Freitag, 29. August 2014

Erinnerungen an Karl Ganzhorn (1921-2014)

Nur gut einen Monat nach dem Tode Heinz Zemaneks, des Gründer des Wiener Labors der IBM, trifft uns die Nachricht vom Tode Karl Ganzhorns. Ganzhorn war als erster Leiter des deutschen IBM Labors in Böblingen ein unmittelbarer Förderer und Weggenosse Zemaneks. Ich hatte das Glück, dass ich mit beiden fachlich eng zusammenarbeiten konnte, wobei Ganzhorn mein direkter Bereichsleiter war. Beide Kollegen erreichten ein sehr hohes Lebensalter. Normalerweise hat dies zur Folge, dass der Abstand zu Berufskollegen größer wird und der gemeinsame Bekanntenkreis sich verkleinert. In beiden Fällen blieb mein Kontakt lange über die gemeinsame Berufszeit hinaus bestehen, im Falle Ganzhorns sogar bis unmittelbar vor seinem Tode. 

Auch die Leser dieses Blogs blieben bezüglich Ganzhorns aktuellen Tätigkeiten und Interessen im Bilde. Eine relativ ausführliche Würdigung brachte ich anlässlich seines 90. Geburtstags. Ganzhorn leitete nicht nur drei europäische Labors der IBM (Schweden, Österreich und Deutschland), er nahm auch firmenweite technische Verantwortungen war. Bei dem Ruheständler Ganzhorn hob ich seine Bemühungen hervor, die Geschichte des Böblinger Labors zu dokumentieren. Die sieben Bände der so genannten Blauen Reihe, die im Eigenverlag erschien, werden Ganzhorns fachliches Lebenswerk immer in Erinnerung rufen. Für die internationalen Kollegen veröffentlichte er eine Zusammenfassung in den IEEE Annals [1]. Ein weiterer Beitrag dieses Blogs befasste sich mit Ganzhorns biophysikalischen Arbeiten. Dabei ging es darum für das Phänomen Wünschelrute eine physikalisch Theorie zu entwickeln. Wie Ganzhorn mir in einem Telefonat im Juli mitteilte, hatte er beabsichtigt, seine Ergebnisse demnächst in Englisch zu veröffentlichen. Es wird wohl nicht mehr dazu kommen.

Mitte Juni diesen Jahres sah sich Ganzhorn veranlasst, sein Einfamilienhaus in Sindelfingen aufzugeben, in dem er Jahrzehnte lang mit Frau und Kindern gewohnt hatte. Er zog zu seiner erkrankten Frau in ein Pflegeheim. In einem in Englisch verfassten Brief informierte er alle seine Bekannten und Freunde über diese Veränderung. Auf meiner Kopie hatte er zusätzlich vermerkt, dass er seine ‚E-Mail-Software durch das Installieren von Verschlüsselung-Software ruiniert habe‘. Er könne weder E-Mails senden noch empfangen. Möglicherweise hatte ich ihm zu diesem Software-Abenteuer geraten – es wäre nicht das erste Mal gewesen.

Mehrere Kollegen, die Ganzhorn kannten, haben mich in den letzten Tagen an Dinge erinnert, die sie mit Ganzhorn verknüpfen. Für uns alle, die Ganzhorn kannten, beschreiben diese Geschichten unterschiedliche Facetten von Ganzhorns Persönlichkeit. Es kommen darin Charakterzüge zum Vorschein, die ihn sein ganzes Leben lang auszeichneten. Leistungsbereitschaft, Zielstrebigkeit und Selbstkontrolle kommen zum Ausdruck, gepaart mit Fairness und Verbindlichkeit. Bekanntlich erkennt man den Charakter eines Menschen primär an seinen Handlungen, nicht an seinen Äußerungen. Ganzhorns Ruf basierte mehr auf dem, was er selbst vollbrachte oder in die Tat umsetzte, als auf seinen Worten, egal ob gesprochen oder geschrieben. Er genoss ein hohes Maß an Respekt und Anerkennung, sowohl im Inland wie im Ausland, sowohl innerhalb der Firma als auch außerhalb. Von seinem Ansehen profitierten alle seine Mitarbeiter.  

