Donnerstag, 23. August 2018

Die Brücke von Genua und die Schieflage der EU

Der italienische Innenminister Matteo Salvini, der bekanntlich etwas zum Populismus neigt, hat den Schuldigen für den Einsturz der Autobahnbrücke in Genua schnell identifiziert. Es sei die Europäische Union (EU). Sie habe Italien zu sehr zum Sparen angehalten angesichts seiner überbordenden Staatsschulden. Hier ist das Schema leicht zu erkennen, wie nicht nur in Italien – einem EU-Gründungsland − Stimmung gegen die EU gemacht wird. Es ist daher kein Wunder, dass allenthalben der EU mit großer Lethargie, ja oft mit Skepsis und Widerwillen begegnet wird. Die Brücke von Genua bietet einen Anlass, auch über dieses Problem nachzudenken. Ich bezeichne es als die Schieflage der EU.

Ingenieur-Debakel

Am Dienstag voriger Woche, am 14. August 2018, brach in Genua die von dem Ingenieur Riccardo Morandi (1902-1989) gebaute Autobahnbrücke auf einer Strecke von 200 Metern zusammen. Äußere Einflüsse waren nicht festzustellen. Kein übermäßig starker Sturm und kein Erdbeben waren Schuld. Infolge andauernden Regens standen mehrere Wasserpfützen auf der Fahrbahn. Die Brücke war 1967 in Form einer Hängeseil-Konstruktion erstellt worden. Eine Besonderheit war, dass die Hängeseile mit Beton umgossen sind, was sonst meist nicht geschieht. Sie sollten dadurch gegen Korrosion (Rost) geschützt werden. Wie erste Nachforschungen ergaben, scheint hier ein Problem gelegen zu haben, was den Experten nicht unbekannt geblieben war. Bei dem Einsturz stürzten rund ein Dutzend Last- oder Personenwagen in die Tiefe. Es kam zu mehr als 40 Toten und einer noch größeren Anzahl von Verletzten. Die Autobahnstrecke, die Genua mit dem Grenzort Ventimiglia verbindet, fällt bis auf weiteres aus.


Eingestürzte Morandi-Brücke

Die Frage ist zu klären, was den Einsturz verursachte. Waren es doch Rostschäden an den Seilen, die übersehen worden waren, oder hat sich einer der Pylonen verschoben oder geneigt, was ein Fahrbahnsegment zum Einsturz brachte. Die ganze Branche und die gesamte italienische Industrie stehen jetzt im Visier, bis dass diese Frage geklärt ist. Dass andere Politiker sich den Autobahnbetreiber vornehmen – so der Verkehrsminister Danilo Toninelli − liegt auf der Hand. Eine Brücke verlangt Wartung, soll sie nicht im Alter von gerademal 50 Jahren einstürzen. Dem Erbauer wird man nicht mehr ans Leder können, da er seit fast 30 Jahren tot ist. Jede Region außerhalb Italiens befleißigt sich darauf hinzuweisen, dass ein ähnliches Unglück bei ihnen nicht vorkommen kann. Hoffentlich nimmt man den Mund nicht zu voll. Darauf, dass die EU an möglichen weiteren ähnlichen Problemen die Schuld trägt, darauf muss man erst kommen.

Anfänge und Expansion der EU

Die EU kann dieses Jahr ihr 60-jähriges Bestehen feiern. Aus dem anfänglichen Bund aus sechs westeuropäischen Staaten ist ein mehr als viermal so großer Staatenverbund entstanden. Die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Unterschiede sind nicht mehr zu übersehen.  Der größte Bruch erfolgte im Jahre 2004 mit der gleichzeitigen Aufnahme von acht, ehemals zum kommunistischen Ostblock zählender Länder. Nach der inzwischen um drei weitere Staaten angereicherten Osterweiterung ist der Erweiterungsprozess Prozess noch lange nicht abgeschlossen. Vier Länder sind bereits als Kandidaten akzeptiert (Island, Mazedonien, Montenegro und Serbien). Weitere vier stehen an der Tür (Bosnien-Herzogewina, Albanien, Ukraine, Türkei).



