Freitag, 28. September 2018

Eifler Anekdoten und Legenden - eine Auswahl

Die Beschäftigung mit Eulenspiegel im vorhergehenden Blog-Beitrag erinnerte mich daran, dass es in meiner Heimat, der Eifel, eine Vielzahl von Quellen gibt, was Volkssagen, Schwänke und Anekdoten betrifft. Das Thema ist eigentlich unerschöpflich. Im Folgenden gebe ich eine Kostprobe.

Vorwort

Die in einer Region verbreiteten Volkssagen und Schwänke können wichtige Hinweise geben zum Charakter einer Volksgruppe. Da sie vorwiegend lokal erzählt werden, geben sie oft Auskunft über das Verhältnis zwischen den Orten untereinander. Fast immer tragen sie zum Selbstverständnis bei. Wer sich damit befasst, stößt auf eine Vielzahl von Quellen. Die nachfolgende Auswahl ist größtenteils dem Buch von Matthias Zender [1] entnommen. Das Buch entstand in der Zeit von 1920-1935 und enthält 300 Stückelchen. Einige Schwänke wurden mir von heute lebenden Eiflern erzählt. Nur diese sind besonders gekennzeichnet. Zender (1907-1993) entstammte einer alten Niederweiser Bauernfamilie und hatte an der Universität Bonn einen Lehrstuhl für Volkskunde inne. Ein Nachruf Zenders ist in [2]. Von ihm und meinem Volksschullehrer Peter Faber wurde mein Interesse für die Heimatkunde geweckt.

Matthias Zender um 1990



Aus der Neuerburg

Neuerburg ist eine traditionsreiche Kleinstadt und ein bei Touristen beliebter Kurort im Westen des Kreises Bitburg. Es ist der Sitz der Verbandsgemeinde Westeifel. Es verfügt über eine Burganlage und eine über 500 Jahre alte Pfarrkirche. Am berühmten Neuerburger Gericht liefen in früheren Zeiten die Prozesse oft sehr lang und hatten manchmal seltsame Ergebnisse. Es tagt entweder mittwochs oder mitten in der Woche, so hieß es. Aus Neuerburg erzählt Zender mehrere Geschichten. Hier und in andern Anekdoten taucht unter anderen der berühmte Schalk Till Eulenspiegel auf. Geschichten über Eulenspiegel werden in ganz Deutschland und in den Niederlanden und Belgien erzählt. Die historische Figur soll im 14. oder 15. Jahrhundert gelebt haben. Der Stoff wurde von vielen Autoren bearbeitet.

1.
Es war Eselsmarkt. Die Bauern aus Vianden und Diekirch hatten eindeutig die fetteren Tiere. Die Eifler waren besorgt, dass sie für ihre mageren Tiere keine Gebote bekämen. Eulenspiegel beschloss, ihnen zu helfen. Er sah, dass im Nachbarhaus ein Kessel voll Schweinekartoffeln gekocht wurde. Er nahm diesen und band den Luxemburger Eseln je eine heiße Kartoffel unter den Schwanz. Daraufhin ergriffen diese das Weite. Den von auswärts angereisten Händlern blieb nichts weiter übrig, als die mageren Eifler Esel zu kaufen.

2.
Eulenspiegel hatte sich in Neuerburg später durch seine Streiche sehr unbeliebt gemacht. Der Graf beschloss ihn dafür zu bestrafen. Er beauftragte den Kellermeister, ihn in den Keller zu locken und dort kräftig zu versohlen. Zunächst bekam er den dort gelagerten Wein zu kosten. Sobald er aber von der wahren Absicht Wind bekam, riss er aus dem besten Fass den Zapfen heraus. Der Kellermeister sprang hin und hielt den Daumen drauf. Eulenspiegel hat dann den Kellermeister verdroschen. Schließlich steckte er noch einen schönen Schinken in seinen Sack und verließ den Keller. Der Graf fragte ihn im Vorbeigehen, ob er genug bekommen habe. ‚Ja‘, sagte Eulenspiegel, ‚Hiermit kommt meine Mutter für acht Tage aus‘.

3.
Eulenspiegel war zu Fuß unterwegs in Richtung Neuerburg. Vor dem Görgenhof kam auf dem holperigen Feldweg und in einer großen Staubwolke eine Kutsche heran. Der Kutscher hielt an und fragte: ‚Wie lange brauche ich noch bis zur Neuerburg? Mein Herr muss in einer Stunde da sein‘. Vom Görgenhof bis zur Neuerburg sind es etwa 5 km. Eulenspiegel sagte daher: ‚Wenn du langsam fährst, packst du das gut‘. Der Kutscher dachte: ‚Was für ein Narr‘, schnalzte mit der Zunge und ließ die Peitsche knallen. Als ob der Böse hinter ihr her sei, stieb die Kutsche wieder, in eine Staubwolke gehüllt, davon. Am Friesborner Hof, da wo der Weg zur Neuerburg abbiegt, traf Eulenspiegel wieder auf die Kutsche. Sie lag mit einem gebrochenen Rad am Wegesrand. Sagte Eulenspiegel: ‚Ich hab' dir doch gesagt, wenn du langsam fährst, kommst du rechtzeitig an.‘ [überliefert von Manfred Nusbaum, Körperich]

Aus Niederweis

Fast alle Geschichten aus Niederweis betreffen den ‚geckigen‘ Baron. Das war der als Junggeselle verstorbene Clemens Wenzeslaus von der Heyden (1774-1840). Er war sehr belesen und verfügte über eine große Hausbibliothek. Mehr darüber finden Sie in [3]. Bei den Bauern war er als weltfremd und schrullig verschrien. Manche hielten ihn für verrückt, auf Platt heißt das ‚geckig‘.

1.
Der Baron führ mit seinem Kalfaktor Schleder nach Trier um einen neuen Hut zu kaufen. Sie gingen in ein Geschäft und ließen sich Hüte zeigen. ‚Was kostet dieser Hut?‘ fragte der Baron. ‚Fünf Taler‘ sagte der Verkäufer. ‚Und der?‘ – :Sechs Taler‘. ‚Das ist sind keine Hüte für mich‘, sagte der Baron. ‚Habt Ihr keinen teureren?‘ – ‚Nein‘ meinte der Verkäufer. Dann gingen beide hinaus. Draußen meinte Schleder: ‚Der wusste nicht, wer wir waren. Lasst mich noch einmal hinein gehen‘, Alsbald kam er zurück und sagte, man habe jetzt noch weitere Hüte gefunden. Als er und der Baron zurück im Geschäft sind, bot der Verkäufer einen Hut an für 30 Taler. Da sagte der Baron: ‚Den kaufe ich‘. Es war einer von den beiden Hüten, die ihm beim ersten Besuch angeboten worden waren.

