich griff, trieb dies die Bauern auf die Straße. Sie griffen Schlösser an, vor allem um die dort befindlichen Lehens-Urkunden zu vernichten. Eine Diskussion über die Privilegien des Adels führte (8/1789) zur Abschaffung der Feudalität, mit allen Privilegien. Die Versammlung begann damit, allgemeine Menschenrechte zu definieren wie dies 1776 in Virginia geschehen war.

Es waren die Frauen, die (10/1789) den König zwangen seinen Sitz von Versailles nach Paris zu verlegen. Dort bildete sich ein Bretonischer Club im Jakobiner-Kloster. Seine Mitglieder strebten eine Republik an. Ähnliche Aktivitäten gab es in 40 Städten des Landes. Es erschien eine Vielzahl von Zeitungen und Zeitschriften mit politischem Inhalt. Der König gestand ein, dass der sein Amt von Gottesgnaden und aufgrund der Staatsverfassung besitze. Es kam zur Abschaffung der Zünfte und einem Streikverbot der Handwerker.

Die Departements erhielten mehr Selbstverwaltung. Der Sprecher des jetzt Jabobiner genannten politischen Klubs, Maximilien de Robespierre, forderte das Wahlrecht auch für Leute ohne Besitz. Charles-Maurice de Talleyrand, der Bischof von Auton, erklärte, dass der Klerus nicht der Eigentümer von Kirchengütern sei. Daraufhin wurden diese der Nation (11/1789) zur Verfügung gestellt. Dafür erhielt die Kirche Schuldscheine (frz. assignats). Alle  religiösen Orden wurden (2/1790) aufgelöst; Priester wurden zum Eid auf den Staat verpflichtet. Die Jahresfeier des Bastille-Sturms fand mit einer großen Feierlichkeit (7/1790) auf dem Marsfeld statt. Die Messe wurde von Talleyrand zelebriert. Vertreter anderer Völker nahmen teil, so der  Baron von Cloots aus Kleve für Preußen. Auch Alexander von Humboldt und Georg Forster waren als Privatpersonen dort.

Im Jahr danach kam es zum Fluchtversuch des Königs (7/1791). Er wurde verraten und bei Varennes eingefangen. In Pillnitz beschlossen Österreich und Preußen einen gemeinsamen Kriegszug gegen Frankreich. Darauf erklärte Ludwig XVI. (4/1792) Österreich den Krieg. Das Marsailler Batallion marschierte in Straßburg ein und anschließend auf Paris zu. Es kam zur Erstürmung der Tuillerien (8/1792) durch die Massen. Die Schweizer Garde des Königs wurde gelyncht. Es starben über 600 Leute. Der König wurde gefangen gesetzt. Frankreich wurde zur Republik erklärt.

Nach der Kanonade von Valmy (9/1792), bei der auch Goethe anwesend war, räumten die Preußen das Schlachtfeld gegenüber den französischen Volkstruppen. Der Vorstoß der Franzosen endete in Mainz. Dort entstand eine Rheinische Republik. Forster wurde einer ihrer Sprecher. Auch die Königin verlor das Vertrauen des Volkes aufgrund der Halsbandaffäre, in die der Bischof von Straßburg involviert war. Zuerst wurde der König zum Tode verurteilt und (1/1793) per Guillotine hingerichtet. Wenig später traf die Königin dasselbe Schicksal.

George Danton und Jean-Paul Marat erschienen auf der Szene. Sie wurden jedoch ermordet bzw. von Robespierre aus dem Wege geräumt. Immer mehr bestimmten ehemalige Arbeiter (frz. sanscullotes) das Bild der Armee. Tausende starben bei Aufständen gegen die Republik, so in der Vendée, in Marseille und Lyon. Es gab Schauprozesse und Massenhinrichtungen. Auch Robespierre wurde hingerichtet (7/1794). Belgien und das Rheinland wurden erobert. Die Jakobiner und die Sonderausschüsse wurden schließlich aufgelöst, Es kam zur Thermidor-Regierung und zum Direktorium. Preußen schloss einen Sonderfrieden (5/1795) mit Frankreich. Darin stimmte es der Abtretung des Rheinlands an Frankreich zu. Als Napoleon gegen Österreich in Italien siegreich war, kam es zum Frieden von Campo Formio (10/1797). Anschließend begab sich Napoleon nach Ägypten. Dort wollte er die Engländer vertreiben. Der Revolutionskalender, der seit 1792 galt, wurde im Jahre 1805 abgeschafft. Zuvor (7/1801) hatte man sich mit dem Papst geeinigt und das Verhältnis zwischen Staat und Kirche durch ein Konkordat neugeregelt.

