Dienstag, 8. Dezember 2015

Simone Rehm über die Aufgaben einer IT-Leiterin (CIO) in Zeiten der Digitalisierung

Dr. Simone Rehm war 14 Jahre lang Leiterin IT + Prozesse (engl. Chief Information Officer, CIO) bei der Firma TRUMPF GmbH + Co. KG in Ditzingen in der Nähe von Stuttgart. Die TRUMPF Gruppe ist einer der weltweit führenden Werkzeugmaschinenhersteller und insb. im Bereich Lasertechnik und Elektronik für industrielle Anwendungen engagiert. Seit 2012 war Frau Rehm auch vier Jahre lang Vizepräsidentin der Gesellschaft für Informatik (GI). 

Simone Rehm hat Informatik an der Uni Stuttgart studiert und wechselte nach dem Diplom 1986 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Forschungszentrum Informatik (FZI) in Karlsruhe in die Gruppe von Prof.Gerhard Goos. Nach der Promotion zum Dr. rer. nat. ging Frau Rehm 1992 zunächst in den IT-Bereich der Pharmaindustrie, bevor sie 1995 die IT-Leitung beim Südwestfunk (SWF), später Südwestrundfunk (SWR), in Baden-Baden übernahm. Im Jahre 2001 erfolgte der Wechsel zur IT-Leitungsaufgabe bei TRUMPF in Ditzingen mit weltweiter Zuständigkeit für IT + Prozesse im Unternehmen und direkt berichtend an die Geschäftsführung der TRUMPF Gruppe.

Simone Rehm wird ab Januar 2016 in die Leitungsebene der Universität Stuttgart wechseln und dort als hauptamtliche Prorektorin für Informationstechnologie das neu geschaffene CIO-Amt  ausüben. In ihren folgenden Ausführungen spricht Frau Rehm als ehemalige Mitarbeiterin nicht mehr „für TRUMPF“, aber die Fragen des Interviewers (KK) beziehen sich naturgemäß teils noch auf jenen langen und inhaltlich interessanten Zeitraum ihres beruflichen Werdegangs.




Klaus Küspert (KK): Liebe Frau Rehm, machen wir den Gesprächsauftakt über die frühen Stationen Ihres Werdegangs. Sie haben in Stuttgart Informatik studiert und das Diplom erworben. Was waren Ihre Studienschwerpunkte und welche Aspekte aus dem Studium waren vielleicht jene, die später im Berufsleben bis hin zur CIO-Rolle am „nachhaltigsten“ weiter gewirkt und Nutzen gestiftet haben?

Simone Rehm (SR): Ich habe damals Theorie der Informatik als Schwerpunkt gewählt und mich im Nebenfach für Mathematik entschieden. Das hört sich nicht gerade nach der idealen Vorbereitung auf meine spätere Rolle als CIO in verschiedenen Anwenderunternehmen an. Tatsächlich war es aber doch die Theorielastigkeit meines Studiums, die mich in vielerlei Hinsicht geprägt hat: den Dingen auf den Grund zu gehen, logische Schlüsse zu ziehen und analytisch zu denken, das habe ich im Studium gelernt und im Berufsleben an vielen Stellen mit Erfolg anwenden können. Gerade in der CIO-Rolle hat man es oft mit Anwendern zu tun, die nach einer Softwarelösung rufen, bevor sie das Problem genau erkannt und sorgfältig analysiert haben. So entstehen oft Schnellschüsse, die am eigentlichen Problem möglicherweise sogar vorbei gehen. Nicht selten lässt sich nicht allein mit Software, sondern ergänzend mit einer veränderten Prozessgestaltung oder einer organisatorischen Neuregelung ein Fortschritt erzielen. Hier hilft ein klar strukturiertes Vorgehen im Projekt und absolute Sachorientierung, beides Aspekte, die ich mir in einem theorielastigen Studium „antrainiert“ habe.

