Montag, 18. Mai 2015

Öffentliche Meinung oder Staatsräson: Was zählt mehr?

Demokratie wird oft fälschlicherweise mit Regierung durch das Volk gleichgesetzt. Menschen, die das tun, vergessen vor allem, dass auch der Pöbel Teil eines Volkes ist. Bescheidener und daher brauchbarer ist die Definition, die auch Karl Popper benutzt, dass nämlich Demokratie da herrscht, wo eine Regierung abgesetzt werden kann, ohne dass dafür Gewalt angewandt werden muss. Eine Regierung hat mehrere Möglichkeiten, um ihre Politik auszuwählen. Hier will ich zwei Extreme vorstellen. Eine Regierung kann nur dem Volk aufs Maul schauen oder kann sich selbst etwas überlegen. Andere Ausdrucksweisen für dieselben Verhaltensweisen heißen: Sich nach der öffentlichen Meinung richten oder sich von der Staatsräson leiten lassen, oder  ̶   noch krasser ausgedrückt  ̶   zu Populismus neigen oder Realpolitik betreiben.

Erläuterung der Begriffe

Die öffentliche Meinung ist das, was durch Volksbefragungen ermittelt werden kann. Es sind die zu einem gegebenen Zeitpunkt vorherrschenden Urteile zu Sachverhalten. Sie setzten sich aus einer Vielzahl von Einzelurteilen zusammen. Aus der Summe der Einzelmeinungen den so genannten Volkswillen abzuleiten, ist oft schwierig, wenn nicht unmöglich. Der Wunsch vieler Politiker ist der einer starken Homogenität und Harmonie innerhalb des Wahlvolks. Das Gegenteil ist oft der Fall. Dank der Tätigkeit professioneller Meinungsforscher ist es heute möglich, die vorherrschende Meinung in einem Zeitabschnitt oder einer Region zu trennen von diversen Minderheitsmeinungen. Angela Merkel wird nachgesagt, dass sie einen guten Draht nach Allensbach besäße. Dort sind Deutschlands bekannteste Meinungsforscher zuhause. Niemand weiß, was sie in dieser Hinsicht wirklich tut, noch glauben viele, dass sie sich sehr danach richtet. Da sie schon mehrfach Wahlen gewann, scheint sie sich nicht völlig von der öffentlichen Meinung zu entfernen.

Der Begriff der Staatsräson ist etwas, wo Empirie fehl am Platze ist. Sie ist eher der Ausfluss einer Theorie, also ein Konstrukt der Vernunft, wie der französische Wortursprung (frz. raison) nahelegt. Diese Theorie basiert auf einem ganz bestimmten Menschenbild und einer Vorstellung dessen, was für das jeweilige Staatsgebilde am besten ist. Oft ist die Staatsräson primär auf die Aufrechterhaltung eines (gerade) funktionierenden Staatsgebildes ausgerichtet. Dabei wird angenommen, dass der Staat selbst ein Existenzrecht hat, das er sogar gegenüber den Wünschen einzelner Bürger verteidigen darf. Die Gefahr ist groß, dass Staat und Bürger in Konflikt geraten  ̶  selbst in Demokratien. Politik, die als Teil der Staatsräson angesehen wird, ist quasi sakrosankt. Sie steht über dem Parteiengezänk und steht auch im Wahlkampf nicht zur Diskussion. Die Staatsräson der Bundesrepublik hat historisch gesehen einen Niederschlag gefunden im Grundgesetz (GG) von 1949. Das GG regelt oder expliziert nicht alles, was einmal politisch relevant sein kann. Bei einem zerfallenden Staat ist jedwede Staatsräson verloren gegangen. Angela Merkel hat meines Wissens den Begriff Staatsräson bisher nur im Zusammenhang mit dem Überleben Israels benutzt.

Die öffentliche Meinung drängt sich einem geradezu auf. Alle Medien leben davon, ihr zum Ausdruck zu verhelfen. Um sie wird auf den Straßen und in den Medien gerungen. Über Staatsräson wird nur selten und ungern geredet. Es ist auch nicht immer leicht, zu erkennen oder festzulegen, worin sie besteht. Statt weiter allgemein darüber zu reden, versuche ich es anhand von Beispielen.

Beispiele aus der heutigen politischen Lage

Um zu zeigen, wie weit dieses Dilemma reicht, gebe ich zunächst einen Überblick in tabellarischer Form. Die Auswahl umfasst ein Dutzend politische Felder, die im Augenblick eine Bedeutung zu haben scheinen.


Übersicht über einige Politikfelder

Diskussion des Ansatzes und dreier Beispiele

Meine Beschreibungen von Meinungen und Politiken habe ich nach ‚bestem Wissen und Gewissen‘ vorgenommen. Das heißt, ich schließe Fehler nicht aus. Ich habe in allen Fällen die grammatische Form einer Tätigkeit gewählt. Das suggeriert, dass die Politik immer etwas tun kann. Dem ist aber nicht so. Sich einer Entwicklung nicht widersetzen, mag in einzelnen Fällen auf das Gleiche hinauslaufen. Anstatt alle Beispiele zu vertiefen, will ich nur drei sehr aktuelle Beispiele näher diskutieren, die USA, Griechenland und die Flüchtlingsproblematik.

