Unser Grundgesetz (GG) spricht im Artikel 4
das Verhältnis von Staat und Religion mit einigen lapidaren Sätzen an. Hier der
Wortlaut:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des
Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses
sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
In den letzten Tagen hatte ich einige
Diskussionen mit mehreren Blog-Freunden zu diesem Themenkreis. Ausgelöst wurden
sie durch ein Erlebnis meines Darmstädter Kollegen Hartmut Wedekind mit
syrischen Flüchtlingen, die er betreut.
Gescheiterte Kontaktpflege
Hartmut Wedekind schrieb am 5.5.2016
Die beiden Syrer M. und H. gehen nicht
mehr mit mir arabisch essen, weil ich, an ihrem Tisch sitzend, Alkohol trinke
(ein Bier zum Durstlöschen und ein Glas Wein zum Essen, dann schmeckt es
besser). Meine Unterhaltung über Mathematik ist damit beendet. Ich habe ihnen
zwei Lehrbücher über Mathematik und
einen Laptop für € 200,-- hinterlassen.
Der Leiter der
Flüchtlingsunterkunft S., dem ich
schrieb, gebürtiger Türke und promoviert über Hanna Arendt, ist auch verwirrt. Er
hat nur achselzuckend geantwortet. Der Gastwirt K. ist gebürtiger Jordanier, seit 30 Jahren in
Deutschland und stolz , ein deutscher Gastwirt zu sein. Er fährt als Tourist
nach Amman, Hausbesitzer am Woog, ein vornehmes Viertel. Er hat die beiden
mehrfach auf Arabisch ins Gebet genommen, sehr deutlich, wie er mir dann sagte.
Ohne Wirkung, offensichtlich. Frömmigkeit geht bei denen vor! Ich komme mir vor
wie die Lehrerin, der ihr kleiner muslimischer Schüler nicht die Hand reicht, weil sie eine Frau ist. Mit Blick auf
Frau Merkel: Diese Edukationsaufgabe (der Ausdruck „Integration“ ist, wie
vieles an der Regierung, fundamental falsch) ist nicht zu leisten. So etwas
darf überhaupt nicht passieren. Kategorisch nicht! Ich will mich mit den angehenden Jungingenieuren über Mathematik
unterhalten und nicht versuchen, ihnen
ihren mittelalterlichen Islam auszutreiben. Ist das klar, Frau Merkel!!! Das
kann Frau Merkel dann ja machen. Und die kann es auch nicht. Die tut bloß so.
Das nennt man Angeberei oder Hochstapelei. „Imposter“ sagt man auf Englisch. Da
steckt das Wort „imponieren“ drin. „imponere to deceive“ sagt der Webster.
Ich bin über unsere Regierung, die so
etwas anrichtet, entsetzt. Die da oben scheinen ahnungslos zu sein. M. und H.
sind immerhin Akademiker (4 Semester TU Aleppo), haben also eine gewisse
Bildung, haben schon mal was über Differential und Integral gehört (Mathematik von Newton und Leibniz, Kinder
der westlichen Aufklärung). Ihre islamische „Frömmigkeit“ verdirbt alles.
Unerziehbar. Uneducationable!! Die
fahren am besten, sobald es geht, wieder nach Hause. Der Deutschkurs ist bei denen für die Katz,
bei der Einstellung. Bei denen ist Hopfen und Malz verloren. Es bleibt nur
Hartz IV, „as long as we can pay it“. Wenn nicht mehr, wird die Lage explosiv.
Das weiß aber jedes Kind. Dazu muss man nicht Kanzler werden.
Ich versuchte die entstandene Situation als
Folge der Borniertheit zweier Jugendlicher herabzuspielen. ‘Sie können das
Mittelalter in den Köpfen nicht in ein paar Wochen entfernen. Das müssen die
Leute selber tun.‘ schrieb ich. Ich konnte nicht überzeugen.