KK: In Ihrer Promotionsphase in Karlsruhe haben Sie eng mit dem leider viel zu früh verstorbenen Klaus Dittrich, später Professor an der Uni Zürich, zusammengearbeitet. Damals ging viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit am FZI und anderenorts in den Bereich der objektorientierten Datenbanken und auch der Datenbanken für ingenieurwissenschaftliche Anwendungen, es waren deren „Goldene Forschungsjahre“. Gehen Sie bitte ein wenig auf Ihre Karlsruher Jahre, gerne fachlich und nicht fachlich, ein.

SR: Die Jahre im FZI waren lebhaft, voller Inspiration, aber auch kräftezehrend, nicht zuletzt aufgrund der Promotionsabsichten. Klaus Dittrich war ein großartiger Mensch und ein guter Mentor, der uns motiviert und mit seinem Machertum beflügelt hat. Ihm habe ich zu verdanken, dass wir es wagten, mit unseren Konzepten zu den so genannten strukturell objektorientierten Datenbanksystemen auch die internationale Bühne zu betreten. Unsere erste Vortragsreise nach Amerika werde ich nie vergessen. Wir konnten damals auf einer Tagung in Chicago unser selbst entwickeltes Datenbanksystem DAMOKLES, das für eine Softwareproduktionsumgebung konzipiert war, sogar live präsentieren. Ebenso gern erinnere ich mich an den Zusammenhalt, den wir in dem damaligen Projektteam erleben durften. Noch heute stehe ich in freundschaftlichem Kontakt mit den Mitgliedern des Teams, die später bei SAP, IBM und anderen Firmen ihre Heimat gefunden haben.

KK: Nach der Promotion ging es dann wenige Jahre später für Sie schon in IT-Leitungstätigkeiten hinein und auf Ebenen, die – gerade in der IT –  in Deutschland zahlenmäßig stark von männlichen Stelleninhabern dominiert werden. Gibt es Zahlen, wie viele Prozent der CIOs in großen deutschen Unternehmen weiblich sind – ist es eine einstellige Zahl? Wie leicht oder schwer ist anfangs die Tätigkeit etwa in der CIO-Rolle bei einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt (SWF, SWR) gefallen? Spielen Inhalte und Kenntnisse aus der Studien- und Promotionsvergangenheit noch eine Rolle oder so gut wie gar nicht mehr?

SR: Gemessen an allen CIOs in Deutschland dürfte der prozentuale Anteil der weiblichen CIOs einstellig sein. Ich kenne dazu aber keine exakten Zahlen. Der Branchenverband BITKOM hat kürzlich Zahlen veröffentlicht, wonach Frauen in der Informationstechnologie/Telekommunikation ca. 15% der Beschäftigten ausmachen. In den Führungsetagen trifft man deutlich weniger Frauen, wobei es gerade bei den Softwarefirmen einige löbliche Ausnahmen gibt.

Die Gesamtverantwortung für IT beim SWF, später beim SWR zu tragen war 1997 kein einfacher Einstieg für mich. Ich war eine junge Frau mit vergleichsweise wenig Berufs- und vor allem Führungserfahrung. Ich wurde aber sehr gut von meinem damaligen Chef unterstützt. Zu Beginn titulierte er mich zwar gelegentlich noch als „Quotenfrau“, später brachte er mir aber großes Vertrauen entgegen und gab mir die notwendige Rückendeckung, als im Zusammenhang mit der Fusion der beiden Rundfunkanstalten auch schwierige Entscheidungen getroffen werden mussten.

In der Maschinenbaubranche begegnete mir in den letzten 14 Jahren genau eine weitere weibliche CIO. Als Frau hat man dort ohne Zweifel einen Exotenstatus, was sich nicht immer gut „anfühlt“. Kürzlich war ich zur Jubiläumsfeier einer Forschungseinrichtung eingeladen und saß bei der anschließenden Podiumsdiskussion auf dem Podium. Als der Moderator mich vorstellte, fragte er mit gespielter Neugierde, wie denn die weibliche Form von CIO lautet. „Ganz einfach: die CIO“, so lautete meine nicht besonders originelle Antwort, worauf der Moderator schmunzelnd antwortete: „Ach, und ich dachte schon es heißt CI-öse“ (ähnlich wie Frisöse, Anm. von mir). Das Gelächter war auf seiner Seite, was zeigt, wie unbeholfen und geradezu despektierlich manche reagieren, wenn sie Frauen in einem männerdominierten Umfeld begegnen.

