Samstag, 23. April 2011

Dubai & Abu Dhabi – Wahnsinn mit Methode?

Am 17.4. schrieb Hartmut Wedekind:

Anbei mein Reisebericht  über eine Reise mit dem Verband der Wirtschaftsingenieure (VWI) nach Dubai & Abu Dhabi. Ich war aus „human-pathologischen“  Gründen in Dubai und Abu Dhabi. Ich wollte den Wahnsinn sehen. Shakespeare sagt im Hamlet „madness“, was vornehm in der Literatur mit Tollheit übersetzt wird. Fahrt hin! Auch Wahnsinn betrachten lohnt sich für die Weiterbildung.

Da meine Frau und ich 2007 in Dubai waren, als der Burj Kalifa noch im Bau war, fand ich den Reisebericht sehr lesenswert. Ich teile auch Wedekinds Interpretation des Phänomens Vereinigte Arabische Emirate (VAE). Ich regte deshalb an, den 8-seitigen Erfahrungsbericht den Lesern meines Blogs zur Kenntnis zu geben, ein Vorschlag, dem der Autor dankenswerterweise zustimmte.

Es bleibt mir nur, allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs Frohe Ostern zu wünschen, einschließlich eines vergnüglichen Osterspaziergangs. Nach ein paar Tagen Pause werde ich mich wieder melden.

Freitag, 22. April 2011

Erinnerungen an Harlan Mills (1919-1996) und Watts Humphrey (1927-2010)

Im Folgenden werde ich an zwei, inzwischen verstorbene IBM-Kollegen erinnern, die auch durch ihre Arbeiten außerhalb der Firma bzw. nach ihrer IBM-Karriere der fachlichen Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Sie haben auch innerhalb der IBM deutliche Spuren hinterlassen. Ich hatte über Jahre hinweg Gelegenheit, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Beide nahmen relativ wenig Einfluss auf die Produktpolitik der Firma, umso größer war ihre Wirkung auf die internen Methoden und Prozesse.

Harlan Mills gehörte zur Federal Systems Division (FSD) der IBM. Dieser Unternehmens­bereich, der 1993 verkauft wurde, war damals zuständig für Projekte und Dienstleistungen für die amerikanische Regierung. Das Verteidigungs­ministerium und die NASA waren die größten Auftragsgeber. Die dortigen Kollegen mussten jeden ihrer Aufträge im strengen Wettbewerb gewinnen. Einige der Projekte standen während der Durchführung im Rampenlicht der Öffentlichkeit, wie z.B. die Hardware und Software für das Mondlandeprojekt Apollo. Dass es bei allen Raumfahrtunternehmungen der USA so gut wie keine Software-Probleme gab, ist anerkanntermaßen der Verdienst von FSD. Im Endres/Gunzenhäuser-Buch (S. 22) ist das Warum kurz erläutert. Viele der Kollegen von FSD waren in der Fachwelt bekannt (Joel Aron, Terry Baker, Bernie Witt) und genossen hohes Ansehen bei uns ‚Zivilisten‘ in den normalen Entwicklungslabors der IBM.

 
Mills war von 1964 bis 1987 bei IBM. Er wurde 1981 zum IBM Fellow ernannt. Wie kein anderer hat er dafür gesorgt, dass die Ideen von Dijkstra, Wirth und Hoare innerhalb der IBM bekannt wurden. Als Mathematiker war er von Dijkstras Diktum überzeugt, dass die mathematische Methode der wirksamste Weg sei, um mit Komplexität fertig zu werden. Entsprechend vertrat er die Auffassung, dass man korrekte Programme am ehesten dadurch erreicht, dass man sie als mathematische Objekte betrachtet und ihre Struktur möglichst einfach und übersichtlich hält. Der Autor eines Programms verschafft sich ein Gefühl der Korrektheit primär durch gedankliche Analyse des Programmtextes, evtl. unterstützt durch Beweise. Testen ist verpönt. 

Um diese Denkweise in der Praxis durchzusetzen, schlug Mills ein enormes Schulungsprogramm vor, was Anfang der 1980er Jahre weltweit durchgezogen wurde. Die Basis bildeten zweiwöchige Lehrgänge, die für alle Entwickler zur Pflicht wurden. Behandelt wurden Syntax und Semantik von Programmiersprachen, Datentypen, Logik und Mengenlehre, sowie Beweistechnik. Eine an PL/I erinnernde Entwurfssprache (CDL) sollte die schrittweise Verfeinerung des Entwurfs ermöglichen. Über alle Labors hinweg haben schätzungsweise 20.000 Programmierer und 2.000 technische Autoren an der Ausbildung teilgenommen. Ich selbst besuchte nur die abgekürzte 3-Tageversion für Manager. Es gab Instruktoren in jedem Labor. In Böblingen übernahm Klaus Darga [1] diese Funktion. Zwei von Mills Büchern, die das Lehrmaterial wiederspiegeln, möchte ich erwähnen:

  1979 Structured Programming, mit den Ko-Autoren Linger und Witt.
  1987 Principles of Computer Programming: A Mathematical Approach, mit den Ko-Autoren Basili, Gannon, and Hamlet

Die Einrichtung der IBM in New York City, die das von Mills entwickelte Kurspro­gramm in den USA anbot, nannte sich Software Engineering Institute (SEI). Dieselbe Idee und der gleiche Namen wurden vom amerikanischen Verteidigungsministerium übernommen, als es später an der Carnegie-Mellon Universität in Pittsburgh ein Forschungsinstitut gründete. Dass Watts Humphrey, der andere Kollege, über den ich hier berichten werde, später diesem Institut zu Weltruhm verhalf, ist eine nette Koinzidenz. Im Hinblick auf seine nachhaltige Wirkung hatte das Ganze eine fatale Schwäche: Es gab damals – und auch später – so gut wie keine Werkzeuge, welche die Anwendung dieser Methoden in der Praxis unterstützten. Vor allem gab es keine Brücke zwischen Entwurf und Implementierung, was zur Folge hatte, dass beide im Laufe der Weiterentwicklung auseinanderdrifteten. Nur selten wurde dann der Entwurf nachgezogen.

Zwei mit Mills Namen verbundene Ideen betrafen die Organisation von Software-Projekten. Sein erster Vorschlag, den er zusammen mit Terry Baker propagierte, hieß Chef-Programmierer-Team. Er basierte auf der Analogie zur Medizin. Ein Chirurg bekommt seine Kompetenz dadurch, dass er selbst operiert. Er sah die Ursache für schlechte Software darin, dass Informatiker, sobald sie Erfahrung gewonnen haben, nicht mehr praktizieren, d.h. selbst Programme schreiben und testen. Er glaubte, man könnte dem entgegenwirken, indem man ein hierarchisches Team bildet, so dass dem Chef nur die interessanten und wichtigen Aufgaben bleiben. Die weniger interessanten, rein klerikalen Arbeiten sollten weniger qualifizierte Mitarbeiter übernehmen. Er definierte also den Chef-Programmierer, einen Backup-Programmierer und einen Software-Bibliothekar. Der Ansatz fand in der Praxis wenig Zustimmung. Chefs zu finden war leicht, Backups schon etwas schwieriger, aber niemand wollte Bibliothekar sein. Außerdem wurde von der eigenen Branche argumentiert, dass man klerikale Aufgaben eh bald durch Werkzeuge eliminieren würde.

Beim Cleanroom-Ansatz ließen sich Mills und sein Ko-Autor Richard Linger von der Halbleiterfertigung anregen. Will man Fehler vermeiden, muss man dafür sorgen, dass keine Störungen auftreten. So wie Physiker bei der Chip-Produktion Staubteilchen eliminieren, versuchte sein Vorschlag, Unsicherheit stiftende Arbeitsweisen aus dem Prozess auszumerzen. Dazu gehörte, dass der Entwickler selbst testet, und − was das schlimmste ist − selbst Fehler korrigiert. Er darf daher nur nach formalen Methoden Code schreiben, der gut durchdacht (also sauber) ist. Getestet werden alle Module erst in der Systemumgebung, und zwar nach statistischen Methoden. Auch dieser Ansatz hat den Test der Praxis nicht bestanden.

Mills war mehrmals in Böblingen. Bei seinem letzten Besuch etwa 1983 kam er per Bahn von München. Er stieg eine Station vor dem Böblinger Hauptbahnhof aus und verpasste den angesetzten Termin für seinen Vortrag. Nach seinem Ausscheiden bei IBM und bis zu seinem Tode war er Informatik-Professor in Vero Beach, FL.

Watts Humphrey war bei IBM von 1959 bis1986. Er war von Hause aus Physiker und hatte eine Reihe von Positionen sowohl in der Hardware- wie in der Software-Entwicklung inne gehabt. Er war sehr stolz auf die fünf US-Patente, die er aus einer Hardware-Zeit besaß. Er vertrat Mitte der 1960er Jahre die Entwicklerseite in der internen Studiengruppe, die das ‚Unbundling‘ der Software vorbereitete. Seine letzte Position bei IBM hieß ‚Director of Software Process and Quality‘. In dieser Funktion war er einer meiner fachlichen Vorgesetzten. Humphrey war immer sehr taktvoll gegen andere, aber gleichzeitig enorm zielstrebig und hart gegen sich selbst.