2.
Der Baron war einmal über einen Graben gesprungen und hatte sich am Bein wehgetan. Er ließ zuerst den alten Thies (einen Heilpraktiker aus dem Dorf) daran doktoren. Nach ein paar Tagen meinte der Baron, es sei doch wohl besser einen Arzt zu holen. Als der Arzt kam, musste der alte Thies zuerst gerufen werden. Der Baron wusste nämlich nicht mehr, an welchem Bein er sich wehgetan hatte. Der Doktor schrieb ein Rezept und kassierte eine Menge Geld.

3.
Der Baron wollte heiraten. Deshalb sollte am Sonntag die Ausrufung in der Messe erfolgen. Die Bauern gaben dem Scheinehirt des Dorfes Geld, damit er sich auch ausrufen lassen sollte. Der Pfarrer verkündete: ‘Zum ersten Male zum Sakrament der Ehe verkündet werden Baron Clemens Wenzeslaus von der Heyden und Baroness Sowieso. Des Weiteren werden zum heiligen Sakrament der Ehe verkündet Matthias Bettendorf, Schweinehirt in Niederweis und Maria Müller aus Alsdorf‘. Da stand der Baron in seiner Kirchenbank auf und sagte: ‚Wenn Schweinehirten, Korbmacher und Zigeuner heiraten, dann heirate ich nicht‘. Er ist als Junggeselle gestorben.

4.
Wenn Kinder miteinanderspielen, versuchen sie manchmal sich gegenseitig hereinzulegen. Hier ein Beispiel: ‚Hier hast Du 10 Pfennige. Geh in Schneddisch (einen von zwei Dorfläden) und kauf Dir Haumichblau‘ [mündlich von Magdalena Schmitt, Morbach]

Aus Dahnen

Die Einwohner des Eifeldorfs Dahnen, nördlich von Prüm gelegen, genießen etwa den gleichen Ruf wie die berühmten Schildbürger, die Bürger der fiktiven Stadt Schilda. Die Orte Dahnen, Dasburg und Daleiden gehören zum Islek, dem am höchsten gelegenen, schnee- und regenreichen Teil der Eifel und waren daher klimatisch etwas benachteiligt. Die Gegend gilt als rauh und karg.

1.
Eines Tages kam Eulenspiegel nach Dahnen. Er bat darum, einen Teil der Gemeindeflur beackern zu dürfen. Er würde die Hälfte des Ertrags an die Gemeinde abliefern. Die Dahnener stimmten freudig zu. Er pflanzte Weizen an. Als das Getreide reif war, schnitt er die obere Hälfte aller Halme ab. Den Dorfbewohnern überließ er den Rest. ‚Das müssen wir ändern‘, sagten die Dahnener. ‚Das nächste Jahr bekommen wir die obere Hälfte‘. Eulenspiegel stimmte zu und baute Kartoffeln an.

2.
Die Dahnener hatten früher viele Verwandte auf der Luxemburger Seite der Our in Hosingen. Deshalb gingen immer ganze Gruppen zur Hosinger Kirmes. In einem Jahr hatte die Our Hochwasser. Auch die Brücke war nicht passierbar. Daher beschlossen die Dahnener ein paar Tage am Ufer auszuharren, bis das Hochwasser verflossen war. Als sie zur Hosinger Kirmes kamen, war diese vorbei.

3.
Als das Korn (Eifler Bezeichnung für Roggen) fast reif war, ging der Wind so stark, dass das Korn in Wellen wogte. Da bekamen die Bauern Angst, ihr Korn liefe davon. Da beschlossen die Dahnener, ihr Korn mit Knüppeln niederzuschlagen. damit es bleibe. Obwohl sie darum gebeten hatte, vergaßen sie das Feld einer alten Frau niederzuprügeln. Diese hatte später Körnerfrüchte, alle andern Bauern hatten keine.


Eulenspiegel-Briefmarken

Über die Luxemburger

Der südliche Teil des heutigen Kreises Bitburg kam erst 1815 von Luxemburg zu Preußen. Die Luxemburger entwickelten fortan eine etwas andere Lebensart als der preußische Teil der Eifel, was dazu führte, dass man sich schon mal gegenseitig mit kleinen Sticheleien traktierte.

1.
Der Herr Pfarrer hielt im Eifeldorf Katechismusunterricht. Es ging heute um die Jünger Jesu. Sehr ausführlich, ja anschaulich, war unter anderem der Verrat des Judas Ischariot, d. h. des Mannes aus Karioth, besprochen worden. Schließlich fragte der Herr Pfarrer, ob jemand wüsste, woher der Jünger war, der Jesus verraten hat. Der kleine Mätti meldete sich und gab dann die Antwort: "Der war Luxemburger!“ Der Pfarrer war etwas verdutzt und fragte zurück: "Wie kommst Du denn darauf?“ Mätti erwiderte: "Sie haben doch eben erzählt, dass Jesus beim letzten Abendmahl vorhergesagt hat: 'Einer von Eich wird mich verraten'". Zur Erklärung für die Orts- und Geschichtsunkundigen: Esch (auf Platt Eich) an der Alzette ist die zweitgrößte Stadt im Großherzogtum Luxemburg. [aufgeschnappt während meiner Volksschulzeit beim Lehrer Peter Faber aus Ferschweiler]

2.
Ein Luxemburger lag im Sterben. Da sagte er, dass er noch einen letzten Wunsch habe, den  man ihm erfüllen möchte. Was das denn sei, fragten die Angehörigen. Da erwiderte er. Man solle ihn auf die andere Seite der Sauer bringen. Wenn er dann stürbe, würde wenigstens ein Preiss verrecken. [erzählt in Niederweis]

3.
In Luxemburg waren die Steuern auch früher wesentlich niedriger als auf der deutschen Seite. Ein Grund war, dass Luxemburg geringere Militärausgaben hatte. Die mit dem strengen preußischen Kommandoton vertrauten Eifler fragten sich, wie das Exerzieren bei den Luxemburgern wohl ablaufen würde. Anstatt ‚Still gestanden!‘ hieß es dort wohl: ‚Schang, stih an d’Reih!‘. Zur Ausrüstung machte man sich auch Gedanken. Sie führten zu den folgenden Aussagen. (a) Die Luxemburger haben eine lederne Kanone. Warum? Weil sie um die Ecke schießen muss. (b) Alle Luxemburger brachten letztes Jahr ihre Schuhe nach Trier zum Flicken. Warum? Alle ihre Schuster waren an der Reparatur der Kanone beschäftigt. Die hatte nämlich einen Schuss abgefeuert.

4.
Die folgende Geschichte könnte sich auch auf Luxemburger beziehen. Als die Deutschen in Kiautschou waren, da waren auch zwei Bauernjungen aus dem Bekof (der Bidgau grenzt an Luxemburg) dabei. Nach einem Marsch ruhte sich die Kompanie auf einer Wiese aus. Da sagte der eine von beiden: ‚Schang, d’Sonn schengt schung sching‘. Der andere sagte darauf: ‚Jo, schung sching schent d’Sonn‘. Das hörte der Hauptmann und bemerkte: ‚Das sind ja Teufelskerle. Kaum sind sie vierzehn Tage hier und schon sprechen sie perfekt Chinesisch.

