Nach einigen fachlichen und politischen Beiträgen möchte ich wieder das Thema Heimatkunde aufgreifen. Dieses Mal erzähle ich auch Begebenheiten aus meiner Jugendzeit. Mein Heimatdorf Niederweis liegt etwa auf halbem Wege zwischen Bitburg und Echternach. Vor Beginn des Zweiten Weltkrieges waren meine Eltern und ihre Dorfnachbarn stärker nach Echternach als nach Bitburg ausgerichtet. Jetzt findet gerade eine Art von Rückorientierung statt.
Geschichtliches aus Altertum, Mittelalter und
Neuzeit
Die
Südeifel und der Trierer Raum sind überreich an Hinterlassenschaften der gallo-romanischen
Zeit. Trier war bekanntlich kurz
vor Beginn der Völkerwanderung neben Rom und Konstantinopel eine der
Hauptstädte des Römischen Reiches. Wie bei Ausonius (310-394) in seiner
Schrift Mosella nachzulesen, waren
damals die Seitentäler der Mosel von einer Vielzahl von Villen übersät. Das
Kastell Beda, das heutige Bitburg, war ein Etappenstützpunkt an der Straße, die
Trier mit Köln verband. Echternach, das damals auch als
Beda (vielleicht als Stadtteil Bitburgs) bezeichnet wurde, besaß eine sehr
mondäne römische Villa. Zumindest aus Bitburg gibt es in Stein gehauene Texte, die
über Einwohner und Ereignisse berichten. Auch das Christentum hatte bereits Fuß
gefasst.
Heutige Südeifel mit
Bitburger Gutland (Quelle: Wikipedia)
Die Besiedlung der Südeifel durch die Franken (was oft auch als fränkische Landnahme bezeichnet wird) erfolgte ab 496 im Anschluss an die Schlacht von Zülpich, nachdem die
Konkurrenz der Alemannen zurückgedrängt worden war. Es war dies die Zeit der
Merowinger. Eine Trierer Adelige (Irmina von Oeren) aus
dem Geschlecht der Merowinger, schenkte ihre in Echternach gelegene Villa an
den angelsächsischen Missionar Willibrord, der hier 698 ein Kloster gründete,
in dem er auch begraben liegt. Aus der späteren Reichsabtei Echternach gingen im
Hochmittelalter einige der bekanntesten Werke der Buchmalerei hervor. Das
Kastell Bitburg verfiel, da die
bäuerlich tätigen Franken das Umland bevorzugten. Nach dem Tode Karls des
Großen kam es 843 zur ersten Reichsteilung der Karolinger (Vertrag von Verdun). Karls Enkel Lothar
erhielt den mittleren Teil, Lotharingen genannt. Er selbst zog sich kurz vor
seinem Tode in das Kloster Prüm zurück, wo er begraben wurde.
Das Bistum Trier erstreckte sich
damals von Montabaur (im Westerwald) bis nach Arlon (heute in Belgien).
Kurfürst Balduin aus dem Hause Luxemburg sorgte als Trierer
Bischof nicht nur dafür, dass seine Familienmitglieder zu deutschen Königen und
römischen Kaisern gewählt wurden, er hinterließ auch viele lokale Spuren. Die
Verbundenheit der Luxemburger Herrscher mit dem französischen König führte
dazu, dass nicht nur Johann der Blinde sein Leben 1346 in der Schlacht von Crécy (im Hundertjährigen
Krieg gegen England) verlor, sondern auch viele seiner Gefolgsleute. Nach
anfänglichem Bedauern über den Verlust der burgundischen Sonderrolle in Europa
fand man sich schließlich mit der Zugehörigkeit zum Habsburgerreich ab. Das
Jahrhundert von 1697 (nach dem Frieden von Rijswijk) bis 1794, vor allem
die Zeit der Kaiserin Maria Theresia (1740-1780), brachte Frieden und
Wohlstand. Als Folge davon gilt die Doppeladlerzeit als die ‚gute alte Zeit‘.