In der NSA-Affäre haben die Amerikaner offensichtlich Fehler gemacht. Wie uns Edward Snowden klarmachte, haben sie als Folge des 9/11-Debakels anschließend die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs übertrieben. Sie haben Ausländer noch weniger verschont als ihre eigenen Bürger. Als man damit begann, sah man das große Potenzial das die vorhandene Technik bot. Man traf eine Abwägung zwischen Werten (oder vielleicht auch nicht) und entschied sich für das scheinbar kleinere Übel. Durch die Offenlegung der NSA-Praktiken musste die Bewertung neu vorgenommen werden. Dieser Prozess benötigt Zeit. Angela Merkel und die Bundesregierung mussten abwägen, was für sie mehr zählte, die nominellen Rechte deutscher Bürger oder deren Sicherheit. Sie entschieden sich offensichtlich zugunsten der Sicherheit und einer Fortsetzung der bisherigen Zusammenarbeit. Auch mir persönlich ist der Schutz vor realen Gefahren wichtiger als die Wahrung fiktiver Rechte. Diese Aussage gilt  ̶  wie viele andere  ̶  nur prinzipiell, also im Abstrakten. In der Realität kommt es auf die Abwägung an, also das Ausmaß und die relative Gewichtung.

Nicht alle Regierungen der EU-Länder haben dasselbe Niveau, was die Qualität staatlicher oder bürokratischer Prozesse betrifft. Besonders in Griechenland scheint es Defizite zu geben. Dass die Maßnahmen, die von EU-Kommission, Euro-Gruppe und IWF verhängt wurden, dem Land sehr schwer fallen, ist nicht zu leugnen. Deshalb Griechenland aus dem Euro auszuschließen, wie dies einige Volkswirtschaftsprofessoren fordern, ist nicht sehr politisch noch sehr kreativ gedacht. Politisch ist Griechenland in exakt derselben Situation wie Bremen, Berlin und das Saarland. Das sind notorische Schuldenländer. Niemand denkt daran, sie aus dem Bund zu werfen. Bayern und Baden-Württemberg drohen schon seit Jahren, den Verteilungsschlüssel im Länderfinanzausgleich ‚korrigieren‘ zu lassen. Von einer Beendigung des Finanzausgleichs war noch nie die Rede. Außerdem verstehe ich nicht, wieso ein Land die Währungsunion verlassen muss, wenn es pleitegeht. Es grenzt meines Erachtens an die Staatsräson des wiedervereinigten Deutschlands die europäische Integration weiter zu fördern und nicht rückgängig zu machen. Noch traut sich niemand dies auch zu sagen.

Als letztes der Beispiele will ich kurz auf die Immigations- und Flüchtlingsproblematik eingehen. Sehr langsam hatte sich die Bevölkerung damit abgefunden, dass Deutschland Einwanderer braucht. Nur haben wir uns noch nicht dazu durchgerungen durch klar verkündete, nachvollziehbare Auswahlkriterien den Anstrom etwas zu kanalisieren. Durch das riesige Anschwellen der Zahl der Asylsuchenden ist ein akutes Problem entstanden. Durch die Situation in Syrien und anderswo kam jetzt noch eine Welle an Flüchtlingen dazu, deren Schicksal uns nicht kalt lassen kann. Es machen sich plötzlich vielerlei Ängste breit. Einige sehen den Wohlstand in Gefahr, andere den Zusammenhalt der Gesellschaft. Ich maße mir nicht an zu wissen, wie man dieses Problem in den Griff bekommt. Sicher kann es helfen, wenn jetzt eine Diskussion stattfindet, was Maßnahmen sind, denen wir uns als funktionsfähiges Staatsgebilde nicht entziehen dürfen. Im Moment  ̶   so glaube ich  ̶   wird das Flüchtlingsproblem noch unterschätzt oder aber verdrängt. Der Effekt ist derselbe. Wir sollten jetzt das tun, von dem wir in fünf Jahren sagen werden, hätten wir es doch besser damals getan. Das klingt wie dummes Gerede. Andere Leute sagen dazu: Versuche die Dinge vom Ende her zu denken.

Quintessenz

Je mehr Zeit verstreicht, bevor entsprechende Diskussionen stattfinden, umso mehr entwickeln sich die Dinge ungeplant weiter. Umso schwieriger wird es, eventuelle Fehlentwicklungen zu korrigieren. Es sind sehr oft Fragen, die nicht im Streit der Parteien zu klären sind. Mit dem Gesagten will ich zeigen, dass man für viele Politikfelder zu einer anderen Herangehensweise gelangt, wenn man sich fragt, ob es hier nur um unterschiedliche Meinungen geht, oder ob nicht schon die Staatsräson berührt wird.