Peter Faber um 1950

Aus Speicher

So wie Neuerburg im Westen bildet Speicher einen Schwerpunkt im Osten des Kreises Bitburg. In Speicher gibt es seit der Römerzeit ein Töpfergewerbe. Über die Niederweiser Flur führte der Aulenweg (nach lt. olla = Steintopf). Auf ihm wurden Tonwaren aus Speicher in Richtung der Niederlande und Frankreichs transportiert. Der Hausierhandel war eine weitere Einnahmequelle für die Speicherer.

1.
Den Herforstern gefiel die Fastnacht so gut, dass sie gar nicht damit aufhören wollten. Schließlich schickten sie einige Leute nach Speicher, um nachzusehen, wie dort die Fastnacht verlief. Das ganze Dorf schien leer. Alle Menschen waren in der Kirche. Der Pfarrer trug ein verhülltes Kruzifix herum – es war nämlich Karfreitag. Da sind sie heimgegangen und haben erzählt, in Speicher sei auch noch Fastnacht. Der Pastor wäre mit dem Fosbock (Fastenbock) durch die Kirche gezogen. Zur Erklärung: Herforst liegt etwa 5 km östlich von Speicher.

2.
Die Speicherer betrieben stets Handel mit Frankreich. Das änderte sich nicht, als wir 1815 zu Preußen kamen. Im Krieg von 1870 hofften viele Speicherer, die Franzosen würden gewinnen. Der Pastor ließ einen Rosenkranz für ‚unsere‘ Truppen beten. Der Bürgermeister sprach den Pastor auf der Straße an: ‚Dieser Patriotismus der Speicherer hat mich wirklich überrascht. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass die Leute so inständig für den Sieg unserer Truppen beten‘. ‚Ja, ja‘, sagte der Pastor, ‚man versieht sich hinter niemandem mehr als hinter den Leuten‘. Und er schaute, dass er weiterkam. Der Bürgermeister hatte gemeint, die Leute beteten für die Preußen, die Speicherer aber hatten für die Franzosen gebetet.

3.
Als Columbus in Amerika landete, kamen ihm Leute aus Speicher entgegen, die ihm irdenes Geschirr anboten.

Sonstige Orte

Die folgenden Geschichten sind einem Ort außerhalb des Kreises Bitburg oder keinem bestimmten Ort zuzuordnen.

1.
In Wintersdorf führte die Sauer mal wieder Hochwasser. Ein Mann fuhr in einem Nachen, um noch irgendetwas zu retten. Da die Strömung stark war, kippte der Nachen um. Im Wasser treibend rief der Mann: ‚Liebe Muttergottes von Klausen, hilf mir!‘. Ein Freund lief am Ufer auf und ab und wusste nicht wie zu helfen. Schließlich schrie der: ‘Ruf doch nach der Muttergottes von Girst. Die ist näher‘. – ‚Nein‘, rief der andere zurück, ‚die kennt mich zu gut‘. Zur Erklärung: Klausen und Girst sind bekannte Marienwallfahrtsorte. Klausen liegt an der Mosel, flussabwärts von Trier. Girst auf der Luxemburger Seite der Sauer, direkt gegenüber von Wintersdorf.

2.
Ein Mädchen hatte zwei Freier, einen reichen Rothaarigen und einen etwas ärmeren, aber sehr angenehmen Burschen, Das Mädchen ging in die Kirche und fragte am Marien-Altar die Muttergottes: ‘Wen soll ich heiraten?‘ Darauf antwortete das Jesuskind, das Maria auf dem Arm trug, mit etwas gekünstelter Stimme: ‚Den Roten‘. Das Mädchen wurde misstrauisch, denn sie wusste, dass einer ihrer Freier gerade beim Küster aushalf. Sie sagte: ‚Liebes Jesulein, sei bitte nicht so vorlaut. Ich hatte Dich überhaupt nicht nach Deiner Meinung gefragt‘. Offensichtlich mochte sie den ärmeren Burschen mehr.

3.
Ein Bauer kommt in den Himmel. ‚Willkommen‘, sagt Petrus, ‚geh dahinten in die Ecke. Da gibt es noch mehr Bauern‘. Dann kommt ein Städter. Petrus ruft alle Engel zusammen. Sie sollen singen und tanzen. Da kommt der Bauer zurück und fragt, was das soll. Da sagt Petrus: ‚Bauern kommen hier jeden Tag mehrere an, Städter nur jedes Schaltjahr einer. Die müssen wir besonders schön empfangen‘. Da war der Bauer zufrieden.

4.
Ein Sohn der Eifel, der an einer fernen Universität studierte, brachte irgendwann einen Kommilitonen aus der Stadt mit zu Besuch auf den elterlichen Hof. Für den Städter waren viele Dinge, die herumstanden oder herumlagen unbekannt, so dass der Eifler Studiosus laufend Erklärungen geben musste. Offensichtlich hatte auch er das Problem, dass ihm nicht bei allem sofort der richtige Begriff aus dem Hochdeutschen einfiel. Vor allem neigte er aber bei seinen Erklärungen dazu, Formulierungen zu verwenden, die der damaligen Studentensprache angepasst waren und die den Kommilitonen etwas beeindrucken sollten. Als erstes fiel dem Besucher eine große Heugabel auf. "Das ist meines Vaters Heuladegerät!“ erklärte der Gastgeber. Bei einem Holzscheit, das in der Nähe des Ofens lag, gab er die Erläuterung: "Das, das ist meines Vaters Fidibus!“ Ein Fidibus in der Studentensprache war ein Papierstreifen oder Holzstäbchen zum Pfeifenanzünden. Da es offensichtlich Kartoffelerntezeit war, stand auch eine Hacke aus zwei Zinken irgendwo an eine Wand angelehnt. Der Besucher frug, was denn das sei. Der Gastgeber war jetzt ehrlich um einen entsprechenden Ausdruck aus dem Hochdeutschen verlegen und entschloss sich, dem Städter halt irgendwas vorzumachen. "Das ist meines Vaters Karstibus!" sagte er rasch. Unglücklicherweise trat er dabei mit einem Fuß auf die von der Wand wegzeigenden Zinken. Im gleichen Moment sauste der Stiel der Hacke nach vorne und schlug dem Eifler Studiosus mit Vehemenz gegen den Kopf. Ganz entsetzt entfuhren ihm darauf die Worte: "Dou dommen Kooscht!“ Die Moral dieser Geschichte: Wer seine Muttersprache verleugnet oder verballhornt, den trifft die Strafe auf der Stelle! [Diese Geschichte erzählte mir mein verstorbener Vater. Zender erzählt eine ähnliche Geschichte aus Prümzurlay].

