Montag, 3. Juni 2019

Dieter Rombach über die digitale Ertüchtigung der westpfälzer Wirtschaft und Wissenschaft

Dieter Rombach (*1953) ist seit 2018 Senior Forschungsprofessor im Fachbereich Informatik der TU Kaiserslautern. Davor war er von1992 bis 2018 Professor für Software Engineering im Fachbereich Informatik der TU Kaiserslautern. Im Jahre 1996 gründete er das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) in Kaiserslautern und war bis Ende 2015 dessen geschäftsführender Institutsleiter. Von 2015 bis 2018 war er Institutsleiter Business Development des Fraunhofer IESE, seit 2018 Executive Berater des IESE. Seit 2015 amtiert er ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender der Science & Innovation Alliance Kaiserslautern (SIAK) und seit 2018 als Chief Digital Officer (CDO) der Stadt Kaiserslautern. Rombachs Forschungsschwerpunkte lagen im Bereich ingenieursmäßigen Methoden zur Entwicklung von Software mit vorhersagbarer Qualität, quantitativen Methoden zum Messen und Bewerten von Softwareprodukten und -prozessen zum Zwecke des Projektmanagements und der Qualitätssicherung; ferner Sprachen, Methoden und Werkzeugen zur Erstellung und zum Management von Entwicklungsprozessen auf der Basis expliziter Softwareprozessmodelle; sowie empirischen Methoden und deren Anwendung zur Bestimmung der Effekte von Methoden der Softwareentwicklung. Im Jahr 2009 ehrte die finnische Universität Oulu ihn für sein Lebenswerk als Softwareingenieur mit der Ehrendoktorwürde. Im gleichen Jahr wurde er mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Rombach ist Fellow der ACM (seit 2010) und der IEEE Computer Society (seit 2003). Rombach ist Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Veröffentlichungen.



Bertal Dresen (BD): Das IESE lernte ich in seiner Gründungs- und Aufbauphase kennen. Seine damalige Forschungsrichtung wurde sehr stark von Vic Basili und seinen Kollegen beeinflusst, die an der University of Maryland die empirischen Methoden des Software Engineering populär machten. Das IESE ist heute eine Forschungseinrichtung mit etwa 250 Mitarbeitern. Die Themenspanne reicht von Automobil- und Transportsystemen über Automatisierung und Anlagenbau, Energiemanagement, Informationssysteme und Gesundheitswesen bis hin zu Softwaresystemen für den öffentlichen Sektor. Folgende Schlagworte stehen auf der Homepage: Smart Rural Areas, Smart Ecosystems, Industrie 4.0, Big Data, Cloud Computing und Business Goes Mobile. Können Sie mir erklären, was diese phänomenale Entwicklung und Ausweitung bewirkte. Was ist der gemeinsame rote Faden, der alle diese Aktivitäten verbindet, wenn wir einmal davon ausgehen, dass heute fast auf allen Gebieten der Technik Software-Strukturen und Software-Qualität eine gewisse Rolle spielt?

Dieter Rombach (DR): Das Erfolgsrezept des Fraunhofer IESE war es, von Anfang an auf skalierbare und Fakten-basierte Software-Entwicklungsmethoden zu setzen. Alle unsere Methoden sind sowohl für kleinere als auch grössere Softwaresysteme robust einsetzbar und darüber hinaus haben wir (über experimentelle Ansätze) Fakten zur Effektivität und Effizienz unserer Methoden in unterschiedlichen Kontexten verfügbar. Damit haben wir den ingenieurmässigen Anspruch umgesetzt, nämlich „Prozess-Produkt-Einflüsse“ quantifizieren zu können. Dies reduziert das Einführungsrisiko neuer Methoden in das industrielle Umfeld signifikant. Durch die wachsende Bedeutung der Digitalen Transformation wurden unsere Angebote in allen Sektoren der Wirtschaft und Gesellschaft benötigt, und die Ausweitung auf System Engineering durch meinen Nachfolger Peter Liggesmeyer hat ein Übriges bewirkt. Heute ist das Fraunhofer IESE bundesweit führend bei der Entwicklung von Middleware-Plattformen für Industrie 4.0 (siehe BaSYS4.0) und kognitive Landwirtschaft (COGNAC).

BD: Was sehen Sie als die herausragenden Ergebnisse Ihrer Tätigkeit am IESE an? Welches dieser Ergebnisse hat Sie am meisten überrascht? Wo ist der Nutzen besonders klar erkennbar?