Während Mills das Heil in mathematischen Ansätzen suchte, verfolgte Humphrey einen arbeitswissenschaftlich-empirischen Ansatz. Er fragte danach, was funktioniert überhaupt und wo? Wenn eine Methode positive Ergebnisse zeitigt, sollte man sie übertragen. Er nannte dies ‚Best-of-Breed-Studien‘. Auch regte er an, dass wir unsere Prozesse mit denen von Mitbewerbern vergleichen sollten (Benchmarking genannt). So kam es zu mehreren Treffen mit den Kollegen von Siemens in München. Aus all dem entstand ein Modell der Prozessreife. Die entsprechenden Bewertungsbögen für Böblingen muss ich um 1984 herum ausgefüllt haben.

Nach seiner Pensionierung im Jahre 1986 setzte er zehn Jahre lang seine bei IBM zuletzt durchgeführte Arbeit fort, und zwar am Software Engineering Institute (SEI) der Carnegie Mellon University, Pittsburgh, PA. Er initiierte ein Software-Prozess-Programm und zeichnete unter anderem verantwortlich für die Entwicklung des Capability Maturity Model (kurz CMM) sowie des Personal Software Process (SM) und Team Software Process (SM).

Er hat nach seiner IBM-Zeit mindestens doppelt so viele Bücher geschrieben wie ich. Einige davon findet man heute in den Institutsbibliotheken führender deutscher Informatik-Institute. Ihre Titel sind am Schluss angegeben. Ihre gesamte Auflage erreicht vermutlich nicht ganz die des Bestseller eines anderen Ex-IBMers, nämlich Fred Brooks‘ ‚Mythical Manmonth‘ (geschätzte 300.000). Humphreys Bücher enthalten äußerst wertvolle Ratschläge, sowohl für die technische Seite wie für die organisatorische Seite der Software-Entwicklung. Man kann ihn am ehesten mit Barry Boehm vergleichen. Vieles was er schrieb, probierte er vorher an sich selbst aus. Seine Devise lautete: Ich kann nicht andern Leuten raten, pedantisch und rigoros zu sein, wenn ich es nicht selbst bin. In Selbstversuchen testete er so zu sagen die Medizin, die er empfahl.

Humphreys Einfluss zeigt sich heute primär bei der Vergabe und Durchführung von Software-Projekten im öffentlichen Bereich der USA. Seine Wirkung ist jedoch weltweit zu erkennen. Als ich im Jahre 1995 anlässlich einer Urlaubsreise in Neu Delhi landete, wurde ich von Werbeplakaten einer indischen Software-Firma begrüßt, die sich gerade für CMM Stufe 5 qualifiziert hatte. CMM ist Humphrey. Humphrey lebte zuletzt in Sarasota, FL, wo er starb.

Es folgt die Liste von Humphreys Büchern, und zwar ihre englische Titel, nach Erscheinungsjahr geordnet (sie sind alle bei Addison-Wesley, Reading, MA, erschienen):

 2011 Leadership, Teamwork, and Trust: Building a Competitive Software Capability.
 2010 Reflections on Management: How to Manage Your Software Projects, Your Teams, Your Boss, and Yourself.
 2006 TSP, Coaching Development Teams.
 2006 TSP, Leading a Development Team.
 2005 PSP, A Self-Improvement Process for Software Engineers.
 2001 Winning with Software: An Executive Strategy.
 1999 Introduction to the Team Software Process.
 1997 Managing Technical People - Innovation, Teamwork and Software Process.
 1995 A Discipline for Software Engineering.


Noch eine Nachbetrachtung: Diese beiden Kollegen vertraten für mich zwei Grundrichtungen der Informatik. Mills vertrat die deduktive oder geisteswissen­schaftliche Richtung. So wie ein Philosoph sucht und findet man die Antworten zu aktuellen Fragen bei den Altmeistern. Was Aristoteles und Kant für Philosophen sind Dijkstra, Hoare und Wirth, aber auch Turing, Church, Kleene und Frege für viele Informatiker. Nur das, was die Altmeister als Problem ansahen, etwa die Struktur von Programmen, interessiert einen. Oder anders herum, man hat eine Methode und versucht Probleme zu finden, die mit dieser Methode lösbar sind. Einige prominente Vertreter dieser Denkrichtung vermitteln den Eindruck, als ob fast alle Probleme der Informatik – zumindest die mathematisch interessanten − bereits seit den 1930er Jahren gelöst seien. Was danach noch zu tun war, ist alles handwerkliche Anwen­dung von längst Bekanntem, oder schonender formuliert, Ingenieursarbeit, evtl. begleitet von aufwendiger Schulung (siehe oben!), deren Nutzeffekt allerdings hinterfragt werden darf.

Humphrey dagegen steht für den induktiven oder empirischen Ansatz. Vertreter dieser Richtung bemühen sich zunächst darum, wichtige Probleme in der Praxis zu identifizieren, also bei Entwicklern und Nutzern. Danach überlegt man, welche Methoden und Ansätze zur Lösung der Probleme beitragen können. Genauer gesagt, man analysiert, wer mit welchen Methoden die besten Ergebnisse erzielte, und prüft, welche Bedingungen geschaffen werden müssen, um dieselben Methoden anderswohin zu übertragen. Sehr bald anerkennt man, dass es kein Allheilmittel gibt, sondern dass unterschiedliche Probleme oft unterschiedliche Methoden und Hilfsmittel erfordern. Diese können aus mehreren Fachgebieten stammen. Das kann die Mathematik einschließen – muss es aber nicht. Mal hilft die Organisationslehre, mal die Psychologie, mal ist es eine Frage der Dokumentation oder der Kommuni­kation. Die Probleme hören nie auf. Es gibt immer wieder neue. Man ist bescheiden und offen für Überraschungen. Ich brauche hier nicht hinzufügen, welcher Ansatz mir mehr zusagt.

Zusätzliche Referenz

1.     Darga, K. (1985): Methodischer Programmentwurf bei IBM. In: Proebster, W.E., Remshardt, R., Schmid, H.A. (Eds): Methoden und Werkzeuge zur Entwicklung von Programmsystemen. Oldenbourg, München. 61-81

Mittwoch, 20. April 2011

Erneuter Blick auf Facebook

Bereits im Februar hatte ich außer zu anderem sozialen Netzen auch einige kurze Bemerkungen zu Facebook gemacht. Von einem besonders treuen Leser wurde mir in der Zwischenzeit mehrmals nahegelegt, mich doch intensiver mit Facebook zu befassen. Im Grunde bin ich, im Gegensatz zu meinen Enkelkindern und zwei weiteren Bekannten (und Facebook-Freunden) immer noch nicht richtig mit diesem System warm geworden. Abgesehen von dem Gewinn einiger weiterer Freunde, habe ich in den letzten zwei Monaten praktisch keine großen Fortschritte gemacht.

Einen neuen Motivationsschub erhielt ich letzte Woche, als ich die Kommentare las, die ein Freund (im konventionellen Sinne) eines meiner amerikanischen Freunde (im konventionellen Sinne) geschrieben hatte. Sein Bericht – an dessen Sprachstil man sich allerdings erst gewöhnen muss − ist voll des Lobes für Facebook. Er fand im Nu eine Vielzahl von neuen Freunden (im Sinne von Facebook), und zwar auf dem ganzen amerikanischen Kontinent. Das liegt vermutlich daran, dass er ein sehr ausgefallenes Hobby hat, das man eigentlich als eine Art von Lebensweise ansehen muss. Er ist nämlich ein Hobo, genauer ein Edel-Hobo. Hobos heißen (lt. Wikipedia) Wanderarbeiter in den USA, die sich hauptsächlich an Bord von Güterzügen von einem Ort zum andern bewegen. Der Betreffende führt dieses Leben seit über 30 Jahren, genauer gesagt seit 1978. Ob er als heute 62-jähriger demnächst eine Pension bekommt. bleibt offen. Er wechselte bei seinen Fahrten zwischen Vermont im Nordosten und Baja California im Südwesten. Der ebenfalls im Internet festgehaltene Lebensrückblick des besagten Hobos ist eine spannende Lektüre. Jack London war einer seiner frühen Wegbereiter. Kommen Ihnen beim Lesen hin und wieder Begriffe ungewohnt vor, Google oder Wikipedia können helfen. Nur so viel: Eine Hoboette ist ein weiblicher Hobo.

Mit diesem Facebook-Nutzer kann ich leider nicht mithalten. Auf meine beiden angegebenen Interessengebiete (Computer-Historie und Eifler Heimatforschung) hat bisher noch niemand direkt angebissen. Stattdessen bekomme ich inzwischen etwa 700 Namen (meist mit Fotos) von Leuten angeboten, die ich eigentlich kennen müsste. Es sind alles Facebook-Freunde meiner Facebook-Freunde. Etwa ein Dutzend davon kenne ich sogar persönlich. In diese Kategorie gehören einige der angeheirateten Verwandten meiner Kinder, eine frühere Kollegin, ein Informatik-Professor aus Österreich, sowie der Landrat und der CDU-Landtags­abgeordnete des Eifelkreises Bitburg-Prüm. Gäbe es mehrstufige Verknüpfungen, würden mir wohl bald alle 600 Millionen Facebook-Nutzer angeboten. Bekanntlich wurde ja im Jahre 1967 von dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram entdeckt, dass jeder Mensch jeden beliebigen anderen Menschen über durchschnittlich sechs Ecken kennt.