Ein Ex-IBM-Kollege, Klaus Küspert von der Universität Jena, verbindet mit Ganzhorn die Geschichte der ‚Wüsten-Universität‘. Ganzhorn hat sie öfters erzählt. Sie ist auch dokumentiert in dem Oral-History-Interview, das Ganzhorn 1994 der IEEE gab. Ich gebe sie kurz und in Deutsch wieder.

Ganzhorn hatte als junger Offizier unter Manfred Rommel in Afrika gedient und geriet 1942 in amerikanische Gefangenschaft. Als die Gefangenen sich YMCA-Vertretern gegenüber beklagten, dass sie sich geistig unterfordert fühlten, lieferten diese ihnen 4000 Fotokopien deutscher Mathematik- und Physiklehrbücher aus deutschen und amerikanischen Universitätsbibliotheken. Mit ihrer Hilfe organisierten die gefangenen Offiziere Vorlesungen und Übungen in Mathematik und Physik. Als Ganzhorn 1947 aus der Gefangenschaft heimkehrte und in Stuttgart ein Physikstudium begann, besaß er die allerbesten Voraussetzungen. Seine körperliche Verfassung war weniger gut. Ganzhorn wog nur noch 46 Kilo.

Eine weitere Geschichte, die mir Kollege Peter Mertens von der Universität Erlangen/Nürnberg dieser Tage überlieferte, betrifft Ganzhorn während seiner Zeit als Leiter mehrerer europäischer Labors der IBM.

Wir hatten an der Nürnberger Fakultät einen eigenen Fachbereichsrechner eingeführt, er hieß wohl IBM 9300. Derartige dezentrale Maschinen außerhalb der Uni-Rechenzentren war damals noch  ungewöhnlich. Das Gerät lief nicht. Die Studentenvertretung protestierte heftig und lautstark, weil der Lehr- und Prüfungsbetrieb beeinträchtigt war. Verschiedene Fachleute der regionalen IBM-Geschäftsstellen versuchten sich vergebens an der Diagnose. Schließlich bekam der Uni-Rektor Prof. Fiebiger (wie Ganzhorn Physiker) davon Wind. Er gewann seinen Fachkollegen und guten bekannten Ganzhorn für einen Besuch an der Nürnberger Fakultät. Dort hörte er sich meine Klagen an und beschied mich: "Ich werde Ihnen meinen besten Spezialisten schicken, er hat die Maschine selbst entwickelt". Dieser kam, sah und siegte: Irgendjemand von IBM hatte einen langsamen Plattenspeicher vor den schnellen gehängt, der als virtueller Hauptspeicher diente. Der langsame grub quasi dem schnellen das Wasser ab und verlangsamte so den Betrieb extrem. Ich war stolz, dass sich mit Herrn Ganzhorn der damals höchste IBMer Deutschlands für mich eingesetzt hatte.

Diese Geschichte, die ich bislang nicht kannte, erscheint mir sehr plausibel. Die IBM 9300 gehörte zu den Böblinger Rechnern, die ihr Mikroprogramm nicht in einem eigenen Festspeicher sondern im normalen Schreiblese-Speicher untergebracht hatten. Als Paging-Gerät diente ein Plattenspeicher. Wurde die Leistung des Paging-Speichers beeinträchtigt, wirkte sich dies auf das gesamte System aus.

Sehr bekannt unter IBMern ist Ganzhorns eigener Bericht über ein denkwürdiges Treffen mit Thomas J. Watson sen. Es war nach dem S/3000-Debakel. Das System bot zum ersten Male kleine Lochkarten an, deren Lese- und Stanzgeräte aus der Prototypen-Fertigung recht gut abschnitten. Die Massenfertigung konnte jedoch das geforderte Qualitätsniveau nicht erreichen. Als Ganzhorn der obersten Firmenleitung erklären musste, warum wir die angekündigte Maschine vom Vertrieb zurückziehen müssten, erwartete Ganzhorn zumindest eine Kopfwäsche, wenn nicht Schlimmeres. Stattdessen ermahnte ihn Watson, sich nie vom Vertrieb zu Zusagen verführen zu lassen, wo er und seine Ingenieure nicht voll dahinter stünden.

Die Familie Ganzhorn ist seit zehn Generationen in Sindelfingen nachgewiesen. Karl Ernst Ganzhorn war seit 1953 mit Hildegard Majer verheiratet. Das Ehepaar hat zwei Söhne, Axel und Jörg. Da Frau Ganzhorn einen Kindergarten leitete, ist sie bei vielen Sindelfingern bekannter als ihr Mann. Kam dieser mit zu örtlichen Veranstaltungen, wurde er oft einfach als Hildes Mann vorgestellt.

