Bertal Dresen (BD): Ihr Institut ist eines der größten und bekanntesten, auf Software ausgerichteten Forschungsinstitute in Deutschland, vielleicht sogar in der Welt. Welches sind heute Ihre Schwerpunktthemen und Ziele?
Dieter Rombach (DR): Wir beschäftigen uns mit innovativen Methoden zur Konstruktion und Analyse großer Softwaresysteme – sowohl eingebetteter Software als auch Informationssystemen. Im Vordergrund stehen modell-basierte Entwicklungsmethoden mit einem Fokus auf Anforderungs-, Architektur- sowie Test- und Inspektionsmethoden. Bei eingebetteten Systemen stehen Qualitätseigenschaften wie Zuverlässigkeit, funktionale Sicherheit (Safety) sowie Verfügbarkeit im Vordergrund; bei Informationssystemen dagegen Datensicherheit (Security) und Benutzungsfreundlichkeit. Mit derartigen Methoden ermöglichen wir der deutschen software-intensiven Wirtschaft (z.B. Automobilindustrie, Medizintechnik-Industrie und Anlagenbauindustrie) bei immer weiter wachsender Bedeutung von Software einen Vorsprung im weltweiten Wettbewerb. Nur wer auch die in oben genannten Produkten integrierte Software mit entsprechenden Qualitätsgarantien liefern kann, wird auf Dauer im Wettbewerb die Nase vorne haben können!
BD: Sie und Kollegen wie Vic Basili haben den empirischen Ansatz der Software-Forschung in den letzten Jahrzehnten weltweit geprägt. Haben Sie den Eindruck, dass Sie die erhoffte Resonanz gefunden haben? Welche Ergebnisse aus den letzten zehn Jahren sind besonders bemerkenswert? Wo besteht Nachholbedarf?
DR: Natürlich verläuft die Entwicklung immer langesamer als man dies selbst erwartet und wünscht. Aber insbesondere in kritischen Anwendungsbereichen wird inzwischen die Bedeutung von belastbaren (also quantitativen) Aussagen als immer wichtiger für die Auswahl geeigneter Entwicklungsmethoden und -werkzeuge als auch für Projektplanung und -management angesehen. Auch in großen öffentlichen Forschungsprojekten mit Industriebeteiligung (wie z.B. dem BMBF-Projekt SPES 2020) wird auf die Quantifizierung der Effekte der Projektergebnisse Wert gelegt. Viele der quantitativen Ergebnisse sind in [Endres&Rombach 2003] zusammengefasst. Zu den wichtigsten Ergebnissen gehört sicherlich die Bestätigung, dass systematische Inspektionen in frühen Phasen unter allen Umständen Kosten sparen und Qualität erhöhen. Weitere quantitative Ergebnisse haben den Durchbruch objekt-orientierter Entwurfsverfahren beschleunigt, und die Diskussion über das „ob und wann“ von agilen Entwicklungsverfahren auf ein objektiveres Fundament gestellt. Es bleibt allerdings noch viel zu tun, um im Softwarebereich mit empirischen Modellen – analog zu physikalischen Gesetzen in den traditionellen Ingenieurwissenschaften – reguläre Softwarestrukturen begründen und damit ingenieurmäßig skalieren zu können.
BD: Wie beurteilen Sie die von der öffentlichen Forschung ausgehende Wirkung auf den Wirtschaftsstandort Deutschland? Was bedeutet es für die Informatik-Forschung in Deutschland, dass in den Kerngebieten der Informatik die deutsche Industrie kaum (noch) vertreten ist? Welche anderen Branchen können von der Informatik-Forschung Nutzen ziehen? Welche Rolle spielt für Sie die Automobilindustrie?