Ich selbst habe mehrere Versuche unternommen in Facebook aktiv zu werden. Ich fand zum Beispiel heraus, dass es Träger meines (wahren) Familiennamens zu Hunderten gibt, vorwiegend in den USA. Sogar einen Nutzer gleichen Vornamens gibt es. Übrigens wusste ich längst dank Google, dass es mich allein in Deutschland bereits fünf Mal gibt. Ich fand jemanden, der einen etwas seltenen, aber in meiner Familie durchaus bekannten Nachnamen besitzt. Ich schrieb ihn in Deutsch an und erhielt prompt eine Antwort. Der betreffende Herr ist zurzeit als Mediziner an einer Universität in Alabama tätig. Er stammte in der Tat aus derselben  Region wie ich und hat dort noch Verwandte. Darunter gäbe es sogar welche, die Familien- und Heimatforschung betreiben. Mein Versuch, mit denen in Kontakt zu treten, blieb bisher jedoch ohne Erfolg.

Das Geheimnis um die am Anfang des zitierten Berichts wiedergegebene URL will ich lüften. Es ist ein Artikel der New York Times, in dem diese zu berichten weiß, dass Facebook auch Gutes tut. So hat man ein Rechenzentrum nahe einem Kohlekraftwerk in Oregon gebaut – offensichtlich gibt es nicht nur neben Wasserkraftwerken billigen Strom − und hat Hardware-Lieferanten Hinweise gegeben, wie sie ihre Rechner verbessern können, um bei Facebook-Servern den Energie­verbrauch erheblich zu reduzieren. Was ist daran so berichtenswert? Ich verrate es Ihnen: Facebook stellt inzwischen eine derartige Macht dar, dass alle anderen Unternehmen der Branche besser genau zuhören sollten, wenn Facebook etwas wünscht.

Montag, 18. April 2011

Apple und Steve Jobs

Die Firma Apple gibt es seit 1976, also seit 35 Jahren. Die beiden Steves (Jobs und Wozniak) bastelten damals Rechner für andere Bastler und nannten sie Apple I und II. Das war fünf Jahre bevor IBM mit dem IBM-PC einen Massenmarkt schuf. Angeregt von den Arbeiten der Xerox-Gruppe um Doug Englebert baute man den ersten Rechner mit grafischer Oberfläche, den Apple Lisa. Später kam der MacIntosh, ausgestattet mit Software für Textverarbeitung und Grafik. Auf dieser Basis erwarb sich Apple eine treue Kundenschar, insbesondere unter Autoren und Künstlern. Der Marktanteil stagnierte jedoch bei 5-8%. Der erste, in der Hand zu haltende Rechner, Newton genannt, wurde ein Reinfall.

Nach einer Durststrecke suchte Apple nach neuen Betätigungsfeldern außerhalb des eigentlichen Rechnermarkts. Ein erster Versuchsballon war ein elektronisches Vertriebs- und Abrechnungssystem für Musiktitel, iTunes genannt. Apple erhielt von allen namhaften Musikverlagen das Recht, Originaltitel zum Preis von 99 Cents anzubieten. Trotz der im Internet um sich greifenden Raubkopien entwickelte sich iTunes alsbald zum größten Musikladen der Welt. Nach und nach wurde das System erweitert. Es ist jetzt ein breit aufgestellter elektronischer Laden für Musik, Videos, Bücher und Software. Apple hat iTunes-Läden in 23 Ländern. Das Musikabspielgerät (iPod), das Apple dazu anbot, bestach durch sein sehr funktionales Design und seine geringen Abmessungen. Später gab es davon eine Version mit Berührbildschirm (iPod Touch).

Die Wende für das Unternehmen kam, als Apple sich entschloss, mit der im Rechnermarkt gewonnenen Kompetenz in den Markt für Mobiltelefone einzusteigen. Man brachte 2007 mit dem iPhone ein Produkt heraus, das hinter einem ansprechenden Design (inkl. Berührbildschirm) eine Vielzahl von Funktionen kombinierte. Es war ein Mobiltelefon mit Kamera, MP3-Player, mobilem Mailsystem, Web-Browser und Navigationsgerät. Das Gerät wurde ein Riesenerfolg, obwohl es sehr teuer ist und nur zusammen mit Exklusivverträgen einzelner Telefonge­sellschaften angeboten wird. Dabei erwies sich das Vorhandensein eines funktionierenden Abrechnungs­systems (iTunes) als unschlagbarer Vorteil. Über Nacht entwickelte sich ein Markt von Anwendungen (Apps genannt), wie es ihn bisher nicht gab. Es gibt fast alles, was es auf einem PC gibt, aber hunderte von Dingen, an die vorher niemand gedacht hatte. Geschicklichkeitsspiele, Navigationshilfen, Auskunfts- und Nachrichtendienste, und vieles mehr. Da es unmöglich ist, eine Übersicht über 150.000 Anwendungen zu behalten, kann man nur schnuppern. Heute ist Version 4 des iPhone (iPhone4) im Markt.

Auf dem Erfolg des iPhone aufbauend, brachte Apple im Januar 2010 einen Tablettrechner heraus, iPad genannt. Er ist voll verträglich mit dem iPhone. Das iPad gestattet es, längere Dokumente, ganze Bücher, Bilder und Filme in bequemer Sitzposition zu betrachten. Inzwischen gibt es die Version 2 (iPad2).

Beide Produkte wurden der Firma Apple so zu sagen aus der Hand gerissen. Es bildeten sich Schlangen vor den Läden – nicht nur in den USA − und potentielle Kunden mussten mehrwöchige Lieferfristen akzeptieren. In beiden Fällen versucht die Konkurrenz sowohl preislich wie funktionell mit Apple gleich zu ziehen, musste aber feststellen, dass Apple emotional einen Vorsprung hat, der nur noch schwer aufzuholen ist. Was ich hier als gefühlsmäßige Kundenbindung bewerte, wird auch schon mal als Kult bezeichnet.

Apple ist im Moment der Aufsteiger der Branche. Wie die nachfolgenden Zahlen zeigen, wurde der Umsatz im Geschäftsjahr 2010 gegenüber dem Geschäftsjahr 2009 um 52% gesteigert. Die Daten sind dem offiziellen Finanzbericht (SEC Filings) der Firma entnommen. Bei Apple endet das jeweilige Geschäftsjahr bereits am 24. September.


Interessant ist es, sich die einzelnen Produkte anzusehen. In der folgenden Tabelle sind die Zahlen für 2010 ausgewiesen, und zwar sowohl die Umsätze als auch die Stückzahlen. Die Zahl in Klammern drückt das Wachstum (in %) gegenüber dem Vorjahr aus. Zwar wächst das Computer-Geschäft (Mac) auch wieder, dominiert wird das Wachstum eindeutig von den Nicht-Computer-Produkten. Apple hat diesem Wandel inzwischen Rechnung getragen, indem man den Zusatz Computer aus dem Firmennamen entfernte.

Im Gegensatz etwa zu SAP ist Forschung und Entwicklung bei Apple (noch) sehr stark zentralisiert in Cupertino, CA. Zusätzliche Labors gibt es in Austin, TX, Singapur und Cork (Irland). Mit Ausnahme der Fabrik in Irland besitzt Apple keine eigenen Fertigungsstätten mehr. Für den größten Teil der Produkte (Mac, iPhone, iPad) erfolgt der Zusammenbau in China, wobei einzelne Komponenten aus Japan, Taiwan oder den USA bezogen werden. Der Vertrieb ist eine von Apples Stärken. Es gibt sowohl Direktvertrieb durch Mitarbeiter, elektronischer Vertrieb übers Internet und eigene Läden. Es gibt deren über 300, davon ein Viertel außerhalb der USA. Eine besondere Rolle spielen spezialisierte Händler (engl. value-added resellers). Wie bei Konsumartikeln üblich, so verzeichnet auch Apple einen deutlichen Höhepunkt des Geschäfts in der zweiten Jahreshälfte.

In der finanziell schwierigen Phase um 1985 musste Steve Jobs das Unternehmen verlassen. Nach Abstechern bei Pixar und NeXT kehrte er 1997 zurück. Mehrere Jahre hinweg arbeitete er für ein Jahresgehalt von einem Dollar. Er hat Apple zu dem Unternehmen gemacht, das es heute ist. Er gilt als der Ideengeber, der Guru, der die Intuition dafür hat, was der Markt haben will. Manche glauben inzwischen, dass alles, was er anfasst, zu Gold wird. Leider ist er infolge einer Krebserkrankung gezwungen, immer wieder gesundheitlich bedingte Pausen einzulegen. Wenn immer eine solche Pause angekündigt wird, bricht der Aktienkurs der Firma ein.