KK: Sie waren nun 14 Jahre lang IT-Leiterin bei der TRUMPF Gruppe. Was hat sich in der CIO-Rolle in jenem langen Zeitraum verändert, sei es allgemein, sei es speziell bei TRUMPF? Wie zentral oder dezentral wirkt man in der IT innerhalb der weltweiten TRUMPF Organisation, u.a. ja mit großem US-Standort und vielen weiteren? Und welche Rolle spielten die Standards und Best-Practice-Ansätze, etwa ITIL, für Sie als CIO in jüngerer Zeit, sicher viel stärker als vor 10 und mehr Jahren?

SR: TRUMPF hat schon sehr früh die Entscheidung getroffen, die IT-Verantwortung zu zentralisieren. Schon bei meinem Eintritt gab es einen bei der TRUMPF Holding angesiedelten IT-Bereich, der alle Geschäftsbereiche von TRUMPF – damals auch noch die Medizintechnik – mit IT-Services versorgte, auch wenn sich die Produkte wie auch die Prozesse der Geschäftsbereiche stark voneinander unterscheiden. Dieser Zentralbereich „IT + Prozesse“ bildet auch heute noch gemeinsam mit den lokalen IT-Einheiten an den unterschiedlichen TRUMPF Standorten die „globale IT“ von TRUMPF. Die größte lokale IT-Einheit ist tatsächlich in USA angesiedelt. Sie trägt deshalb in IT-Fragen auch die Verantwortung für alle TRUMPF-Standorte auf dem amerikanischen Kontinent. Die lokalen IT-Einheiten haben gewisse Freiheitsgrade, insbesondere was die Ausprägung lokaler, standortspezifischer Applikationen angeht. Auf der anderen Seite gibt es klar vorgegebene Standards für die globalen Applikationen wie das ERP-System, das CRM-System oder das PLM-System. Standardisierung (sei es von Hardware, Software oder von Prozessen) ist der Schlüssel für einen kosteneffizienten und zuverlässigen Betrieb von IT-Lösungen. Das zeigt die Prozessbibliothek ITIL, die TRUMPF auch in einigen Teilen implementiert hat. Das zeigt aber auch das Ein-Mandanten-System, welches TRUMPF seit Beginn der Einführung von SAP als ERP-System betreibt. Das Prinzip der Standardisierung nutzt TRUMPF auch sehr erfolgreich in anderen Bereichen, z.B. in der Produktion, und insofern ist die Akzeptanz von Standards bei den TRUMPF Mitarbeitern und Führungskräften bereits sehr hoch.

Was hat sich in dieser langen Zeit verändert? Die Aufgabendichte und die Innovationsgeschwindigkeit haben generell in der Branche und auch darüber hinaus extrem zugenommen. Heute kommt in großen Unternehmen kein Geschäftsprozess mehr ohne IT-Unterstützung aus, und das setzt die IT-Abteilung vor sehr große Herausforderungen. Mit jeder Prozessveränderung und jedem neu geschaffenen Geschäftsprozess geht ein IT-Projekt einher. Manche dieser Projekte sind von strategischer Natur und müssen rasch umgesetzt werden. Gleichzeitig ist der laufende IT-Betrieb sicherzustellen, und auch hier wachsen die Anforderungen enorm, zum Beispiel in puncto IT-Sicherheit. Für neue Themen wie Industrie 4.0 bleibt in den Unternehmen oft nicht genügend Zeit, um sich als Informatiker fachlich fundiert darauf vorzubereiten. Hinzu kommt das starke, zunehmend auch anorganische Wachstum vieler Unternehmen. Wenn neue Firmen zugekauft werden, hat die IT-Abteilung jeweils gut zu tun, um die neue IT-Landschaft zu integrieren und IT-Applikationen zu harmonisieren. Aber zu klagen hilft da nicht. Positiv zu vermerken ist, dass der Stellenwert der IT in dieser Zeit überall stark zugenommen hat und somit auch die Personalressourcen in der IT oft gewachsen sind. Der IT wird zweifelsohne heute ein höherer strategischer Wert beigemessen als noch vor 10 Jahren.

