Freitag, 20. Dezember 2019

Zur wirtschaftlichen und politischen Gemengelage am Jahresbeginn 2020


Der bevorstehende Jahreswechsel gibt Veranlassung etwas über die derzeitige wirtschaftliche und politische Situation nachzudenken. Ein Beispiel offerierte der Journalist Gabor Steingart. Er betrachtete einen Ausschnitt, nämlich die allgemeine Wirtschaftslage. Das ist aber längst nicht alles, was einen beschäftigen kann und sollte. Seine Sicht deckt sich nicht mit der Sicht anderer maßgeblicher Meinungsmacher. Immerhin lieferte er die Anregung zu diesem Beitrag. Im Folgenden wird der Bogen etwas weiter gespannt. Ich gebe meistens eine Art von Vorlage (so wie der Ausdruck im Fußball verwendet wird), auf die Leser reagieren können. Die Auswahl der Themen ist weder systematisch, noch vollständig.

Gabor Steingarts wirtschaftlicher Ausblick

Der Journalist und Blogger Gabor Steingart verteilt an jedem Werktag ein so genanntes Morning Briefing. Am 19.12.2019 schrieb er:

… die Rezession des Jahres 2019 blieb weitestgehend ein mediales Phänomen („SZ“: „Es droht die nächste große Wirtschaftskrise“), das seine Reichweite durch die politische Apokalyptik erhielt. Olaf Scholz gefiel sich mit dem Satz: „Die fetten Jahre sind vorbei“. Das stimmte, aber nur in Bezug auf die Karriere von Scholz. Die Realwirtschaft dagegen wird in 2020 erneut durchstarten. Die Prognosen von IWF und OECD zeigen eine Weltwirtschaft im Wachstum. Auch die Stimmungsdaten des Münchner Ifo-Instituts zum Geschäftsklima deuten auf eine optimistisch gestimmte Unternehmerschaft hin. Sieben Gründe sprechen dafür, dass wir auf absehbare Zeit keine Rückkehr zum traditionellen Konjunkturzyklus erleben und womöglich sogar vor einem Jahrzehnt weltweiter Prosperität stehen:

Erstens: In den kommenden 30 Jahren steigt die Weltbevölkerung von fast 7,7 Milliarden auf rund 9,6 Milliarden Menschen, sagt die OECD. Ein Anstieg von etwa 25 Prozent. Wenn die Staatengemeinschaft nicht alles falsch macht, bedeutet dieser Zuwachs eine nie dagewesene Stimulierung von Kaufkraft und Wirtschaftsleistung.

Zweitens: Die Notenbanken in Europa, den USA und Asien fluten die Geldmärkte. Das treibt die Aktienkurse. Zugleich findet die wundersame Geldvermehrung über die laxe Kreditvergabe der Banken ihren Weg in die Realwirtschaft. Nahezu risikolos können Investitionskredite aufgenommen werden

Drittens: Die Welt fühlt ökologisch, aber lebt hedonistisch. Die Lust auf Kaffeekapseln, Onlineshopping und Billigflüge ist ungebrochen, wovon die großen Konsumartikelhersteller Nestlé, Procter & Gamble, PepsiCo, aber auch Walt Disney, McDonald’s und Netflix profitieren. Die Aktie von PepsiCo hat sich seit Jahresbeginn um 30 Prozent im Wert gesteigert. Die Aktie von Walt Disney legte um 40 Prozent zu. Diese Wertpapiere erzählen die Geschichte einer Gesellschaft, die anders handelt, als sie redet.

Viertens: Wir erleben die Gleichzeitigkeit von Globalisierung und Digitalisierung, was einen Wachstumsturbo ohne historisches Vorbild bedeutet. Die wachstumsfördernde Wirkung der Fließbandproduktion, wie Henry Ford sie einst in Detroit erfand, wird durch die heutige Kettenreaktion der Innovation um ein Vielfaches übertroffen.