Die von Apple betriebene Produktpolitik ist nicht nur Gegenstand von Bewunderung, sondern auch von Kritik. Viele Beobachter werfen Apple vor, dass man zu sehr eine Strategie der geschlossenen Systeme verfolgt. Das gilt für Mac, aber auch für iPhone und iPad. Man verzichte auf die Vorteile, welche die Öffnung des Systems, vor allem die Trennung von Hardware und Software mit sich bringt. Auch stört es manche Leute, dass Apple sich das Recht behält, selbst zu entscheiden, welche Anwendungen es auf den Konsumgeräten zulässt. Von einem Problem offener Systeme scheint Apple bisher verschont geblieben zu sein. Weder beim iPhone noch beim iPad scheinen Viren und Schad-Software ein Thema zu sein.

Apple betreibt unter anderem Läden in München, Frankfurt, Hamburg, Oberhausen und Dresden. Als Arbeitgeber ist Apple in Deutschland vor allem für vertriebs­orientierte Fachkräfte von Interesse. Stellen für Entwickler gibt es vorwiegend im Ausland.

PS. Mit diesem Beitrag wird die Reihe von fünf Firmenbeschreibungen beendet. Es waren diejenigen Unternehmen, die von Informatikstudierenden als beliebte Arbeitgeber am häufigsten genannt werden.

Samstag, 16. April 2011

SAP − Deutschlands Vorzeigeunternehmen

Dass Software in der Wirtschaft hoffähig wurde, verdankt Deutschland fünf ehema­ligen IBMern: Dietmar Hopp, Hasso Plattner, Klaus Tschira, Hans Werner Hector und Claus Wellenreuther. Ihre Geschichte ist schon so oft erzählt worden (zuletzt von dem Historiker Timo Leimbach), dass ich mir Details ersparen kann. Dafür gebe ich hier nur meine stark vereinfachte persönliche Version zum Besten.

Drei Mitarbeiter der IBM-Niederlassung Mannheim entwickelten eine Anwendung für einen Kunden (ICI). Da der Kunde ihnen erlaubte, das fertige Programm auch andern Kunden anzubieten, machten sie sich 1972 selbständig. Sie zogen noch zwei Kollegen mit, die ihnen helfen konnten. Sie durften die Maschinen und Testdaten des Kunden nutzen, ehe sie sich eigene leisten konnten. Der Kunde gehörte zu einem internationalen Konzern. Er wollte deshalb dieselbe Anwendung auch in England und Spanien haben. Daher mussten Nachrichten und Steuergesetze eingekapselt (parametriert) werden. An die erste Anwendung wurden andere angeflanscht, derart dass sie dieselben Daten verwenden konnten. Schließlich machte man die Daten selbstbeschreibend und tat sie in ein zentrales Verzeichnis (auch Data Dictionary oder Informationsmodell genannt). Nebenbei wurde noch eine eigene Programmiersprache (ABAP) entwickelt. Mehr aus Verlegenheit denn aus Absicht zeigte man auf der CeBit 1991 die interne Unix-Testversion eines verbesserten Anwendungspakets (R/3). Dafür zeigten plötzlich auch Kunden von außerhalb der IBM- oder Siemens-Welt ein großes Interesse. Ein Kunde aus der Nachbarschaft (John Deere) baute die Brücke in die USA. Als Hasso Plattner anfing, dort kräftig die Werbetrommel zu rühren, wurde er beim Wort genommen und musste liefern. Seither ist SAP (und Plattner) mehr in Amerika zuhause als im badischen Walldorf.

Die Firma SAP erschien für viele Zeitgenossen erst auf ihrem Radarschirm, als das Unternehmen 1988 an die Börse ging. Dadurch wurden nicht nur die noch aktiven vier Gründer reich − Wellenreuther hatte die Firma 1982 aus gesundheitlichen Gründen verlassen −, sondern auch viele Mitarbeiter und Unbeteiligte. Als sich nach Hector auch die drei andern Gründer aus dem Unternehmen zurückzogen, waren sie Milliardäre. Drei von ihnen machten durch Stiftungen auf sich aufmerksam. Hopp brachte die TSG Hoffenheim in die Bundesliga, Plattner engagierte sich an der Universität Potsdam und Tschira betreibt ein Forschungsinstitut in Heidelberg. Die Geschäfte wurden sechs Jahre lang von dem Physiker Henning Kagermann geleitet. Es war Plattners Wunsch, den Informatiker Shai Agassi als dessen Nachfolger aufzubauen. Dieser wollte aber nicht drei Jahre lang Kronprinz spielen, und verließ 2007 überraschend das Unternehmen. Er baut jetzt Elektro-Autos in Israel. Daraufhin übernahm Vertriebsleiter Leo Apotheker im Mai 2009 die Geschäftsführung.
 
SAP ist im Endverbrauchermarkt nicht aktiv, dafür umso stärker im Unternehmensbereich. Sie bietet den vollständigsten Satz an betrieblichen Anwendungen, den es gibt. SAP ist gleichsam das Synonym für eine ganze Klasse von Anwendungen, Enterprise Resource Planning (ERP) genannt. Die von SAP gewählten Abläufe sind zum defacto-Standard vieler Branchen geworden. Bei den nachfolgend wiedergegebenen Zahlen aus dem Geschäftsbericht 2010 ist eine kleine Umsatzdelle in 2009 nicht zu übersehen. Auf den Gewinn hat sich dies aber nicht ausgewirkt.


Das Jahr 2010 war nicht leicht für SAP. Im Februar trennte man sich vom Leo Apo­theker, der  es  - wie es hieß -  nicht hinreichend geschafft hatte, "das Vertrauen von Kunden und Mitarbeitern zu gewinnen". An seiner Stelle wurde eine Doppelspitze installiert, bestehend aus dem Dänen Jim Hagemann Snabe und dem Amerikaner Bill McDermott. Im Aufsichts­rat werden weiterhin die Fäden von Hasso Plattner gezogen, dem einzigen noch aktiven Gründer. Ein anderer Tiefschlag war die Verurteilung zu einer Geldstrafe von über einer Milliarde Dollar durch ein amerikanisches Gericht. Der Mitbewerber Oracle (geleitet von Plattners Intimfeind und Segler-Konkurrent Larry Ellison) konnte nachweisen, dass eine SAP-Tochter (TomorrowNow) in den USA sich unberechtigt Zugang zu Oracle-Quellcode verschafft hatte.

Das Geschäft der SAP beruht auf drei Säulen, Software-Produkte, Software-bezogene Dienstleistungen und Beratung inkl. Schulung. Was die Rendite anbetrifft, so zieht das Produktgeschäft die beiden anderen Geschäftsarten mit. Die Mitarbeiter teilten sich im Jahre 2010 wie folgt auf die Geschäftsbereiche auf.

 
Die Produktpalette von SAP wird heute in vier Gruppen aufgeteilt. Man benutzt auch in deutschen Veröffentlichungen englische Ausdrücke.
  • On Premise: Branchen-übergreifende (CRM, PLM) und branchen-spezifische Anwendungsprogramme (Handel, Finanz, Fertigung, Prozess, Öffentlicher Dienst, Dienstleistungen), die beim Kunden installiert werden.
  • On Demand: Spezielle Versionen der obigen Anwendungen, die in externen Rechenzentren laufen, und sporadisch über das Internet benutzt werden. Damit sollen auch kleine und mittelgroße Unternehmen angesprochen werden. Auch das Cloud-Geschäft gehört hierher.
  • On Device: Der Interaktion mit Anwendungen dienende Funktionen, die auf mobilen Geräten (Smartphones, Tablets) laufen. 
  • Technologie: Entwickler-Werkzeuge, sowie die Web-Server-Plattform Netweaver.

Aufgrund der im Juli 2010 für 5,8 Mrd. US$ erfolgten Akquisition der kalifornischen Firma Sybase soll sich vor allem das Angebot in den beiden letzten Kategorien in Zukunft verstärken. Als ein weiteres Wachstumsgebiet werden die Daten-Analyse-Werkzeuge angesehen, wie sie von der im Jahre 2008 erworbenen französischen Firma Business Objects entwickelt worden waren.

SAP besitzt über 100.000 Kunden in 120 Ländern. Als besondere Stärke von SAP kann man das immense Netz von Partnern ansehen, die SAP in vielfältigster Weise unterstützen. Dazu gehören Forschungs- und Innovationsgemeinschaften, aber auch Vertriebs- und Service-Kooperationen. Um SAP herum entstand ein regelrechtes Ökosystem. Der Grund dafür ist allerdings recht ernüchternd: Für viele Anwender stellt die Anpassung und Inbetriebnahme eines SAP-Systems eine große Heraus­forderung dar. Dass SAP bemüht ist, das Geschäft auch intellektuell abzusichern, beweisen die 900 Patente, die im Jahre 2010 erteilt wurden. Ein technisches Thema, das gerade von Hasso Plattner propagiert wird, sind In-Memory-Datenbanken. 

