Donnerstag, 12. Dezember 2019

Ökosoziale Orientierung (Essay von Peter Hiemann)


Das ökosoziale Paradigma verbinde ich mit dem Ulmer Informatiker Franz-Josef Radermacher. Im Jahre 2016 befassten sich gleich zwei Beiträge dieses Blogs mit ihm. Im April fasste ich zwei seiner Vorträge zusammen, die er im Abstand von sieben Jahren gehalten hatte. Im Juni erläuterte Radermacher in einem Interview sowohl sein wissenschaftliches Werk wie seine politischen Ideen. Hier erklärte er die von ihm vertretene ökosoziale Marktwirtschaft wie folgt:

Seit der Weltfinanzkrise hat sich in diesem Kontext die internationale Politik von der marktfundamentalistischen „Freie-Markt Philosophie“ in Richtung so genannter grüner und inklusiver Ökonomien (engl. green and inclusive economies) bewegt, was nichts anderes ist als unsere langjährige Position des Eintretens für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft. … Die Grünen betonen sehr stark den Aspekt Umwelt, sozialdemokratische Parteien die Frage des Sozialen, christdemokratische Parteien die Verantwortung im Sinne des christlichen Menschenbildes und die Liberalen das ebenso wichtige Thema der Freiheit. Im ökosozialen Modell brauchen wir alle diese Elemente, aber in einer geeigneten Mischung. Und diese Mischung muss die jeweiligen Verhältnisse reflektieren. Befinden sich die Verhältnisse z. B. zu nah an sozialistischen oder planwirtschaftlichen Strukturen müssen Freiheit, Einsatz und Unternehmertum gefördert werden.

Im heutigen Essay greift Peter Hiemann das Thema ökosoziale Orientierung auf und vertieft es. Er sieht den Ursprung der entsprechenden Ideen bei dem Soziologen Wolf Rainer Wendt. Lange erschien es so, als ob die Befassung mit der Position des Menschen, also das Ökonomische und Soziale, das A und O jeder politischen Betätigung seien. Derzeit wird nach meiner Meinung die Ökonomie sehr zurückgedrängt. Man sieht sie entweder als irrelevant an, also als selbstverständlich, oder betrachtet sie als schädlich und verdammenswert. Soziale Politik und soziale Arbeit stehen höher im Kurs. Dabei ist es ihre Aufgabe denjenigen Leuten zu helfen, die nicht selbst für ihr Wohlergehen sorgen können. Dies darf aber nicht zu Lasten der Natur und der Umwelt erfolgen. Diese Erkenntnis sieht Hiemann quasi als Grundlage einer neuen Kulturepoche an. Die Natur kennt keine Moral. Sie wirkt ohne Rücksicht auf andere und verzeiht keine irreversiblen Veränderungen. Das muss der Mensch lernen und akzeptieren.

Wie kein anderes Thema hat dieses neue Paradigma in diesem Jahr an Schwung gewonnen. Ich erinnere nur an Greta Thunberg und die von ihr ausgelöste öffentliche Diskussion. Aber auch die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen hat soeben einen ‚Green Deal‘ vorlegt, d.h. einen Plan, wie man die ganze EU in den nächsten Dekaden umgestalten will. Ökosoziale Erwägungen wirken nicht nur auf Regierungen, sondern auch auf Unternehmen, Technik und gesellschaftliche Gruppen.

Lesen Sie, was Peter Hiemann dazu schreibt, indem Sie hier klicken.

Ich wünsche allen Lesern frohe Weihnachtstage und ein gutes Neues Jahr.

1 Kommentar:

  1. Peter Hiemann aus Grasse

    Joachim A. Langs Film (2018) erweckt Bertolt Brechts "Dreigroschenoper" auf der Leinwand zu neuem Leben. Der Spielfilm erzählt vor dem Hintergrund der späten 20er Jahre die Geschichte von Brechts großem gescheiterten Traum, sein Werk nach seinen Vorstellungen zu verfilmen. Lars Eidinger spielt überzeugend den kritischen Dramaturgen und Schriftsteller Bertolt Brecht.

