Nur wenige Bücher europäischer Autoren
haben in den letzten Jahren ein ähnliches Aufsehen erregt wie der französische
Ökonom Thomas Piketty
(*1971) mit Das Kapital
im 21. Jahrhundert (2014, 816 S.).
Der Titel erinnert bewusst an den Klassiker von Karl Marx. Ich musste mich ̶ nicht nur der
Länge wegen ̶ durch das Buch
durchkämpfen. Die sozialistische Grundeinstellung des Autors ist nicht zu
übersehen. Franzosen ̶ so dachte ich mir
̶ die ja selbst während des kalten Krieges zu
einem Drittel dem Kommunismus die Treue hielten, haben diese Grundhaltung durch
die Muttermilch eingesogen. Ihnen entging der Anschauungsunterricht, den wir
Deutsche in Form der DDR genossen. Er könne zwar persönlich dem Kommunismus
nichts abgewinnen, meint Piketty, und fände auch Ungleichheit vertretbar, falls
sie vom ‚allgemeinem Nutzen begründet' sei. Bei dieser vagen Aussage bleibt es.
Meine Motivation, das Buch zu lesen, kam durch meine Beschäftigung mit Franz Josef Rademacher.
Volkswirtschaftliche Grundbegriffe
Trotz seiner Beschränkungen kann ich
Piketty als Einführung in die Volkswirtschaftslehre sehr empfehlen. Er bringt
klare und nützliche Definitionen aller wichtigen Begriffe. So ist Einkommen der
geldwertige Betrag, den eine Person, ein Unternehmen oder ein Staat im Laufe
eines Zeitabschnitts wie z.B. einem Jahr hinzugewinnt. Einkommen kann erzielt
werden durch wirtschaftliche Aktivitäten in der Gegenwart, verkürzend als
Erwerbsarbeit bezeichnet, als auch durch Zinsrendite des in früheren Zeiten
angesammelten Vermögens. Es ist eine Strom- oder Flussgröße. Demgegenüber ist
Vermögen oder Kapital ein zu einem bestimmten Zeitpunkt angesammelter Betrag,
also eine Bestandsgröße. Vermögen kann bestehen aus Immobilien, Beteiligungen
oder geldwertigem Besitz. Für Volkswirte sind Vermögen und Kapital dasselbe. Da
in der Umgangssprache Kapital meist nur den für Investitionen benutzten Teil
des Vermögens bezeichnet, gebe ich hier dem Wort Vermögen den Vorzug.
Spreizung der Einkommen
Für mich ist Differenzierung etwas
Gutes. Von Gleichmacherei lässt sich das nicht unbedingt sagen. Mir taten 1987
die Chinesen leid, die alle in der gleichen blauen Uniform die Straßen
bevölkerten. Heute sind wieder Unterschiede erlaubt, nicht nur in der Kleidung,
auch im Einkommen. Statt Spreizung spricht Piketty durchweg von Verteilung. Das
Ideal vieler Ökonomen scheint die weitgehende Gleichverteilung zu sein, ein
Rechteck und nicht eine wie immer geartete Kurve. Eine bekannte Kurve ist die Glockenkurve,
auch Gauß-Verteilung genannt. Sie hat eine Spitze und einen Schwanz. Ihre Höhe
und ihre Steigung kann viele Werte annehmen. Wird von Mindestlohn gesprochen,
dann werden Ausläufer beschnitten. Die Höhe der Kurve legt fest, welche Ausreißer
nach oben zugelassen sind.
Dass eine Verteilung vorkommt, wird von
den meisten Menschen akzeptiert, außer von streng-gläubigen Kommunisten. Ob
dabei eine Treppenkurve oder eine
Glockenkurve zugrunde gelegt wird, und welches Aussehen sie hat, ist
Gegenstand von Verhandlungen. Werden diese für ganze Berufsgruppen gemeinsam
geführt, spricht man von Tarifverhandlungen. Ganz entscheidend ist, nach
welchen Kriterien die Einstufung erfolgt. Üblich ist das Leistungsprinzip, wie
es in der freien Wirtschaft gebräuchlich ist, oder auch das Senioritätsprinzip
(etwa im öffentlichen Dienst). Da es manchmal schwierig ist, die Leistung eines
Mitarbeiters zu bewerten, schlug einst einer meiner Kollegen die Bezahlung nach
Körpergewicht vor. Sein Vorschlag hatte allerdings keine Chance. Der
Vorschlagende wog nämlich 100 Kilo.