Durch Fusionen und Aufkäufe hat sich die Zahl der klassischen Mitbewerber in den letzten Jahren stark reduziert. Als hartnäckigster Mitbewerber ist Oracle anzusehen. Nachdem man selbst riesige Investitionen in die Anwendungsentwicklung versenkt hatte, gab die Firma IBM das Rennen um dieses Marktsegment auf. Übrig blieb eine strategische Partnerschaft. Man ergänzt sich im Produktspektrum. Neue Mitbewerber entstehen primär bei Web-basierten Diensten, so Salesforce.com. Ob von der Open-Source-Szene her jemals Gefahr droht, ist fraglich.

Was die Struktur der Firma SAP sehr stark bestimmt, ist ihre große internationale Ausbreitung. Der Stammsitz Walldorf ist nur noch eine von vielen Lokationen. Sehr stark ist das Engagement in Indien, wo inzwischen über 5000 Mitarbeiter beschäftigt werden. Auch der Umsatz wächst zurzeit am stärksten außerhalb Europas, besonders in Brasilien, Russland, Indien und China.


Da SAP einen großen Teil seiner F&E-Aktivitäten in die Regionen verlegte (oder ver­legen musste), die ein starkes wirtschaftliches Wachstum aufweisen, bleibt es auch von den Problemen dieser Regionen nicht verschont. Das zeigt sich z.B. an den Fluktuationsraten. Im Jahre 2010 betrug die Fluktuation in Europa 5,6%, in Amerika 9,8% und in Asien 15,1%. Der Durchschnitt lag bei 9%. Die durchschnittliche Firmen­zugehörigkeit liegt bei 6,4 Jahren. Das hat Vor- und Nachteile.

Obwohl SAP eindeutig das global am besten aufgestellte deutsche Informatik­unter­nehmen ist, könnte der Ruf unter Informatik-Absolventen noch besser sein. Die Firma müsste eigentlich auch für Kerninformatiker sehr interessant sein, und nicht nur für Wirtschaftsinformatiker.

Donnerstag, 14. April 2011

Weltanschauung oder Ideologie – ein Dialog

Vorbemerkung: Einige meiner bisherigen Beiträge hatten zumindest bei einem meiner Leser (Hans Diel) die Frage hervorgerufen, ob man eigentlich Wissenschaft betreiben kann, ohne gleichzeitig eine Weltanschauung zu vertreten. Seine erste Antwort hieß: Vielleicht ist Weltanschauung, im Sinne von Weltsicht, gar nicht vermeidbar, vorausgesetzt, diese artet nicht in Ideologie aus. Der Ball wurde von einem andern Leser (Peter Hiemann) aufgegriffen. Da es sich in beiden Fällen um gute Freunde handelt, darf ich im Folgenden – mit Ihrer Genehmigung − Auszüge aus der anschließenden, per E-Mail ausgetragenen Diskussion wiedergegeben. Beide Freunde sind Amateur-Philosophen und Rentner wie ich.

Hans Diel (HD): Ich weiß immer noch nicht ob ich die Verquickung von wissenschaftlichen Aussagen mit Weltanschauung und Ideologie für (a) schlecht und abzulehnen, (b) meistens irreführend, (c) unvermeidlich, oder gar (d) akzeptabel da manchmal zielführend, halten soll. Meine persönliche Minimalforderung ist, dass in wissenschaftlichen Diskussionen der Aspekt Ideologie klarer kenntlich gemacht werden sollte. Aber auch dies ist möglicherweise schon zu viel verlangt. Viele Wissenschaftler scheinen sich dessen gar nicht bewusst zu sein wie viel Ideologie in Ihren scheinbar rein wissenschaftlichen Interpretationen steckt.  [17.3.2011]

Peter Hiemann (PH): Ich versuche auch ziemlich oft, Aussagen zu kategorisieren. Ich versuche sie rational einzuordnen, indem ich sie auf Grund meines Wissens und meiner Erfahrung (a) für zutreffend halte (b) für interessant und beachtenswert finde (c) für falsch erachte. Mir ist aber durchaus bewusst, dass es unmöglich und nicht wünschenswert ist, alle Entscheidungen auf ausschließlich rationale Optionen bzw. Möglichkeiten zu beschränken. Auch ich mache sogenannte Bauchentscheidungen. Gerd Gigerenzer hat darüber ein interessantes Buch geschrieben (Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition). Ich bin natürlich auch "konfrontiert" mit Aussagen, die mein Bewusstsein einfach deshalb nicht erreichen, weil ich sie schon unbewusst spontan aussortiere (z.B. Werbung, Allgemeinplätze, politische Phrasen).

Ich mache übrigens einen grossen Unterschied zwischen Weltanschauung und Ideologie. Eine Weltanschauung ist notwendig, um eigene Beobachtungen, Erfahrungen und Aussagen selbständig einordnen zu können. Eine individuelle Weltanschauung bedeutet viel Arbeit, sie sich "anzueignen". Ideologie ist der Versuch, Anschauungen und Versprechungen zu verfassen und zu verbreiten, für die sich leicht Gläubige (ohne aufwendige Denkarbeit) finden lassen. Einstein vertrat eine Weltanschauung. Hitler vertrat eine Ideologie.

Bis jetzt konnte ich ganz gut das potenzielle Problem "Verquickung von wissen­schaftlichen Aussagen mit Weltanschauung und Ideologie" vermeiden. Eine Verquickung von Wissenschaft und Weltanschauung existiert für mich nicht. Meine DDR Historie in Dresden hat mich ziemlich unempfänglich für Ideologien jedweder Herkunft gemacht. [18.3.2011]

HD: Sie haben (wieder mal) recht mit Ihren Punkten. Ich habe auch bei Ihnen den Eindruck, dass Sie ziemlich resistent gegenüber Ideologien sind, oder vielleicht sollte ich eher sagen, dass sie rational und vernünftig mit Ideologien umgehen.

Nur bei einem Punkte sehe ich noch Diskussionsbedarf. Mir scheint, dass die Grenze zwischen Ideologie und Weltanschauung nicht so leicht zu ziehen ist. Sie sehen den Übergang zur Ideologie ja auch erst dadurch gegeben wenn man auf "Gläubige" abzielt. Das ist natürlich ein fließender Übergang. Außerdem hat das zur Folge, dass man Anschauungen / Überzeugungen wie beispielsweise Friedensbewegung, Klimaschutz, Antiatomkraft klar als Ideologien einordnen muß. Wahrscheinlich zu recht. Aber muss man dann zwischen guten und schlechten Ideologien unterscheiden? 

Kurz nachdem ich Ihre Email bekam, als ich schon über meine Antwort nachdachte, sah ich zufällig im neuesten Spektrum der Wissenschaft (April 2011) auf Seite 6 einen Leserbrief von Prof. Dr. Hans Müller, überschrieben "Einseitige Weltanschauung", und am Schluss mit dem Satz "Und so keimt beim Leser der Verdacht, dass hier keine ideologiefreie Wissenschaft sondern die fragwürdige Weltanschauung eines sogenannten Klimaschutzes vermittelt werden soll". Auch Prof.Müller scheint hier nicht wirklich einen Unterschied zwischen Ideologie und Weltanschauung zu sehen. Oder muss man sagen, dass Prof. Müller hier der Meinung ist, dass eine (fragwürdige) Weltanschauung zu einer Ideologie geworden ist.

Aber eigentlich ist das (obige) gar nicht mein Thema und damit auch nicht das was ich beklage. Ich habe ja nichts dagegen, dass die Leute (auch die Wissenschaftler) eine Weltanschauung haben. Ich denke, dass ich auch Ideologien etwas weniger negativ sehe als Sie. Ich habe nicht mal etwas dagegen, dass die Wissenschaftler von ihrer Weltanschauung und Ideologie in ihrer Arbeit beeinflusst werden.

Was mich stört ist, (1) dass die Leute so tun als wären Sie völlig unbeeinflusst von Weltanschauung und Ideologie zu ihren Interpretationen gekommen, und (2) dass die wissenschaftsgläubige Welt glaubt, dass es eine ideologiefreie Wissenschaft gibt. Dem Leserbriefschreiber möchte ich schreiben: "Natürlich handelt es sich hier nicht um ideologiefreie Wissenschaft, weil es nämlich kaum ideologiefreie Wissenschaft gibt, und schon gar nicht beim Thema Klima(-schutz)." Natürlich ist ideologie­behaftete Wissenschaft nicht automatisch falsch. Es wäre nur leichter (weniger mühsam) wenn der Ideologieanteil nicht verleugnet würde. [19.3.2011]

PH: Gerne komme ich Ihrem Wunsch nach zu erklären, wie ich versuche, die Grenze zwischen Ideologie und Weltanschauung zu ziehen.