Donnerstag, 14. Mai 2015

Trier in der Römerzeit ̶ Geschichte und Geschichten

Trier ist bekanntlich Deutschlands älteste Stadt. Ihre Römerzeit dauerte 450 Jahre, und zwar von 50 vor bis 400 nach Christus. Nach der Einmündung der Saar bei Konz bildet die Mosel eine Schleife zur Eifel hin, die eine etwa 10 km breite, überschwemmungsfreie Talaue freigibt. Die römische Stadt bedeckte die gesamte Talaue, während die mittelalterliche Stadt sich auf etwa ein Viertel zurückzog. Heute ist wieder das ganze Tal überbaut, wobei die südlichen Anhöhen weitgehend mit einbezogen sind. Im Norden berührt die Mosel die Ausläufer der Eifel in Form einer steilaufragenden Felswand. Die Stadt hatte in ihrer damaligen Spitzenzeit etwa 80.000 bis 100.000 Einwohner  ̶  also mehr als heute  ̶  und war doppelt so groß wie Köln.

In einem Blogbeitrag aus dem Juni 2012 hatte ich vor allem meine Beziehungen zu Trier beschrieben. Heute möchte ich einige nicht uninteressante historische Details nachtragen, die meistens nur Experten oder Einheimischen bekannt sind. Der römische Teil der Trierer Geschichte umfasst zwei grundverschiedene Phasen, die des Militärlagers und der Kaiserstadt. Als einer der drei Hauptstädte des damaligen Römerreiches spielten sich in Trier in der Kaiserzeit einige weltpolitische Ereignisse ab.

Von Caesars Siegesparade bis zur späteren Kolonialstadt

In seinem Bericht über den Gallischen Krieg (58-50 vor Chr.) berichtete Caesar von einem Oppidum der Treverer. Der genaue Ort ist nicht überliefert. In Frage kommen Ausgrabungsstätten wie Ötzenhausen auf dem Hochwald, Wallendorf an der Sauer oder der Titelberg bei Differdingen in Luxemburg. Ein Oppidum (lat. für Befestigung, Schanzanlage) war eine befestigte, stadtartig angelegte Siedlung der Kelten. Im Gegensatz zu den römischen Städten verfügte ein Oppidum weder über feste Steinbauten noch über gepflasterte Straßen. Nach mehreren Auseinandersetzungen war Caesars Feldherr Labenus im Jahre 51 vor Chr. in einer Reiterschlacht gegen die Treverer erfolgreich, was die Treverer zwang sich den Römern zu unterwerfen. Anschließend soll Caesar eine Militärparade im Gebiet der Treverer abgehalten haben.


Planskizze des römischen Trier

Die Gründung einer römischen Stadt mit Namen Augusta Treverorum (lat. für Stadt des Augustus im Land der Treverer) erfolgte im Jahre 16 v. Chr., während der Regierungszeit von Kaiser Augustus. Auch der Bau der ersten Moselbrücke fiel in diese Zeit. Außer der Stammesgemeinschaft der Treverer wurde hier eine römische Kolonialverwaltung angesiedelt. Es ist überliefert, dass auch Truppenteile in der Stadt selbst (auf dem Petrisberg) stationiert waren. Das Gros des römischen Heeres lag vermutlich auf der Hunsrückhöhe bei Hermeskeil, etwa 15 km südlich von Trier. Hier wurden in den letzten 10 Jahren Spuren eines 30 Hektar großes Heerlagers ausgegraben, in dem nach dem Gallischen Krieg über 10.000 Mann stationiert waren. Es gab mehrmals Aufstände der Treverer ̶   so in den Jahren 29 vor Chr., 21 und 70 nach Chr.,  ̶   die alle niedergeschlagen wurden. Um 180 nach Chr. erhielt Trier eine Stadtmauer mit vier gewaltigen Torbauten, von denen nur das Nordtor (die Porta Ni­gra) erhalten ist.


Moselbrücke von Osten

Ausbau zur römischen Kaiserstadt

Drei Jahrhunderte lang war Trier eine von Beamten und Militär bestimmte Kolonialstadt  ̶  etwa vergleichbar mit Augsburg oder Köln. Von 271 bis 273 war die Stadt die Residenz eines gallo-römischen Gegenkaisers namens Tetricus I. Nach der im Jahre 273 von Kaiser Diocletian angeordneten Teilung des Reiches wurde Trier der Sitz des für den gesamten Westen zuständigen Regenten. Diese Funktion hatte Trier über 100 Jahre lang und wurde nun Treveris genannt. Zehn römische Kaiser hinterließen mal weniger, mal deutlicher ihre Spuren. Ab 318 war Trier Sitz der Gallischen Präfektur, einer der zwei obersten Behörden im Westen des Römischen Reiches.


Römische Kaiser in Trier

Wie jede römische Kolonialstadt so verfügte auch Trier über ein rasterartiges Straßennetz mit zwei Hauptstraßen (Decumanus und Cardo genannt), die die Stadt in vier Quadranten aufteilte. Viele der großen Gebäude belegten einen ganzen Straßenblock (lat. insula). Trinkwasser wurde von außerhalb über spezielle Bauwerke (so genannte Aquädukte) zugeführt. Abwässer wurden in die Mosel geleitet. Die heutigen Verkehrsstraßen der Stadt liegen etwa einen Meter über dem Niveau der Römerzeit. Der Grund ist kein Absinken der alten Gebäude, sondern der sich auftürmende Trümmerschutt der Jahrhunderte.