Entwicklung der EU (nach Wirsching)

Das gemeinsame kulturelle Erbe ist in den Hintergrund getreten. Ganz andere Fragen stehen an. Die wirtschaftliche Entwicklung und die gemeinsamen Anstrengungen zur Landesverteidigung bestimmen die Tagesordnung. Zwar bewirkt die gleichzeitige Ostausdehnung der NATO, dass die EU sich in militärischer Hinsicht bedeckt halten kann. Die Politik von US-Präsident Donald Trump rüttelt aber deutlich an dieser bisherigen Selbstverständlichkeit.

Problematische Struktur der EU

Die EU wurde gegründet als Staatenbund und ist dies bis heute geblieben. Die Forderung, die EU in einen Bundesstaat umzuwandeln, stand seit Anbeginn im Raum. Sie wurde aber immer wieder mit einem klaren Nein beantwortet. Zuletzt geschah dies bei der Abstimmung über den Verfassungsvorschlag im Jahre 2005 (siehe unten). Martin Schulz, der ehemalige Präsident des EU-Parlaments und erfolglose Kanzlerkandidat der SPD, sprach nur ganz kurz davon, dass er die ‚Vereinigten Staaten von Europa‘ anstrebe. Er besann sich sehr schnell, dass er damit viele Wähler vergraulen würde und hielt fortan lieber den Mund.

Die Legislative und damit die Legitimation hatte ursprünglich nur eine einzige Quelle. Sie bestand aus zwei Teilen, dem Ministerrat und dem Europäischen Rat, wobei nur letzterer wirklich in Erscheinung tritt. Ihm gehören die Regierungschefs der Mitgliedsländer an. Er bekommt alle Aufmerksamkeit, wenn er einmal pro Quartal zusammentrifft. Das Parlament hatte anfangs nur eine rein beratende Funktion. Diese wurde in mehreren Schritten erweitert. So waren die EU-Abgeordneten anfangs Abgesandte der Länderparlamente, werden aber inzwischen direkt von den Bürgern gewählt. Die Stimmen in den kleinen Ländern zählen dabei mehr als die der großen Staaten. Ein Abgeordneter aus Malta wird mit erheblich weniger Stimmen gewählt als ein deutscher oder ein französischer. Das EU-Parlament hat inzwischen auch ein Vorschlagsrecht für den Kommissionsvorsitz, ein beschränktes Haushaltsrecht und ein Vetorecht gegenüber Verordnungen der Kommission.
Die eigentliche Exekutive ist die EU-Kommission. Daneben gibt es den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der alle Streifragen entscheiden soll. Sowohl die Exekutive wie die Judikative haben – nach Ansicht vieler Beobachter − ein klares Übergewicht.

Gescheiterter Verfassungsvorschlag

Nach der Osterweiterung erschien vielen Leuten die Zeit reif, um die EU juristisch auf eine bessere Basis zu stellen. Ein Europäischer Konvent unter Leitung des französischen Ex-Präsidenten Valerie Giscard d’Estaing erarbeitete einen Verfassungsentwurf aus, der im Oktober 2004 in Rom feierlich von den Staats- und Regierungschefs aller EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde. Er sollte im November 2006 in Kraft treten. Staaten wie Deutschland ratifizierten ihn mit großer Parlamentsmehrheit. In Frankreich und den Niederlanden, die eine Volksabstimmung durchführten, scheiterte er jedoch. Stattdessen schlossen im Dezember 2007 die europäischen Staats- und Regierungschefs den Vertrag von Lissabon ab, der im Dezember 2009 in Kraft trat. Er dient als die derzeitige Basis der EU. Ein erneutes französisches oder niederländisches Referendum fand nicht statt. Die Irländer, die zunächst dagegen votierten, stimmten nach einem Jahr Bedenkzeit zu.

Brexit und Sonstiges

Über den Brexit und seine möglichen Auswirkungen habe ich mich in Juli 2016 ausgelassen. Inzwischen sind zwei weitere Jahre vergangen, ohne dass wirklich Klarheit herrscht, was ab März 2019 genau passieren wird. Es besteht leider wenig Hoffnung, dass im Vereinigten Königreich (UK) plötzlich die Vernunft die Oberhand gewinnt. Vielleicht träumt man dort noch intensiver von der speziellen transatlantischen Beziehung, seit Donald Trump in den USA das Sagen hat.