DR: Herausragendes Ergebnis ist sicherlich die Tatsache, dass ein solches auf Wirtschaftskooperationen angewiesenes Fraunhofer-Institut in einer kleinen Großstadt wie Kaiserslautern aufblühen kann und nachhaltig  die Entwicklung ganzer Wirtschaftssektoren positiv beeinflussen kann. Ein weiteres herausragendes Ergebnis ist sicherlich der maßgebliche Beitrag zur Wirtschaftskonversion in Kaiserslautern. In den letzten 15 Jahren sind laut Wirtschaftsförderung der Stadt ca. 10.000 neue Arbeitsplätze entstanden und große Firmen wie John Deere haben Kaiserslautern (und insbesondere die Kooperationsmöglichkeiten mit dem Fraunhofer IESE) zum Anlass genommen hier Ihre Forschungs-und Entwicklung für Europa zu konzentrieren. Darüber hinaus hat das IESE inzwischen einen ausgezeichneten Ruf als Innovationsbeschleuniger bei vielen Firmen in Deutschland – aber auch weltweit. Wissenschaftler aus vielen Ländern tragen zum bunten Bild der Kulturen im IESE bei.

BD: In dem Interview im Jahre 2011 meinten Sie, dass noch sehr viel zu tun sei, bis empirische Modelle im Software Engineering (SE) sich durchsetzen. Täuscht mich mein Eindruck, dass das Interesse an SE als Wissenschaft und praktische Methodik auf dem Rückzug ist? Nehmen nicht wissenschaftlich weniger rigorose Ansätze die Aufmerksamkeit in Anspruch, nicht zuletzt die Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI)? Was glauben Sie, was als Aufgabe für die SE-Forschung übrig bleibt?

DR: Empirisches Software Engineering existiert auch im Fraunhofer IESE nicht mehr als Forschungsgebiet. Statt dessen hat es sich als Querschnittsaufgabe in allen Abteilungen festgesetzt. Die grundlegende Forschung im empirischen Software Engineering wird seither im Universitätsumfeld durchgeführt und fokussiert im Kontext Big Data auf die Analyse heterogener Datensätze sowie deren Visualisierung. Allerdings ist es inzwischen breiter akzeptiert, dass – unabhängig welche Methoden und Technologien bei der Entwicklung eingesetzt werden – Kenntnis über deren Effekte Voraussetzung für ziel-orientiertes Management ist.

BD: In der einleitenden Beschreibung Ihrer Tätigkeit wird die Science & Innovation Alliance Kaiserslautern (SIAK) erwähnt. Sie versteht sich als ein Netzwerk für digitale Transformation, Zukunftsinnovationen und interdisziplinäre Spitzenforschung. Ihre Mitglieder sind Hochschulen und Forschungsinstitute sowie Wirtschaftsunternehmen – insbesondere aus dem Mittelstand. Ihr Ziel ist es, Kaiserslautern und die Westpfalz zu einen national und international herausragenden Standort zu machen. Welche konkreten Maßnahmen haben Sie ergriffen, um ihr Ziel zu erreichen? Wo sind erste Ergebnisse zu erkennen?

DR: Der Wissenschaftsstandort Kaiserslautern hat alle wesentlichen Kompetenzen zur Beschleunigung der Digitalen Transformation in hoher Qualität vertreten: (a) Ingenieurswissenschaften (z.B.: TU und IVW), Informationstechnik/Software (z.B.: Fraunhofer IESE und ITWM, Max-Planck-Institut für Software), Big Data und KI (z.B.: DFKI). Es gibt in Deutschland wenige Standorte mit einem solchen breiten Angebot – es gibt keinen Standort, der Max-Planck und Fraunhofer zu diesen Themen hat. Ziel der SIAK ist es, diese Kompetenzen weiter zu vernetzen und damit noch attraktiver für die Wirtschaft zu werden. Erste Erfolge sind die Ansiedlung der Europäischen Forschungszentrums von John Deere (ETIC) zu Fragen der Autonomie und daten-basierter Dienstleistungen, die deutsche Führerschaft bei der Entwicklung von industrie-weiten Plattformen für Industrie 4.0 (BaSYS4.0) und kognitiver Landwirtschaft (Cognac), aber auch die Erfolge und Führerschaft der „Herzlich Digitalen“ Stadt Kaiserslautern, deren erster CDO ich ehrenamtlich bin.

BD: Im oben erwähnten Interview sprachen Sie viel von einem saarländisch-pfälzisch-hessisch-badischen Forschungsverbund. Ist diese geografische Orientierung inzwischen überholt? Dank Ihrer fachlichen Verbindung zur University of Maryland schienen Sie thematische Gemeinsamkeiten stets hoch einzuschätzen.

DR: Ich bin überzeugt, dass nur interdisziplinäre und über Standorte vernetzte Zusammenarbeit den heutigen disruptiven Herausforderungen im Kontext der Digitalen Transformation gerecht werden kann. Dazu gehören Standort-Netzwerke wie die SIAK, regionale nationale Netzwerke wie der in Ihrer Frage angesprochen Softwarecluster zwischen dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen, aber auch internationale thematische Netzwerke mit den USA (z.B.: Maryland) und anderen Ländern in Europa und darüber hinaus. Gerade die internationalen Netzwerke sind durch die Kombination kulturell unterschiedlicher methodischer Herangehensweisen besonders fruchtbar.