Kaiserthermen

Fast alle heute noch erkennbaren Monumentalbauten stammen aus der Kaiserzeit. Der kaiserliche Palast selbst befand sich an der Stelle des heutigen Domes. Eine große Rolle im Leben der Bürger spielten die der Körper- und Kontaktpflege dienenden Thermen. Das zum Baden erforderliche warme Wasser wurde durch Verbrennen von Holz erzeugt. Als älteste Therme gelten die zentral in der Stadtmitte gelegenen, erst in letzter Zeit ausgegrabenen Thermen am Viehmarkt. Zu den größten Themen des Reiches gehörten die Barbara- und die Kaiserthermen. Letztere wurden erst gegen Ende der Kaiserzeit errichtet, wobei ein früher vorhandener Wohnbezirk abgerissen wurde.

Keine steinernen Spuren hinterließen Einrichtungen wie die Palastschule (lat. schola palatina). Sie war innerhalb des Kaiserpalastes untergebracht. Sie zog sowohl Schüler wie Lehrer aus ganz Westeuropa an. Für die Ausbildung des Nachwuchs für die Verwaltung war sie unentbehrlich. Gelehrt wurde in erster Linie Grammatik und Rhetorik. Für die juristische Ausbildung erhielten italienische Schulen und Lehrer den Vorzug, für Philosophie die griechischen. Gelesen wurden die Werke römischer Klassiker wie Vergil, Ovid und Horaz. Ein sehr bekannter Schüler war Ambrosius (339-397), der spätere Bischof von Mailand, der in Trier geboren wurde. Auch der spätere Mönch und Kirchenlehrer Hieronymus (347-420) war um 375 für einige Jahre in Trier. Von ihm stammt die interessante Feststellung, dass die Galater in Kleinasien die gleiche Sprache sprachen wie die Trierer.


Neumagener Weinschiff

Neben dem Handel erlangten die Trierer Töpfereien (insbesondere die Terra Sigillata-Manufakturen) einen beachtlichen Ruf. Auch in der Umgebung der Stadt Trier war römisches Leben und römische Kultur präsent. Es gibt kaum einen Ort im Umkreis von 30 km von Trier, wo nicht Ruinen römischer Landhäuser zu finden sind. Die Spuren römischer Landwirtschaft stellen manches in den Schatten, was in den nächsten Tausend Jahren in unserer Gegend zu sehen war. Gleiches gilt für Handwerk und Verwaltung. Ehe die Fähigkeit des Lesens und Schreibens wieder denselben Grad in der Bevölkerung erreichte, dauerte es noch wesentlich länger. Die größte bleibende Bedeutung für die Region hatte die Einfuhr des Weinbaus im Moseltal. Das Weinschiff aus Neumagen ist ein sehr eindrucksvolles Erinnerungsstück.

Volkszirkus und Kaiserkult

Eine große Anziehungskraft für die Masse der Bürger übten Sport und Unterhaltung aus. Dazu dienten vor allem das Amphitheater und eine Pferderennbahn, auch Zirkus genannt. Ihre Kapazitäten an Zuschauerplätzen lagen bei 20.000 bzw. 50.000, also etwa der Hälfte der Stadtbevölkerung. Beide lagen westlich der Stadtmauern. Für die Beamten am Hofe, also für die Elite der Stadtbevölkerung, spielte die kultartige Verehrung des Kaisers eine besondere Rolle. Einige der namentlich bekannten Einwohner des römischen Triers seien in diesem Zusammenhang erwähnt.


Rennfahrer Polydus

An erster Stelle soll der Rennfahrer Polydus genannt werden. Seinem Andenken diente ein monumentales Mosaik. Es stammt aus dem 3. Jahrhundert und befand sich in einem Trierer Stadthaus, das im 4. Jahrhundert beim Bau der Kaiserthermen abgerissen wurde. Es zeigt den jugendlichen Rennfahrer als Sieger eines Wagenrennens. Sein Name deutet auf eine griechische Abstammung hin. Polydus lenkte ein Quadriga-Gespann. Sein Leitpferd, ein Schimmel mit Namen Compressore, läuft beim Rennen innen in der Kehre. Das schnellste Pferd läuft außen. Polydus ist bei der Ehrenrunde dargestellt, die Siegestrophäen schwingend. Er hält nur die Zügel des Leitpferds in der Hand. Die der übrigen Pferde sind um den Bauch gebunden. In Rom und in anderen römischen Städten wurden Pferderennen von kommerziell tätigen Rennställen bestritten. Sie fanden teilweise im wöchentlichen Turnus statt. Die Parallelen zu heutigen Formel-1-Autorennen sind verblüffend. Reste eines Pferdestalls und einer Rennbahn, die vermutlich Trainingszwecken dienten, wurden erst vor kurzem bei Dudeldorf entdeckt, etwa 30 km von Trier entfernt [1].