Anlässlich der 750-Jahrfeier der Stadt Sindelfingen im Jahre 2013 lieferte Ganzhorn einen Beitrag für eine Art von Festschrift [2]. Neben Eindrücken aus der Zeit vor dem Militärdienst findet sich darin folgende Episode aus der Familiengeschichte.

Mein mütterlicher Großvater hat als junger Schäfer um 1880 jeweils im Herbst auf der Sommerweide der schwäbischen Alb eine Herde gutgenährter Junghammel zusammengefasst und ist mit ihr und seinen Hunden in etwa sechs Wochen zu Fuß über den Schwarzwald, den Rhein in Kehl überquerend, durch das Elsass und die Champagne nach Paris gezogen, um die Herde dort auf dem Großmarkt gut zu verkaufen. Junghammel-Braten, als „Gigot“ bereitet, war damals schon ein begehrtes Spitzen-Angebot französischer Gastronomie. Als sein Enkel habe ich die Paris-Reise beruflich viele Male in einer Flugstunde absolviert und, wenn möglich, in Paris einen „Gigot“ genossen.

Ganzhorn war für mich eine Führungskraft, zu der man aufblicken konnte. Keines der aus dem Englischen stammenden Klischees passte zu ihm. Er war weder ein Manager, der in allem seine Finger haben musste, noch ein Exekutive, der über den Wolken schwebte. Seine Auffassung von technischer Führung hat nicht nur mich beeinflusst. Sie drückt sich in dem Satz aus: Man ist Führungskraft, um Dinge zu tun, die ein Einzelner nie leisten kann. Solche Aufgaben gibt es viele. vor allem in der industriellen Praxis. Man muss sie aber sehen. „Sie selbst müssen eine technische Vision haben und diese an ihre Mitarbeiter vermitteln“, pflegte er zu sagen.

Ich bin nicht in der Lage, alle akademischen und andere Ehrentitel und Auszeichnungen zu listen, deren Ganzhorn teilhaftig wurde. Erwähnen möchte ich das 1982 verliehene Große Bundesverdienstkreis, den Senator E.h. der TU München und den Ehrendoktor der Universität Stuttgart. Von 1968 bis 1971 war Ganzhorn Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Ein Leben eines Fachkollegen ist zu Ende, das die Organisation technischer Projekte ebenso umfasste, wie die strategische Planung eines internationalen Unternehmens, sowie die politische Beratung und die akademische Lehre. Wer mit ihm zusammenarbeitete oder ihm folgte, wird sich bemühen, dass sein Vermächtnis nicht verloren geht. Alle, die ihn kannten, werden sein Andenken in Ehren halten.

Referenzen
  1. Ganzhorn, K.E.: The Buildup of the IBM Boeblingen Laboratory. IEEE Annals of the History of Computing, 26,4 (2004), 4-19
  2. Ganzhorn, K.E.: Tiefe Wandlung. In: Bausch, P., Hülle, D.E.: Mein Sindelfingen. Sindelfingen 2013, 62-66
Nachtrag

Hinweisen möchte ich auf den von Paul Kühn verfassten Nachruf der Fakultät 5: Informatik, Elektrotechnik und Informationstechnik der Universität Stuttgart vom 8.9.2014.

Mittwoch, 20. August 2014

Privatheit ist von übel, Transparenz ist das Heil aller – oder etwa nicht?


Eine Dystopie ist eine fiktionale, in der Zukunft spielende Erzählung mit oftmals negativem Ausgang. Häufig wollen die Autoren mit Hilfe eines pessimistischen Zukunftsbildes auf bedenkliche Entwicklungen der Gegenwart aufmerksam machen und vor deren Folgen warnen. So steht es bei Wikipedia. Ein sehr bekanntes Beispiel ist George Orwells ‚1984‘, verfasst im Jahre 1948. Der Autor, der mir über eine Urlaubsreise hinweg Stoff zum Nachdenken gab, heißt Dave Eggers (*1970). Sein Buch ‚The Circle‘ erschien 2013. Eine deutsche Übersetzung erscheint noch diesen Sommer. Es ist dies ein Roman, kein Fachbuch. Dass der Autor sehr viel an heutige Probleme und Akteure denkt, ist offensichtlich. 