Nachtrag am 3.10.2018

Eher den Charakter von Sagen als von Legenden haben die beiden folgenden Geschichten:

1.
Ein Junker ritt mit seinem Pferd auf der an einem Sumpf vorbeiführende Straße von Eisenach in Richtung Meckel. Vom scharfen Ritt ermüdet trabte es durstig auf die Wasserstelle zu. Der Edelmann war nicht gewillt sich zu beschmutzen und vom Pferd abzusteigen und ließ es, im Sattel sitzend, seinen Durst stillen. Als er die drohende Gefahr bemerkte, war es zu spät. Roß und Junker zog es immer tiefer und wurden nie mehr gesehen. Als Erinnerung an den Hochmut des Junkers erhielt die Flur den Namen Junkerwiese. (Erzählt von Werner Weber, Eisenach, mit der zusätzlichen wahren Geschichte: Mein Vater war mit unseren Kühen in der genannten Flur zum Viehweiden. Immer wieder zog es die Tiere zum Durst löschen an die Wasserstelle. Als nun eine Kuh "spielich" war [hochdeutsch: rinderte], nahm wohl eine Kuh den Namen "spiliesch" zu ernst und drückte eine andere Kuh ins Moor und diese wäre sicherlich ohne fremde Hilfe verendet. Mein Vater machte sich mit den restlichen Kühen auf den Heimweg. Als Retter schickte mein Großvater nun Männer mit Brettern und Leitern und sie befreiten die Kuh aus ihrer mieslichen Lage.)

2.
Vom Keller des Schlosses in Niederweis soll es eine unterirdische Verbindung zur Prümerburg  gegeben haben. Auf der Niederweise Seite sei der Eingang heute noch erkennbar. Er ist aber nach einigen Metern verschüttet. In früheren Zeiten sei das eine Fluchtmöglichkeit gewesen für den Fall, dass das Schloss belagert wurde. Auf der Prümzurlayer Seite gibt es mehrere Höhlen, die als Ausgänge in Frage kämen. Als Kind fragte ich immer, wie die Unterquerung des Flusslaufes der Nims gegen einbrechendes Wasser gesichert worden war. Da wussten die Erzähler keine Antwort. (Erzählt von alten Einwohnern von Niederweis) 

Referenzen

1. Zender, M.: Volksmärchen und Schwänke aus Eifel und Ardennen. Bonn 1984

2. Endres, A.: Rettete Erzählgut der Eifel vor Vergessenwerden: Zum Lebenswerk von Dr. Matthias Zender. In: Geschichten aus der Eifelheimat, Band 1, 2008, S. 111-115

3. Endres, A.: Der ‚geckige’ Baron und dessen Gelehrsamkeit: Über die ehemalige Bibliothek des Schlosses Niederweis. In Ibidem S. 102-110

Donnerstag, 20. September 2018

Eulenspiegel, ein Gaukler zwischen Mittelalter und Neuzeit – nacherzählt von de Coster, Kehlmann, u.a.

Till Eulenspiegel (ndl.: Tyll Uilenspiegel; niederdeutsch: Dil Ulenspiegel) ist eine bekannte Figur der deutschen und der niederländischen Erzähltradition und der verschrifteten Literatur. Er ist bereits im 14. Jahrhundert als umherstreifender Schalk nachgewiesen. Eine erste gedruckte Sammlung seiner Schwänke erschien 1510 in einem Straßburger Verlag. Er galt als gewitzt und verstand es, seine Mitmenschen zu verblüffen. Oft vertrat er anarchistische Positionen. Seine Masche bestand darin, Redewendungen wörtlich zu nehmen. Sein Name soll besagen, dass er als Eule der Weisheit seine Zeitgenossen in den Spiegel blicken ließ. Über seine tatsächlichen Lebensdaten besteht Unklarheit. Die Stadt Mölln zeigt den angeblichen Grabstein aus dem späten 14. Jahrhundert.

Alte belgische Bearbeitung des Stoffs

In den letzten Wochen las ich zwei voluminöse Bearbeitungen des Eulenspiegel-Stoffes, eine belgische sowie eine deutsche. Charles de Coster (1827-1879) war ein belgischer Schriftsteller. Sein Ulenspiegel gilt als belgisches Nationalepos. Es beschreibt den Freiheitskampf der Flamen gegen die spanische Unterdrückung und begründete die moderne französischsprachige Literatur Belgiens. Das Buch heißt Tyll Ulenspiegel und Lamm Goedzak. Legende von ihren heroischen/lustigen und ruhmreichen Abenteuern im Lande Flandern und anderen Orts. (Frz.: La légende et les aventures héroiques joyeuses et glorieuses d'Ulenspiegel et de Lamme Goedzak au pays des Flandres et ailleurs (1867, 416 Seiten). Das Original ist in einem altertümlichen Französisch verfasst.

Ulenspiegel ist hier Flame. Er ist geboren um 1530 in der Stadt Damme, unweit von Brügge. Sein Vater Claas war ein einfacher Arbeiter, ein Kohleträger, der durch seinen Bruder mit den Ideen der protestantischen Holländer in Berührung gekommen war. Er erbte von diesem Bruder eine größere Summe Bargeld. Das veranlasste einen neidischen Nachbarn, ihn wegen Irrglauben zu verklagen. Er wurde zum Tode durch Verbrennen verurteilt. Sein Sohn Tyll wanderte zunächst als Gaugler durch die Lande. Er kam bis nach München und Nürnberg. Seine Nachbarstochter Nele verehrte ihn, konnte ihn aber nicht für sich gewinnen.

Wieder zuhause, schloss er sich den Geusen an. Der Name ist aus dem französischen Wort für Bettler (frz.: geux) abgeleitet. So bezeichnete ein Höfling die Abgesandten protestantischer Gemeinden, die bei Margarethe von Parma (1522-1586), der Statthalterin der spanischen Niederlande, erschienen waren, um Freiheitsrechte einzufordern. Als der Herzog von Alba (1507-1582) im Jahre 1567 ihr Nachfolger wurde, war es vorher zu einem calvinistischen Bildersturm gegen die katholischen Kirchen gekommen. Alba erhielt vom spanischen König Philipp II. den Auftrag, die öffentliche Ordnung und die Vormachtstellung der katholischen Kirche wiederherzustellen. Er richtete in Brüssel ein Sondergericht ein, das Tausende von Ketzern des  Hochverrats beschuldigte und zum Tode verurteilte. Zwei der bekanntesten Opfer waren die Grafen Egmont und Hoorn, die auf dem Brüsseler Rathausplatz enthauptet wurden.