Dass es weitere Beitritts-Kandidaten gibt, hatte ich bereits erwähnt. Ob mit und ohne Hoffnung, das sei dahingestellt. Dass die Schweiz und Norwegen weiter ihren eigenen Weg gehen werden, das ist anzunehmen. Die Erweiterung der jetzigen EU ist kein aktuelles Thema. Die Frage einer stärkeren finanziellen Verflechtung der Euro-Region ist davon als separat anzusehen. Ob dabei ein eigener Finanzminister von Nutzen ist, ist umstritten.

Von Lethargie zu Skepsis und Widerwillen

Im August 2012, also vor exakt sechs Jahren, ließ ich mich von den beiden Politikern Friedrich Merz und Wolfgang Clement zu einer Diskussion über Europa anregen. ‚Wieviel Europa soll es denn sein?‘ so lautete ihre Frage. Sie wollten damit falsche Erwartungen etwas zurechtrücken. Im Grunde ging es seither nur bergab. Die Situation, die heute herrscht, lässt sich in drei Stufen von Gefühlen ausdrücken, Lethargie, Skepsis und Widerwillen.

Die Lethargie drückt sich in einem geringen Interesse an dem Geschehen aus. Aus der Teilnahmslosigkeit folgt eine geringe Wahlbeteiligung. Es fehlen Stimulanzen, die Anreize für die Bürger darstellen. Die Skepsis basiert auf Misstrauen. Dafür sorgt die hyperaktive Exekutive. Eine Zahl soll dies ausdrücken: Die Gesamtzahl an Richtlinien und Verordnungen aus Brüssel umfasst bescheidene 60-70.000 Seiten (Fachausdruck: Aquis communautaire). Offener Hass gibt es bei nationalistischen Parteien und Gruppierungen, die es inzwischen in fast jedem EU-Land gibt.

Ernüchternde EU-Parlamentswahl 2014

Die letzte für das EU-Parlament durchgeführte Wahl hatte in einigen Ländern geradezu desaströse Ergebnisse. In Frankreich erzielte der Front National (FN) 25% der Stimmen und Sitze. In Großbritannien deklassierte die europafeindliche UK Independence Party (UKIP) mit 26,6% der Stimmen die beiden traditionellen Volksparteien Labour (24,4%) und Konservative (23,1%). In Deutschland erreichte die AfD zwar nur 7%. Seither wuchs sie weiter in den Bereich von 15-20%.

In meinem Blog-Beitrag zu Europa im Mai 2014, also kurz nach der Wahl, schrieb ich: ‚Ich halte übrigens Lucke, Le Pen, Farrage u. a. nicht für Europas Hauptproblem. Sie können sogar etwas Gutes bewirken. Dann nämlich, wenn sie Politiker aller Couleur zur Einsicht verhelfen, dass das Motto 'Mehr Europa' schlicht zu einfach ist. Es ist eine gedankliche Kapitulation, eine Ausrede von Faulenzern. Politiker müssen laufend darüber nachdenken, was sie nach oben wegdelegieren können oder sogar müssen, und was sie auf ihrer Ebene angehen müssen.‘ Ich glaube, das war reines Wunschdenken meinerseits.

Aktuelle Politik der EU und der Gliedstaaten

Die EU war einmal ein großes Versprechen. Der Inhalt des Versprechens wandelte sich, einmal in Folge der fortschreitenden Zeit, anderseits mit den neuen Mitgliedern. Für die ersten 15 ehemals zum freien, westlichen Teil Europas gehörenden Länder ging es um die Bestätigung und gegenseitige Absicherung eines erreichten Zustands. Durch die Osterweiterung kam etwa die gleiche Anzahl von Ländern hinzu, die das erreichen wollten, was die anderen schon lange besaßen. Die EU versucht, diese divergierenden Interessen unter einen Hut zu bringen. In 50 Jahren haben sich viele Mechanismen eingespielt und bedienen Dinge, auf die die Nutznießer ein Recht zu haben glauben.

Lokalpolitiker leiten oft ihre Daseinsberechtigung aus der Kritik an einer Zentrale ab. Nicht nur da, wo Rechtsradikale an der Regierung beteiligt sind, wird die EU gerne zum Sündenbock erklärt für alles, was schiefläuft. Wir kennen dies aus der Bundesrepublik. Geschieht in Bayern ein Unglück oder ein Verbrechen, so ist Berlin daran schuld. Die Reaktion des italienischen Innenministerns auf den Brückeneinsturz in Genua unterstreicht diesen Punkt.