(1) Eine Weltanschauung ist eine Hypothese über die Welt als Ganzes. Vertreter einer Weltanschauung sind offen, ihre Sicht der Welt zu modifizieren, um neuen Erkenntnissen und Erfahrungen gerecht zu werden. Vertreter einer Ideologie erheben einen Absolutheitsanspruch.
(2) Eine Weltanschauung enthält viele Betrachtungsebenen, um der Komplexität der Zusammenhänge zwischen Phänomenen dieser Welt gerecht zu werden. Eine Ideologie versucht, alle Phänomene mit einem einfachen Prinzip zu erklären.
(3) Eine Weltanschauung ist unabhängig von einer Institution. Eine Ideologie ist einer Institution verhaftet, die sich Deutungshoheit anmaßt und Macht ausübt, ihre Ideologie in der Gesellschaft durchzusetzen.
(4) Eine Weltanschauung verlangt Vereinbarkeit von menschlichen rationalen und emotionalen Bedürfnissen. Eine Ideologie verspricht primär die Befriedigung menschlicher emotionaler (sogenannter populistischer) Bedürfnisse.
(5) Weltanschauungen können nicht zum Schaden von Menschen missbraucht werden. Ideologien sehr wohl. Historische kriegerische Auseinandersetzungen benutzten oft ideologische Rechtfertigungen.

Vermutlich benutze ich noch ein paar andere Kriterien, um Ideologen nicht auf den Leim zu gehen. Am meisten beschäftigt mich, meine Weltanschauung mit Hilfe meiner rationalen Fähigkeiten zu begründen und gegebenfalls zu modifizieren. Die von Ihnen aufgeführten Bereiche Frieden, Klima und Nuklearenergie erfordern solide wissenschaftliche weltanschauliche Überlegungen und dürfen keinesfalls Ideologen überlassen werden.

Das obige Kriterium (3) ist eine Einladung zu einer weiterführenden Debatte über die Repräsentanten eines demokratischen Parteiensystems. Sicher gibt es Ideologen unter ihnen. Sie sind zwar an eine weltanschaulich geprägte Verfassung gebunden aber ansonsten nur ihrem Gewissen verpflichtet. Und das kann relativ leicht mit ökonomischen Interessen in Konflikt geraten. Immerhin erlaubt das repräsentative demokratische System die Abwahl von Ideologen, wenn sie denn als solche erkannt werden. Mein zu einfaches Kriterium, dass sich eine Ideologie daran erkennen lässt, dass sich leicht „Gläubige“ finden lassen, werde ich getrost in den Papierkorb werfen.

Vielleicht haben Sie sich gewundert, dass ich von „einer“ Weltanschauung oder Ideologie spreche. Schließlich gibt es deren viele. Jeder kommt nicht darum herum, sich seine eigene Weltanschauung zusammenbasteln, aus den vielfältigen Bestandteilen (Hypothesen, Ethik und Umwelt), die er in seiner Lebensspanne vorfindet bzw. erlebt, zum Nutzen für sich, seiner Mitmenschen und seiner Nachkommen. Jeder kann aber auch einfach eine der vielen „vorgefertigten“ Ideologien übernehmen.

Hoffentlich konnte ich Ihrem Diskussionsbedarf einigermaßen gerecht werden. Ich bin gleichermaßen interessiert, Ihre Kriterien für die Unterscheidung von Weltanschauung und Ideologie zu erfahren. Ich empfinde die derzeitige Epoche sehr spannend, da viele weltanschauliche und ideologische Gedankengebäude unter Druck geraten sind. [21.3.2011]

HD: Je mehr ich über dieses Thema nachdenke umso komplexer erscheint es mir. Mir ist der Verdacht gekommen, dass das deswegen womöglich so komplex erscheint, weil der Vergleich Weltanschauung und Ideologie nicht gleiche Kategorien vergleicht (wie der Vergleich von Äpfeln  mit Birnen). Ich gebe zu, dass ich damit angefangen habe beides in einen Topf zu werfen. Wenn ich sage, dass man beides nicht in einen Topf werfen sollte, dann will ich damit nicht sagen, dass es keinen Sinn macht über das Verhältnis von Weltanschauung zu Ideologie zu reden. Im Gegenteil, ich finde unsere Diskussion sehr interessant und möchte Sie hier fortsetzen.
Zu Weltanschauung:

Ich finde alles, was Sie zu Weltanschauung gesagt haben, als gute und richtige "Objectives" für die Erstellung der eigenen Weltanschauung. Was ich noch nicht verstehe, ist ob diese ausreichende Objectives sind. Wichtiger sind mir die folgenden Punkte. Ich bin der Meinung, dass

(1) einige (die meisten?) Ihrer Kriterien das Praktizieren der Weltanschauung betreffen und nicht den Inhalt der Weltanschauung. Vielleicht erinnert Sie diese Unterscheidung an die berüchtigte Unterscheidung zwischen "real existierendem Sozialismus" und "(idealem) Sozialismus". Diese (letztere) Unterscheidung wurde ja auch bekämpft mit dem Argument, dass die Praxis (des existierenden Sozialismus ) sich zwangsläufig aus dem Inhalt des (idealen) Sozialismus entwickelt hat. Deshalb sehe ich auch, dass die Fehler und Verbrechen in der Praktizierung oft (aber eben nicht immer) ihren Ursprung haben im Inhalt der Weltanschauung .  Sie würden vermutlich sagen, dass es sich dann nicht um eine Weltanschauung sondern um eine Ideologie handelt. Gegen dieses Verständnis der Begriffe sehe ich meinen 2. Punkt.

(2) Ich behaupte, dass jegliche Weltanschauung ihre Anforderungen in nur unvollkommenen Ausmaß erfüllt, und dass, deswegen nicht gesagt werden kann, dass Weltanschauung-A keine Weltanschauung ist (sondern Ideologie?), weil sie Kriterium-1 oder Kriterium-2 verletzt. Diese Behauptung gilt m.E. vor allem für Weltanschauungen, die praktiziert werden, und weniger (gar nicht?) für Weltanschauungen, die nicht praktiziert werden.

(3) Der Punkt "Praktizierung" scheint mir wichtig. Wie oben erwähnt scheint mir die häufigste Verletzung ihrer Kriterien nicht im Inhalt einer Weltanschauung zu geschehen sondern in der Praktizierung der entsprechenden Weltanschauung. Nun könnten (werden?) Sie sagen, eine Weltanschauung ist nicht etwas, was praktiziert werden kann (z.B. Sozialismus ist keine Weltanschauung, auch nicht Teil einer Weltanschauung). Eine solche Begriffsdefinition steht Ihnen natürlich frei, aber sie verschiebt nur die Diskussion. 

Wenn Sie alles "Weltanschauungsmäßige", das auch auf Praktizierung abzielt als Ideologie bezeichnen, erscheint Ihre Ablehnung von Ideologien in einem anderen Licht. Wir könnten uns dann allerdings vermutlich schnell darauf einigen, dass alle Konzepte, bei denen es um Praktizierung  geht (Politik, Religion, Pädagogik) eine hohe Gefahr von Fehlentwicklungen implizieren, umso mehr je ernster sie genommen werden. Wenn Sie jedoch nicht ausschließen, dass es Weltanschauungen gibt, die auch ein Praktizieren adressieren, würde mich interessieren, welche Beispiele Sie da sehen.

Das oben Geschriebene bedeutet nicht, dass ich die Fehler die Sie mit Ideologien assoziieren mit dem Hinweis auf die Schwierigkeiten des praktischen Zusammenlebens erkläre oder gar entschuldige. Ich meine nur, dass diese Fehler bei den verschiedenen Weltanschauungen/Ideologien (a) in unterschiedlichem Ausmaß auftreten (b) sich immer beim Praktizieren zeigen (c) manchmal, aber nicht immer in der zugrunde liegenden Weltanschauung/Ideologie begründet sind. [25.3.2011]

PH: Vermutlich sind die Begriffe „Weltanschauung“ und „Ideologie“ zu allgemein und vieldeutig, um das auszudrücken, worauf es uns ankommt. Kommt es uns nicht darauf an, aus der Flut der auf uns einströmenden Information Aussagen zu finden, auf die wir uns verlassen können? Die bei weitem häufigsten Situationen erfordern wenig Aufmerksamkeit, weil sie unseren Alltag betreffen und durch Gewohnheiten geprägt sind. Einige Situationen erfordern jedoch, dass wir bewusst entscheiden, was wir für interessant und wertvoll halten. Für solche Entscheidungen benutzen wir einige grobe Kriterien:

(1) Sind wir mit einem Wissensgebiet konfrontiert, mit dessen Grundbegriffen wir einigermaßen vertraut sind oder den Wunsch haben, uns vertraut zu machen? Gibt es Experten, die mit unterschiedlichen Vorgehensweisen zum Wissen beitragen? Haben deren Arbeiten das Potential, für den Menschen wertvolle Erkenntnisse zu liefern? Basiert das Wissen dieses Gebietes auf einer langen Geschichte mühsam erworbener Erkenntnisse? Die Geschichte des Wissensgebietes offenbart, dass ursprünglich als richtig erachtete Erkenntnisse nachträglich auch als falsch eingestuft wurden. Die Erkenntnisse des Wissensgebietes haben Bezüge zu anderen Wissensbereichen. Es scheint unmöglich, die vielen existierenden Wissensgebiete unter einen Hut zu bringen. Eine Theorie von Allem zu formulieren und zu etablieren, existiert nicht.