Wer möchte nicht ein besseres Internet, ohne Spam, ohne Betrügereien, ohne Kriminalität? Manche sehen die Lösung in der strikten Zugangskontrolle, der Verhinderung von anonymem Zugang oder einer vorgetäuschten Identität. Genau das ist die Ausgangssituation des Buches. Die Lösung ist ein Netz mit dem Namen ‚TruYou‘. In dieses Netz fügen sich alle Funktionalitäten, die Einzelne oder die Gesellschaft benötigen, wie in einem Kreis  ̶  daher der Name der im Buche vorgestellten Firma  ̶  auf natürliche Weise zusammen. Alles wird integriert. Man braucht nur naheliegende Dinge zu verbinden. Die Nutzer schätzen dies und verschaffen daher diesem Anbieter eine Monopol-Stellung. Die Betreiberfirma wird von Drei Weisen geleitet, die von 40 leitenden Spezialisten beraten werden. Sie vereinigt Geschäftsprinzipien von Amazon, Google, Facebook, PayPal und Twitter, was Kunden-Service und Mitarbeiter-Betreuung betrifft – und verfeinert sie. 

Die Gründungsidee war, ein Netz zu schaffen. in das man nur kommt, indem man sich mittels biometrischer Daten (Fingerabdruck, Retina-Scan oder dgl.) identifiziert. Man kann diesem Netz dann unbeschränkt persönliche Daten anvertrauen, auch alle medizinischen Daten. Ein Sensor, der wie eine Pille geschluckt wird, liefert alle aktuellen Daten wie Blutdruck, Körpertemperatur und Herzrhythmus. Jeder Arzt oder Pfleger, Verwandter oder Freund kann die Daten lesen. Für die Vielzahl von Diensten wird keine weitere Form der Identifikation benötigt. Jeder Nutzer weiß genau, mit wem er es zu tun hat. 

Die Heldin des Romans beginnt wie alle Neueingestellten in der Kundenbetreuung. Hier lernt sie, wie man die Kundenzufriedenheit in die Höhe treibt. Die Personalabteilung macht sie darauf aufmerksam, dass interne Popularität ebenfalls enorm wichtig ist. Abende und Wochenenden seien dazu besonders geeignet, um seine Werte in die Höhe zu treiben. Man nimmt an Foren im Netz teil oder kommentiert Beiträge anderer Mitarbeiter. Bei etwas schwierigeren Situationen helfen die Spezialisten oder die Weisen Männer, um aus den Erfahrungen der Mitarbeiter die richtigen Schlüsse zu ziehen. So kommt die Heldin dank der Hilfe eines der Weisen Männer zu der Einsicht, dass Geheimnistuerei von übel ist, ja das Vorenthalten von Information sozial verwerflich ist (wörtlich: Secrets are lies, sharing is caring, privacy is theft). Alle Probleme der Welt ließen sich lösen, wenn mehr in der Öffentlichkeit verhandelt würde, oder wenn immer genug Zeugen anwesend wären, egal ob in moralischen, juristischen oder politischen Fragen und Situationen. 

Transparenz gehe über alles. Deshalb stiftete die Firma Circle Millionen billiger Videokameras, die an allen interessanten und ‚gefährlichen‘ Stellen einer Stadt oder eines Landes aufgestellt werden. Nicht nur könnten Umweltprobleme und Verbrechen geklärt werden, sofort nachdem sie passierten. Je mehr die Leute wissen, dass sie überall beobachtet werden, umso weniger seien sie geneigt, Verbrechen zu begehen. Der Mensch bessere sich, die Kriminalität würde zurückgedrängt. Man sieht hier, wie Eric Schmidts Denkweise sich weiterentwickelt. Er meinte im Jahre 2009 noch, dass man Dinge, die andere Leute nicht erfahren sollten, auch nicht tun sollte. Hier heißt es, da alle Alles sehen, wird niemand mehr etwas Böses tun. Dem ach so frustrierenden Bemühen aller Pädagogen und Seelsorger gibt die Technik neue Hoffnung. Wir werden von selbst zu Gott. 