DR: Bereits seit vielen Jahren wird in Deutschland zwischen der Informatikbranche (primäre Branche) und den software-intensiven Anwendungsbranchen wie Automobilbau oder Medizintechnik (sekundäre Branchen) unterschieden. Deutschland hat sicherlich in den sogenannten Sekundärbranchen durch die Verbindung traditioneller deutscher Ingenieurskunst und Softwaretechnik eine weltweit führende Position erreicht. Diese Sekundär-Branchen (insbesondere die Automobilbranche) stehen in Deutschland für eine große Zahl von Arbeitsplätzen. Die deutsche – z.T. öffentliche geförderte – Informatikforschung hat dazu entscheidend beigetragen. In den Kerngebieten der Informatik (z.B. Betriebssysteme und Datenbank-Managementsysteme) spielen wir im Vergleich zu den USA nur eine untergeordnete Rolle. Allerdings besteht begründete Aussicht, daß wir in dem immer wichtigeren Bereich der Geschäftsprozess-Software unter Führung von SAP und Software AG eine führende Rolle behaupten und in Zukunft weiter ausbauen können. Das vom BMBF an den Wissenschaftsstandorten Kaiserslautern, Saarbrücken, Darmstadt und Karlsruhe etablierte Software-Spitzen-Cluster hat zum Ziel, diese Spitzenstellung im Bereich Geschäftsprozess-Software durch Forschungsergebnisse zum Thema Emergenz (d.h. interoperable, adaptive, sichere und benutzerfreundliche Software) auf lange Zeit zu festigen und auszubauen.
BD: Ihr Institut präsentiert sich in letzter Zeit in einem saarländisch-pfälzischen Forschungsverbund. Welche Synergie-Effekte erwarten Sie aufgrund der geografischen Nachbarschaft? Erwies sich die Vergabe von Forschungsprojekten bisher als geeignetes Mittel für eine regionale Strukturförderung? Gibt es Beispiele?
DR: Sie beziehen sich hierbei sicherlich auf das oben genannte Software-Spitzen-Cluster des BMBF. Es handelt sich also um einen saarländisch-pfälzisch-hessisch-badischen (also südwestdeutschen) Verbund. Gerade in diesem Verbund können wir die industriellen und wissenschaftlichen Stärken der vier Standorte synergetisch einsetzen. Kaiserslautern steht vorrangig für Forschung zu den Themen Interoperabilität und Adaptivität und bringt mittelständische Firmen wie Proalpha ein. Saarbrücken bringt vor allem Forschung zum Thema Benutzerfreundlichkeit sowie die Firma IDS Scheer (jetzt Teil der Software AG) ein. Darmstadt bringt schwerpunktmäßig Forschung zum Thema Sicherheit sowie Firmen wie SAP Research und Software AG ein. Karlsruhe bringt Forschung zum Thema Cloud-Computing sowie die Firma SAP ein. Damit werden in diesem Verbund alle wichtigen Forschungsthemen für emergente Geschäftsprozess-Software der Zukunft sowie der überwiegende Teil der deutschen Geschäftsprozess-Industrie repräsentiert. Wir gehen davon aus, dass die öffentliche Förderung des Spitzen-Clusters dieser Entwicklung den entscheidenden Schub geben wird. Ein weiteres Beispiel, wo öffentliche Förderung entscheidend zur regionalen Strukturentwicklung beigetragen hat, ist das IT-Cluster Kaiserslautern. Langjährige Investitionen des Landes Rheinland-Pfalz in den Wissenschaftsstandort Kaiserslautern sowie die Etablierung angeschlossener High-Tech-Industrieparks haben in Kaiserslautern sowie der Region Westpfalz zu mehr als 5000 neuen High-Tech-Arbeitsplätzen sowie einer Aufbruchsstimmung der gesamten Region geführt. Der Wissenschaftsstandort Kaiserslautern ist heute durch eine einmalige Struktur von Einrichtungen zur Grundlagenforschung (TU Kaiserslautern, Max-Planck-Institut für Softwaresysteme) sowie angewandte Forschung und Technologietransfer (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), zwei Fraunhofer Institute für Experimentelles Software Engineering (IESE) und Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM)) geprägt. Diese Struktur hat inzwischen auch die Aufmerksamkeit großer internationaler Firmen wie John Deere erregt, die in Kaiserslautern 2010 ihr Europäisches Technologie & Innovationszentrum (ETIC) etabliert haben. Ich gehe soweit zu sagen, dass Strukturentwicklung heute nur noch im Umfeld von Forschungszentren entstehen kann; diese selbst benötigen immer öffentliche Anschubfinanzierung.
