Sonntag, 27. September 2020

Her mit den ökonomisch denkenden Menschen

Abschied vom Homo Oeconomicus (2020, 216 S.) so heißt eines der drei Bücher, mit denen mein Ex-Kollege Gunter Dueck (*1951) dieses Jahr seine treuen Leser beglückte. Ich muss gestehen, dass dies sein erstes Buch ist, das ich las. Dafür sind mir seine Kolumnen im Informatik-Spektrum umso stärker in Erinnerung.

Für mich ist der Homo Oeconomicus ein Mensch, den es interessiert und daher auch wenigstens teilweise versteht, wie die Wirtschaft funktioniert. Er sieht sich als wirtschaftliches Subjekt an, das die Dinge antreibt anstatt sich von den Dingen treiben zu lassen. Er denkt selbständig und agiert meistens verantwortungsvoll. Es besteht nicht der geringste Grund, warum wir uns von diesem Menschenschlag verabschieden sollten. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Autoren wie Dueck dies wollen. Vielleicht wollen Dueck und andere, indem sie ihren Mitmenschen einreden, dumm und einfältig zu sein, nur erreichen, dass dadurch ihr Stern umso mehr zum Glühen gelangt. Wie Sie sehen, las ich das Buch genau andersherum, als es verfasst ist. Vielleicht ist das Ganze aber auch nur als Satire aufzufassen gewesen – wer weiß?

Bloß eine nette Theorie

Der Homo Oeconomicus sei bestenfalls eine Theorie für nette Vorlesungen – so heißt es gleich am Anfang des Buches. In Wirklichkeit sei es das Bauchgefühl, das unser Denken diktiert. Unsere Eingeweide würden uns lenken. Wir hielten uns für rational, wenn wir uns wie Lemminge verhalten.

John Maynard Keynes (1883-1946), der berühmte britische Ökonom, habe gewollt, dass der Staat vernünftig sei, dann wenn die Bürger es nicht sind. In schlechten Zeiten regiere nämlich die Kopflosigkeit. Im Bazar sei Qualität nur durch Herunterhandeln des Preises feststellbar.

Spreizung der Güter

Alles liefe immer mehr in Richtung einer Zweiteilung der wirtschaftlichen Angebote. Nur noch die Extreme seien interessant. An einem Ende sei dies Armani, am anderen ALDI. Es gäbe die Stars − ob im Sport, der Mode oder der Kunst – und das Gebrauchsgut (engl. commodity). Der luxuriösen Villa stünde das Hochhaus-Appartement gegenüber; der Bourgeoisie das Proletariat.

NB: Unter Stress verschwinden Liebe, Ehre, Wahrheit, Sinn, Würde und Ethik.

Fünf Kondratieff-Zyklen

Der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratjew (1892-1938) entwickelte die Theorie der zyklischen Wirtschaftsentwicklung in langen Wellen. Ausgangspunkt für die Langen Wellen sind Paradigmenwechsel und die damit verbundenen innovationsinduzierten Investitionen. Es wird massenhaft in neue Techniken investiert und damit ein Aufschwung hervorgerufen. Nachdem sich die Innovation allgemein durchgesetzt hat, verringern sich die damit verbundenen Investitionen drastisch und es kommt zu einem Abschwung.

 

Kondratieff-Zyklen (Quelle: Wikipedia)

Populär gemacht wurde die Darstellung von dem Österreicher Joseph Schumpeter (1883-1950). Die Nutznießer von Kondratieff 5 seien die Chinesen und Inder, die massenhaft in Arbeit gebracht wurden. Die Frage stellt sich, was wohl den nächsten Zyklus auslösen könnte, nämlich Kondratieff 6. Dueck tippt auf Erfolge der Medizin und der Kosmetik, die den Effekt hätten, die Gesundheit und das Aussehen des Menschen grundlegend zu verbessern. Hier gäbe es ein enormes Potential. Schauen mir mal!