Ähnlich wie einst von Gordon Bell im Selbstversuch (als Lifelog) erprobt, wird als Nächstes jedem Nutzer eine winzig kleine Videokamera angeboten, die er am Halsband befestigt. Er zeichnet damit den gesamten Tagesablauf auf und stellt ihn per Video im Netz zur Verfügung. Das Ziel ist es jetzt, nicht nur einzelne Orte dauernd zu beobachten, sondern einzelne Menschen transparent zu machen. Sie würden ihren ganzen Tagesablauf, alle privaten und geschäftlichen Besprechungen und Kontakte offenlegen. 

Die Träger solcher Kameras sind die Protagonisten einer neuen Zeit. Zuerst sind es einzelne Mitarbeiter – so die Heldin. Dann kommen prominente Persönlichkeiten hinzu, die in der Öffentlichkeit stehen. Schließlich wird es eine Bürgerbewegung, die Millionen umfasst. Alles geschieht auf freiwilliger Basis. Da die Firma ohnehin über die bessere Technik und bessere Daten verfügt als der Staat, ist es sehr attraktiv und enorm kostensparend, ihr weitere staatliche Aufgaben zu übertragen, etwa die Durchführung von Wahlen und Abstimmungen jeder Art. Wird dadurch die Wahlbeteiligung gesteigert und in die Nähe von 100% gebracht, ist es dies der Schritt zur direkten Demokratie. Freiwillige entwickeln spontan die nötige Software. Beim Probelauf im Unternehmen versprechen die drei Weisen, die durch die Abstimmungen vorbereiteten Entscheidungen umgehend zu treffen. Sie zeigen damit, dass man das gesamte öffentliche Leben umkrempeln kann. Man brauche keine Parteien und keine Parlamente mehr. 

Im zweiten Teil des Buches treten jede Menge Widersprüche und Konflikte auf, da die extreme Form von Transparenz zu Problemen führt. Nicht alle Leute vertragen es, den ganzen Tag im Blick von Kameras zu sein. Es kommt zu Schwierigkeiten, wenn peinliche Beobachtungen nicht gelöscht werden können, usw. Die Gesellschaft spaltet sich zwischen Menschen, die Transparenz wollen und andern. Natürlich erregt es bei vielen Menschen ein sehr ungutes Gefühl, ja große Angst, dass eine private Firma fast alle Informationen über Bürger kontrolliert. Im Roman kommt es zu persönlichen Zusammenbrüchen, ja Toten. Selbst als einer der drei Weisen sich dazu bekennt, dass dies weit über das hinausginge, was er einst beabsichtigt hatte, beschließen alle anderen das Projekt fortzuführen. Das Wohl der Firma lässt ihnen keine andere Wahl  – also kein Happy End. 

Jeder Leser dieses Blogs, ja jeder, der die öffentliche Diskussion um WikiLeaks, NSA-Ausspähungen und dergleichen verfolgt hat, kennt diese Problematik seit Jahren. In dem Blog-Eintrag vom November 2013 hieß es:
 
Vertraulichkeit und Transparenz, Öffentlichkeit und Privatsphäre sind Begriffspaare, deren Elemente einander bedingen. Es gibt das eine nicht, ohne das andere.

Einige Argumente, die hier für absolute Offenheit im Netz benutzt werden, waren mir neu. Zwei Beispiele: Wer sich nicht im Netz darstelle, dem mangle es an Selbstbewusstsein. Wer meint, dass seine Lebensgeschichte für andere uninteressant sei, der ignoriere wie hilfreich sie für Leute sein kann, die arm oder behindert sind. Im Grunde ist das Buch von Dave Eggers mal wieder eine gut gemeinte Warnung an uns alle. Sie zeigt die Folgen von extremem Denken auf, einem Denken, für das Halbwüchsige oder Jungwissenschaftler nun mal besonders empfänglich sind. Das Buch trifft zweifellos den Nerv unserer Zeit. Das beweist ein Kommentator der FAZ in der Ausgabe zur Buchmesse: 
 
Wie gruselig nahe das Buch der Realität tatsächlich kommt, zeigte sich just in den vergangenen Tagen, als bekannt wurde, dass Google nun mit Nachdruck daran arbeite, Personen allein anhand ihres Verhaltens zu erkennen.

Je näher die Verfügbarkeit der deutschen Übersetzung rückt, je mehr häufen sich die Kommentare. Dass das Buch eine Fiktion beschreibt, wird allein schon durch die Aussage belegt, dass alle Geräte über eine Stromversorgung verfügen, die ohne Batteriewechsel mehrere Jahre funktioniert.