(2) Sind wir mit einer Institution konfrontiert, die unsere Lebensumstände betreffen oder gar beabsichtigt zu verändern? Teilen wir die Zielsetzungen der Institution? Sind wir mit den Regeln der Institution einverstanden? Handelt die Institution nicht nur in deren Interesse sondern auch in unserem Interesse? Bei der Beurteilung von Institutionen ist es wichtig, deren Interessenlage zu durchschauen: Parteien entwickeln und organisieren gesellschaftliche Strukturen, um ihre Vertreter in einflussreiche gesellschaftliche Positionen zu bringen. Kommunen entwickeln und unterhalten lebenswichtige Infrastrukturen, damit deren Vertreter ihre gesellschaftliche Positionen erhalten können. Unternehmen entwickeln Technologien und stellen Produkte her, um ökonomischen Erfolg zu haben. Interessenverbände entwickeln und unterhalten persönliche Netzwerke, um ihren Interessen mehr Durchsetzungskraft zu verleihen. Die Analyse historischer Prozesse erlaubt abzuschätzen, welche Institutionen den menschlichen Bedürfnissen besser gerecht werden als andere. Ein Gesellschaftssystem, das den Bedürfnissen aller Menschen gerecht wird, existiert nicht.

Komplexes Wissen darf übrigens nicht nur Spezialisten vorbehalten sein. Es ist zunehmend immer wichtiger, dass Experten und Journalisten mit umfassenden Übersichten zu wissenschaftlichen Arbeiten dazu beitragen, Wissen auch Nicht-Spezialisten zugänglich aufzubereiten. Schöne Bespiele finden sich ab und zu im Spektrum der Wissenschaft (SdW). Im SdW Heft 2/11 beschreibt Stephen S. Hall die komplexe Welt der Gene. Der Artikel vermittelt sehr eindrucksvoll, wie schwierig es ist (vermutlich sogar unmöglich), eine eindeutige Abbildung Genotyp – Phänotyp herzustellen. Im SdW Heft 4/11 beschreibt Joseph A. Burns die Evolution des astronomischen Wissens „von nahen und fernen Welten“. Die Suche nach außerirdischem Leben ist  wohl eine unendliche Geschichte. Es fehlt nicht an hervorragenden und zum Teil sehr erfolgreichen Büchern, die sich wissenschaftlichen Themen widmen und zeigen, dass Wissenschaft eine „offene“ Veranstaltung ist.

Zur Klärung Ihrer Vermutung, dass mich die „berüchtigte Unterscheidung zwischen "real existierendem Sozialismus" und "(idealem) Sozialismus"“ gedanklich beschäftigt, kann ich folgendes sagen: Ich benutze das Schlagwort Sozialismus (Freiheit statt Sozialismus!) schon lange nicht mehr. Er trägt nichts zum Verstehen gesellschaftlicher Verhältnisse bei. Das Gleiche gilt übrigens für den Begriff Kapitalismus. Ich bemühe mich aber sehr, mich über Theorien zur Ökonomie einer Gesellschaft (Volkswirtschaft) auf dem Laufenden zu halten. Es geht um das gesellschaftliche Verhalten aller Beteiligten unter vielfältigen Marktbedingungen. Das Thema ist ja durch die Probleme, die in globalen Finanzkrisen offenbar wurden, sehr aktuell. Das Thema wird  sehr kontrovers diskutiert und zeigt, wie weit Ökonomen entfernt sind, ihre Wissenschaft „in den Griff“ zu bekommen. Übrigens haben sich einige Aussagen, die Karl Marx über die gesellschaftliche Rolle des Kapitals gemacht hat, während der derzeitigen ökonomischen Krisen manifestiert. Man darf gespannt sein, ob sich Ideen von Ökonomen wie Amartya Sen oder Nouriel Roubini zu wünschenwerten Funktionen des Kapitals behaupten können.

Noch ein abschließendes Wort zu den Begriffen Weltanschauung und Ideologie. Es scheint mir, dass es einem menschlichen Grundbedürfnis nach Sicherheit und Stabilität widerspricht einzusehen, dass der Mensch ohne eine „Theorie von Allem“ und ohne ein alle glücklich machendes Gesellschaftssystem auskommen muss. Wer sich damit nicht abfinden kann, wird wohl immer sehr empfänglich für eine alles Glück versprechende Weltanschauung oder Ideologie sein. In diesem Sinn macht es tatsächlich keinen Unterschied von Weltanschauung oder von Ideologie zu sprechen.

Ich stimme mit Ihnen völlig überein, dass es unmöglich ist, gedankliche Fehler zu vermeiden. Vielleicht sollte man gar nicht von Fehlern sprechen, sondern von Gedankengängen, die sich früher oder später als Irrtum herausstellten. Über eingesehene Irrtümer lässt sich leicht reden, manchmal sogar lachen. Über mögliche Gedankenfehler zu reden, ist schwierig, manchmal sogar frustrierend. [29.3.2011]

PH: Bei 3Sat und der Sendung Kulturzeit bin ich auf den Historiker Philipp Blom aufmerksam gemacht worden, der zum Thema "Aufklärung" ein anscheinend sehr aufschlussreiches Buch geschrieben hat. Ich habe mir das Buch bestellt. Auf Grund seiner Recherchen ist er zu der Auffassung gelangt, dass die Ideen der Aufklärung, die einer neuen Weltanschauung entsprachen, von Ideologen der Französischen Revolution missbraucht wurden. Die wahren Aufklärer konnten sich nicht durch­setzen. Ideologen missbrauchten ursprüngliche Ideen und schrieben Geschichte, weil sie es verstanden, Machtstrukturen zu organisieren.

Das Schema trifft auch für andere "aufklärerische" Bewegungen zu, wie etwa: Jesus Christus - katholische Kirche und verwandte Organisationen Karl Marx - KPdSU und verwandte Parteiorganisationen Adam Smith - ökonomische Monopole und verwandte  Kapitalgesellschaften. Das Schema scheint sich auch zu eignen, um  gewisse wissenschaftliche Machtstrukturen in einem anderen Licht zu sehen. Es sind nicht wenige Ökonomen, Soziologen aber auch Naturwissenschaftler, deren Arbeit verdächtig nach Lobbyarbeit für gewinnorientierte Gesellschaften riecht. Meine vorherigen Aussagen hatten diesen Aspekt ideologischen Missbrauchs nicht deutlich gemacht. [7.4.2011]

HD: Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das, worüber wir diskutieren (und wo wir weitgehend einig sind) mit Weltanschauung vs. Ideologie richtig beschrieben werden kann. Ich glaube, dass das, was Sie unter Weltanschauung sehen, immer die Gefahr beinhaltet, mehr oder weniger Attribute zu zeigen von dem, was Sie unter Ideologie sehen. D.h., der Übergang ist gleitend und es gibt keine scharfe Grenze, ab der man sagen könnte, jetzt wird aus der Weltanschauung eine Ideologie.

Meiner Meinung nach ist die Gefahr "ideologisch zu werden" besonders groß je mehr die Weltanschauung sich auch auf das praktische Leben bezieht. Das bedeutet auch, dass das Abgleiten ins Ideologische nicht immer nur eine historische Entwicklung ist (wenn aus der Theorie real existierende Praxis wird), sondern auch schon im Ursprung der Weltanschauung angelegt sein kann.

Ich versuche noch mal zusammenzufassen, wo wir uns, glaube ich, einig sind (ich bin höchstens etwas nachsichtiger gegenüber den ideologischen Fehlentwicklungen): 
(1) Für den Menschen ist es wichtig und richtig eine Weltanschauung zu haben. 
(2) Weltanschauungen bieten Orientierungshilfen bei Fragen des täglichen Lebens (z.B. ethischen Fragen). Sie erleichtern die eigene Meinungsbildung bei komplexen  Fragen. 
(3) Der vorherige Punkt bedeutet nicht, dass es Themen oder Fragen gibt, bei denen man im konkreten Einzelfall den Verstand abschalten kann und sich auf die Weltanschauung berufen darf. Jede Weltanschauung die das Gegenteil (für bestimmte Fragen) behauptet ist schlecht (und würde von Ihnen vermutlich als Ideologie bezeichnet). Für Gläubige: Gott hat uns nicht den Gefallen getan eine Weltanschauung oder Religion zu ermöglichen, die es uns gestattet den Verstand auszuschalten. Für Atheisten: kann das Gesagte sicher umformuliert werden.
Bei den weiteren Punkten bin ich mir nicht mehr so sicher, wie weit Sie zustimmen:
(4) Grundsätzlich ist nichts dagegen zu sagen, wenn eine Weltanschauung auch Regeln für das tägliche Leben aufstellt (z.B. kein Alkohol trinken, kein Schweinefleisch essen, kein Atomstrom ). (5) Nur ist bei solchen Regeln zu beachten, dass  (a) noch mehr als bei den Kernaussagen (siehe oben) die Regeln nicht das Nachdenken ersetzen dürfen, (b) die Regeln möglicherweise nur zu bestimmten Zeiten und bestimmten Lebensverhältnissen Sinn machen und deshalb gelegentlich überprüft und angepasst werden sollten, und (c)  die Regeln keinesfalls auch Menschen aufgezwungen werden dürfen, die nicht die gleiche Weltanschauung haben. 