Arbeitslöhne oder Gehälter abhängig
Beschäftigter stehen auch bei Piketty im Vordergrund. Dabei ist das ein
Sonderfall, vor allem im Hinblick auf die Zukunft. Jeder der Produkte erzeugt
oder Dienste anbietet, für die andere Leute bereit sind zu zahlen, erzeugt
Einkommen. Es mag Prämie, Honorar, Tantieme, Lizenz oder Gewinn heißen. Niemand scheint zu fordern,
dass auch diese Einkommensarten alle die gleiche Höhe haben sollen.
Obwohl von Mängeln behaftet, wird das
Einkommen eines Landes meistens als Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen. Im
Vergleich der Länder schwankt es zwischen 150 und 3000 Euro pro Monat und
Einwohner. An der Spitze liegen reiche Länder wie die USA und die der EU. Zu
den ärmsten gehören afrikanische Länder und Bangladesch. Indien und China
liegen bei 600-700 Euro.
Spreizung von Vermögen
Vermögen ist der Saldo von Guthaben und
Schulden zu einem gegebenen Zeitpunkt. Als Guthaben zählen Immobilienbesitz,
Wertgegenstände (Kunstobjekte, Schmuck, Edelmetall) und Unternehmensbeteiligungen.
Gewerbliches Vermögen umfasst unter anderem Maschinen, Patente und Knowhow.
Wegen der üblichen hohen Verschuldung (siehe unten) tendiert staatliches
Vermögen in der freien Welt gegen Null. Das meiste Vermögen (ungefähr 95%) ist
im Privatbesitz. Manche Aktiva sind schwer zu bewerten. Bei Vermögensbesitz ist
die Ungleichheit im Allgemeinen größer als bei Arbeitseinkommen. Bei geringem Wirtschaftswachstum
gewinnt ererbtes Vermögen größeren Einfluss.
Interessant ist auch die Sparquote, also
die Umwandlung von Einkommen in Vermögen. Sie beträgt in Italien und Japan 15%
des Nationaleinkommens, in Deutschland und Frankreich 12%, in den USA und
England 7-8%. Zu beachten ist, dass bei höherem Einkommen eine niedrigere Sparquote
denselben Betrag an Vermögen schafft. Auch kann Vermögen durch sich selbst
vermehrt (rekapitalisiert) werden. Ab einer gewissen Höhe kann dies schneller erfolgen
als die Löhne wachsen. Für mich überraschend war, dass es aus
volkswirtschaftlicher Sicht ein fast konstantes Verhältnis zwischen Einkommen
und Vermögen gibt. In Mitteleuropa beträgt es 1:6. In Italien beträgt es 1:7,
in den USA 1:3. Der tiefere Grund für die relative Konstanz dieser Zahl und für
die bestehenden Unterschiede entging mir.
Historische und regionale Entwicklung
Der Kern des Buches besteht darin, die
weltweite Entwicklung von Einkommen und Vermögen über die Zeit von 1900 bis
2010 aus globaler Sicht zu untersuchen. Dabei bemüht sich der Autor möglichst
gut belegte Daten zu verwenden. Diese sind je nach Zeit und Region von sehr
unterschiedlicher Qualität und oft sehr lückenhaft. Notgedrungen konzentriert der
Autor sich auf die am besten dokumentierten Wirtschaftsräume. Das sind
Frankreich, England und die USA. Das übrige Europa (Deutschland, Schweden,
Italien) und Japan werden nur sporadisch mit herangezogen.