Nicht Einzelfall sondern
Verfassungsprinzip
Am 7.5.2016 schrieb Hartmut Wedekind:
Seitdem mir das mit meinen Syrern
passiert ist, die mir implizit ein Alkoholverbot an ihrem Tisch verhängen
wollten, hab ich über unsere einseitige
Religionsfreiheit in der Verfassung nachgedacht. Die ist naiv und wird als
unsere Schwäche gedeutet. Der Islam, so denken die Muslime, ist besser als
dieses Weichei-Christentum. Die Religion
eines „warlord“ versteht auch kaum die Religion eines armen Wanderpredigers, der die Feindesliebe
predigte und ans Kreuz geschlagen wurde.
Ich plädiere nach meinem Erlebnis, für eine Religionsfreiheit auf Gegenseitigkeit. Wenn hier Religionsfreiheit mit Moscheen gewährt wird, dann aber auch dort bitte ein Christentum mit Kirchen. Ich glaube, die Kirchen machen da mit. Es muss einen schwarze Liste mit Staaten geführt werden, die eine Religionsfreiheit den Christen versagen oder einschränken. Nach dem Prinzip „ So wie mir, so ich dir“. Ich glaube, das wird verstanden. Was wir da treiben ist aufklärerisch abstrakt und für die völlig unverständlich. Politik ist Religion und Religion ist Politik bei voraufklärerischen Menschen. Oder man bringt denen die Aufklärung bei. Ein Ding, das kaum zu schaffen ist. Wenn uns unsere Verfassung bei der Verteidigung derselben im Wege steht, dann ist das eine verdammt schlechte Verfassung, die verbessert werden müsste.
Verfassungsdiskussion
Am gleichen Tag schrieb ich:
Ich verstehe Ihren Ärger. Sie sollten
aber die berühmte Kirche im Dorf lassen. Man muss wegen der Borniertheit zweier
Jugendlicher nicht gleich unsere Verfassung ändern. Vorher sollte man wegen der
vielen Raser die STVO ändern.
Hartmut Wedekind antwortete:
Es geht in Verfassungen ums Prinzip,
nicht um Einzelfälle. "Wie Du mir so ich Dir" . Schön und
diskussionswert ist, was Dorrit Schindewolf in ihrem Buch ‚Was bedeutet Aufklärung für uns‘ dazu schreibt.
Am 8.7.2016 schrieb ich:
Nachdem ich mir innerlich 2,99 Euro
abgerungen hatte, las ich die ganzen 70 Seiten von Dorrit Schindewolf auf einen
Schlag. Sie sagt Einiges, was auch Ihre Probleme mit jungen Syrern berührt. Bei
Kindern (und Religiösen) ist wahr, was die Mutter (oder die Kirche) sagt.
‚Wörtliche‘ Wahrheit heißt das. Selbst antiautoritär erzogene Kinder, sehnen
sich nach Leitung. Autonomie des Denkens muss erlernt werden. Wenn sich
Erwachsene von der Außenwelt abschließen, also das Erlernen von Neuem
vermeiden, ist das eine Form der Wiederverkindlichung.
Am gleichen Tag schrieb Hartmut
Wedekind:
Es geht doch bloß in einer Diskussion,
meinetwegen auch mit Verfassungsrechtlern, um die Verwandtschaft von: (1)
"Wie Du mir , so ich Dir.", (2) Die goldene Regel : "Was Du
nicht willst, dass man Dir tut, das füge auch keinem anderen zu", (3) Und
dann natürlich, hoch-aufklärerisch, der akademische Kant mit seinem
kategorischen Imperativ: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du
zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde".
Ob Verfassungsrechtler, die zum Teil aus
dem politischen Dschungel proporzmäßig nominiert werden, in philosophischer
Qualität darüber reden können, glaubt eigentlich niemand. Insofern ist die
Frage nach einer nicht-naiven Religionsfreiheit in der Verfassung eigentlich
müßig. Da haben Sie Recht.
Aber nach der Lage der Dinge ist es eigentlich
zwingend. Auch in aufklärerischer Sicht, haben Sie Unrecht. Die aufklärerische
Sicht ist auch immer eine pädagogische: Man will den Menschen etwas beibringen.