Möglicherweise sagen Sie, dass Sie solche Regeln nicht als Teil einer Weltanschauung sehen. Damit hätten Sie vermutlich Recht, aber sie sind deswegen natürlich auch nicht Teil einer Ideologie. [8.4.2011]

PH: Ich denke, wir haben ziemlich umfassend zum Ausdruck gebracht, was sich allgemein zu den Themen Weltanschauung und Ideologie sagen lässt. Ich ziehe aus unserer Diskussion die Lehre, mich in Zukunft dieser allgemeinen Begriffe zu enthalten und Aussagen auf spezifische Situationen zu beschränken.
Mir kommt es darauf an zu erkennen, ob eine Aussage einer individuellen Überzeugung entspricht oder ob sie lediglich opportun hinsichtlich einer vorgegebenen Meinung ist. Was die praktische Seite betrifft, also das Verhalten in einer spezifischen Situation, unterscheide ich zwischen unbewussten oder bewussten Verhalten. Unbewusstes Verhalten mag auch (neben Emotionen) auf Gewohnheiten beruhen, die vorteilhaft oder nachteilig sein können. Verhaltensregeln werden gewählt, damit sie hilfreich sind, das Leben zu gestalten. Verhaltensregeln werden sich stets für denjenigen als hilfreich erweisen, der die Regeln macht.

Für Christen gilt: Moses hat dem Menschen die zehn Gebote gegeben. Jesus hat den Menschen zu moralischem Verhalten aufgerufen (Bergpredigt). Für Atheisten gilt: Die Natur hat den Menschen im Laufe der Evolution mit einem Gehirn ausgestattet, das es dem Menschen ermöglicht, das Leben für ihn vorteilhaft zu gestalten. Den Umständen entsprechend wird er sich egoistisch oder kooperativ verhalten. Entsprechend wird er Regeln kreieren. 

PS. Alle gutwilligen Überzeugungen und die Verabschiedung der UN Menschen­rechte haben bisher nicht vermocht, vielen Menschen Hunger und Kriege zu ersparen. Der Kampf um Menschenrechte, vor allem um menschenwürdige und sozial ausgewogene ökonomische Verhältnisse, muss weitergehen. Vielleicht helfen ja auch Worte. [11.4.2011]

Dienstag, 12. April 2011

Kristof Klöckner über Cloud Computing und andere Herausforderungen der Branche

Kristof Klöckner begann seine Berufskarriere im IBM-Labor Böblingen. Sein erstes Arbeitsgebiet war die Systemleistungsanalyse. Später war er Leiter des Programmentwicklungszentrums Sindelfingen sowie des englischen Labors in Hursley. Als Vizepräsident der IBM Corporation war er mehrere Jahre lang verantwortlich für das Cloud Computing der IBM. Zurzeit ist er General Manager der Rational Software Division. Klöckner war in Frankfurt in Mathematik promoviert worden und ist Honorar­professor der Universität Stuttgart, wo er im Wintersemester 2010 zum Thema ‚Cloud Computing and Service Management’ gelesen hat.



Bertal Dresen (BD): Bei der CeBit-Messe 2011 sprach der Branchenverband BITKOM von Cloud Computing als einem Riesengeschäft. Wie realistisch sind diese Erwartungen? Oder wird hier reine Zahlenkosmetik betrieben, d.h. alle bisherigen Anwendungen, die außer Haus liefen, werden nur neu zugeordnet?

Kristof Klöckner (KK): Cloud Computing ist ein neuer Ansatz für die Erbringung von IT-Dienstleistungen, sowohl innerhalb des Unternehmens (private cloud) als auch durch externe Diensterbringer (public cloud). Es kombiniert Vorteile aus der Sicht der Benutzer, wie einfacheren Zugang auf einen flexiblen Pool von Ressourcen mit signifikanten Einsparmöglichkeiten durch Standardisierung und zentrale Diensterbringung. Es ist gerade diese Verbindung von erhöhter Flexibilität und besserer Effizienz, die für Unternehmen attraktiv ist. Die Wahl zwischen privaten (d.h. innerhalb des Firewalls befindlichen) und öffentlichen oder gemeinsam benutzten Clouds erfolgt auf der Basis der Anwendungsanforderungen, wobei Sicherheit die größte Rolle spielt. Die Vorteile von Cloud Computing sind real, das Aufgreifen durch Benutzer auch. Es handelt sich also nicht um Hype – IBM hat im letzten Jahr weltweit mehr als 2000 Cloud Engagements gehabt, die überwiegende Anzahl für private Clouds.

BD: Ist es vertretbar, wenn Juristen sagen, Clouds in Deutschland seien sicherer als solche im Ausland, da wir die besten Datenschutzgesetze haben? Hat man das Sicherheitsproblem von Clouds überhaupt im Griff?

KK: Sicherlich sensibilisieren die Datenschutzgesetze sowohl Anbieter als auch Benutzer. Allerdings beruht die tatsächliche Sicherheit auf der Einhaltung von ‚best practices’ und der Benutzung von Werkzeugen für Zugangssicherung, Compliance und Isolation der unterschiedlichen Benutzer voneinander. IBM hat dazu Richtlinien publiziert, und die Europäische Union hat ein Papier über Risiken veröffentlicht [1]. Das deutsche IBM Labor ist außerdem an einem europäischen Projekt zur ,Trusted Cloud’ beteiligt.

BD: Ist es nicht naiv zu glauben, dass Anwendungen, die auf entfernten Rechnern laufen, keinerlei Performanz-Einbußen erleiden gegenüber lokalen Anwendungen?  Ihre eigene Jugenderfahrung als Performance-Spezialist dürfte Sie zur Vorsicht mahnen.

KK: Die Cloud ist sicher nicht für alle Anwendungsprofile geeignet. Test- und Entwicklungsumgebungen (inklusive Demo oder Betanutzung) findet man auch heute schon in öffentlichen Clouds (public clouds), oft als (temporäre) Ausweitung von unternehmensinternen Clouds. Desgleichen sehen wir z.B. Analyseanwendungen in Clouds (hier handelt sich oft um Batchverarbeitung, zum Beispiel auf der Basis von Hadoop). Manche Standardanwendungen (man denke nur an Mail oder CRM) werden heute schon aus der Cloud bezogen – als Software Services. Ganz sicherlich aber werden Anwendungen, die hochvolumige, datenintensive Operationen erfordern, sich auf absehbare Zeit nicht in der Cloud finden – vielleicht nie. Wichtig ist jedoch, dass private und öffentliche Clouds Benutzern Wahlmöglichkeiten bieten, angepasst an die spezifischen Anforderungen ihrer Anwendungen. Wir sehen insbesondere zunehmendes Interesse an hybriden Clouds, die beide Welten verknüpfen.

BD: Ist die Sorge von IT-Mitarbeitern heutiger Anwender nachvollziehbar, dass durch Cloud Computing die heutigen IT-Abteilungen überflüssig werden?

KK: Nein, aber diese werden sich viel stärker auf wirklich differenzierende, unternehmenskritische Anwendungen konzentrieren können. Ein Kunde hat mir gegenüber das so ausgedrückt: „Als IT-Funktion werden wir mehr und mehr zum Beschaffer und Erbringer von Dienstleistungen (ob selbst oder von anderen geliefert). Dies gibt uns mehr Flexibilität als das alte Modell, alles selber machen zu müssen.“

BD: Wo sehen Sie aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen unseres Fachgebiets sowohl in technischer wie in geschäftlicher Hinsicht? Wie kann sich unsere Branche noch stärker einbringen, um gesellschaftlich relevante Probleme zu lösen?

KK: Den größten Beitrag kann IT (und insbesondere Software) bei der Erstellung von ‚smarten Lösungen’ leisten, d.h. bei der Konstruktion und Optimierung von intelligenten vernetzen Systemen, seien die nun physischer oder sozialer Natur, und der Analyse der beim Betrieb anfallenden Datenmengen. Beispiele dafür sind intelligente Transportsysteme, Systeme zur Verringerung von Umweltschäden oder zur intelligenten Verwendung knapper Ressourcen, vernetzte Gesundheitssysteme etc. Die dabei entstehende Komplexität – die Wissenschaft redet vom ‚Internet der Dinge’ – ist erheblich und stellt unsere Branche vor große Anforderungen.

BD: Welche Rolle und Chancen sehen Sie für Rational im IBM-Firmenverbund und für die Branche insgesamt?

KK: Ich könnte mir keine spannendere Zeit für Rational vorstellen. Software ist der Motor der Innovation in immer breiterem Kontext – das neue Elektro-Auto Volt von General Motors enthält zum Beispiel 10 Millionen Zeilen Code. Diese Systeme müssen effizient erstellt und gewartet werden, und Rational bietet dazu die Werkzeuge für den gesamten Lebenszyklus (Application and Systems Life Cycle Management) an. Aber das wäre vielleicht ein Thema für ein anderes Gespräch.

BD: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei Rational. Auf Ihr Angebot, später einmal über Ihre Erfahrungen bei Rational zu sprechen, werde ich bestimmt zurückkommen.

Referenz:

1.    European Network and Information Security Agency (ENISA), Cloud Computing, Benefits, Risks and Recommendations for Information Security, Nov 2009 (http://www.enisa.europa.eu).