Wilhelm von Oranien (1533-1584), mit dem Beinamen der Schweiger, entzog sich 1572 der Bestrafung durch den Rückzug nach Norden. Zusammen mit Truppen aus seinem Stammlande Nassau-Dillenburg, verteidigte er die Provinzen Holland und Seeland. Nach mehreren blutigen Kämpfen, in denen Alba auch seine Residenzstadt Delft eroberte und zerstörte, kam es 1576 zur „Genter Pazifikation“, dem Zusammenschluss aller niederländischen Provinzen gegen die Spanier. Später zerfiel diese Union in einen nördlichen, protestantischen Teil, genannt die „Utrechter Union“, und einen südlichen, hauptsächlich katholischen Teil, die Union von Arras. Wilhelm wurde 1580 von Philipp II. geächtet und zog sich weiter nach Norden in Richtung Friesland zurück. Er wurde 1584 von einem katholischen Fanatiker ermordet.

Ulenspiegel und sein Freund Lamme Goedzak unterstützen den Kampf der Geusen, vorwiegend durch geheime Nachrichtenübermittlung und Aufwieglung. Als er gefangen worden war und hingerichtet werden sollte, fiel ihm Nele um den Hals und befreite ihn. Zum Schluss des Krieges erhielt Ulenspiegel als Kapitän das Kommando über ein Kriegsschiff. Lamme Goedzak wurde sein Koch. Erst der westfälische Friede von 1648 beendete den Krieg, teilte aber die spanischen Niederlande in zwei Teile. Flandern kam zu Belgien. Ulenspiegel und Nele lebten schließlich in ihrer Heimatstadt Damme. Als sie nach ihrem Tode in den Dünen beigesetzt wurden, verschwanden sie und wurden zu Geistern.

Hier zwei Stückchen aus dem de Coster-Buch. Beide betreffen Ulenspiegels frühe Wanderjahre. In Darmstadt möchte der Landgraf von Hessen gerne porträtiert werden. Tyll besteht darauf, dass möglichst viele Höflinge mit aufs Bild kommen. Nach 60 Tagen, während der er in Saus und Braus lebte, zeigte er feierlich das fertige Werk. Das könnten allerdings nur echte Adelige wirklich sehen, sagte er. Zu sehen war nichts. Alle außer dem Landgraf hielten den Mund. Der Landgraf jagte Tyll davon. In Nürnberg stellte er sich im dortigen Spital als Wunderheiler vor. Er würde es schaffen, innerhalb von nur 24 Stunden alle Patienten auf die Beine zu bringen. Den Patienten sagte er, dass er denjenigen, der am nächsten Tag noch im Bett liege, zu einem heilenden Pulver verbrennen würde. Am nächsten Tag verließen alle Kranken freiwillig das Spital. Tyll kassierte 200 Dukaten vom Betreiber des Spitals und zog davon.

Neue deutsche Bearbeitung des Stoffs

Daniel Kehlmann (*1975) ist einer der bekanntesten zeitgenössischen deutschen Schriftsteller. Er wurde in München geboren und lebt derzeit in New York. Sein Erstlingswerk Die Vermessung der Welt ist mit rund 2,3 Millionen allein im deutschsprachigen Raum verkauften Exemplaren Kehlmanns erfolgreichster Roman. Auf einer Liste der international bestverkauften Bücher des Jahres 2006 kam der Roman auf Platz zwei. Er erzählt die um zahlreiche Erfindungen angereicherten Lebensgeschichten der beiden Wissenschaftler Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß. Es ist ein Roman über die Entstehung der modernen Wissenschaft und über die Deutsche Klassik.

Das Buch Tyll (2017, 480 Seiten) ist sein jüngstes Werk. Er erzählt eine fiktive Lebensgeschichte Till Eulenspiegels. Unter anderem greift Kehlmann auf die zwei oben erwähnten Anekdoten zurück. Er bettet sie allerdings in einen anderen Zusammenhang ein. Die Handlung spielt rund 100 Jahre später als bei de Coster. Er konzentriert sich auf Schlüsselszenen und Personen des Dreißigjährigen Krieges.

Sein Ulenspiegel wird als Müllersohn Anfang des 17. Jahrhunderts in einem kleinen süddeutschen Dorf geboren. Sein Vater Claus stammt aus Mölln, hat auf seiner Wanderung in dieser Mühle als Knecht gearbeitet und die Müllertochter geheiratet. Nebenher beschäftigt  sich Claus mit naturwissenschaftlichen Fragen, vor allem aber mit der Heilkunst. Er kennt die einschlägigen Sprüche und alle magischen Zeichen. Unter anderem besitzt er ein Buch in Latein, das er nach einem Brand aus einem Trierer Pfarrhaus mitgenommen hatte. Es hat 765 Seiten.

Eine als Hexe angeklagte Frau gab an, dass der Müller sie verleitet habe. Darauf wurde dieser von zwei Jesuiten verhört. Als Hexer wurde er zum Tode verurteilt. Die beiden Jesuiten sind historisch bekannte Persönlichkeiten. Die Verhandlung führte ein Oswald Tesimond (1563-1636). Der stammte aus York und war mit der so genannten Pulververschwörung (engl.: gunpowder plot) in Verbindung gebracht worden. Die Verschwörung war am 5.11.1605 aufgedeckt worden. Neben dem Anführer Guy Fawkes wurden alle Beschuldigten außer Tesimond zum Tode verurteilt. Der Beisitzende und Protokollführer des Prozesses war der jugendliche Athanasius Kircher  (1602-1680). Der stammte aus der Gegend von Fulda und wurde später zu einem bekannten Gelehrten. Er beschäftige sich mit Geologie, Medizin und Mathematik und versuchte es, die altägyptischen Hieroglyphen zu übersetzen. Tesimond, der sich vorwiegend in Süditalien aufhielt, starb in Neapel. Kircher, der Jahrzehnte lang als Lehrer und Forscher an der päpstlichen Akademie (Gregoriana) wirkte, starb in Rom.

Der Sohn Tyll und die die Nachbarstochter Nele flohen aus ihrer Heimat und betätigten sich zunächst als Bänkelsänger und Seiltänzer. Alsbald gerieten sie in der Nähe von Augsburg an einen Gaugler, namens Pirmin, der sie äußerst grausam behandelte. Außerdem plagte der Hunger.

Irgendwie gelangte Ulenspiegel in den Dienst von Friedrich V. von der Pfalz (1596-1632) und seiner Frau Elisabeth Stuart (1596-1662), genannt Liz. Nach dem Verlust Böhmens, wo man ihn zum König gewählt hatte, und seiner Heimat der Pfalz mit dem Heidelberger Schloss lebte er im Exil in Den Haag. Als der Schwedenkönig Gustav Adolf auf dem Schlachtfeld erschien, machte er sich Hoffnungen, wieder seinen früheren Besitz und seine Ämter zurückzuerlangen. Durch Gustav Adolfs Tod 1632 bei Lützen zerschlugen sich alle Hoffnungen. Er selbst starb noch im gleichen Jahr. Seine Frau war eine Enkelin Maria Stuarts und Tochter Jakobs I. Sie hoffte vergebens auf die Unterstützung Englands für die protestantische Seite. Ulenspiegel schenkte Liz das oben erwähnte leere Bild mit der Bemerkung, dass unehelich geborene und Galgenvögel nichts sähen. Liz brachte damit die meisten der wenigen Besucher, die sie noch hatte, in Verlegenheit, ihren Gatten auch.