Beispiel Russland

Das soeben von Karl Schlögel (*1948) vorgelegte Buch Das sowjetische Jahrhundert: Archäologie einer untergegangenen Welt (2018, 912 S.) ist der Zeit von 1917 bis 2017 gewidmet. Schlögel war Professor für Osteuropäische Geschichte in Konstanz bevor er 1991 an die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder berufen wurde. Anders als Schulin konzentriert sich Schlögel nicht auf die historischen Abläufe. Im Blick stehen die Hinterlassenschaften. Was hat welche Spuren hinterlassen? Seine Beschreibung ist sehr detailliert und vielschichtig. Daher nur einige Auszüge.

Nach der Machtergreifung der Bolschewiken in Leningrad verfolgte Wladimir Iljitsch Lenin eine gezielte Umgestaltung der russischen Gesellschaft und Wirtschaft. Er entledigte sich aller bisherigen Würden- und Amtsträger. Sofern sie nicht von sich aus das Land verließen, half er auf drastische Weise nach. So landete 1922 in Stettin ein Schiff mit mehreren Hundert Künstlern, Philosophen, Juristen und anderen Intelligenzlern an Bord, die von Lenin persönlich ausgesucht und des Landes verwiesen wurden. Viele von ihnen zogen weiter nach Berlin, Paris oder den USA.

Die bisher vorwiegend agrarische Wirtschaft wurde völlig umgekrempelt. Große Stauwerke wie das am Djeper (Djeproges) oder Hüttenwerke wie in Magnitogorsk (am Ural) zogen Ingenieure und Fachkräfte aus Westeuropa und den USA an. Ein Kanal, der die Ostsee mit dem Weißen Meer verbindet, wurde in Angriff genommen. An ihm arbeiteten bis zu 200.000 Zwangsarbeiter, ehe er 1933 fertiggestellt wurde. Ein großer Anteil von ihnen waren frühere Geistliche und Lehrer. Das ländliche Russland, egal ob seine Landgüter einst aus Adels- oder Kleinbauernbesitz bestand, wurde in eine völlig unattraktive Kolchosenwirtschaft überführt. An ihre Stelle traten in den letzten Jahrzehnten große Agrarkonzerne. Selbst in den Gegenden mit besten Lössböden reichte der Ertrag nicht aus, um Lebensmittelimporte überflüssig zu machen.

Wie damals auch anderswo üblich, vor allem in den USA, so übernahm der Staat immer mehr die Steuerung der Wirtschaft. Dazu dienten die Fünfjahrespläne. Daneben war in Russland nur noch wenig möglich, eigentlich nur noch Kleingärten und Trödelmärkte. Neben der für die Kriegsführung so wichtigen Stahl- und Energieerzeugung, rangierten alle anderen Produktionszweige unter Fernerliefen. Erst für die später aufkommende Konsumwirtschaft ersetzte Plastik die Bedeutung von Stahl. Mit der Katastrophe des Atommeilers von Tschernobyl endete 1986 diese unheilvolle Entwicklung. Schlamperei und Rücksichtslosigkeit hatten Überhand genommen.

Für die russischen Städte und Bürger bestimmend war die Wohnwirtschaft. Besonders in Leningrad und Moskau spielten in den Anfangsjahren der Sowjetunion Gemeinschaftswohnungen (so genannte Kommulkas) eine große Rolle. Es waren dies zum Beispiel die früheren 12-Zimmerwohnungen von Adligen oder Kaufleuten, in die jetzt bis zu 12 Familien eingewiesen wurden. Mit dem Beginn der Entstalinisierung begannen industriell erstellte Wohngebäude das Stadtbild zu prägen. Als sozialistische Errungenschaft  stellten Plattenbauten seit 1955 eine Antwort auf die fortschreitende Landflucht dar. Es wird geschätzt, dass allein in Russland 170 Mio. Menschen in Plattenbauten lebten. Seit 1990 werden sie durch privates Wohneigentum ersetzt. Ein weiterer Bestandteil russischer Wohnkultur stellen die Landhäuser dar (Datschas genannt). Rund 40-60% der Stadtbevölkerung von Leningrad und Moskau soll über diese Möglichkeit verfügt haben.