KK: Die Cloud-Thematik ist ja eines der stark beachteten Themen der letzten fünf und mehr Jahre. Manche Beobachter und Unternehmen sehen die Zukunft nur in der Cloud, andere sind wesentlich zurückhaltender, etwa aus Sicherheitserwägungen heraus. Wie sehen Sie jene Thematik und deren Durchsetzung?

SR: Das Thema Cloud-Computing wird nach meinem Dafürhalten in seiner Bedeutung überschätzt, insbesondere auf Seiten der Anwenderunternehmen. Es handelt sich schließlich „nur“ um ein spezielles IT-Betriebsmodell. Anwenderunternehmen können Softwarelizenzen kaufen und die Software auf eigenen oder exklusiv genutzten Rechnern, also „on premise“, installieren und betreiben. Oder sie können Software beim Softwarehersteller mieten und auf fremder Hardware betreiben lassen, und zwar – sofern die Software das erlaubt – sogar in einer sog. Multi-Tenant-Architektur, wo sie gewisse Ressourcen mit anderen Kunden teilen. Am Ende entscheidet der Kunde anhand mehrerer Kriterien (Kosten, Sicherheit, Skalierbarkeit), welches Betriebsmodell seinen Anforderungen am besten gerecht wird.

Der IT-Markt wird also durch „Cloud-Computing“ für Anwenderunternehmen etwas vielseitiger, etwas bunter, aber auch attraktiver. Es ändert sich aber nichts Grundsätzliches an der Aufgabe einer IT-Abteilung, die darin besteht, Geschäftsanwendungen passend zu den Erfordernissen der Anwender auszuwählen und zu betreiben oder betreiben zu lassen. Unternehmen können hier auch variieren. So kann man z.B. das ERP-System im klassischen Outsourcing betreiben und gleichzeitig andere Anwendungen als „Software as a Service“ nutzen. Wieder andere Anwendungen liegen komplett in der Cloud. Jedes Unternehmen muss im Einzelfall nach wirtschaftlichen und anderen Gesichtspunkten abwägen, welches Betriebsmodell für welche Anwendung es wählt, darin muss aber keine strategische Entscheidung gesehen werden. Eine Software in der Cloud zu betreiben heißt auch nicht notwendigerweise, dass man Abstriche in der Sicherheit macht. Es kommt immer darauf an, welche Daten wie in der Cloud gespeichert werden und wo sich die Cloud befindet.

Für Softwarehersteller hat die Bewertung der Cloud-Frage allerdings größeres Gewicht. Für sie kann das sehr wohl von strategischer Bedeutung sein, ob sie „ihre“ Software in der Cloud anbieten. Anwenderunternehmen wie TRUMPF, die gleichzeitig auch Software herstellen, müssen sich also ebenfalls dieser Frage stellen.

KK: Industrie 4.0 ist eines der bedeutenden Schlagwörter der Industrie in den letzten Jahren. Wie „lebt“ TRUMPF dieses Thema? Welchen Einfluss hat es auf die Zusammenarbeit mit Partnern und Lieferanten im IT-Bereich?

SR: TRUMPF steht als höchst innovatives Unternehmen auch in der ersten Reihe der Unternehmen, die Industrie 4.0-Konzepte konzipieren, erproben und umsetzen, und zwar in den bekannten drei Dimensionen: die eigenen Produkte werden um intelligente, datenbasierte Features angereichert („smart products“), die eigene Fertigung wird durch Vernetzung optimiert („smart factory“) und dem Kunden werden spezielle Dienstleistungen angeboten, die auf der Auswertung von Daten, die seine Maschine während ihres Einsatzes liefert, beruhen („smart services“).