Fünftens: Die Welt hat gelernt, mit ihrer Überforderung zu leben. Trump, Johnson, Putin, Erdoğan und Bolsonaro amüsieren das Publikum, aber ängstigen es nicht. Nirgendwo auf der Welt gibt es Anzeichen für eine Angststarre, die zur Konsumverweigerung führen könnte.

Sechstens: Die beschleunigte Emanzipation und damit der Eintritt gut ausgebildeter Frauen in das Erwerbsleben bedeutet eine enorme Steigerung der Produktivkraft. Allein seit 2002 stieg die deutsche Erwerbstätigenquote der Frauen von 62 Prozent auf zuletzt 76 Prozent. Die ehemals stillgelegten Potenziale kommen zur Entfaltung.

Siebtens: Die Qualifizierung der Menschen und damit die Anreicherung der Erwerbspotenziale schreiten in Europa voran. Seit 2009 verfügen rund 50 Prozent der EU-Bürger über einen Bildungsabschluss im Sekundarbereich II (Abitur). Im tertiären Bildungsbereich (zum Beispiel Universitäten und Hochschulen) stieg die Quote von über 22 auf knapp über 30 Prozent.
Fazit: Die Wachstumskräfte wirken mit hoher Dynamik und in voller Breite. Selbst mit Vorsatz dürfte es nicht leicht sein, die Weltkonjunktur abzuwürgen. Erst die Gleichzeitigkeit einer weltweiten Terrorserie, einem wuchtigen Ölpreisanstieg und den Ansteckungseffekten einer zahlungsunfähigen Bank könnte die Weltwirtschaft in die Knie zwingen. Dieses Szenario beschäftigt bisher lediglich das Genre der Crash-Literatur.

Peter Hiemann aus Grasse reagierte darauf wie folgt:

Ich halte Steingarts Einschätzungen für zu kurz gegriffen und auch für leichtfertig.

1. Er übersieht die Probleme, die durch weltweites Bevölkerungswachstum entstehen.
2. Die wundersame Geldvermehrung findet derzeit selten ihren Weg in die Realwirtschaft.
3. Wertpapiere erzählen nur einen kleinen Teil der Geschichte einer Gesellschaft.
4. Globalisierung und Digitalisierung bedeuten sowohl ökonomisches Wachstum als auch
    Ursache für ökonomische Konfrontationen.
5. Bevölkerungen amüsieren sich nicht über Trump, Johnson, Putin, Erdoğan und
    Bolsonaro, sie polarisieren sich.

Steingart übersieht, dass veränderte Umwelt- und Gesellschaftsverhältnisse dazu zwingen, auch politische Rahmenbedingungen und ökonomische Prozesse zu verändern.

Europas erhoffte Revitalierung

Eine neue EU-Kommission hat ihre Arbeit begonnen. Die Präsidentin Ursula von der Leyen wurde mit vielen Vorschusslorbeeren ins Amt gehoben. Ihr erstes großes Thema, die Umwelt, wurde ihr von außen aufgedrückt. Mit der Ausnahme Polens konnte sie sogar schon alle Mitgliedsstaaten auf die neue Richtung einschwören. Die Frage bleibt, wie konkret werden die Maßnahmen, die von der EU-Kommission veranlasst werden und wie wirken sie.

Sollten die Regierungen es schaffen, hier an einem Strang zu ziehen, so ist noch längst nicht sicher, dass auch die Wirtschaft und die Bevölkerung mitziehen. Die Sorge besteht, dass Wohlstand und Wachstum leiden. Sobald der Eindruck entsteht, dass einzelne Gruppen gewisse Besitzstände verlieren können, formt sich Widerstand. Das haben uns vor allem die Franzosen vorgemacht.