Konstantinbasilika

Die von Konstantin I. (dem Großen) erbaute Palastaula ist das einzige der übrig gebliebenen Bauwerke, die direkt dem Dienst des Kaiserhofes dienten. Sie wird heute nach ihrer Bauform als Basilika bezeichnet. Eine typische Veranstaltung umfasste öffentliche Vorträge, bei denen die Verdienste des Kaisers herausgestellt wurden. Eine solche Lobrede (ein so genannter Panegyrikus) auf Kaiser Konstantin aus dem Jahre 311 ist überliefert, ebenso die Dankrede, die Ausonius im August 379 auf Kaiser Gratian hielt. Ausonius stammte aus Bordeaux und war 15 Jahre lang in Trier tätig, zuerst als Erzieher des kaiserlichen Prinzen und später als dessen Ratgeber und Hofbeamter. Sein Aufenthalt in Trier endete, als der erst 24 Jahre alte Gratian in Lyon bei einem Essen ermordet wurde. Dem Decimus Magnus Ausonius war im August 2011 ein eigener Blogeintrag gewidmet.

Frühe Christen in Trier

Sicher nachgewiesen ist die Anwesenheit von Christen in Trier in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts. Die Missionierung des Trierer Landes durch Schüler des Apostel Petrus gehört ins Reich der Sagen und Legenden. Bischof Agritius (260-329), ein Zeitgenosse Kaiser Konstantins I., war Teilnehmer einer Synode in Arles im Jahre 314. Nachdem Konstantin im Jahre 313 das Christentum durch das Mailänder Edikt zur Staatsreligion erhoben hatte, wurden römische wie keltische Kultstätten systematisch in christliche Kirchen umgewandelt. Die ältesten Teile des Trierer Doms datieren aus dem Jahre 326.

Keine deutsche Diözese hat die gleiche Anzahl frühchristlicher Heiliger aufzuweisen wie Trier. Die Trierer Bischöfe dieser Zeit ergriffen Partei in theologischen Streitfragen und Richtungskämpfen, die das ganze Christentum erschütterten. Es war Bischof Maximinus (290-346). der dem Kirchenlehrer Athanasius von 335 bis 337 in Trier Asyl gewährte, als dieser von Arianern verfolgt wurde. Der in Trier sehr bekannte Bischof Paulinus (300-358) starb in Kleinasien in der Verbannung, als die Arianer in Trier das Sagen hatten.


Kopf einer Kolossalstatue Konstantins

Es war keineswegs so, dass Kaiserhaus und Bürger auf einen Schlag zum Christentum übertraten. Fast alle Trierer Kaiser und die meisten ihrer Beamten blieben nominell Anhänger der alten Götter, obwohl sie sich gleichzeitig christlichem Gedankengut gegenüber öffneten. Ausonius ist ein typisches Beispiel. Bezeichnend ist die Situation, in die der letzte der Trierer Kaiser geriet. Dem Kaiser Magnus Maximus, der durch einen Aufstand der in Britannien stationierten Truppen an die Macht gelangt war, wurden religiöse Streitigkeiten zwischen Christen zur Entscheidung vorgelegt. Das führte dazu, dass er im Jahre 385 den der Irrlehre des Manichäismus angeklagten Bischof Priscillian aus Avila und fünf seiner Anhänger zum Tode verurteilte und hinrichtete. Dass der in Tours lebende, hochangesehene Abt Martin nach Trier kam, um gegen diese Maßnahme zu protestieren, half nichts.

Germaneneinfälle und Ende der Römerzeit

Im Jahr 275 wurde Trier zum ersten Mal durch marodierende Alemannen und Franken zerstört. Weitere Einfälle von Germanen folgten. Um das Jahr 400 verließen Kaiser und Hofstaat sowie die meisten Bewohner die Stadt. Die römische Verwaltung wurde zunächst nach Autun in Burgund verlegt, später weiter südlich nach Arles an der Rhone. Zwischen 410 und 435 wurde Trier mehrmals von fränkischen Heeren verwüstet, ehe im Jahre 485 die gesamte Region in das fränkische Reich der Merowinger eingegliedert wurde. Wie Zeitzeugen berichteten, verfielen die römischen Villen und Kulturdenkmäler sehr schnell. Nach Aussage des Salvian von Marseille (400-475), einem Mönch von der Klosterinsel Lérin, gingen die Bürger der Stadt Trier wie immer ihren Tagesvergnügungen nach, während überall ein Bild des Untergangs und des Todes herrschte. An den typischen Trierer gewandt fügte er hinzu: 'aber Du verlangst nach Spielen' (lat. et tu circenses rogas).

Hinweis: Jedem Besucher Triers empfehle ich das Rheinische Landesmuseum sowie das Dom- und Diözesanmuseum. Soviel Anschauungsmaterial über die Römerzeit findet man nirgendwo in Deutschland.