BD: Noch keinen Niederschlag auf Ihrer Homepage hat das von Ihnen kürzlich angetretene Amt des Chief Digital Officers (CDO) der Stadt Kaiserslautern gefunden. Wie Ihr Oberbürgermeister der Presse sagte, erwartet er, dass Sie den Slogan „herzlich digital“ verwenden. Sie sollen die ‚Digitalisierung nicht um ihrer selbst willen betreiben, sondern an der Lebenswirklichkeit der Menschen ausrichten. Alle Projekte sollen einen nachgewiesenen Nutzen für die Bevölkerung erbringen‘. Abgesehen davon, dass Sie jetzt einen Arbeitsplatz im Rathaus haben, wie glauben Sie, wie Sie der Stadt helfen zu können, die sicherlich sehr hohen Erwartungen der Bürger zu erfüllen? Sind Ihre Ansprechpartner primär die Bürger, also die Privatleute der Stadt oder auch Behörden und Unternehmen?

DR: Meine Aufgabe als CDO ist es aufgrund meiner Erfahrungen in der Informatik aber auch meinen Erfahrungen bei der Umsetzung die Roadmap so zu gestalten, dass wir zum einen die technischen Möglichkeiten nutzen, aber dies zum Nutzen der Bevölkerung gestalten. „Herzlich digital“ bedeutet, dass jedes unserer Digitalisierungsprojekte einen messbaren Nutzen (hier ist also wieder Empirie notwendig!) für die Bevölkerung hat, dass mit persönlichen Daten verantwortlich umgegangen wird, dass die Finanzierung nachhaltig möglich ist, und dass in allen Bereichen eine Balance zwischen analogen und digitalen Alternativen erhalten bleibt. Mit diesem Ansatz haben wir eine enorme Akzeptanz und Unterstützung bei der Bürgern, Firmen und Behörden erzielt. Regelmässig tausche ich mich mit Bürgern über einen breit aufgestellten Beirat aus und berichte Ergebnisse an den Stadtrat.

BD: Bei dieser Geschichte fällt mir das Sprichwort ein: ‚Nach dem Rathaus ist man schlauer‘. Sind es im Grunde nichts mehr als gute Worte und Ratschläge, die Sie Ihren Besuchern geben können? Wo glauben Sie, dass Sie etwas bewirken können? Wird die Stadt Kaiserslautern demnächst nicht mehr wieder zu erkennen sein?

DR: Schlaue Sprüche würden eher das Gegenteil bewirken. Wir nehmen die Bürger aktiv mit, indem wir in Arbeitsgruppen gemeinsam neue Digitalisierungsangebote identifizieren. Heute bereits ist Kaiserslautern Vorreiter in Rheinland-Pfalz (offiziell so durch die Landesregierung bezeichnet), einige unserer digitalen Verwaltungsangebote haben bundesweit in Wettbewerben erste Preise erhalten, und auch bundesweit werden wir anerkannt. Wir arbeiten daran, dass schrittweise die Stadt in allen Bereichen digitalisiert wird.

BD: Laut unserem Kollegen Manfred Broy ist die Digitalisierung eine Art von Revolution, die kaum Vergleichbares in der Vergangenheit hatte. Sie sei die ‚größte technologische Veränderung in Wirtschaft, Gesellschaft, aber auch Politik in der letzten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts‘. Sehen Sie dies auch so? Werden Aktionen, wie die der Stadt Kaiserslautern, diesem Ereignis gerecht?

DR: Dieser Einschätzung des Kollegen Broy kann ich nur ohne Vorbehalt zustimmen. Der revolutionäre Charakter kommt zum einen durch die ungeheuere Geschwindigkeit der technischen Revolutionen, zum anderen durch die Auswirkungen auf alle Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft zustande. Dies stellt natürlich auch für uns in Kaiserslautern eine große Herausforderung dar. Wir glauben allerdings, dass die nutzen-orientierte Vorgehensweise (Herzlich Digital), die Nutzung der breiten technisch wissenschaftlichen Ressourcen vor Ort (SIAK), aber auch unsere sozial-wissenschaftliche Begleitforschung zur Mitnahme breiter Kreise der Bevölkerung (Projekt „Dialog Zivilgesellschaft“) diesen Herausforderungen gerecht werden.

BD: Lieber Herr Rombach, haben Sie vielen Dank, dass Sie mir und meinen Lesern diesen Einblick gewähren in die Vielzahl der Tätigkeitten, mit denen Sie sich in Ihrer Stadt und in Ihrem Bundesland engagieren. Mögen diese Aktivitäten Ihnen Freude und Zufriedenheit bereiten!

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