Ulenspiegels Gefährtin Nele nahm irgendwann das Angebot von Adam Olearius (1599-1671) an, dessen Frau zu werden. Olearius (auf Deutsch: Öhlschläger) hatte im Auftrage des Herzogs Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf Reisen durch Russland und Persien unternommen, die ich im Jahre 2014 in diesem Blog beschrieben habe. Nele erreichte ein hohes Alter und erlebte Kinder und Enkel. 

Bei der Belagerung von Brünn geriet Ulenspiegel in eine lebensbedrohliche Situation, als er als Tunnelbauer (Mineur) zur Abwehr gegen die Tunnelbauer der Belagerer eingesetzt wurde. Er wurde in einem Schacht zugeschüttet. Er entkam mit letzter Kraft. Gegen Ende des Krieges hielt sich Ulenspiegel im Kloster Andechs auf. Als der Kaiser ihn nach Wien holen ließ, wurde er Augenzeuge der Schlacht von Zusmarshausen bei Augsburg. Es war dies die letzte Schlacht des Dreißigjährigen Krieges. Sie war im Mai 1648. Bayern, Franzosen und Schweden kämpften vereint und bereiteten den Kaiserlichen eine Niederlage. Begleitet wurde Ulenspiegel von einem Gesandten des Kaisers, der sich Martin von Wolkenstein nannte. Er soll ein Nachfahre Oswald von Wolkensteins (1377-1445) gewesen sein, der als Minnesänger gilt. Später schickte der Kaiser ihn nach Osnabrück. Dort traf er einige der verhandelnden Diplomaten. Auch sah er Liz wieder, die ein letztes Angebot machte. Ihr Haus würde auf die böhmische Königskrone − die gar nicht erblich war − verzichten, wenn man ihm die Kurfürstenwürde wiedergeben würde. Man reagierte höflich, aber kühl. Sie bat Ulenspiegel mit nach England zu gehen, was dieser ablehnte.

Eulenspiegel in der Eifler Volkssage

Mir sind Eulenspiegel und seine Geschichten schon in frühester Jugend begegnet. Ich kenne einige Anekdoten, von denen ich nicht weiß, woher ich sie kenne. Eine Quelle, an die ich dachte, ist der Sammelband [1] eines bekannten Bonner Heimatforschers. Bei den acht Eulenspiegel-Erzählungen (Vertellchens), die das Buch enthalt, sind meine Geschichten nicht dabei. Mehrere Erzählungen verbinden sich mit dem Orten Dasburg und Dahnen nördlich von Prüm. Die Einwohner dieser beiden Dörfer genießen in der Eifel etwa den gleichen Ruf wie die berühmten Schildbürger, die Bürger der fiktiven Stadt Schilda. Eines Tages kam Eulenspiegel nach Dahnen. Er bat darum, einen Teil der Gemeindeflur beackern zu dürfen. Er würde die Hälfte des Ertrags an die Gemeinde abliefern. Die Dahnener stimmten freudig zu. Er pflanzte Weizen an. Als das Getreide reif war, schnitt er die obere Hälfte aller Halme ab. Den Dorfbewohnern überließ er den Rest. ‚Das müssen wir ändern‘, sagten die Dahnener. ‚Das nächste Jahr bekommen wir die obere Hälfte‘. Eulenspiegel stimmte zu und baute Kartoffeln an. 

Aus Neuerburg bei Bitburg erzählt Zender die folgende Geschichte. Es war Eselsmarkt. Die Bauern aus Vianden und Diekirch hatten eindeutig die fetteren Tiere. Die Eifler waren besorgt, dass sie für ihre mageren Tiere keine Gebote bekämen. Eulenspiegel beschloss, ihnen zu helfen. Er sah, dass im Nachbarhaus ein Kessel voll Schweinekartoffeln gekocht wurde. Er nahm diesen und band den Luxemburger Eseln je eine heiße Kartoffel unter den Schwanz. Daraufhin ergriffen diese das Weite. Den von auswärts angereisten Händlern blieb nichts weiter übrig, als die mageren Eifler Esel zu kaufen.

Nachtrag vom 23.9.2018

Außer von de Coster (1867) und Kehlmann (2017) gab es eine Reihe weiterer Bearbeitungen des Eulenspiegel-Stoffes durch andere bekannte Autoren. Erwähnt seien Hans Sachs (Mitte des 16. Jahrhundert, neubearbeitet von Georg Kellner 1908), Erich Kästner (1938) und Christa Wolf (1974). Einzelne Geschichten findet man heute sehr leicht im Internet. Beispiele sind Labbe, Kreudenstein, Projekt Gutenberg und Primolo. Mich selbst interessieren insbesondere alle Bearbeitungen mit Bezug zur Eifler Bevölkerung und dem Eifler Brauchtum. Eine ähnliche Rolle wie die Eulenspiegel-Stückchen, aber auf den Trierer Raum beschränkt, spielen die Erzählungen um den Fischers Maathes (1822-1879). Eine spezielle Kategorie bilden schließlich die Geschichten über die Luxemburger.

Referenz

1. Zender, M.: Volksmärchen und Schwänke aus Eifel und Ardennen. Bonn 1984

Dienstag, 4. September 2018

Gedächtnis des Menschen, echt leistungsstark, wohl eher nicht digital und ohne Algorithmen

Kaum ein Wissenschaftler hat mich so fasziniert mit seinen grundlegenden Erkenntnissen über unser Gedächtnis wie Eric Kandel (*1929). Er erhielt dafür mit Recht im Jahre 2000 den Nobelpreis für Medizin. Martin Korte (*1964) ist ein Neurobiologe an der TU Braunschweig und tritt in Eric Kandels Spuren. Sein Buch Wir sind Gedächtnis (2017, 277 S.) basiert auf dem neuesten Stand der Gedächtnisforschung. Es beschreibt eine Welt, in der Unmengen an Informationen gespeichert und verarbeitet werden. Die Repräsentation geschieht dabei eher nicht digital, sondern analog. Es ist dies zumindest der heutige Stand unseres Wissens. Die Verarbeitung erfolgt mal sequentiell, mal parallel, oft assoziativ. Es werden mächtige Fähigkeiten angeboten, ohne die zugrundeliegenden Algorithmen im Einzelnen anzugeben oder gar zu kennen. Die Leistungsfähigkeit dieses Organs ist außergewöhnlich. Vergleiche mit digitalen Maschinen und Medien drängen sich mir auf. Das ist eine Folge meiner beruflichen Voreingenommenheit und Einseitigkeit als Informatiker.