BD: Ich sehe in MP3, das der Fraunhofer-Gesellschaft in den letzten 25 Jahren Lizenzgebühren von weit über 100 Mio. Euro einbrachte, ein vorbildliches Ergebnis der deutschen Forschung. Warum blieb es mehr oder weniger ein Einzelfall? Liegt es an der fehlenden Fokussierung auf marktrelevante Technologien oder am unzureichenden Interesse, geistiges Eigentum adäquat abzusichern?
DR: Sicherlich stellen die MP3-Patente eines der Highlights deutscher IT-Forschung dar. Allerdings sind solche Erfolge nicht planbar (selbst die MP3-Patente sind als Nebenprodukte anderweitig orientierter Forschung entstanden). Man kann lediglich die Wahrscheinlichkeit dadurch erhöhen, dass markt- und unternehmerisch-orientierte Forschungs-Umgebungen wie die Fraunhofer-Gesellschaft angeboten werden. Ich sehe auch die Probleme in Deutschland nicht so sehr in der Etablierung von Patenten (hier ist Deutschland immer noch in der Spitzengruppe), sondern in der ökonomischen Nutzung dieser Patente (selbst die MP3-Patente wurden überwiegend in den USA und Asien ökonomisch genutzt und damit im Wesentlichen Arbeitsplätze geschaffen). Zusätzlich gibt es im Bereich der Software in der Tat immer noch Schwierigkeiten das geistige Eigentum zu sichern. Zusammenfassend sehe ich in Deutschland den größten Nachholbedarf bei der Schaffung verstärkter unternehmerischer Neugier, Patente als Grundlage für Ausgründungen zu nutzen. Aber gerade in der jetzigen Zeit, die durch erhöhten Bedarf an gut ausgebildeten Informatikern für die Wirtschaft gekennzeichnet ist, wird es noch schwerer sein, diesen unternehmerischen Geist zu befördern.
BD: Wie sehen Sie die Konkurrenz der Schwellenländer, also von Brasilien, China, Indien und Russland? Werden diese Länder nur bei Produkten und Dienstleistungen mit uns in Wettbewerb treten, oder betrifft das auch die Forschung? Welche Konsequenzen sollten wir daraus ziehen?
DR: Diese vier aufstrebenden Schwellenländer werden immer stärkere Konkurrenten auf allen Gebieten werden – auch bei der Forschung. Es ist bereits heute beeindruckend, wenn man die um mindestens eine Größenordnung höhere Zahl von Informatik-Abgängern in China sieht. Software-Forschungslabore wie ISCAS (das Software Institut der Chinesischen Akademie der Wissenschaften) kombinieren eine große Zahl exzellenter Abgänger mit im Ausland (überwiegend USA) ausgebildeten Wissenschaftlern. Den Erfolg dieser Forschung kann man am rapide steigenden Anteil von Veröffentlichungen bei Spitzenkonferenzen (z.B. der IEEE International Conference on Software Engineering ICSE) ablesen. Wir müssen uns in Deutschland auf unsere Stärken konzentrieren (z.B. sekundäre Softwarebranchen und Geschäftsprozess-Software) und müssen unsere Firmen überzeugen, dass Top-Forschung zu Hause den globalen Wettbewerbsvorteil sichert. Hier können öffentliche Förderungen von Wissenschaft und Wirtschaft wie die BMBF-Spitzen-Cluster einen entscheidenden Beitrag leisten.
BD: Vielen herzlichen Dank für die ausführliche Beantwortung meiner Fragen, aber auch dafür, dass Sie zu einigen Themen Stellung bezogen haben, die mich schon seit langem interessieren. Dass ich Sie zwischen Hawaii und Kalifornien erwischt habe, beweist mal wieder, wie nützlich das Internet sein kann.
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