Piketty beginnt mit der Zeit vor dem Ersten
Weltkrieg (1900-1914). Für England und Frankreich ist noch die Struktur einer
Kolonialmacht bestimmend. Die USA sind das Gegenbeispiel. Hier herrschen fast
moderne Verhältnisse. Während in Europa das Vermögen sehr stark konzentriert
ist, ist es in den USA sehr verteilt. Das Gleiche gilt für die Einkommen. Mit
dem ersten Weltkrieg beginnt ein Umschwung. In seinem Gefolge ergreift die Weltwirtschaftskrise
Europa und Amerika. Der sich anschließende Zweite Weltkrieg bewirkt, dass der
Wohlstand wie der Kapitalismus als Wirtschaftsform einen tiefen Einbruch
erleiden. Der Schock von 1914-1945 hat in Europa die dort vorherrschende Ungleichheit
in Einkommen und Vermögen zunächst abgebaut. Die Kriege machten eine Art von Tabula
rasa. In Frankreich gingen vor allem die Kapitaleinkommen zurück. Bei den Lohneinkommen
blieb die Verteilung fast gleich.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu
einer Wiederherstellung des Kapitalismus, allerdings mit einer anderen Art von
Vermögen und anderen Ungleichheiten. Die Einkommen des oberen Dezils, d.h. der
oberen 10%, stiegen seit 1970, vor allem in USA und England. In den USA steigen
seit 1996 vor allem die Spitzengehälter stark an. Wie in der obigen Tabelle wiedergegeben, bezieht in den USA im Jahre 2010 das obere 1% der Bevölkerung rund 20% des Einkommens. In Schweden sind dies 4%, in Frankreich
9% und in Deutschland 11% des Einkommens. Der Durchschnitt der Lohneinkommen ist weniger
gestiegen.
Bei den oberen 10% besteht das Einkommen
sowohl aus Arbeits- wie aus Kapitaleinkommen. Je weiter man nach oben kommt,
umso größer wird der Anteil der Kapitaleinkünfte. Heute überwiegt das Einkommen
aus Vermögen nur bei den oberen 0,1%. Signifikant wird es erst ab 0,01% der
Bevölkerung. Die extrem hohen Einkommen von Schauspielern, Spitzensportlern und
Spitzen-Managern gingen zwar von den USA aus, sind aber kein rein
amerikanisches Phänomen. In den USA wurden sie erst möglich nach der Senkung
des Spitzensteuersatzes in den 1980er Jahren. Dieser betrug nach der 1930er
Krise über 80% und wurde zuletzt von George W. Bush auf 36% gesenkt. Nur 20%
der Supereinkommen stammten aus dem Finanzsektor. Bei Managern ergebe sich ein hoher
Anteil aus Aktien-Optionen.
In Europa erreichte das Vermögen um 2000
herum wieder den Stand von 1914 und steigt seither schneller an als die Einkommen.
Bestand früher Vermögen vorwiegend in der Form von Grundbesitz und
Staatsobligationen, treten heute Wohnungen und Industrieinvestitionen an ihre
Stelle. Auch die Spreizung, also die Ungleichheit der Verteilung, hat zugenommen,
mit erheblichen Differenzen zwischen den Ländern. Neu ist auch die Konzentration
in Erdölländern und Steueroasen. Nicht nur in Russland, überall auf der Welt wird
Staatsvermögen an Private transferiert. Nach Piketty hat sich in den USA das obere
1% der Einkommen 60% des Wachstums der letzten 20 Jahre ‚unter den Nagel
gerissen‘. Der Mittelstand verschuldete sich, was dann die Krise von 2008 verursachte.
Dass die USA für eine staatlich
betriebene Umverteilung von Einkommen und Vermögen weniger leicht zu gewinnen
sind als wir Europäer, führt Piketty darauf zurück, dass die Mehrzahl der Einwanderer
aus Ländern kamen, in denen die Einkommens- und Vermögens-Verteilung (noch) schlechter
war als in den USA. Die USA habe immer noch den Ruf einer Meritogratie, einer
Gesellschaft, die persönliche Leistungen verlange und fördere.