Mit der Gründung eines neuen Unternehmens hat TRUMPF unlängst noch ein weiteres Terrain betreten: die AXOOM GmbH ist Provider einer Plattform, die auch Partner nutzen können, um ihren Kunden datenbasierte Dienstleistungen zu offerieren. Welchen Einfluss hat Industrie 4.0 auf die Zusammenarbeit mit Partnern und Lieferanten im IT-Umfeld? Dort wo Anwendungsfirmen jetzt Neuland betreten, z.B. bei der Einführung von MES-Systemen oder der Einführung von Analyse-Software für Big Data, kommen auch neue Lieferanten ins Spiel.  Für TRUMPF hat sich z.B. das Spektrum der Softwarefirmen, mit denen Kooperationen gesucht werden, durch die Industrie 4.0-Aktivitäten deutlich erweitert. Die Kooperationen sind sehr eng und münden gelegentlich sogar in Akquisitionen. TRUMPF befindet sich hier wie viele andere Maschinenbauer auch in einer bedeutsamen Umbruch- bzw. Aufbruchphase.

KK: Um noch ein Datenbankthema – muss sein ;-) – aufzugreifen: Wie stehen Sie zu den In-Memory-Technologien? Es ist ja ebenso ein großes Thema der letzten Jahre, nicht zuletzt durch SAP vorangebracht, aber bei anderen auch.

SR: Sie sprechen HANA an, die In-Memory-Datenbank von SAP. Auch andere Hersteller, wie IBM, setzen auf In-Memory-Technologie und bieten entsprechende Lösungen an. Es sollte immer so vorgegangen werden, dass die Vorteile einer neuen Technologie sorgfältig untersucht werden, bevor eine Investitionsentscheidung getroffen wird. So auch bei der In-Memory-Technologie. Auch wenn viele sagen, es sei nicht die Frage ob, sondern lediglich wann der Umstieg auf HANA im SAP-Umfeld stattfindet: man muss den Business-Case betrachten, der die Investition rechtfertigt. Hierzu können, um mal ein Beispiel zu betrachten, verschiedene Anwendungsfälle untersucht werden, unter anderem etwa die Profitabilitätsanalyse für das Controlling, also das sog. SAP CO-PA. Wenn sich mit Hilfe der In-Memory-Technologie zum Beispiel die Zeit, die man benötigt, um einen Monats- oder Quartalsabschluss fertigzustellen, signifikant verkürzen ließe, wäre dies von erheblichem Vorteil – auch weil dadurch andere geschäftskritische Prozesse, die ebenfalls dieselben Ressourcen nutzen, weniger in Mitleidenschaft gezogen werden würden.

KK: GI-Mitglied, also Mitglied in der Gesellschaft für Informatik, sind Sie erst relativ spät geworden, richtig? Was waren die Gründe? Oder waren Sie vielleicht Mitglied in Ihren Universitätsjahren bis 1992 und sind dann erst mal ausgetreten nach Übergang in die Praxis, was ja bei den GI-Mitgliedern – zum Leidwesen des Vereins natürlich – nicht selten der Fall ist?

SR: Ich weiß es schlicht nicht mehr. Ich bin der GI schon während meiner Studentenzeit begegnet, aber damals aus irgendeinem Grund nicht eingetreten. Vielleicht war es damals schon so, dass man den Eindruck hatte: nur wer eine akademische Laufbahn anstrebt, ist in der GI richtig aufgehoben. Diesem Eindruck möchte ich aus heutiger Sicht vehement entgegen wirken. Die GI muss sich für die Informatiker, die in Industrie, Wirtschaft oder Verwaltung tätig sind, noch stärker öffnen, auch wenn sie heute schon interessante Anknüpfungspunkte bietet.

So nutzen in unserer Regionalgruppe in Stuttgart/Böblingen viele Praktiker das Angebot, sich regelmäßig in interessanten Vorträgen über neue Trends in der Informatik zu informieren und weiterzubilden. Manche suchen auch einfach nur einen persönlichen Kontakt zu Informatikern aus der Region und schätzen es, wenn sie immer wieder ihre Anliegen aus der Praxis mit Vertretern aus anderen Branchen und aus dem wissenschaftlichen Bereich diskutieren können.

KK: Um noch bei der GI zu bleiben: Welche Ziele verfolgen Sie speziell in Ihrer Rolle als Vizepräsidentin? Mit Ihnen in der Vizepäsidentschaft und Peter Liggesmeyer als Präsident sind ja Praxisnähe und -inhalte ausgeprägt vertreten – sind dies auch Aspekte also, die Sie auf die GI und zum Wohle ihrer Entwicklung abfärben lassen?

