Mittwoch, 6. März 2019

Vereinigung von Relativitäts- und Quantentheorie aus der Sicht der Schleifenquantengravitation

Seit Max Planck im Jahre 1900 feststellte, dass Licht als Körnchen (Quanten) zu verstehen ist und seit Albert Einstein 1915 die Allgemeine Relativitätstheorie in die Welt setzte, haben Physiker darum gerungen, beide Auffassungen in Übereinstimmung zu bringen. Man suchte die umfassende Vereinigung dieser Theorien (engl. great unifying theory, Abk. GUT). Ohne auf die diversen Alternativen einzugehen, wird im Folgenden ein Kandidat näher beschrieben, der nach meinem Dafürhalten zur Zeit gute Aussichten hat, akzeptiert zu werden. Noch ist es ein Vorschlag neben andern. Der Vorschlag hat einige bestechende Eigenschaften.

Urheber und Namensgebung

Meist werden drei Physiker als die Urheber dieser Theorie genannt: der Inder Abhay Ashtekar (*1949), der US-Amerikaner Lee Smolin (*1955) und der Italiener Carlo Rovelli (*1956). Im Folgenden dient Rovellis Buch Die Wirklichkeit, die nicht so ist, wie sie scheint (2016, 320 Seiten) als primäre Quelle und Bezugspunkt. Auch der zugehörige Wikipedia-Eintrag ist sehr ausführlich und hilft daher dem Verständnis. Meinem Freund Hans Diel bin ich für einige klärende Diskussionen zum Thema Quantenphysik sehr dankbar. Der vorliegende Blog-Beitrag wurde durch ein dieser Tage stattgefundenes Gespräch veranlasst.

Der Name Schleifen-Gravitation (engl. loop gravitation) stammt von Ashtekar und Smolin. Sie hatten 1986 nachgewiesen, dass die Wheeler-DeWitt-Gleichung, mit der die Gravitation in Wellenform beschrieben wird, zu Lösungen führt, wenn man für die Feldlinien eines Kraftfelds Schleifen zulässt.

Grundlegende Annahmen

Das, was man als Raum bezeichnet, ist nicht ein Hintergrund für das physikalische Geschehen, sondern Teil desselben. Er ist selbst ein dynamisches Objekt, das den Gesetzen der Quantenmechanik gehorcht. Vor allem ist er nicht unendlich teilbar. Die Untergrenze für die Teilbarkeit des Raumes ergibt sich aus der Planckschen Länge. Diese beträgt bekanntlich 10-33 cm.

Elementarteilchen lassen sich als Knoten in einem mehrdimensionalen Netz auffassen. Ein Kubikzentimeter enthält maximal 1099 Knoten. Anstatt an ein Netz zu denken, ist die Vorstellung eines Schaumes hilfreicher. Da Knoten Eigenschaften haben, die man mit dem Spin des Teilchens vergleichen kann, spricht man vereinfachend von Spin-Schäumen. Wenn Teilchen neu entstehen oder vorhandene verschwinden, wenn ihre Eigenschaften oder ihre Beziehungen untereinander sich ändern, verändert sich der Schaum. Der Schaum kann wachsen oder in sich zusammenfallen. Diese Veränderungen stellen den Zeitfluss dar. Auch hier gibt es eine Untergrenze. Sie heißt Plancksche Zeiteinheit und entspricht 10-43 Sekunden. Keine Ereignisse können kürzer sein. Dadurch sind Raum und Zeit ‚gequantelt‘. Sie stellen kein Kontinuum mehr dar. Das unendlich Kleine gäbe es weder auf den Raum bezogen, noch auf die Zeit. Dasselbe gilt übrigens am anderen Ende für das unendlich Große in Raum und Zeit – ist aber außerhalb dieses Themas.