Zusätzliche Referenz

1. Elsenbast, D.: Ein außergewöhnlicher römerzeitlicher Befund in Dudeldorf. In: Beiträge zur Geschichte des Bitburger Landes 98, Heft 1-2015, S. 5-27

Dienstag, 12. Mai 2015

Historische Landung einer Raumsonde auf einem Kometen

Dieser Tage schickte mir Lothar Monshausen, ein befreundeter Heimatforscher und begabter Fotograf eine von ihm zusammengestellte Dokumentation über die Landung des Landegeräts Philae der Raumsonde Rosetta auf dem Kometen Tschurjumow-Gerasimenko am 12. November 2014. Die Bestätigung der erfolgreichen Landung erreichte um 17.03 Uhr MEZ die Erde. Der beigefügte Bericht enthält alle weiteren interessanten Daten und sehr detaillierte Fotos. Lothar Monshausen schrieb dazu:

ich habe Dir mal im Anhang eine aktualisierte Version meines Berichtes über den Kometen 67/P Churyumov-Gerasimenko beigefügt. Scheinbar interessieren sich nur sehr wenige für diese schon sehr erfolgreiche Mission auch von deutschen Wissenschaftlern. Jedenfalls in den Medien scheinen nur noch Griechenland, die Ukraine-Krise usw. interessant zu sein  ̶ Hauptsache Katastrophen, Kriege und andere negative Themen. Wer hat schon einmal einen Kometen von vorne aus geringer Entfernung gesehen? Eine Übersetzung der teilweise englischen Texte wollte ich zu einem späteren Zeitpunkt erstellen. Ich denke, dass jeder in Deinem Blog perfekt in englischer Sprache ist. Die Fotos sind von der ESA-Germany, da sind noch andere, aber fast identische Aufnahmen von "Rosetta". Eine chronologische Reihenfolge existiert wohl nur intern bei der ESA. Sonst hatte ich im Internet nichts Vernünftiges gefunden.

Ich danke Lothar Monshausen recht herzlich und freue mich, meinen Lesern dieses Zeitdokument anbieten zu dürfen. Bitte hier klicken.

Samstag, 2. Mai 2015

Gedanken zu Wesen und Wirkung der Technik

Klaus Kornwachs (Jahrgang 1947) war bei der Fraunhofer-Gesellschaft in Stuttgart tätig und hatte anschließend einen Lehrstuhl für Philosophie der Technik an der Brandenburgischen TU in Cottbus. Außerdem ist er Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech). Er fühlt sich daher berufen oder verpflichtet, um über ein Thema zu reden, das einen Ingenieur eigentlich berühren müsste. Sein Buch von 2013 heißt Philosophie der Technik und hat nur 128 Seiten. Meine Erwartungen an das Buch waren zwiespältig. Mein Urteil nach dem Lesen ist es auch. Dennoch kann es nicht schaden, sich damit zu befassen.

Definitionen des Begriffs Technik

Technik ist eines der meistbenutzten aus dem Griechischen stammenden Lehnwörter. Mit dem Wort ‚téchne‘ wurde Handwerk und Kunst sowie die entsprechenden Fertigkeiten bezeichnet. Heute spielen diese beiden Aspekte immer noch hinein, die vollständige Bedeutung geht jedoch darüber hinaus. Sie umfasst mindestens drei Aspekte:
  •   Die Gesamtheit der menschengemachten Gegenstände, auch Artefakte genannt, sowie die zu ihrer Erstellung und Nutzung erforderlichen Prozesse. Beispiele: Apparate, Maschinen, Software.
  •   Ein besonderes Können in beliebigen Bereichen menschlicher Tätigkeit, sowohl was körperliche als auch geistige Tätigkeiten betrifft. Beispiele: Weitsprung, Atmen, Auswendiglernen.
  •   Eine dem Zweck angepasste Form des Handelns und Wissens in beliebigen Bereichen menschlicher Tätigkeit. Beispiele: Verhandlungen oder Angriffe führen.

In diesem Beitrag ist fast ausschließlich die erste Bedeutung gemeint. Eine Zivilisation wird wesentlich dadurch bestimmt, wie und zu welchem Grade sie mit Technik umgeht und wie sehr sie Technik gestaltet. Der Begriff Kultur ist meistens unabhängig von Technik. Jede Technik benötigt eine ‚organisatorische Hülle‘, um zu funktionieren. Moderne Techniken können über diese Hülle hinauswirken, sie verändern oder neuschaffen. Wer sagt, dass Technik wertfrei ist, ignoriert diesen Aspekt vollkommen.

Jürgen Mittelstraß spricht davon, dass Technik eine neue Welt schafft, die Leonardo-Welt. Dieser Blog hatte sich damit befasst. Er setzt sich von der Ansicht des Aristoteles ab, dass Menschen nichts erfinden oder schaffen können, was es vorher (zumindest in der geistigen Welt) nicht gab. Im alten Griechenland hießen Handwerker nicht nur Banausen. Sie waren auch entsprechend gering geschätzt.

Wissenschaft oder Technik – was war zuerst?