    Joachim A. Langs Film (2018) erweckt Bertolt Brechts "Dreigroschenoper" auf der Leinwand zu neuem Leben. Der Spielfilm erzählt vor dem Hintergrund der späten 20er Jahre die Geschichte von Brechts großem gescheiterten Traum, sein Werk nach seinen Vorstellungen zu verfilmen. Lars Eidinger spielt überzeugend den kritischen Dramaturgen und Schriftsteller Bertolt Brecht.
    Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ wird nach ihrer Uraufführung 1928 das erfolgreichste Theaterstück der 20er Jahre. Sie ist überall zu sehen – nur nicht im Kino. Brecht ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Mit seinem engsten Kreis feiert er den Erfolg: Neben Kurt Weill und Elisabeth Hauptmann gehören dazu auch seine Frau Helene, Weills Ehefrau Lotte und die gefeierte Schauspielerin Carola Neher. Das Angebot von Produzent Seymour Nebenzahl, die „Dreigroschenoper“ zu verfilmen, lässt nicht lange auf sich warten. Doch Brecht hat nicht vor, das Stück eins zu eins für die Leinwand zu adaptieren. Er hat andere Vorstellungen, wie der Stoff als Film aussehen soll. Für den Produzenten Nebenzahl geht es nur darum, möglichst viel an dem Film zu verdienen. Er will den Menschen das geben, was sie gewohnt sind. Aber mit den Gewohnheiten zu brechen ist genau Brechts Absicht. Vor den Augen des Autors beginnt die Geschichte um den Kampf des Londoner Gangsters Macheath mit dem Kopf der Bettelmafia Peachum Form anzunehmen. Der Gangster, der auch unter dem Namen Mackie Messer bekannt ist, verliebt sich Hals über Kopf in Peachums schöne Tochter Polly. Dieser ist entsetzt, als er erfährt, in wen sich seine Tochter verliebt hat. Denn die Ehe mit seiner alkoholkranken Frau ist lieblos und Polly ist alles, was er hat. Es kommt zum Showdown in der Realität und im Film: Die Auseinandersetzung zwischen Peachum und Macheath eskaliert. Um Polly vor Macheath zu retten, schwärzt Peachum seinen ungeliebten Schwiegersohn bei der Polizei an. Doch Macheath pflegt eine enge Freundschaft zu Polizeichef Tiger Brown. Ist er vielleicht doch noch zu retten? Während in dem Film, den sich Brecht vorstellt, der Kampf um den Kopf von Macheath beginnt, zieht er selbst in den Kampf gegen die Filmfirma. Damit beginnt eine Inszenierung der ganz besonderen Art: eine Inszenierung der Wirklichkeit.

    Die Parallelen zu Roosevelts Einschätzung der 1920er Jahre ("Vom organisierten Geld regiert zu werden, ist genauso schlimm, wie vom organisierten Verbrechen regiert zu werden.") und heutigen ökonomischen und politischen Verhältnissen sind nicht zu übersehen.

    Und der Haifisch, der hat Zähne
    Und die trägt er im Gesicht
    Und Macheath, der hat ein Messer
    Doch das Messer sieht man nicht.

    Bert Brecht konnte nicht ahnen, dass Homo sapiens in eine Situation geraten könnte, in der alle Menschen - ob reich oder arm - gezwungen sein werden, vor allem die Grenzen ihres Planeten zu respektieren.

    Bertolts Brechts Mut, die Verursacher menschlicher Not beim Namen zu nennen, hat einen Jugendlichen in einer Diktatur (der vergangenen DDR) geprägt. Die Essays “Individuelle
    Einsichten“ und “Ökosoziale Orientierung“ können als Hommage für Brechts Geist aufgefasst werden.


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