Weitere Stimmen und Sichten zur EU-Situation

Europa kritisch zu kommentieren gehört seit längerem zum Lieblingssport vieler politischer Autoren. Mit einigen markanten Vertretern habe ich mich in den letzten Wochen befasst. Der ehemalige Verfassungsrichter und spätere Bundespräsident Roman Herzog (1934-2017) ist ein durchaus positives Beispiel. In seinem Buch Europa neu erfinden (2014, 160 S.) fasst er zusammen, was Bürger ihm berichteten. Er warnt vor einer Union, die sich zu einem Überstaat entwickelt und dadurch die Mitgliedstaaten und deren Parlamente entmachtet. Europa wird nur dann stark und lebensfähig sein, so Herzog, wenn es sich neu erfindet. Nur so wird es gelingen, die EU aus ihrer derzeitigen Krise zu führen und zu einer demokratischen und freien Union zu formen, die von den Menschen in allen Mitgliedsländern akzeptiert wird.

Herzog findet, dass die Probleme der EU alle nach 2008 entstanden sind, also fünf Jahrzehnte nach ihrer Gründung. Dazu rechnet er das Vorenthalten wichtiger Befugnisse durch die Mitgliedsstaaten, die Wahl schlechter Leute, Bürokratie, Engstirnigkeit, und vor allem die Normenhypertrophie. Als ein Demokratiedefizit empfindet auch er die Stellung des Parlaments. Schließlich verbinde sich mit dem Euro Angst ums liebe Geld – vor allem bei uns Deutschen. Erwartet würden primär eine Sicherung des Wohlstands und ein machtvolles Auftreten gegenüber dem Rest der Welt. Dazu könnten klarere Zuständigkeiten, weniger Verordnungen und eine generelle Verschlankung von Nutzen sein.

Ein anderer ehemaliger Verfassungsrichter ist Dieter Grimm (*1937). In seinem Buch  Europa ja – aber welches? Zur Verfassung der europäischen Demokratie (2016, 288 S.) argumentiert er vorwiegend juristisch. Er erklärt vor allem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) zum Vertrag von Lissabon. Bekanntlich kam das BVG zu dem Ergebnis, dass der Vertrag unser Grundgesetz zwar stark berührt, aber gerade noch intakt lässt. Er findet, dass eine Ausstattung des EU-Parlaments mit mehr Rechten das allseits beklagte Demokratiedefizit nicht beseitigt. Es fehle die europäische Öffentlichkeit und die gesellschaftliche Substruktur (Medien, Polizei). Daher fordert er (a) Europäische Parteien, die ihre Wahlkämpfe mit europäischen Themen bestreiten (b) eine Vergemeinschaftung nach Sachgebieten und (c) eine Rückführung der Verträge auf Ziele, Organe, Kompetenzen, Verfahren und Grundrechte. Grimms Augenmerk richtet sich sehr stark auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser interpretiere die Rechte der EU großzügig, die der Mitgliedstaaten jedoch eng. Er sei neben der Kommission die treibende Kraft der Integration. Der EuGH sei kein Schiedsrichter, sondern ein Gericht mit einer Agenda.

Der ehemalige Außenminister und Vorsitzender der Grünen Joschka Fischer (*1948) ahmt den großen Henry Kissinger nach. In seiner weltpolitischen Tour d’Horizon betitelt Der Abstieg des Westens. Europa in der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts. (2018, 240 S.) wiederholt er seine Meinung, dass man die Türkei als zukünftigen Teil der EU ansehen sollte. Damit bekäme Europa ein Tor in den Nahen Osten und zusätzliche Militärmacht. Durch die seit 2008 ausgebrochene Finanzkrise sei für den politischen Einigungsprozess ein ganzes Jahrzehnt verloren gegangen.


Eine geradezu wohltuende Lektüre bietet der Münchner Historiker Andreas Wirsching (*1959) an. In seiner Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert (4. Auflage 2018, 128 S.) zeigt er den mäandrierenden Weg auf, den Europa in den letzten 50 Jahren ging. Das als westeuropäische Einigung gestartete Nachkriegsprojekt der Friedenssicherung ist beendet. Europa benötige eine neue Narration. Das kann die Wahrung der Umwelt betreffen, die Bedrohung durch die Immigration aus Asien und Afrika oder gar der Schutz gegen Russland.