Ganz typisch ist für eine staatliche Zwangswirtschaft der hohe Stellenwert, den Urlaub und Erholung einnehmen. Die Schwarzmeerküste, und hier besonders die Krim, wurde zum jährlichen Traumziel vieler Werktätigen. Eine direkte Zugverbindung verband für Urlaubsfahrer die Öl- und Gasfelder der Eismeerküste von Workuta mit Sotschi. Heißbegehrt waren die Plätze in Sanatorien und Erholungsheimen. Obwohl es Tausende davon gab, gab es Wartelisten, auf denen man langsam vorrückte. Nichts ging ohne Warteschlangen, selbst die Plätze in Gefängnissen. Das trieb schließlich die Planwirtschaft in den Ruin, es sei denn man konnte das Geschäft einem privaten Basar überlassen. Seit Russen wieder frei außer Land reisen dürfen, verloren alle Inlandsziele ihre Attraktion. Inzwischen bevölkern Russen die Strände der Türkei, Griechenlands und Ägyptens.

Etwas seltsam erscheint uns das Faible der Russen für Orden und Abzeichen aller Art. Damit profilierte sich jeder Betrieb bei jeder nur denkbaren Gelegenheit. Die Träger, die ja sonst möglichst gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen hatten, fühlten sich hervorgehoben. Auch die Millionen, die im ‚großen vaterländischen Krieg‘ (dem 2. Weltkrieg) ausgezeichnet wurden, trugen ihr Ehrenzeichen voller Stolz. Ihren Kindern gaben die Eltern neue Namen, die an die neuen Heiligen des Kommunismus erinnern sollten (wie ‚Karlen‘ für Karl Marx + Lenin), Auch 'Rote Armee' oder 'Roter Oktober' wurden zu legalen Vornamen. Der medialen Selbstdarstellung dienten die jährlichen Paraden auf dem Roten Platz. Sie galten als Demonstration der staatlichen Macht und konnten bis zu zwei Mio. Teilnehmer mobilisieren. Ähnlich pompös liefen viele Sportparaden ab. Sie  beeindruckten unter anderem US-Präsident Eisenhower bei einem Besuch (1947).

Mit Geduld ertrugen die wenigen Intellektuellen, die im Lande geblieben waren, dass die Große Sowjet-Enzyklopädie, die 1925 begonnen wurde, keine Politiker, Künstler oder Geistesgrößen des alten Russlands benennen durfte. Sie  war ja auch nicht für Akademiker, sondern für Praktiker gedacht. Sie umfasste trotzdem 50 Bände. Die größte Bibliothek Moskaus (Leninka) umfasste schließlich rund 70 Mio. Bücher. Darunter gab es keines von Trotzki oder Solschenizyn. Seit 1929 waren rund 24 Mio. Bücher vernichtet worden. Danach wurde nur einseitig aufgefüllt. Ein Klavier galt als ein verhasstes Möbel des Bürgertums. Die oft von deutschen Einwanderern gegründeten Klavierbauerfirmen wurden verstaatlicht. Klaviere, die noch in Privatwohnungen vorhanden waren, wanderten in den Kulturpalast oder in die Parteizentrale. Als bekannte russische Kunstformen überlebten Ballett, Musik und Gesang die Revolution. Viele dieser Künstler durften reisen. Manche von ihnen nutzten sie zur Flucht (so Rudolf Nurejew).

Nichts charakterisiert die Sowjetunion mehr als die Zahl der Insassen von Strafgefangenenlagern (so genannten Gulags). Sie betrug 1923 rund  3,5 Mio. und stieg bis 1940 auf rund 18 Mio. an. Manche große Projekte wären ohne sie nicht zustande gekommen. Ganze Industriezweige hingen von ihnen ab, so die Goldgewinnung im äußersten Norden Sibiriens. Am Fluss Kolyma wurde bei bis zu -60 Grad von rund 100.000 Gefangenen nach Gold geschürft. Dies verschaffte Russland eine sagenhafte Kaufkraft. Der langjährige Leiter dieses Betriebs, Eduard Bersin, der maßgeblich das System der Gulags mitentwickelt hatte, fiel 1938 in Ungnade und wurde hingerichtet. Ihm wurde vorgeworfen, Gold zur Seite geschafft zu haben.