Struktur und Leistung des Gedächtnisses

Es ist der Inhalt des Gedächtnisses, der unsere Persönlichkeit prägt. Er ist weit mehr bestimmend als die genetische Veranlagung. Auch unsere Wahrnehmung als eigene und ein Leben lang existierende Person, d.h. unser Ich-Gefühl, beruht auf dem Gedächtnis. Man nennt diesen Teil unser autobiografisches Gedächtnis. Es markiert bestimmte Episoden als selbsterlebt. Dies geschieht dadurch, dass wir Episoden immer mit Gefühlen zusammen abspeichern, die wir im Moment des Erlebens hatten. Dabei gehen die ersten drei Jahre des Lebens verloren (kindliche Amnesie). Vergangenheit gibt es nur im Gedächtnis oder weil es ein Gedächtnis gibt.

Den Speicherungsvorgang nennen wir Lernen, die Abruffunktion heißt Erinnern. Für jedes Speichern läuft ein Prozess ab, der mehrere Teile des Gehirns involviert. Von einem Speicherort (oder einer Speicherzelle) zu reden, ist nicht sinnvoll. Jede Speicherung verändert das Gehirn gleichzeitig an verschiedenen Stellen. Auch jeder Abruf von Gespeichertem verändert das Gehirn an mehreren Stellen(!).


Hierarchie nach Speicherdauer

Im zeitlichen Verlauf der Speicherung unterscheidet man drei Stufen einer Hierarchie. Die Sinne (Augen, Ohren, Nase) speichern zuerst lokal, ehe die Information ins Gehirn gelangt. Wir nehmen nur einen Teil der Signale wahr, die uns erreichen, z. B. keinen Ultraschall. Pro Sekunde erreichen uns rund 400.000 Signale.

Im Gehirn unterscheidet man zwischen einer Kurzzeitspeicherung in einer Art von Arbeitsspeicher und der Langzeitspeicherung im Nervensystem. Der Arbeitsspeicher, meist Kurzzeitgedächtnis (KZG) genannt, ist sowohl was seinen Umfang betrifft wie auch bezüglich der Speicherdauer begrenzt. Lernen bedeutet Überführung ins Langzeitgedächtnis (LZG). Das LZG gilt als praktisch unbegrenzt. Seine Kapazität liegt vermutlich im Bereich von Petabytes (10 hoch 15 Bytes). Die Maßeinheit Byte ist hier zwar unzutreffend, da die Speicherung nicht in Bits oder Bytes erfolgt. Bei der Art der gespeicherten Objekte unterscheidet man zwischen Fakten, Ereignissen (Episoden) und Prozeduren. Es wird angenommen, dass es für jeden Typ ein anderes Speicherverfahren gibt.

Das Faktenwissen ist explizites Wissen. Die Überführung vom KZG ins LZG erfolgt durch Wiederholung. Der Inhalt des prozeduralen Gedächtnisses ist uns größtenteils unbewusst, es wird gelernt und ist damit weg aus dem Bewusstsein. Es ist zur Gewohnheit geworden. Als implizites Wissen ist es der Sprache nicht zugänglich; anders als Faktenwissen. Zu den im prozeduralen Gedächtnis abgespeicherten Fertigkeiten  gehören vor allem motorische Abläufe (Fahrradfahren, Schwimmen, Tanzen, Skifahren).

Das Erinnern besteht in der Rekonstruktion des explizit Gespeicherten, verbunden mit seiner Überführung ins Bewusstsein. Das Suchen erfolgt assoziativ anhand weniger inhaltlicher Eckpunkte. Da die Fragmente eines Wissensbegriffs oder einer Episode immer in verschiedenen Gehirnzonen abgelegt sind, werden sie beim Erinnern wieder zusammengefügt. Was dabei herangezogen wird, d. h. an welchen Teilaspekt wir uns erinnern, hängt von den Hinweisen ab, die beim Suchen mit dem Gespeicherten übereinstimmen. Das können auch Geräusche oder Gerüche sein. Unser Erinnerungsvermögen ist sehr beschränkt. So wurde in einem Experiment nachgewiesen, dass Experten eines Fachgebiets sich zwei Wochen nach einer Fachtagung gerade noch an 8% des Gesagten erinnern, davon war die Hälfte falsch.

Zuordnung von Funktionen zu Organismen

Die Mediziner versuchen seit Generationen die Funktionen des Gehirns und des Gedächtnisses bestimmten anatomischen Bauelementen und Strukturen zuzuordnen. Eine große Hilfe lieferten dabei in der Vergangenheit – ungewollt − Erkrankte oder Verletzte. Sehr bekannt wurde auf diese Weise der Arzt Paul Broca (1824-1880). Er entdeckte das Sprachzentrum des Gehirns, das heute als Broca-Areal bekannt ist Es liegt in der dritten Gehirnwindung des Frontallappens der linken Gehirnhälfte. Außerdem beschrieb er 1878 erstmals den Teil des Gehirns, der heute als limbisches System bezeichnet wird.


Gesamtansicht des Gehirns

Als Schwerpunkt oder Hauptsitz unseres Gedächtnisses gilt die Hirnrinde (Cortex). Das wird offensichtlich durch den Vergleich mit Lebewesen, die evolutionär älter sind als der Mensch (z. Bsp. Fische, Reptilien). Fähigkeiten, die zur Routine geworden sind, werden offensichtlich von der Gehirnrinde weg zu den Basalganglien verlagert. Sie bilden dort Chunks, d.h. zusammenhängende Klumpen. Die Basalganglien liegen unterhalb der Großhirnrinde. Sie sind für wichtige Regelungen von großer Bedeutung, beispielsweise für Spontaneität, Affekt, Initiative, Willenskraft, Antrieb, schrittweises Planen, sowie vorweggenommenes Denken und Erwartungen.


Limbisches System

Auch andere Regionen spielen eine signifikante Rolle. So steuert die Amygdala (auch Mandelkern genannt) die Gefühle. Der Hippocampus (deutsch Seepferdchen) ordnet Ereignisse im Raum. Der Hippocampus bestimmt, was wichtig ist fürs Überleben. Fällt der Hippocampus aus, so findet keine neue Langzeitspeicherung statt; altes Wissen bleibt jedoch erhalten. Der Praecuneus, ein Teil des hinteren Hirnlappens, verbindet Vergangenheit mit Zukunft. Bei seinem Ausfall sind keine zielgerichteten Bewegungen mehr möglich. Er arbeitet beim Lernen mit dem Hippocampus zusammen.


Einzelne Nervenzelle (Neuron)

Die eigentliche Informationsspeicherung bewirkt immer eine Veränderung der Kontaktstellen von Synapsen. Synapsen können verstärkt, geschwächt, vermehrt oder abgebaut werden. An jedem Speicherungsvorgang sind Gruppen von Synapsen beteiligt. Es können dies bis zu 10.000 sein. Beim Speichern werden neue Moleküle gebildet. Nicht die Moleküle speichern Information, sondern die von ihnen gebildeten neuen Netze. Bei Bedarf wachsen auch zusätzliche Neuronen nach, aber selten. Man spricht daher auch von der neuronalen Plastizität des Gehirns.