Ab 1794
begann die Franzosenzeit. Sie endete als Napoléon von Russen und Preußen (unter
Gerhard Leberecht von Blücher) 1814 aus Deutschland vertrieben wurde. Das
Herzogtum Luxemburg (mit Echternach) wurde unabhängig, der Kreis Bitburg wurde
Teil der Preußischen Rheinprovinz. Schon sehr früh machten sich Stimmen laut,
die eine Verselbstständigung (‚Entpreußung‘) der Rheinprovinz innerhalb des
Deutschen Bundes bzw. des Deutschen Reiches forderten. Erst nach dem Zweiten
Weltkrieg wurde sie vollzogen, allerdings zwischen den englischen und französischen Besatzungsmächten
aufgeteilt.
Nazizeit
und Zweiter Weltkrieg
Die
Familienbande, die beiderseits der Sauer bestanden, kamen während der Nazizeit
in Verruf. Kirmesbesuche fielen als Erstes weg. Nur die Besuche bei
Sterbefällen hielten weiter an. Händler-, Anwalts- und vor allem Arztbesuche
nahmen nur langsam ab. Die Sendemasten in Junglinster von Radio Luxemburg waren
nicht nur gut sichtbar, ihre Ausstrahlungen wurden auch empfangen. Dies geschah
anfangs noch öffentlich, später nur heimlich. Gleich zu Beginn des Westfeldzuges, also im Mai 1940, wurde
die Grenze von der deutschen Wehrmacht überschritten und das ‚Ländchen‘ (wie
das Großherzogtum in der Volkssprache auch heute noch heißt) überrannt.
Während
des Krieges wurden Luxemburger Bürger zur deutschen Wehrmacht eingezogen. Wer
immer sich widersetzte oder in anderer Form Widerstand leistete, wurde
verhaftet. Die meisten von ihnen wurden in das KZ Hinzert auf dem Hunsrück gebracht.
Nur ein Teil überlebte. Von den vergeblichen Versuchen der Nazis, die Sympathie
der Luxemburger zu gewinnen, um aus ihnen wieder ‚gute‘ Deutsche zu machen,
habe ich erst nach dem Kriege erfahren. Damals wurde der Satz ‚Mir wölle bleiwe
wat mir sin‘ immer wieder zitiert, und zwar mit dem Nachsatz ‚un ach kä Preise
gien‘ (auf Hochdeutsch ‚und auch keine Preußen werden‘). Bezüglich der
Ereignisse in den Jahren 1944 und 1945 zitiere ich einen früheren Bericht [1].
Im Juli
1944 landeten die Alliierten an der französischen Atlantikküste. Bis September
hatten sie die deutsch-luxemburgische Grenze erreicht. Das waren keine 10 km
von meinem Heimatdorf. Hier legten sie eine Pause ein, um den Nachschub
aufzubauen. Deutsche Truppen waren wieder da, teilweise allerdings in ziemlich
desolater Verfassung. Bereits im August wurde unser Gymnasium geschlossen. Für
die nächsten sechs Monate lebten wir in der Frontzone eines Stellungskrieges.
Auf den Höhen hinter Echternach, bei Osweiler und Berdorf, hatten die
Amerikaner ihre Artillerie aufgestellt. Sie sandten uns jeden Tag ihre Grüße in
Form einiger Granatsalven. … Die Dauer des Beschusses hatte zur Folge, dass
kaum ein Haus verschont blieb. Dagegen hinterließ der einzige Jabo-Angriff nur
zwei große Bombentrichter in einem Garten. Die Granaten, die in Häuser
einschlugen, zerstörten fast immer nur das Dachgeschoss. …
Kurz
vor Weihnachten gab es nochmals Trubel. Die deutsche Heeresleitung hatte
beschlossen, einen Gegenangriff zu wagen. Die Operation erhielt den Namen
Ardennen- oder Rundtstedt-Offensive. Der Schwerpunkt des
Angriffs lag nämlich etwas nördlich von uns im südlichen Teil Belgiens; der
Oberkommandierende auf deutscher Seite war der General Gerd von Rundtstedt. Es
wurden nicht nur die zurück gewichenen Truppenteile neu formiert, sondern auch zusätzliche
Reserven mobilisiert. Bei diesen handelte es sich insbesondere um Hitlerjungen
und Volkssturmmänner. Sie sahen nicht sehr ermutigend aus. Das von Angst
geprägte Gesicht einiger dieser in Feldgrau gekleideten Muttersöhnchen, die
höchstens drei Jahre älter waren als wir, erweckte selbst bei uns Kindern
Mitleid. Zum sogenannten Volkssturm wurden im Jahre 1944 solche Männer
einberufen, die bisher nicht wehrpflichtig waren. … Einer der Offiziere, der
vor Beginn der Offensive bei uns einquartiert war, äußerte sich recht
optimistisch: „Ich habe noch einen Koffer in Paris. Den hole ich jetzt ab“.