Maslow-Pyramide und McGregors Theorie

Abraham Maslow (1908-1970) hatte in fünf Stufen die Grundbedürfnisse des Menschen definiert. Auf der Spitze lag die Selbstverwirklichung. Dueck sagt, das sei widerlegt. Ich weiß nicht mehr wie und von wem.

Douglas McGregor (1906-1964) war ein MIT-Professor, dessen X,Y-Theorie von 1964 weltweit alle Management-Seminare Jahrzehnte lang beschäftigte. Sein Gedankengebäude wurde 1981 von William Ouchi (*1943) um die Theorie Z erweitert.

NB: Mathematik ist genau so abstrakt wie VWL, nur behauptet sie nicht, Antworten geben zu können.

Ökonomie 2.0

Es ist längst schon so, dass sich auf vielen Gebieten Arbeitsgemeinschaften über Ländergrenzen hinweg entwickeln. Bei vielen Projekten wird ehrenamtliche Arbeit eingebracht, und zwar in großem Stil. Es komme die Zeit, wo neue Kirchen und neue Staaten entstehen, die sich wie englische Clubs gebärden. Das Beispiel Second Life hatte großen Erfolg mit seiner eigenen Währung, den Linden-Dollars [Mir scheint es eher sehr ruhig geworden zu sein. Ich weiß nicht warum]. Noch gibt es keine nur im Internet vorhandenen Staaten mit eigenen Steuern und Armenhilfe. Sie würden Heimat und Gemeinschaft anbieten [Darüber wird schon des Längeren geredet. Passiert ist nichts dergleichen. Vielleicht waren die Zeiten zu unruhig. Auch hier konnte Corona bremsend wirken].

NB: Dass es Altersheime in Hochhäusern oder in Osteuropa geben soll, darüber wird zwar gemunkelt, aber nicht offen dafür geworben.

Neue Geschäftsmodelle

Der Autor kann sich vorstellen, dass Firmen wie IBM sich als Gemeinschaften freier Entwickler entpuppen. Sie ergäben die Grundpfeiler (engl. keystone), an denen sich andere, vor allem kleinere Firmen anlehnen könnten. Sie würden Kooperation anstatt Konkurrenz als Grundmodell pflegen.

Anstatt Managern würden Leader gebraucht. Sie führen anstatt nur anzutreiben. Sie ließen sich dabei von McGregors Menschenbild Y leiten. Die Projektteilnehmer könnten Bewertungspunkte sammeln ähnlich wie bei eBay, um Vertrauen aufzubauen. Kooperative Infrastrukturen böten sich auf vielen Gebieten an, etwa in der Telemedizin. Das von Toyota hochgehaltene Kaizen-Prinzip sollte Schule machen, damit Qualität die Regel wird und Schund vermieden wird. Ein mittlerer Weg zwischen Großinvestition und Nachhaltigkeit sollte angestrebt werden.

Phasischer Instinkt

Es sei ein phasischer Instinkt (engl. phasic instinct), der uns beherrsche. Was damit gemeint ist, konnte ich selbst nach einigem Suchen nicht herausfinden. Alles würde sich damit ändern.

NB: Noch gibt es keine mathematischen Modelle, die den Instinkt mit einbeziehen.

Nach-Corona-Zukunft

Die Corona-Zeit hindert uns daran, manche der bisherigen Pläne zu realisieren. Vielleich vermeiden wir das Drehen des Hamsterrads, ohne auch Wohlstand und Gesundheit zu verbessern. Vielleicht entdecken wir sogar in 20 Jahren einen Nachholbedarf in Büroneubauten.

NB: Ich werde in der Corona-Zeit und vermutlich auch danach nie ganz auf die Ideen des Ex-Kollegen Dueck abfahren. Dueck stammt aus der Bielefelder Gegend, ich aus der Südeifel. Er wurde Mathematiker, ich Ingenieur.  Das erklärt aber die unterschiedlichen Prägungen nur zum Teil.