Die fundamentale Erkenntnis, zu der Eric Kandel gelangte, war, dass alle Lebewesen, die lernen können, dazu dieselben chemischen Bausteine und Verfahren benutzen. Das gilt für die Meeresschnecke Aplysia mit gerade 20.000 Neuronen bis zum Menschen mit 10 hoch 11 Neuronen.


Nervenbahnen im Gehirn

Gerüche spielen für das Gedächtnis eine interessante Sonderrolle. Die Geruchsnerven gehen von der Nase direkt zur Gehirnrinde. Sie gehen am Thalamus vorbei. Es lässt sich ein bestimmter Duft mit dem Inhalt des deklarativen Gedächtnisses assoziieren – und das über Jahrzehnte hinweg.

Die Vorstellung des Gedächtnisses, die Korte suggeriert, ist die eines Fußballfeld großen Teppichs von Leuchtdioden (LEDs). Diese leuchten in Spuren auf und ändern sich laufend. Neue LEDs können jederzeit an beliebigen Stellen des Teppichs eingefügt werden, sobald neues Wissen untergebracht wird. Es wundert daher nicht, dass das Gehirn  20% der Energie verbraucht, die der Körper des Menschen aufnimmt.

Über Schlafen und Träumen

So wie der Mensch, so verbringen alle höheren Lebewesen fast die Hälfte ihres Lebens im Schlaf. Er dient – so glaubt die Wissenschaft heute – primär dem Hausputz im Gehirn. Es werden neue Assoziationen geknüpft und bestehende verstärkt. Es erfolgt eine Umspeicherung vom Hippocampus in die Hirnrinde.

Typisch ist, dass der Schlaf einer Nacht in 4-5 REM-Phasen (engl. rapid eye movement) aufgeteilt ist; dazwischen findet Tiefschlaf statt. Es ist wichtig, seinen Schlafrhythmus beizubehalten. Wer durchschlafen kann, vergisst weniger. Schlafentzug kann zur Amnesie führen. Im Schlaf durchlaufen wir die Tagesereignisse im  Schnellverfahren. Das kann zu verbesserten Leistungen am Folgetag führen, etwa bei einem Musiker. Damit verwandt, jedoch nicht gleichzusetzen, sind Träume. Träume sind Nachbilder oder Schattenbilder von Erlebtem. Sie können sich auf lange zurückliegende Ereignisse beziehen oder auf die vergangenen Tage. Diese Ereignisse werden von Gefühlen bewertet und verzerrt.

Kreative und Experten

Kreativität wird oft als Leistung angesehen, die unabhängig vom Gelernten, also vom Gedächtnis ist. Von einem kreativen Menschen werden unkonventionelle Lösungen erwartetet. Sie müssen jedoch neu und nützlich sein. Dazu bedarf es Expertenwissen. Kindern fehlt meist das Wissen, um kreativ zu sein. Erwachsenen fehlt oft der Mut und die Phantasie. Kreative Persönlichkeiten gelten oft als komplex. Sie müssen konvergentes Denken besser beherrschen als der Normalbürger.

Ein Experte strukturiert sein Weltwissen anders als ein Laie. Gute Schachspieler haben ein besonderes Gedächtnis für Spielsituationen. Räumliche Vorstellungen und Kreativität werden meist der rechten Gehirnhälfte zugeordnet, das Sprachvermögen der linken (bei Linkshändern umgekehrt).

Beeinflussung der Gedächtnisfunktion

Als chemischer Ansatz zur Steigerung der Gedächtnisleistung gilt die Einnahme von Dopamin. Es wird als ‚Mutter der Innovation‘ vermarktet. Viele der anderen Mittel, die empfohlen werden, fördern lediglich die Durchblutung. Nach Korte bewirken sie weniger als Kaffee und Tee.

Korte erinnert daran, dass bereits die antiken Griechen (Simonides) wussten, dass man lange Gedichte oder Vorträge besonders gut memorieren kann, indem man einzelne Strophen oder Abschnitte bekannten Örtlichkeiten zuweist. Etwa Strophe 1 = Tür, Strophe  2 = Treppe, Strophe 3 = Wohnzimmer, usw. Heute wissen wir, dass so der Hippocampus involviert wird.

Korte diskutiert – allerdings nur am Rande – den Einfluss neuer Techniken und neuer Werkzeuge auf das Gedächtnis. Wir verlernen Fähigkeiten, also Inhalte, die nicht mehr benötigt werden. So verdrängen Taschenrechner das Kopfrechen. Ein Navi reduziert die Fähigkeit, sich in der Landschaft oder in einer Stadt zu orientieren. Das Wissen, wo etwas im Internet zu finden ist, tritt an die Stelle von Faktenwissen. Wo ich Korte nicht folgen kann, ist bei seiner Aussage, dass ein papierbasiertes Gedächtnis besser sei als ein elektronisches, da es unveränderbar bleibe. Er übersieht einfach die vielen Vorteile, die sich ergeben – ob bewusst oder unbewusst, das weiß ich nicht.

Gewolltes und krankhaftes Vergessen

Bei Personen, die unter post-traumatischen Belastungen leiden, wie Katastrophenopfer, Retter und Soldaten, kann ein gewolltes Vergessen hilfreich sein. Hier können gezielte Übungen Abhilfe schaffen.

Der graduelle Verlust des Gedächtnisses (Amnesie) durch Alzheimer ist eine Krankheit, die derzeit sehr viel Aufmerksamkeit erfährt. Mit ihr verbunden ist die Angst zu vergessen, wer man ist.

Alzheimer-Diagnose mittels PET und MRT

Alzheimer ist heute verantwortlich für 70% aller Demenzerkrankungen. Insgesamt gibt es zurzeit 1,6 Millionen Demenzfälle in Deutschland, mit steigender Tendenz. Es sollen 30% aller über 85 Jahre alten Menschen von Alzheimer-Demenz befallen sein. Sie kann wesentlich früher ausbrechen. Die gute Nachricht ist, dass dabei geistig aktive Menschen und Musiker weitgehend verschont bleiben.

Die Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT) erlaubt es heute das lebende Gehirn bei der Arbeit zu beobachten. Dabei werden Wasserstoff-Atome mithilfe eines starken Magneten angeregt und richten sich unter einem externen Magnetfeld geordnet aus. Dabei senden die Atomkerne spezielle Signale aus, die während der Untersuchung gemessen und dann vom Computer zu Schnittbildern zusammengesetzt werden. Die Erregungsimpulse sind für den Patienten als Klopfen hörbar. Bei der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) wird eine schwach radioaktiv markierte Substanz im Organismus sichtbar gemacht.