Den Raum sollte man sich vorstellen als ein Gewebe vibrierender Quantenkörnchen. Quantenfelder bilden Raum und Zeit, Materie und Licht. Die Realität sei ein Netzwerk von körnigen Ereignissen. Wenn sie sich beeinflussen, d.h. wenn Prozesse wechselwirken, dann tauschen sie Information aus. Zwischen Ereignissen seien Raum und Zeit in einer Wolke aus Wahrscheinlichkeiten aufgelöst.

 

Raum mit Quantenkörnchen

Der Raum sei ein Gravitationsfeld und sonst nichts. Der Raum sei real, er wogt, biegt und krümmt sich, so wie ein Magnetfeld. Mathematisch beschreiben lässt er sich als Riemann-Raum. Der Gauß-Schüler Bernhard Riemann (1826-1866) behandelte gekrümmte Oberflächen und Räume mittels eines Krümmungstensors. Der ist verschieden von Null, sofern die Krümmung größer oder kleiner als Null ist. Bei einer positiven Krümmung handelt es ich um einen Buckel, bei negativer Krümmung um eine Delle. In der physikalischen Realität ist die Krümmung da am größten, wo Masse oder Materie ist. Der Raum würde gebildet durch die Wechselwirkung von Gravitationsquanten. Er entspricht einem Spin-Netzwerk, in dem Knoten Beziehungen zur Umgebung darstellen. Das Spin-Netz ist eine Aussage über den Quantenzustand des Gravitationsfelds. Die Links sagen, welche Punkte Nachbarn sind. Auch die Zeit entsteht wie der Raum im Gravitationsfeld. Prozesse, die Netzwerke verändern, laufen in Raumzeit ab. Sie werden als Spin-Schäume dargestellt. Die Zeit kann nicht beliebig in kleinere Einheiten zerlegt werden, Bei einem Pendel können zwischen der Ausschlaglänge von 5 und der von 6 cm nur endlich viele Pendelausschläge liegen. Die uns hier fehlende Information ist endlich.


Detailausschnitt eines Seifenschaums

Physikalisch gesehen bestehe die Welt nur aus Feldern und Teilchen (auch Partikel genannt). Im Grunde seien Felder und Teilchen dasselbe. Sie seien Quantenfelder. Felder bestehen aus Quanten. Teilchen sind die Quanten eines Feldes. Teilchen sind nur da, wo sie mit anderen Teilchen interagieren. Sie haben keinen absoluten, sondern nur einen relativen Ort. Was uns als ein Objekt erscheint, sei in Wirklichkeit ein monotoner Prozess, der eine Weile andauert. Eine Welle dagegen sei kein Objekt. Zusammengefasst: Die Welt im subatomaren Bereich bestehe nicht aus Steinchen, sondern aus einem ständigen Wimmeln und Vibrieren.

Ganz anders erscheint uns dagegen die makroskopische Ebene. Hier können Längen miteinander verglichen werden, ebenso Zeiten. Es macht dort Sinn, über die Dauer von Ereignissen zu sprechen. Längen oder Zeiten müssen geometrischen Anordnungen oder Ereignisketten zugeordnet werden können, die nahe genug zueinander sind, dass wir sie vergleichen können. Messen ist hier stets nur ein Vergleichen.

Erklärte Phänomene in der Realität

Eine Theorie ist nur dann besser als eine andere, wenn sie bereits beobachtete Phänomene erklären kann, die andere Theorien nicht erklären können. Hier einige Kandidaten, die genannt werden:
  • Langwellige Gravitationswellen auf einer flachen Hintergrund-Raumzeit
  • Die Formel von Jacob Bekenstein, wonach die Entropie eines schwarzen Lochs proportional zu dessen Oberfläche ist
  • Die Hawking-Strahlung, die von schwarzen Löchern emittiert wird
  • Eine positive kosmologische Konstante, für deren Existenz astronomische Beobachtungen zwingende Indizien geliefert haben.

Keiner dieser Fälle erscheint mir wirklich so konkret zu sein, dass seine Erklärung als schlüssiger Beweis gelten könnte. Im Grunde handelt es sich dabei weniger um beobachtete Phänomene als um Vermutungen oder Theorien. Vielleicht finden sich noch bessere Beispiele.