Im zweiten Weltkrieg erlitt das Land weitere schmerzliche Opfer: 26,6 Mio. Kriegstote, darunter 2,5 Mio. Juden. Die Belagerung Leningrads durch deutsche Truppen kostete allein fast einer Mio. Menschen das Leben. Langsam entwickelten sich Treffpunkte, bei denen sich Dissidenten heimlich trafen. Unter Nikita Chruschtschow kam es zu einer Art von Tauwetter. Leute wie Heinrich Böll und Hans Magnus Enzensberger kamen nach Moskau. Dennoch erfolgten die Ausweisungen Joseph Brodskys (1972) und Alexander Solschenizyns (1974) und die Verbannung Andrei Sacharows (1980). Im Jahre 1968 kam es zu Protesten wegen der Besetzung Prags. Als sich Russlands Grenzen 1990 öffneten, schwappten nacheinander drei Wellen aus dem Lande: Nahrungs-, Genuss- und Luxusmittel-Einkaufer, Verwandtenbesucher, Touristen.

Nach 1990 erhielt die russische Kirche einen großen Teil ihres früheren Besitzes zurückerstattet. Ein Beispiel ist das seit 1927 als staatliches Krematorium dienende Donskoi-Kloster. Die Glocken des Danilow-Klosters kamen sogar aus den USA zurück. Eine besondere Bedeutung hat die Klosterinsel Solowezki im Weißen Meer. Hier wurden einst bis zu 70.000 Gefangene festgehalten. Als Maxim Gorki die Insel 1929 besuchte, berichtete er noch, dass er beindruckt war, wie hier die Erziehung zum neuen Menschen Fortschritte mache. Hier ist heute eine Gedenkstätte.

Gehörte es früher zum Erlebnis besonderer Art mittels einer Fahrt auf der Transsibirischen Bahn die Weite des russischen Raumes zu erkunden, lässt sich heute die Strecke Moskau-Sankt Petersburg dank eines von Siemens gebauten Superschnellzugs in vier Stunden zurücklegen. Immer mehr Stätten, die in den letzten 100 Jahren eine Rolle spielten, werden in Museen umgewandelt. Ein bekanntes Beispiel ist das Lubjanka-Gebäude, der berüchtigte Sitz des russischen Geheimdienstes, angefangen mit der Tscheka, über den GPU, bis zum KGB und dem FSB. Auch die Namen von Straßen, Plätzen und U-Bahnstationen erfahren eine Art von Umkodierung. An die Stelle der Namen aus der sowjetischen Zeit treten wieder die alten Namen oder neue. Diejenigen Personen, die sich den früheren Staatsbesitz aneignen konnten, wurden überreich. Als Oligarchen übernehmen sie quasi die Rolle des ehemaligen Adels. Eine Verteilung des privaten Reichtums auf viele, wie anderswo in Europa, findet nicht statt.

Vergleichende Betrachtung

Die Französische Revolution war kurz und heftig. Nach einer Phase der Freiheit und der Menschenrechte erfolgten 2-3 Jahre des Terror. Dieser fand alsbald ein Ende und nach 12-15 Jahren begann die gesellschaftliche und politische Restauration unter Napoleon. Einige ihrer Grundideen (bürgerliche Freiheiten, zivile Standesämter, Eigentums- und Erbrecht) blieben bestehen und breiteten sich weiter aus. Bekanntlich überzog Napoleon ganz Europa mit Krieg und Ausbeutung. Dabei spielten Ideen, die aus der Revolutionszeit stammten, eine untergeordnete Rolle. Napoleon sah sich eher in der Nachfolge Karls des Großen. Dank Metternich wurde die vor-revolutionäre Ordnung weitgehend wiederhergestellt. Der Wiener Kongress schaffte ab 1815 zeitweise stabile Verhältnisse.

Die russische Revolution hatte fast 100 Jahre Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. In den letzten zwei Jahrzehnten wirkten Kräfte, die sie infrage stellen, ja rückgängig machen wollten. Die Wirkung der russischen Revolution war umfassender und weitgreifender als die der Französischen Revolution. China und vor allem Nordkorea berufen sich noch heute auf das sowjetische Beispiel. Russland selbst hat einen Teil seiner militärischen Stärke während der Perestroika-Phase eingebüßt. Damit wollen sich Leute wie Wladimir Putin nicht abfinden. Er versucht mit aller Gewalt entgegenzusteuern. Dadurch ist Russland zu einem Unruhefaktor und einer neuen Bedrohung geworden. Im Gegensatz dazu ist Frankreich ein geradezu mustergültiger internationaler Partner geworden.