Parteien verlören allenthalben das Vertrauen der Bevölkerung, so in Italien und Frankreich. Diese machten sich nämlich vielfach den Staat zur Beute. Die traditionellen Arbeiterparteien sind betroffen vom Übergang von einer Industrie- zu einer post-industriellen Dienstleistungsgesellschaft. In fast allen Ländern bieten Populisten vereinfachte Lösungen an, die teilweise nur auf eine Gruppe bezogen sind. Leute wie Marine Le Pen, Jörg Haider, Pim Fortuyn und Christoph Blocher argumentieren gegen eine angeblich drohende ethnische Durchmischung durch Einwanderung. Auch Viktor Orban in Ungarn und die Brüder Kaczynski in Polen spielen diese Melodie.


Das Platzen der US-Immobilienblase riss mehrere europäische Länder in die Staats-Verschuldung, unter anderem beim Bemühen ihre Banken zu retten. Besonders betroffen waren Griechenland, Spanien und Portugal  Ihnen drohte der Staatsbankrott, verbunden mit einer Vertrauenskrise der EU. Die durch die EU-Partnerländer in die Wege geleiteten Rettungsmaßnahmen waren zwar schwierig, aber erfolgreich. Dank neu geschaffener Strukturen (Bsp. ESM) stehen heute alle EU-Länder besser da.

Das Verhältnis zu Russland verschlechterte sich abrupt als die EU einen Assoziierungs-Vertrag für die Ukraine mit der Regierung Janukowitsch abschließen wollte. Als dies von Putin blockiert wurde, kam es im Januar 2014 zum Maidan-Aufstand in Kiew und in deren Folge zur Session bzw. Annexion der Krim im Mai 2014. Trotzdem könne das Motto für Europa lauten: Frieden, Wohlstand, soziale Sicherheit, kulturelle Vielfalt, das alles verbunden mit Liberalität.

Schlussbetrachtung

Mit einer ausgesprochen positiven Stimme will ich den Beitrag beenden. Der Ulmer Informatiker und Weltpolitiker Franz Josef Radermacher sieht die EU als Muster für eine geglückte Entwicklung an. Sie brachte eine Region voran, indem Starke den Schwachen halfen. Ihre Aufnahmekriterien und Beitrittshilfen definieren Ziel und Weg einer rationalen und effektiven Politik. Den von ihm bevorzugten Weg bezeichnet Radermacher als Ökosoziale Marktwirtschaft. Im Juni 2016 schrieb er in diesem Blog: ‚In jedem Fall bleibt die EU eine Hoffnung für die Welt, denn das ist die Richtung, in die wir agieren müssen, wenn Balance das Ziel ist. Dass die EU Schwierigkeiten hat, spricht nicht dagegen, dass dies die Richtung ist, in die wir uns bewegen müssten. Aber es macht eben auch deutlich, dass das vielleicht nicht gelingen wird.‘

5 Kommentare:

  1. Gerhard Schimpf aus Pforzheim schrieb: Brauchen wir wirklich ein neues Narrativ? Mir reicht "Frieden in Europa seit 73 Jahren". Nach dem größten Trümmerhaufen der Geschichte lohnt es sich die Kriegsteilnehmer am zweiten Weltkrieg zu fragen.

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    1. Nicht meine Generation braucht eine neue Narration, sondern die, die kein Kriegserlebnis hatte. Es reicht nicht anzunehmen, dass unsere Erfahrungen und Einsichten automatisch zu unseren Enkeln gelangen und in gleicher Weise verarbeitet werden.

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  2. Peter Hiemann aus Grasse schrieb: Ich teile Roman Herzogs Ansicht, dass die Zeit gekommen ist, dass sich Europa neu erfindet. Die EU hat sich als gesetzgebende Instanz nicht bewährt. Es ist offensichtlich geworden, dass die existierenden Prinzipien die EU-Organisation Europa eher behindern, international zu agieren. Die EU hat sich zu einem bürokratischen Monster entwickelt, das von Bevölkerungen europäischer Staaten nicht geschätzt wird.

    Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle schwärmte 1965: "Wir Europäer haben Kathedralen gebaut ... Jetzt bauen wir Europa. Ah, welch eine Kathedrale ...“ De Gaulles bezeichnete eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) lediglich als Pfeiler einer Europäischen Union. De Gaulle glaubte, dass Europas Politiker wesentliche Voraussetzungen für eine funktionsfähige 'Union des Etats Européens' schaffen können: gemeinsame Handelspolitik, gemeinsame Steuerung von Konjunktur, gemeinsame Steuerung von Wirtschaftswachstum, Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Angleichung der Steuersysteme. De Gaulles Vision hat sich als Illusion herausgestellt.

    Anders als zu Beginn gemeinsamen europäischen Handelns nach dem zweiten Weltkrieg braucht Europa 2021 keine gesetzgebenden Institutionen, um in Europa Kriege zu vermeiden. Ein starkes 'Europa der Vaterländer' ist wünschenswert, wenn nicht sogar erforderlich, damit europäische Staaten Interessen international verteidigen und wahrnehmen können. Regierungsvertreter europäischer Staaten sind gut beraten, gemeinsame Pläne und Aktionen und EU-Institutionen darauf zu beschränken, eine stabile Basis für internationale politische kooperative Zusammenarbeit zu erreichen. Debatten über gemeinsame europäische Gesetze tragen dazu nichts bei, sie sind eher kontraproduktiv. Gesetzgebende Vorhaben benötigen in Europa demokratische Legitimität und müssen nationalen Institutionen überlassen bleiben.

    Die aktuelle Situation der Regierungsvertreter europäischer Staaten und der von ihnen finanzierten EU-Institutionen ist peinlich. Die aktuellen politischen Situationen sind auch deshalb peinlich, weil die etablierten, demokratisch orientierten Parteien und Politiker Europas zunehmend an Glaubwürdigkeit verlieren. Viele deren Anhänger folgen zunehmend populistisch wirksamen Argumenten autokratisch orientierter Parteien und Politiker.

    Ein starkes Europa braucht überzeugende Argumente und Programme, um international gemeinsam effektiv agieren zu können. Am besten versuchen europäische Staaten sich eine ähnliche Organisationsstruktur wie die UN zuzulegen – mit einer EU-Charta, einem EU-Sicherheitsrat und einer EU-Gerichtsbarkeit, die sich auf gravierende Verletzungen demokratischer Prinzipien und ökonomischer Fehlentwicklungen konzentriert. Angela Merkel könnte sich das Ziel setzen, statt Frankreich und Deutschland die EU als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates zu etablieren. In diesem UN-Gremium könnte der Gesandte der EU Probleme zur Sprache bringen, die nur international gelöst werden können. Indem die EU eine UN-Mitgliedschaft anstrebt, könnte Europa auch publikumswirksam klarstellen, dass Erklärungen zur Kooperationsbereitschaft mit den UN-Vetomächten USA, China und Russland weitgehend sinnlos sind. Diese werden nämlich die EU als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates kaum akzeptieren.

    Viele existierende EU-Institutionen sind reformbedürftig oder Kandidaten, abgeschafft zu werden. Im Übrigen besitzt die UN eine Struktur, in die sich notwendige Aktionen, zum Beispiel die Versorgung von Flüchtlingen in Lagern, von der EU und UN gemeinsam erfolgen. Bei allen möglichen EU-Reformvorhaben wird es darauf ankommen, ob nationale Regierungen bereit sind, privilegierte EU-Arbeitsplätze aufzugeben. Die Engländer waren anscheinend dazu bereit.

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    1. Ich neige dazu, das EU-Parlament abzuschaffen. Es verursacht enorme Kosten (vor allem Reisespesen), hat aber nichts aufzuweisen, was dies rechtfertigt. Die Mitglieds-Regierungen müssen eh die Kommission kontrollieren oder anschupsen. Der Vergleich mit der UNO legt dies ebenfalls nahe.

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    2. Dass das Parlament sich selbst für eine Zumutung hält, bezeugen zwei seiner prominentesten Mitglieder, wenn immer sie den Mund auftun: Nigel Farage und Martin Sonneborn. Für den Unsinn, den sie verzapfen, werden sie und ihre Kollegen vom Steuerzahler fürstlich entlohnt. Weil alle Abgeordeten dauernd zwischen Strassburg und Brüssel pendeln, müssten sie sich eigentlich selbst für blemblem erklären.

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