Nach Ortega y Gasset (1883-1955) beginnt der Mensch sich vom Tier zu unterscheiden, sobald er Technik einsetzt. Ein Beispiel sind Faustkeile. Sie verändern die Kraftvektoren, die von der menschlichen Hand zur Anwendung gebracht werden können. Der Mensch tat dies, lange bevor er die Begriffe Kraft und Vektor gebildet hatte. Ebenso gab es elektrische Maschinen mindestens 50 Jahre, bevor wir wussten, wie und warum elektrischer Strom fließt. Technik ist eindeutig älter als Wissenschaft. Wer sagt, dass Technik auf Wissenschaft basiert, redet sehr ungenau. Wissenschaft kann uns helfen, einen Teil unserer Technik zu erklären. Sie kann sogar neue Techniken ermöglichen. Technik ist nicht aus der Physik ableitbar. Sie muss erfunden werden. Sie  geht über die Natur hinaus.

Die vorherrschende Triebfeder der Technik ist es, Unzulänglichkeiten des Menschen auszugleichen (Theorie der Organverstärkung oder Prothese-Theorie) oder Nöte der Menschheit zu lindern. Dass darüber hinaus auch der Spieltrieb des Menschen zur Anwendung kommt, sollte nicht geleugnet werden. Technik kann eigenerzeugte Zwecke verfolgen, die sich nicht auf die Verstärkung vorhandener Organe oder die Nachahmung der Natur beziehen. Der Ingenieur kann Dinge entwerfen und konstruieren, die es in der Natur in dieser Form nicht gibt. Versuch und Irrtum ist die Methode, die eher zum Erfolg führt, als die Bildung von Theorien, also von Erklärungen, warum etwas geschieht. Etwas zu machen, nur weil es geht, ist meist kindliches Allmachtstreben.

Das entscheidende Kriterium der Technik ist nicht Wahrheit wie in der Wissenschaft, sondern die Effektivität. Technik benötigt keine wissenschaftliche Begründung, um effektiv zu sein. Von Kornwachs angeregt, möchte ich fragen, ob die übertriebene Verwissenschaftlichung der Technik immer gerechtfertigt ist. Wissenschaftliche Ergebnisse sollte man verwenden, wenn immer sie nützlich sind. Es darf jedoch nicht dazu führen, dass die Empirie leidet, ja unterdrückt wird. Es ist mein Eindruck, dass an Hochschulen die Verwissenschaftlichung manchmal dazu dient, das Ansehen der Ingenieur-Lehrstühle bei geisteswissenschaftlichen Universitätsgremien zu verbessern. Das erfolgt nicht selten auf Kosten der Relevanz der eigenen Arbeit. Eine Analogie aus der Informatik ist der Drang zur Mathematisierung.

Der Mensch kompensiere seinen Verlust von Instinkten durch Intellektualität. Technik erzeugt Komplexität durch Synthese von Konstrukten. Ein Praktiker versucht die Komplexität zu reduzieren durch allgemeine Gesetze oder Regeln. Diese mögen nicht immer vollkommen rational zu erklären sein. Dieses Phänomen der 'schwachen Rationalität‘ träfe man sogar sehr häufig bei Computernutzern.

Fortschrittsglaube oder Zukunftsangst

Die Technik war die Hauptursache für den sehr verbreiteten Glauben an andauernden Fortschritt. Der Philosoph Hegel glaubte daran, ebenso wie sein Schüler Mao Zedong. Die berühmten Beleidigungen (Kopernikus, Darwin) der Menschheit können nur durch bessere Technik kompensiert werden. Keines der großer Weltprobleme (Überbevölkerung, Ernährung, Umwelt) kann nicht gelöst werden, ohne durch den Einsatz bessere Technik. Da zu viele Prognosen über die Zukunft daneben lagen, redet man heute lieber von Szenarien oder einer Roadmap. Das Ergebnis wird oft von der Prognose beeinflusst. Technik gilt allgemein als überraschungsfrei. Die Informations- und Kommunikationstechnik (IuK) könne dabei helfen, die Welt und ihren Zustand zu verstehen.

Der Erfolg des technischen Fortschritts kann gefährdet werden. So hat die Kerntechnik das Entsorgungsproblem zulange vernachlässigt. Der Fortschritt kann sich verlangsamen, weil er immer teurer wird. Eine Lösung kann das Ausweichen auf neue Felder bringen, die wir heute noch nicht kennen. Die Technik – so heißt es -  löse nur Probleme, die technisch zu lösen sind. Bei sozialen Prozessen ist sie leicht überfordert, weil diese zu schwierig zu verstehen sind. Technik sei Fluch und Segen zugleich. Wenn sie nicht funktioniert, nutzt man sie nicht. Leider geht es aber manchmal nicht mehr ohne Technik, etwa nach einem Unfall oder einer Erkrankung. Dann wird aus dem Privileg oft eine Pflicht.

Der vom Maschinenbauer zum Philosophen mutierte Günter Ropohl (Jahrgang 1939) vertritt die Meinung, dass Technik keine Sachzwänge erzeugt. Die erzeugt erst der Nutzer, wenn er sich abhängig macht. Ob er dabei wohl auch bereits an Smartphones dachte? Kornwachs gefällt die folgende Analogie: Wenn Fortschritt eine Droge ist, dann sind Ingenieure Drogenhändler. Auch Bill Joy wird erwähnt, der meinte, dass Computer einmal so gut werden, dass der Mensch nicht mehr gebraucht wird.