3 Kommentare:

  1. Peter Hiemann aus Grasse schrieb: Ich tendiere dazu, gesellschaftliche Umbrüche als revolutionär anzusehen, falls gesellschaftliche Bewegungen zu grundlegenden Neuorientierungen gesellschaftlicher Institutionen führen. In diesem Sinn hat es auch in Deutschland Revolutionen gegeben. Zum Beispiel betrachte ich die Hinwendung der deutschen Bevölkerung zum Nationalsozialismus als revolutionäre Veränderung. Zum Beispiel kann man mit gutem Recht behaupten, dass die gesellschaftliche Veränderungen in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg die Bedeutung revolutionärer Umbrüche hatten. Zum Beispiel wurden die gesellschaftlichen Veränderungen in der ehemaligen DDR von der dortigen Bevölkerung vermutlich als revolutionär wahrgenommen.

    In diesem Sinn werden alle Gesellschaften nicht nur „ihre Revolutionen überleben“, Revolutionen hinterlassen Spuren in kollektiven kulturellen Gedächtnissen. Die Vorstellungen der französischen Aufklärung sind heute noch quicklebendig. Stalin hat noch heute viele Verehrer in Russland. Ob die grauenhaften Spuren des stalinistischen Regimes und des deutschen Nationalsozialismus Bevölkerungen davon abhalten, Diktatoren zukünftig leichtgläubig wegen deren ordnungspolitischen Vorstellungen zu folgen, ist eine offene Frage.

    Die Historiker Ernst Schulin und Karl Schlögel scheinen beide Vertreter ihrer Zunft zu sein, die sich um umfassende historische Perspektiven bemühen. In einem Nachruf wird Schulin Offenheit für vielfältige gesellschaftliche Perspektiven bescheinigt: In so einer Erzählfolge verschlingen sich Zufall und Notwendigkeit so offen auflösbar, dass immer eine andere Gedankenmöglichkeit in Sichtweite bleibt. In "Zur Vorgeschichte der Revolution" betreibt Schulin eine systematische Prüfung der lang- und mittelfristigen Voraussetzungen: Soziales, Ökonomie, Verfassungs- und Geistesgeschichte. (http://www.sueddeutsche.de/kultur/nachruf-unerhoerte-ereignisse-1.3380621)

    In einem Interview hat sich Karl Schlögel zu dessen Vorgehensweise als Historikers geäußert: „Ich denke aber, dass es eine der größten Schwierigkeiten für Historiker ist, eine Position herzustellen, von der aus man mit den vergangenen Generationen auf einer Ebene sprechen kann. Das ist ein ganz großes Problem der historischen und intergenerationellen Kommunikation. Ich würde sagen, es gehört fast ein Historikerleben dazu, diese Umgangssicherheit mit den Toten zu gewinnen, mit ihnen von Gleich zu Gleich zu sprechen – nicht von oben herab und nicht von unten herauf, nicht herrschaftlich und nicht subaltern.“
    (http://www.zeitenblicke.de/2010/2/sperling-kraus_schloegel/index_html)

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    1. Schulin setzt sich in seinem Buch ausführlich mit der Frage auseinander, wann Historiker von Revolutionen sprechen. Nicht jede Revolte, Disruption oder starke Umorientierung in Politik oder Wissenschaft wird als Revolution angesehen. Oft wird das Attribut 'revolutionär' verwendet, um sich selbst von weniger mutigen oder kreativen Ideen abzusetzen.

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    2. Ich kann die französische Aufkärung nicht mit der Französischen Revolution in direkter Verbindung sehen. Schließlich gab es ja in Preußen auch eine Aufklärung, aber ohne Revolution. Voltaire war sogar gut befreundet mit Friedrich dem Großen, der alles andere als ein Revolutionär war. Auch Rousseau und Diderot lebten in einer anderen Zeit und anderen Welt. Genauso wenig lassen sich Dostojewski und die russische Revolution verbinden. Anders ist es mit Maxim Gorki. Er war ein Revolutionär, der sich in Westeuropa aufhielt, als Lenin in Russland wirkte.

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