Das tut man nicht mit hehren Worten. Pädagogik ("Kindeslehre") und damit
Bildung ist ein Zentralfach seit der Aufklärung vor über 200 Jahren. Das weiß
ein Verfassungsrechtler offensichtlich nicht. Was die eigentlich wissen, weiß
ich nicht. Das ist mein Problem.
Am 9.5.2016 schrieb ich:
Nicht jeder, der sagt, ich tue dies,
weil es eine Religion gibt, die es erlaubt oder fordert, ist immun. Der
Begriff, was eine Religion im Sinne des Artikel 4 GG (siehe oben) ist, muss
präzisiert werden.
Am gleichen Tag schrieb Peter Hiemann
aus Grasse:
Es gibt wohl keine Verfassung, die
verhindern kann, dass 'weltanschauliche' Konflikte entstehen und ausgefochten
werden müssen, zumal in einer demokratisch orientierten Gesellschaft. Das
Prinzip "was eine Religion im Sinne des GG ist, muss präzisiert
werden" kann ich nicht nachvollziehen, zumal einige islam-orientierte
Staaten dieses Prinzip in ihrer Verfassung etabliert haben und verfolgen.
Die Trennung zwischen Religion und Staat
bezeichnet religionsverfassungsrechtliche bzw. staatskirchenrechtliche Modelle,
in denen Staat und Kirchen sowie andere Religionsgemeinschaften kraft
staatlicher Gesetze organisatorisch getrennt sind, also nicht wie in
Staatskirchentum oder Theokratie verbunden. Diese Trennungsmodelle können
unterschiedlich ausgeprägt sein. Sie reichen vom restriktiven Verbot der Religionsausübung
im öffentlichen Raum über die besonders strikte Trennung zwischen Religion und
Staat in öffentlichen Schulen und sonstigen Körperschaften des Staates bis hin
zu verschiedenen Kooperationsformen, in denen eine Trennung der Aufgaben- und Durchführungsbereiche prinzipiell
aufrechterhalten bleibt. (Wikipedia)
Die deutsche Verfassung kennt keine
strikte Trennung von religiösen Institutionen und Staat, wie zum Beispiel in
Frankreich. In einigen Staaten sind unterschiedliche islamische
Glaubensgrundsätze Staatsreligion und vielleicht mit ein Grund für kriegerische
Auseinandersetzungen, von denen jetzt sogar europäische Staaten betroffen sind
(zumindest hinsichtlich Argumenten für deren Rechtfertigung oder Verurteilung).
Nachtrag vom 10.5.2016
Mein Vorschlag, im GG den Begriff Religion zu präzisieren, ist vielleicht ein ungeeigneter Weg, um die Versprechen des Artikels 4 weniger naiv erscheinen zu lassen. Vermutlich können Verfassungsrichter den Artikel 5, Absatz 3, analog anwenden. Dort heißt es: 'Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung'.
Nachtrag vom 10.5.2016
Mein Vorschlag, im GG den Begriff Religion zu präzisieren, ist vielleicht ein ungeeigneter Weg, um die Versprechen des Artikels 4 weniger naiv erscheinen zu lassen. Vermutlich können Verfassungsrichter den Artikel 5, Absatz 3, analog anwenden. Dort heißt es: 'Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung'.
Man muss dann nur argumentativ
begründen, dass Religionslehre unter Lehre fällt. Dass Theologen sich dagegen
sträuben werden, ist klar. Sie sehen ja ihre Tätigkeit lieber als das Verkünden
einer Offenbarung als einer Lehrmeinung an. Laut GG sind wir keine Theokratie,
wie das heute einige islamische Staaten von sich sagen. Über unserem GG steht
nur internationales Recht. So sieht es zumindest der Rechtspositivismus.
Göttliches Recht, Kirchenrecht oder Naturrecht sind außen vor. Sie können nicht vor zivilen Gerichten eingeklagt werden.
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