Verantwortung des Ingenieurs

Philosophen sehen sich nicht erst seit Kant auch für Ethik als zuständig an. Sie möchten andern Menschen sagen, was sie tun dürfen und was nicht, auch uns Ingenieuren und Informatikern. Natürlich sollten wir nicht mit allem spielen und alles ausprobieren. Positiv ausgedrückt, dürfe Technik nur verwandt werden, wenn dadurch Freiheit, Gerechtigkeit und Chancengleichheit gefördert werden. Neuerdings kommt noch hinzu, dass das Überleben der Menschheit ein ähnlich hohes Gut ist.

Heute wird allgemein die Meinung vertreten, dass die Verantwortung für die Folgen der Technik bei allen Handelnden liegt. Deshalb hätten deutsche Ingenieurvereine in über 200 Fällen so genannte ethische Leitlinien verabschiedet. Die Gesellschaft für Informatik (GI) steht dem nicht nach. Bemerkenswert ist, dass nur einige Wissenschaftler und Bomberpiloten sich nach Hiroshima schuldig fühlten, nicht jedoch die Politiker, die die Bombenabwürfe befahlen. Die Atomenergie hat auch in Deutschland die generelle Kritik an der Technik beflügelt. Der Reaktorbau im badischen Wyhl wurde zur Geburtsstunde einer neuen Partei, den Grünen. Seit zwei Jahren regieren sie das Bundesland, in dem Wyhl liegt.

Wozu dient Technikphilosophie?

‚Was heißt und zu welchem Ende studiert man Technikphilosophie?‘ In Anlehnung an den Titel von Schillers Antrittsvorlesung in Jena im Mai 1789 könnte man das Buch von Kornwachs auch so überschreiben. Schiller ging es damals um Universalgeschichte. Es überrascht nicht, dass dies für einen Akademiker wie Kornwachs eine wichtige, ja die zentrale Frage ist.

Wie schon Platon in seinen Dialogen, so sieht jeder heutige Philosoph seine Aufgabe darin, Fragen zu stellen. Er sieht es nicht als seine Pflicht an, auch Antworten zu geben. Dazu möchte ich anmerken: So schön möchten es andere Berufe auch haben, z. B. Ärzte und Ingenieure. Die Philosophie der Technik  ̶   was nur annähernd dasselbe ist wie Technikphilosophie ̶  sähe ihre Aufgabe darin, Fragen zu beantworten, die aus der Technik kommen, die aber die Technik nicht mehr beantworten kann. So kann in vielen Fällen z. B. die Warum-Fragen nicht beantwortet werden. Zu fragen ist, woher andere Disziplinen die den Technikern und Naturwissenschaftlern fehlende Kompetenz hernehmen. Mein Verdacht lautet: Bei Kant und Aristoteles, also in der Geschichte unserer westlichen Kultur.

Die Technik würde für die Philosophie erst interessant, wenn sie nicht funktioniert. So geschehen nach Tschernobyl und Fukushima. Dienstleister oder gar Reparaturbetrieb für die Technik, möchte die Technikphilosophie jedoch nicht werden. Wie schade  ̶  kann ich da nur sagen. Leider müssen Probleme, die durch technische Fehler oder riskante Technik verursacht wurden, fast immer durch bessere Technik gelöst werden. Es müssen technische Alternativen her. Wer wird diese wohl vorbereiten und einführen müssen? Ich glaube nicht, dass Philosophen dies tun werden. Die Philosophie der Technik könne zeigen, wie Ideen in Ideologien umschlagen, was Verantwortung heißt, oder dass viele kleine Schritte besser sind als ein großer Schritt. Das alles sollten nach meinem Dafürhalten Ingenieure selbst lernen und beachten.

Wir Ingenieure und Informatiker sollten uns nicht darauf verlassen, dass andere das Volk besser verstehen und besser wissen, was zu tun ist. Das kann ins Auge gehen. Manchmal entsteht der Eindruck, dass Philosophen danach streben, zum Teil die Rolle zu übernehmen, die Theologen einmal hatten. Ihre Truppen halten  ̶  so zu sagen  ̶  die metaphysische Front. Da der Hinweis auf Offenbarungen (aus dem Übernatürlichen) im Westen nicht mehr opportun ist, bieten sich Philosophen oft als Moderatoren an für einen Diskurs, an dessen Ende alle schwierigen Fragen geklärt sind, auch die metaphysischen. Dass da Wunschdenken vorherrscht, ist nicht zu verkennen.

Nachtrag vom 5.5.2015

Mir fiel gerade auf, dass ich mich von Klaus Kornwachs zu der Darstellung verleiten ließ, dass Technik und Wissenschaft Gegensätze seien, die sich ausschließen. Statt Wissenschaft hätte ich korrekterweise Naturwissenschaft sagen müssen. Dann wäre klar gewesen, dass dazu die Ingenieurwissenschaften kein Gegensatz sind, sondern nur eine andere Form. Die Einordnung der Geisteswissenschaften ist ein anderes Problem, das ich aber hier nicht behandeln wollte.