Schon nach wenigen Tagen hatte sich der Angriff festgefahren. Auch besagter
Offizier kam zurück. Wir brauchten gar nicht nach seinem Koffer zu fragen. Sein
Gesicht sagte alles.
Um
Silvester 1944 gestanden auch die Oberste Heeresleitung und das
Propaganda-Ministerium des Joseph Goebbels das Scheitern ein. Es hatte auf
beiden Seiten je fast 80.000 Tote gegeben.
Nachkriegsjahre
Das Bitburger
Land wurde Ende Februar 1945 von amerikanischen Infanterietruppen unter General
George S. Patton besetzt. Von ihm stammt eine in seinem Kriegstagebuch
festgehaltene Beobachtung. Während im Nordteil der Stadt Bitburg noch gekämpft
wurde, saß im Südteil ein älterer Mann auf dem Dach seines Hauses, um
Einschlagschäden zu reparieren. Das habe er vorher weder in Italien oder
Frankreich erlebt. Zur Erklärung: Die Entfernung betrug höchstens 3-4 km. Ich
zitiere weiter aus [1].
Obwohl
unsere Gegend von Amerikanern erobert wurde, wurden wir ein Teil der
französischen Besatzungszone. Innerhalb dieser Zone wurde die Stadt Bitburg und
das Umland von Luxemburger Soldaten besetzt. Mit ihnen konnte man besser reden
als mit den Franzosen, da wir ja den gleichen Dialekt sprechen. So hatten wir
mit der Gruppe, die von unserem Haus aus das Dorf verwaltete, ein fast
herzliches Verhältnis. Nicht so freundlich war die Kommandantur in Bitburg.
Dort hatte man auf einer Wiese direkt vor unserem Gymnasium mit Blumen das
Luxemburger Staatsemblem (den gestreiften Löwen) dargestellt. Daneben stand ein
Posten, der aufpasste, dass wir Schüler auch zum Gruß die Mützen abzogen.
Nachdem einigen Schülern die Mützen abgenommen worden waren, gewöhnten wir uns
alsbald daran, ohne Mütze zur Schule zu gehen. Die Luxemburger Regierung hatte
eine Weile gehofft, als Teil der Reparationen den Kreis Bitburg
wiederzubekommen, der 1815 von Luxemburg an Preußen gegangen war. Dieser Wunsch
wurde später reduziert auf ein unbewohntes Gebiet bei Vianden (den Kammerwald).
Es ging für die Zeit von 1949 bis 1959 in Luxemburger Besitz über.
Auch vor
meinem elterlichen Wohnhaus in Niederweis war tagsüber ein Luxemburger Soldat
postiert, der genau kontrollierte, wer das Haus verließ und betrat. Im zehnzimmerigen Bauernhaus hatte das Militär nämlich ein ebenerdig gelegenes
Eckzimmer beschlagnahmt und dort seine Kommandatur eingerichtet. Die Mannschaft war im benachbarten Schlossgebäude einquartiert. Ein Ereignis erschütterte damals das
ganze Dorf. Beim Reinigen seines Gewehrs löste sich ein Schuss, der einen
Soldaten tötete. Es war, als ob es einen der Unsrigen getroffen hätte. Wir Kinder
trauten uns damals sogar mit den Soldaten zu flaxen, also Scherze zu machen. Aus
dieser Zeit stammt die folgende Geschichte, über die ich anderswo [2] berichtet
habe.