Verdienter oder ererbter Reichtum
Im Allgemeinen wird Reichtum, den jemand
durch seine eigene Lebensleistung erworben hat, weniger kritisch behandelt als
ererbter Reichtum. Daher bestand sowohl in den USA wie in England bis 1980 eine
hohe Erbschaftssteuer. Auch sie musste als Teil der ‚konservativen Revolution‘
weichen. In Deutschland gehört sie ins Repertoire linker Wahlprogramme.
Piketty befasst sich ausführlich mit
zwei aktuellen Beispielen: Bill
Gates (*1955) und Liliane Bettencourt (*1922). Bei Gates könnte man sagen, er habe die Computer-Maus
erfunden. Bei der L‘Oréal-Erbin könne man Dergleichen nicht behaupten. Bei
beiden hat sich das Vermögen in den letzten 20 Jahren verzehnfacht. Nebenbei
sei bemerkt, dass Piketty völlig daneben liegt, wenn er versucht den Grund für
Bill Gates‘ Reichtum anzugeben. Gates hat nicht die Computer-Maus erfunden. Das
taten andere. Er hat stattdessen eine ganze Industriebranche neu geschaffen,
nämlich die von Rechnerherstellern unabhängige Software-Industrie.
Aufgaben des Staats und seine Grenzen
Bei Staat denken wir primär an den
Nationalstaat. Beispiele sind die USA und Deutschland, aber auch Luxemburg und die
Schweiz, sogar Liechtenstein und Andorra. Die allgemeine Rechtfertig erfährt
der Staat als Instanz, die Aufgaben übernehmen kann, die einen Einzelnen
überfordern. Er ersetzt in mancher Hinsicht, was die Familie oder die Sippe in
älteren Gesellschaften bewirkten. Er kann auch über diverse Hierarchiestufen in
Erscheinung treten, sei es als Gemeinde, als Region oder als Bundesland. Deshalb
sprechen wir lieber von der öffentlichen Hand. Sie muss nicht alles von staatlichen
Angestellten tun lassen, sondern es reicht, wenn die Kosten möglichst breit
verteilt werden. Dazu dienen normalerweise Steuern.
Aufgaben, die dem Staat schon sehr früh
zufielen, sind Rechtsprechung, öffentliche Sicherheit und Verteidigung, obwohl
es auch dazu heute noch private Angebote gibt. Inzwischen ist der Staat auch in
Aufgaben vorgestoßen wie Bildung, Gesundheitspflege, Kultur- und
Wirtschaftsförderung sowie Lohnersatz und Einkommenstransfer. Vor allem die so
genannten sozialen Leistungen führten zu einer Konkurrenz, im doppelten Sinne.
Hohe Steuern lockten die Empfänger von Transferleistungen an, gleichzeitig
schreckten sie die potentiellen Steuerzahler ab.
An der Frage, wie der (sehr
einflussreiche) Staat sich finanziert, scheiden sich oft die Geister. Anstatt
Steuern zu zahlen, ziehen viele es vor, dem Staat Geld zu leihen. Solange der
Staat dafür Zinsen zahlt, führt dies zu einer Vermehrung des Privatvermögens.
Das ist bei Italienern und Griechen offensichtlich beliebt. Staaten bilden in
der Regel kein Vermögen (von sozialistischen Staaten abgesehen). Das tun nur
Private. Es gibt kaum einen Staat, der nicht Schulden bildet und aufhäuft, da überall
Bürger nur ungern Steuern zahlen.