UK in selbstgewählter glorreicher Isolation

Boris Johnson hat einen fulminanten Wahlsieg errungen und kann jetzt seinen Weg gehen, so wie er dies möchte. Der Brexit ist unausweichlich geworden. Offen ist jedoch seine Gestaltung. Bisher vermied man es, konkret zu werden. Das wird sich jetzt ändern. Ich erwarte, dass die anstehenden Verhandlungen schwierig werden, hat doch die Rest-EU einige Vorstellungen, die bei den Tories nicht sehr beliebt sind, etwa die Sicherung von Arbeitnehmerrechten.

Der von Johnson gehegte Wunsch, dass jetzt die USA die englische Wirtschaft verhätscheln, mag zwar bestechend sein, hat aber Tücken. Als Kolonialisten haben die USA keinen besonders guten Ruf, siehe Puerto Rico und die Philippinen. Als 51. Bundesstaat der USA könnte man sich dem Beispiel Nevadas annähern. Orte mit Spielcasinos wie Las Vegas und Reno leben zwar gut, ihre kulturelle Ausstrahlung ist jedoch gering. Das mag nicht alle Briten glücklich machen. Hongkong und Singapur scheiden als Vorbild aus. Dafür ist der Anteil fleißiger Chinesen noch zu gering.

Deutschlands müde Realisten

Manchmal entsteht der Eindruck, dass es bei uns nur noch resignierende Politikerinnen gibt. Kanzlerin Angela Merkel scheint sich im Ukraine-Konflikt in einer Weise zuständig zu fühlen, dass andere Fragen zurücktreten müssen, vor allem alles, was Deutschland betrifft. Hier hat sie eine designierte Nachfolgerin, Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK). Diese arbeitet sich immer noch ein. Ihre derzeitigen Projekte gereichen einem Gesellen durchaus zur Ehre, zum Meister ihres Fachs muss sie sich aber noch qualifizieren.

Die SPD hat ihre halbjährige Nabelschau beendet und sortiert ihr neues Personal ein. Von den übrigen Parteien erwarte ich keinen politischen Gestaltungswillen, der das Land verändert. Da schließe ich die ach so bewunderten Grünen mit ein.

In dieser Situation erwarte ich weder, dass neue Ideen bezüglich technisch-wirtschaftlicher Potentiale aufgegriffen werden, noch dass die Gesellschaft an sich flexibler und durchlässiger wird. Ich habe auch wenig Hoffnung, dass Beweger von außerhalb der Politik den nötigen Schwung generieren. Berlin ist halt kein Silicon Valley, Hamburg und München scheinen nicht interessiert zu sein.

USA und Trump gewöhnen sich aneinander

Ein Telefonat mit dem neugewählten Präsidenten der Ukraine ist von den oppositionellen Demokraten zum casus belli gegen Präsident Donald Trump hochstilisiert worden. Sie unterliegen anscheinend der Illusion zu glauben, dass der Mann oder die Frau im Volke dies ebenso gewichten. Da scheinen sie sich zu täuschen. Trump weiß dies auch, und wird aus der Anklage Kapital für eine Neuwahl schmieden.

Trump ist ein Enfant terrible. Das war er und das wird er bleiben. Wie obiges Beispiel zeigt, verfügt es aber über eine Art von Schläue (das Wort Bauernschläue drängt sich auf, ist aber falsch), die ihm hilft, aus allen peinlichen Situationen herauszukommen. Es ist ziemlich fest damit zu rechnen, dass er die Wiederwahl gewinnt.

Trump hat seinen Stil längst gefunden, wie er mit dem Rest der Welt umgeht. Er fährt jeden ausländischen Politiker so hart an, dass dieser erschrocken zusammensackt. Hat er sich erholt, darf er wiederkommen.  Wer sich von Vornherein als Schoßhund gebiert, darf dies tun. Er gewinnt dadurch jedoch keinen Respekt. So ist es Emmanuel Macron ergangen.

Putins Russland wird immer mutiger und fordernder

Putin und seine Freunde befinden sich derart lange und sicher im Sattel, dass sie sogar Fehler zugeben können. So geschah es bei einem Mord, mit dem der Geheimdienst einen Gegner entfernte. Er beschimpfte dafür Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass Deutschland den Auftragsmörder nicht auslieferte. Inzwischen hat er den Fehler eingesehen und schweigt.