Vorhersagen der Theorie

Neue Theorien führen manchmal dazu, dass Vorhersagen von Ereignissen gemacht werden können, die bisher nicht wahrgenommen wurden. Es könnte sich herausstellen, dass die Lichtgeschwindigkeit von der Wellenlänge des Lichtes abhängt. Die Abweichungen von dem üblichen Wert fallen besonders dann ins Gewicht, wenn die Wellenlänge vergleichbar mit den Knotenabständen und damit der Plancklänge wird. In diesem Falle würden Photonen gewissermaßen die Quantenstruktur der Raumzeit zu spüren bekommen. Auch hier bestehen noch Verbesserungsmöglichkeiten.

Historische Wurzeln

Rovelli ist bemüht zu zeigen, dass diese Theorie uralte Wurzeln hat. Er sieht ihren Ursprung im griechischen Altertum. Es sei Demokrit von Abdera (459-371 vor Chr.), ein Schüler des Leukipp aus Milet, gewesen, der ein sehr ähnliches Weltbild vertrat. Sein Hauptsatz lautete: Tiere und Träume bestehen aus Atomen, so auch Licht, Meer, Städte und Sterne. Außerdem lehrte er, dass Materie nicht unendlich teilbar sei. Schon im Altertum wurde er von Platon und Aristoteles bekämpft. Sie postulierten, dass das Geistige über dem Materiellen stünde, und dass die Idee Vorrang vor der Realität habe. Die Welt habe weder Ziele noch Ursachen, meinte Demokrit.

Alle Schriften des Demokrit gingen verloren, von Aristoteles dagegen keine einzige. Nur was der römische Autor Lukrez (94-53 vor Chr.) über ihn überlieferte, wurde wiederentdeckt. Im Mittelalter galt sein Denken als noch heidnischer als das des Aristoteles. Noch das Konzil von Trient im Jahre 1551 verbot das Studium und die Verbreitung dieser Ideen. Demokrits Weltbild wird als atomistischer Materialismus bezeichnet.

Moderne Wissenschaftssoziologie

Im Schluss sei vermerkt, dass die hier beschriebene Theorie ein weiteres Beispiel darstellt, wie Wissenschaft arbeitet. Schon vor Jahren beklagte sich Lee Smolin, dass überall auf der Welt Physiklehrstühle nur von Anhängern der String-Theorie besetzt seien, und dass Leute, die eine alternative Theorie verträten, kaum eine Chance hätten, sich erfolgreich zu bewerben. Es scheint mir dies eine Erklärung dafür zu sein, dass Rovelli, obwohl in Verona geboren, in Marseille lehrt und seine Schüler überall in Europa tätig sind, nur nicht in Italien.

Was Rovelli über Information in der Physik sagt, kann nicht sehr befriedigen. Er gesteht dies auch ein. Wie alle Physiker ist er nicht über Claude Shannons Gedanken aus den 1950er Jahren hinausgekommen. Das führt ihn zu Aussagen folgender Art: Der Tee in einer Tasse wird kälter, weil Information verloren geht. Über jedes System lässt sich stets neue Information gewinnen. Information (gemeint ist wohl Entropie) kann nur abnehmen und nie zunehmen. Wer eine andere Auffassung kennenlernen will, sei auf einen Beitrag von 2011 in diesem Blog verwiesen.

2 Kommentare:

  1. Das einzige erhaltene Textfragment des Lukrez wurde um 1417 von dem italienischen Humanisten Poggio Bracciolini in einer nicht genannten deutschen Klosterbibliothek gefunden.

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  2. Bracciolini war auf dem Konzil in Konstanz. Als sein Chef Johannes XXIII. abgesetzt wurde, war er arbeitslos. Er besuchte daraufhin mehrere deutsche Klosterbibliotheken. Er brachte etwa ein Dutzend lateinische Klassikertexte mit nach Hause, die er dort gefunden hatte.

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