In der Krise von 2008 haben Staaten die
Verschuldung oder den Konkurs privater Unternehmen verhindert, indem sie sich selbst
stärker verschuldeten. Sowohl in Europa wie in den USA wachsen seither die Staatsschulden,
obwohl die Bürger des jeweiligen Landes immer reicher werden. Die Banken in
Südeuropa wiederum halten Schuldscheine der Staaten, die sich 2008 überschuldet
haben, um Banken und andere Unternehmen zu retten. In Griechenland ist dies am
auffallendsten. Seine reichen Bürger kaufen lieber Staatsbesitz zu
Schleuderpreisen, als dass sie ihre Steuern zahlen. Der einzige Ausweg, den ein
Staat hat, um aus dem Dilemma zu entkommen, ist die Inflation. Die ist aber
unpopulär (siehe unten).
Rolle der Zentralbanken
Zwei Zentralbanken stehen heute im
Blickpunkt, die Fed und die EZB. Ihre primäre Aufgabe ist es, Liquidität zu schaffen.
Sie müssen – koste es, was es wolle – eine Deflation verhindern. Diese
Schlussfolgerung zog Milton Friedman (1912-2006)
nach seiner Analyse der Wirtschaftskrise von 1930. Wir brauchen keinen
Sozialstaat, sondern nur eine gute Fed‘ so wird er zitiert.
Durch die Kreditvergabe der Zentralbanken
ändert sich nicht das Vermögen der Erdbewohner. Sie müssen neues Geld in Umlauf
bringen in dem Maße wie die Wirtschaft wächst, aber erst recht, wenn sie
schrumpft. Das ist nicht leicht zu verstehen. Die EZB vergibt inzwischen auch
längerfristige Kredite, und sogar an Staaten. Damit überschreitet sie zwar
ihren Auftrag. Sie tut dies jedoch, weil sie schneller reagieren kann als ein
Staat Steuern erhöhen kann, von der EU ganz zu schweigen. Piketty beschreibt
eine Welt, in der angesammeltes Geld, also Vermögen, ohne Arbeit Erträge
erzielen kann, weil die Zinsen immer deutlich höher Null (etwa 5%) sind. Welchen
volkswirtschaftlichen Effekt die lang anhaltende Niedrigzinspolitik aller
Zentralbanken hat, darüber lässt sich Piketty nicht aus.
In puncto Inflation sind Deutsche
gebrannte Kinder. Die übrige Welt hat mehr Angst vor einer Deflation. Während
der Deflation 1929 - 1935 wurden in Frankreich die Industriegehälter um 50%
gesenkt, und die der Beamten um 20%. Das änderte sich erst 1935, als der
Sozialist Leon Blum Löhne und Inflation steigen ließ. Eine Inflation trifft nur
die, die mit ihrem Geld nichts anzufangen wissen ̶ so
sieht es Piketty. Hätten sie ihre Ersparnisse in Immobilien oder Aktien angelegt,
wäre deren Wert erhalten geblieben. Inflation schadet allen Leuten, die ihr
Geld auf Bankkonten lassen oder es unter dem Kopfkissen aufbewahren.
Mangel an Transparenz
Nicht nur den Wissenschaftler Piketty
bekümmert es, dass es sehr schwer ist, an alle gewünschten Daten zu kommen, was
Einkommen und Vermögen anbetrifft. Manchmal sind entsprechende Statistiken einfach
nicht erstellt worden. Besonders schlecht ist die Situation, was Privatpersonen
und Privatvermögen betrifft. Die Listen, wie sie das Forbes-Magazin
veröffentlicht, umfassen nur einige Hundert Namen. Sie erwecken einen völlig
falschen Eindruck. Will man das oberste Prozent der US-Personen verfolgen,
handelt es sich um 2,5 Millionen Menschen; selbst in Deutschland sind es 800.000.
Besonders erschwert wird die Analyse,
weil zu viel Geld in Steueroasen versteckt gehalten wird. Pikettys Schüler Gabriel Zucman schätzt, dass
etwa 10% des weltweiten BIPs (von 70k
Mrd. Euro) sich in Steueroasen befindet. Es stamme vorwiegend aus den reichen
Ländern. Das weltweite Vermögen schätzen Piketty und seine Mitarbeiter übrigens
auf 340k Mrd. Euro. Soll demokratische Kontrolle über Einkommen und Vermögen
ausgeübt werden, so bedarf es in erster Linie mehr Information. Piketty selbst
glaubt, bessere Daten zu haben als andere vor ihm. Auch die US-Behörden waren
sehr erfolgreich, seit sie mit Zwangsauskünften von Banken an Daten kamen, die
ihnen die Regierungen der Schweiz oder Luxemburgs vorenthielten. Wer heute eine Art
Gesamtrechnung macht – so überspitzt es Piketty – muss davon ausgehen, dass die Erde Schulden beim
Mars hat.