Russland ist nicht leicht kleinzukriegen. Die Sanktionen, die der Westen verhängte, als Russland die Krim annektierte, dauern bereits drei Jahre. Sie können noch 10 Jahre dauern, dann hat Russland für alle daduch verurachten Probleme eine Lösung gefunden. Meist sind es Geschäftsleute aus dem Westen, die Russland helfen. So wird Russland demnächst Kuhmilch und Butter exportieren, die aus Betrieben kommen, die ein deutscher Unternehmer aufbaute, als der Import von Milch und Butter verboten wurde. Wer Russland etwas nicht zutraut, ist dies selber schuld. Diesen Fehler macht man nur einmal.

China expandiert seinen Einflussbereich weiter

Immer mehr Länder sehen die Vorteile, die ihnen eine gute Geschäftsbeziehung zu China einbringt. China belohnt dies mit Investitionen, besonders in Entwicklungsländern. Das Projekt Neue Seidenstraße vermittelt Chinas globale Denkweise. Man darf in allem das stets freundliche Gesicht eines chinesischen Geschäftsmanns erwarten − auch dann, wenn der Staat involviert ist. Man kann sich dafür eventuell einen Konflikt mit den USA einhandeln. Dieser besteht aber meistens nur vorübergehend, weil nämlich die USA ihre Politik gegenüber China ändern.

Viel gravierender ist es, Chinas Interessen in Tibet oder in Xinjiang entgegen zu wirken. Wer dies tut, muss mit einer harten Gegenreaktion Chinas rechnen.

5 Kommentare:

  1. Klaus Küspert aus St. Leon-Rot schrieb: Besser Vorsicht mit Themen aus Politik, Wirtschaft, Religion auf ansonsten harmonischer Familienfeier.

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  2. Peter Hiemann aus Grasse

    Einige der voraussehbaren natürlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen werden ein paar gute Vorsätze erfordern, um mit ihnen zurechtzukommen: sich zu öffnen, sich zu wundern und sich zu orientieren.

    Die Aussicht, die man gewinnt, st durchaus verlockend: Selbstvertrauen, Phantasie, Strukturverständnis.


    Häufig stehen guten Vorsätzen die menschliche Natur im Wege: geschlossen zu denken, das Gewohnte zu schätzen, spontan und leichtfertig zu reagieren

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  3. Der Ökonom Hans Werner Sinn warnt davor, dass Deutschland mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus Amtomenergie und Kohle vor einer Herkulesaufgabe stünde. Wo der zusätzliche Strom für E-Autos herkömme, sei ihm ein Rätsel.

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  4. Hiemanns Bemerkungen zu Steingarts Prognose will ich nicht widersprechen, sondern sie ergänzen.

    (1) Normalerweise wirkt das Anwachsen der Bevölkerung stimulierend auf die Wirtschaft. Das Schrumpfen der Bevölkerung ist eher Ausdruck einer schrumpfenden Wirtschaft und/oder umgekehrt, siehe ehemalige DDR.
    (2) Auch die Realwirtshaft nutzt die Vorteile billiger Kredite. Nie wurden mehr Häuser gebaut als jetzt. Es mangelt aber an Bauarbeitern und Ingenieuren, also an Fachkräften.
    (3) Aktien haben in Deutschland einen schlechten Ruf. Den werden sie nicht los, auch wenn das Geschäft seit Jahrzehnten boomt.
    (4) Globalisierung und Digitalisierung haben nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Die Verlierer früherer Umwälzungen brauchten oft Jahrzehnte, um sich zu erholen, so die Pferdezüchter und Kutschenbauer.
    (5) Autokraten sind meist ein Ärgernis, sowohl für das eigene Land, aber auch für das Ausland. Eine anschließende Versöhnung ist möglich, benötigt aber Zeit. Hitler und wir Deutsche sind das Musterbeispiel der Geschichte.

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