Im
Katechismusunterricht ging es um die um die Jünger Jesu. Sehr ausführlich, ja
anschaulich, war unter anderem der Verrat des Judas Ischariot, d. h. des Mannes
aus Karioth, besprochen worden. Schließlich fragte der Herr Pfarrer, ob jemand
wüsste, woher der Jünger war, der Jesus verraten hat. Der kleine Mätti meldete
sich und gab dann die Antwort: "Der war Luxemburger!“ Der Pfarrer war
etwas verdutzt und fragte zurück: "Wie kommst Du denn darauf?“ Mätti
erwiderte: "Sie haben doch eben erzählt, dass Jesus beim letzten Abendmahl
vorhergesagt hat: 'Einer von Eich wird mich verraten'". Zur Erklärung für
die Orts- und Geschichtsunkundigen: Esch (auf Platt Eich) an der Alzette ist
die zweitgrößte Stadt im Großherzogtum Luxemburg. Da die Luxemburger eine etwas
andere Lebensart als der preußische Teil der Eifel entwickelten, führte dies dazu, dass
man sich schon mal gegenseitig mit kleinen Sticheleien traktierte.
In den
Jahren unmittelbar nach Kriegsende wurden die familiären und geschäftlichen
Beziehungen langsam wiederbelebt. Ein besonderes Ereignis war die erste Willibrordswallfahrt,
an der wieder Deutsche teilnehmen durften. Begleitet von unserem Pfarrer wurden
wir auf der Luxemburger Seite der Sauerbrücke von einem Echternacher Theologen in
Empfang genommen. ‚Stellt Eich an d’Reih!‘ kommandierte er. Nach einer knappen
Stunde aktiver Betätigung in der Springprozession durften wir ausscheren und
als Zuschauer weiter am Rande ausharren. Wichtig für die Erwachsenen war, dass
sie auch eine begrenzte Menge von Kaffee oder Tabakwaren zollfrei einkaufen und
exportieren durften. Auch in späteren Jahren gehörte der ‚kleine
Zollgrenzverkehr‘ zu den Besonderheiten eines Besuchs in Echternach.
Heutige
Beziehungen
Mein
persönliches Hobby der Heimatkunde veranlasste mich immer wieder, das
Nationalarchiv in Luxemburg aufzusuchen. Ich fand dort Unterlagen sowohl zur
eigenen Familiengeschichte wie zur Dorfgeschichte. Besonders ergiebig war die
Information zum örtlichen Adelsgeschlecht, den Freiherrn von der Heyden [4].
Eduard Franz Anton von der Heyden (1692-1755) war Vorsitzender des Luxemburger
Rittergerichts gewesen. Auch der Abt Thiofrid (1030-1110) des Klosters Echternach
gab mir Anlass zu interessanten historischen Untersuchungen [3]. Der grenzüberschreitende
Arbeitskreis Doppeladler stellte einige
meiner Bücher auf seinem Server vor.
Mehrere
Angehörige meiner Eifler Familie arbeiten als Pendler in Luxemburger
Unternehmen. Sie begründen dies mit den höheren Löhnen und den niedrigeren
Steuern, die dort üblich seien. In den letzten Jahren erfolgte auch eine Art
von Wiedereroberung des Kreises Bitburg. Eine Vielzahl der von Eifler Gemeinden
ausgewiesen Bauplätze wurden von Luxemburgern erworben und genutzt. Da man die
Arbeits- und Ausbildungsplätze (ja sogar die Kindergartenplätze) auf der
Luxemburger Seite beibehält, werden einige Dörfer der Südeifel zu reinen Schlafstätten
degradiert. Vor allem Feuerwehren, Fußballvereine, Chöre und Musikkapellen betreiben
eine lebendige Kontaktpflege über die Landesgrenze hinweg.
Zusätzliche
Literatur
- Endres, A.: Erinnerungen an eine Eifler Jugendzeit. In: A.Endres: Geschichten aus der Eifelheimat. Band 1. 2008. 76-93
- Endres, A.: Hochdeutsch mit Striefen. ibidem. 116-118
- Endres, A.: Abt Thiofrid von Echternach: Über seine Herkunft, seine Schriften und sein Verhältnis zu Trier. ibidem. 223-238
- Endres, A.: Frauenschicksale in Schloss Niederweis. Heimatkalender 2014 des Eifelkreises Bitburg-Prüm, 231-240
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.