Eine rühmliche Ausnahme bilden die
privaten amerikanischen Universitäts-Stiftungen. Etwa 800 Universitäten
verwalten Fonds. Vier von ihnen, nämlich Harvard, Yale, Princeton und Stanford besitzen
je über 15 Mrd. US-Dollar. Ihre Rendite ist höher als 10% im Jahr. Selbst
kleinere Fonds erwirtschaften über 6%. Sie alle legen offen, wie sie ihre
Erträge zustande bringen. Ein weiteres positives Beispiel ist der Norwegische Staatsfond.
Weniger offen sind die Staatsfonds arabischer Ölförderländer.
Lösung durch eine neue Steuer
Eigentlich müsste das Buch interessant
werden, wenn es nach der seitenlangen Analyse zu konstruktiven Vorschlägen
übergeht. Die Vorschläge blitzen zwar schon zwischendurch hin und wieder kurz
auf. Am Schluss wird Piketty etwas ausführlicher. Seine Lösung heißt progressive internationale Kapitalsteuer. Sie ähnelt der
Finanztransaktionssteuer und hat dieselben Probleme. Der eingenommene Betrag sei weniger wichtig als der Zugewinn an Kontrolle und Transparenz. Sie erzwinge
den Datenaustausch und gestatte eine Regulierung. Sein Vorschlag sei aber nicht
mehr als nur eine nützliche Utopie. Außerdem bräuchten wir ein Parlament für die
Eurozone. Das könnte dann eine Vereinheitlichung der Körperschaftssteuer
durchsetzen.
Ökonomen über Ökonomen
Dass Piketty sich seinen Fachkollegen,
besonders den US-Ökonomen, gegenüber kritisch äußert, ist für Einige von uns eine
Wohltat. Die Wirtschaftswissenschaftler in den USA hätten eine ‚kindliche
Vorliebe für Mathematik‘. Ihnen seien Modelle wichtiger als Empirie. Die
Wirtschaftswissenschaften hätten sich nie von den Sozialwissenschaften
abkoppeln dürfen. Pikettys Traum ist eine politische Ökonomie, die sich als Teil
der Sozialwissenschaften versteht. Politik sei allgegenwärtig. Man könne
politische und ökonomische Entwicklung nicht trennen. Hier liegen die Parallelen
zu Rademachers Denken auf der Hand. Nur geht Radermacher noch mehr in die
Breite. Man muss sich damit abfinden, dass Pikettys Welt ein Zentrum besitzt,
bestehend aus Frankreich, England und den USA. Diese Länder haben einigen
Newcomers voraus, dass sie über ältere Institutionen verfügen. Die Deutschen
und die Japaner werden es verkraften. Für Putin und die chinesischen Führer könnte der Autor ein Ärgernis sein.
PS: Drei der Grafiken in diesem Beitrag entstammen
Pikettys Buch. Wie die meisten der etwa 30 Grafiken enthalten sie mehr
Information als hier oder im Buch besprochen wird.
Otto Buchegger aus Tübingen schrieb:
AntwortenLöschenDie Hidden Agenda der Europäischen Linken ist inzwischen gut sichtbar.
Privatvermögen abschaffen. Dies geschieht in zwei Schritten:
1. Totale staatliche Kontrolle
2. Erzwungene Verteilung auf alle
NB (Bertal Dresen): Die erste zustimmende Reaktion auf diesen Blog-Eintrag kam gestern von einem Leser in Hongkong.