SR: Meine Zeit als Vizepräsidentin geht jetzt zu Ende. In den letzten vier Jahren habe ich in der Tat versucht, die Praxisnähe der GI zu steigern, aber auch allgemein die Attraktivität der GI für neue Mitglieder zu erhöhen. Für mich zählt dazu auch, dass sich die GI noch stärker zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen positioniert. Als Informatiker/in möchte ich mehr über die NSA-Affäre wissen, als das, was ich in jeder guten Tageszeitung lesen kann. Ich werde ja auch nicht selten von Freunden und Bekannten darauf angesprochen. Unser ganzer Berufsstand steht ja beinahe am Pranger, wenn es heißt, die Informatiker schaffen die Instrumente für einen Überwachungsstaat. Also muss ich mir auch selbst einen Standpunkt dazu „erarbeiten“.

GI-Mitglied zu sein heißt für mich, dass ich mich mit dieser oder ähnlichen Fragen aber nicht alleine befassen muss, sondern einen Fachverband habe, der zumindest eine Plattform für einen Diskurs bereitstellt. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Überwachungsthema, bei dem uns damals auch Albert Endres stark unterstützt hat, ging noch einen Schritt weiter und hat z.B. dazu geführt, dass ein Positionspapier zum Thema „Digitale Souveränität“ entstanden ist, das wir jetzt aktiv in die aktuelle politische Auseinandersetzung einbringen. So möchte ich die GI erleben: als lebendigen Verein, der sich für die Informatik als Disziplin stark macht, sich aber auch kritisch mit Fragen rund um die Verwendung der Informatik auseinandersetzt und sich zu Wort meldet, wenn es etwas zu gestalten gilt.

KK: Zum Schluss wagen wir einen Ausblick auf Ihre Tätigkeit als CIO an der Universität Stuttgart ab Januar 2016. Die CIO-Rolle dort ist ja neu geschaffen und die Einbindung direkt als Mitglied des Rektorats ist etwa vergleichbar mit einem CIO auf Vorstands- oder Geschäftsführungsebene eines Großunternehmens – also nicht selbstverständlich. Wie blicken Sie auf Ihre kommenden Aufgaben, was wird vor allem anzugehen sein inhaltlich? Erwarten Sie Unterschiede in der Art zu leiten zwischen Wirtschaft, in der Sie ja nun über 20 Jahre leitend tätig sind, und Universität? Universitäten gelten ja als basisdemokratisch geprägt mit Vor- und Nachteilen.

SR: Im Januar 2016 trete ich mein neues Amt an. Ich bin selbst schon sehr gespannt auf das Aufgabenspektrum, das mich dort erwartet. Manches davon wird meinem bisherigen Wirkungsfeld ähneln. Auch an der Universität braucht es schließlich für die vielen Studierenden ebenso wie für die Lehrenden, die Forschenden und die Mitarbeiter in der Verwaltung eine verlässliche IT-Infrastruktur und adäquate Anwendungen. Ähnlich wie bisher schon in der Industrie werden auch innovative Themen auf mich warten: die Digitalisierung in der Lehre und in der Wissenschaft stellt die Universitäten vor mindestens so gravierende Herausforderungen wie Industrie 4.0 den Maschinenbau. Ich weiß freilich noch nicht im Detail, wie die Strukturen an einer Universität funktionieren und wie dort mit solchen Herausforderungen umgegangen wird. Aber dies zu erfahren, genau darauf freue ich mich. Wo es mir sinnvoll erscheint, werde ich versuchen, meine Erfahrungen aus der Wirtschaft in die IT-Prozesse an der Universität einfließen zu lassen. Ich möchte aber auch offen sein für Neues. Denn wenn alles genau so wäre, wie ich es in der Wirtschaft kennen gelernt habe, wäre es ja keine Abwechslung für mich!

KK: Liebe Frau Rehm, haben Sie ganz herzlichen Dank für die Interviewbereitschaft und für die gegebenen interessanten Antworten! Für Ihre neue CIO-Rolle an der Uni Stuttgart mit Start in wenigen Wochen sei Ihnen alles Gute gewünscht und man wird sicher dort weiter von Ihnen hören.

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