Peter Hiemann aus Grasse schrieb:
AntwortenLöschenPikettys historischer Faktenreichtum ist beeindruckend. Jedoch konnte ich Krugmans Aussage „Dieses Buch wird die Ökonomie verändern und mit ihr die ganze Welt“ nicht nachvollziehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch Piketty selbst seine Arbeit bescheidener einschätzt. Piketty ist sich der „besonderen Dynamik des Kapitals“ bewusst. In der feudalistischen Gesellschaft ging es vorwiegend um die Verfügbarkeit von Bodenkapital, im 19. und 20. Jahrhundert von Industriekapital (Marx' Anliegen), im 21. Jahrhundert von Finanzkapital.
Pikettys Hauptanliegen ist der Beweis der fundamentalen Ungleichung r > g. Die Größe r bezeichnet die Kapitalrendite, d.h. den durchschnittlichen Kapitalertrag eines Jahres, in Prozent des eingesetzten Kapitals. Die Größe g bezeichnet die Wachstumsrate, d.h. das jährliche Wachstum von Einkommen und Produktion.
Im Kapitel „Globale Vermögensungleichheit im 21. Jahrhundert“ erklärt Piketty, wie sich Vermögensverteilungen durch die Globalisierung ökonomischer Transaktionen zusätzlich verändert haben, obwohl darüber wenig 'verlässliche' Daten existieren. Pikettys Aussagen in Kapitel 12 sind alles andere als überraschend. Die Spatzen pfeifen längst von den Dächern, dass die international agierende Finanzindustrie über vielfältige Investitionsmethoden verfügt, um 'virtuelle' Werte zu kreieren, die neben den realen Werten der realen Produktion von Gütern und Dienstleistungen existieren. Diese 'virtuellen' Werte sind der Analyse kaum zugänglich. Seit den 'Panama Papers' wissen wir, dass umfängliche reale und virtuelle Werte in anonymen legalen 'Briefkastenfirmen' Analysen nicht zugänglich sind.
Generell sind soziale Ungleichheiten jedweder Art ein normales Phänomen jeder Gesellschaftsform. Radermacher und Piketty machen eindrucksvoll darauf aufmerksam, dass finanzielle Ungleichheiten zwischen reichen und armen Staaten im 21. Jahrhundert nicht tolerierbare Ausmaße angenommen haben. Deren Überlegungen sind nur ein Anfang, um existierende ökonomische und politische Systeme verschiedenster Art besser zu verstehen und eventuell so zu korrigieren, damit langfristig 'nachhaltige' ökonomische und politische Prozesse wirksam werden.
Übrigens hat Slovoj Zizek, dessen polemische Kommentare ich sonst wenig schätze, hinsichtlich der 'Panama Papers' eine amüsante Bemerkung gemacht: „In der dunklen Welt des globalen Kapitalismus sind alle Brüder. Die westlichen Industrieländer, einschließlich der unbestechlichen Skandinavier, reichen Putins Freunden die Hand, der ukrainische Präsident Poroschenko steht daneben, ebenso das familiäre Umfeld des chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Der Iran und Nordkorea sind dabei, Muslime und Juden zwinkern sich freundschaftlich zu. Ein wahrhaft multikulturelles Reich, in dem alle gleich und verschieden sind“ (Spiegel 15/2016).
PS: Vielleicht machen Piketty und Radermacher die 'Zunft' der Ökonomen etwas nachdenklicher.
Als Nicht-Ökonom fällt es mir schwer, die Bedeutung der Formel 'r > g' einzuschätzen. Insbesondere weiß ich nicht, was im Falle einer Niedrigzinspolitik passiert. Die Zentralbanken halten doch offensichtlich die Rendite 'r' niedrig, weil sie hoffen dadurch das Wachstum 'g' zum Anziehen zu bekommen. Oder läuft alles darauf hinaus, das man aufhören muss, bleibende Ersparnisse und echte Investitionen mit rein geldwerten Anlagen (e.g. Schuldscheinen) gleichzusetzen oder zu verwechseln.
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