Freitag, 9. August 2013

Überwachung in Gesellschaft, Technik und Wirtschaft

Das Thema Überwachung ist in diesem Sommer in aller Munde. Schuld daran ist ein gewisser Edward Snowden, ein ehemaliger Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA, der sein Unbehagen an die Öffentlichkeit trug. Bereits zwei Beiträge dieses Blogs, jeder mit vielen Nachträgen und Kommentaren versehen, waren dem Fall Snowden gewidmet. Heute schreibe ich einige Gedanken auf, die mir durch den Kopf gehen, wenn generell von Überwachen die Rede ist. Der Begriff hat, je nach Anwendungsgebiet, völlig verschiedene Konnotationen.

In der Gesellschaft

In der Politik, wie der gesellschaftlichen Diskussion allgemein, ist das Wort Überwachung sehr stark negativ belegt. Jeder denkt dabei an das politisch sehr beladene Schlagwort vom Überwachungsstaat. Seine Inkarnation hieß lange Zeit DDR mit der Stasi. Es war daher kein Wunder, dass man in Berlin nach dem Bekanntwerden der Enthüllungen des Edward Snowden an die DDR erinnert wurde. Wer dies nicht gleich tat, dem half ein ‚Künstler‘ nach, indem er die amerikanische Botschaft mit der Lichtschrift United Stasi of America anstrahlte.

Unter der Tätigkeit des Ausspähens versteht man (in unserem Zusammenhang) nur unerlaubtes Lesen von Materialien, die dem Netz anvertraut wurden. Nach der Meinung einiger Aktivisten oder neugegründeter Parteien bräuchte es überhaupt kein Ausspähen zu geben. In ihren Pamphleten und Parteiprogrammen wird Transparenz und absolute Informationsfreiheit gefordert. Mehr gemäßigte Autoren beschränken dies auf alles, was der Steuerzahler eh schon bezahlt hat, etwa die Forschungsergebnisse öffentlich geförderter Projekte oder die diplomatische Post der Regierungen. Ausspähen ist rein passiv und schonend. Ihr Ziel ist nicht das Zerstören oder Verändern von Daten.

Nur sehr zögerlich wird von Politikern und Soziologen eingeräumt oder zur Kenntnis genommen, dass Überwachung sowohl eine positive wie eine negative Bedeutung haben kann. Gutes Überwachen kann zur Verhütung und Aufklärung von Verbrechen oder zur Vermeidung von Schäden führen. Überwachung ist immer dann schlecht, wenn sie zur Unterdrückung (Repression) von Volksgruppen oder zur Vorbereitung von Verbrechen dient. Überwachen gilt im Bewusstsein vieler als ein Verbrechen, obwohl es weder Opfer noch Schaden gibt. Es gibt nur Kosten. Ob diese sich rentieren, stellt sich erst später heraus. Das gilt sowohl für den positiven wie den negativen Fall von Überwachung.

Ein Einbrecher, der ohne Widerstand in eine Privatwohnung einsteigen will, wird einige Tage oder Stunden lang die Lebensgewohnheiten der Bewohner überwachen. Polizeistreifen oder eine Video-Überwachung des Stadtteils können Einbrüchen vorbeugend entgegenwirken. Dem internationalen Terror ist anders als durch Überwachung des Telefon- und Internetverkehrs kaum beizukommen. Da der eigene Tod bei einem Anschlag in Kauf genommen wird, ist die Androhung von Strafen kein Mittel zur Abschreckung. Nur die Aufdeckung der Vorbereitungen von geplanten Anschlägen hilft. Dafür werden große Anstrengungen unternommen. Der dieser Tage erhobene Vorwurf, die damit zusammenhängende Überwachung einer großen Anzahl offensichtlich Unbeteiligter stelle eine ‚fortlaufende Menschenrechtsverletzung‘ dar, zeigt nur, wie schwierig es ist, effektive Methoden der Eingrenzung zu finden. Im Zweifelsfalle observiert man lieber jemanden zu viel als jemanden zu wenig. Dieser Fehler hat die weniger dramatischen Folgen.

Ganz allgemein gilt Überwachung (neben den handgreiflicheren Formen des Freiheitsentzugs) als das Gegenteil von Freiheit und Selbstbestimmung. Sowohl unmündige Kinder wie straffällig gewordene Erwachsene können in ihrer Freiheit eingeschränkt sein. Die oft mit dem Alter verbundene Demenz und Senilität können einen ähnlichen Effekt haben. Die Medien und damit der Öffentlichkeit stehen grundsätzlich auf der Seite der Freiheit. Ihr Engagement für die Freiheit steht manchmal in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Größe der Gefahr. Die tatsächlichen Verteidiger der Freiheit fühlen sich oft in die Defensive gedrängt – um es gelinde auszudrücken.

In Medizin und Technik

In Medizin und Technik hat Überwachen einen vorwiegend positiven Beigeschmack. Oft wird auch das Synonym ‚Monitoring‘ verwendet. Es ist eine Tätigkeit, die Maschinen meist besser erledigen können als Menschen. Sie sind dem Menschen überlegen in puncto Ausdauer und Genauigkeit. Überwachungen können sich auf Menschen, Prozesse oder Lokalitäten beziehen. Sie sind die Voraussetzung für jede Form der Steuerung oder der Automatisierung. Eine Maschine, die einen schwer kranken Patienten überwacht, hat keine Konzentrationsstörungen. Sie läuft 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Das medizinische Monitoring ist dank des Fortschritts der Technik nicht mehr auf stationäre Maßnahmen beschränkt. In einer normalen Alltagsumgebung können Biosignale wie Herzfrequenz oder Blutdruck erfasst werden und zwecks Steuerung von Therapiemaßnahmen an einen Arzt übertragen werden.

Die Überwachung chemischer Fabriken oder die genaue Steuerung von Verbrennungsmotoren können den schonenden Verbrauch von Ressourcen bewirken und die Belastung der Umgebung oder der Umwelt einschränken. Der technische Fortschritt besteht größtenteils darin, die Überwachung der irdischen Atmosphäre und der Sonne zu verbessern, die Bewegungen der fließenden und stehenden Gewässer (Flüsse, Gezeiten) und der Festlandblöcke zu verfolgen und die Eingriffe des Menschen (Ressourcenverbrauch, Umweltbelastung) in das Geschehen zu minimieren. Viele kleine Verbesserungen der Überwachung müssen zusammen kommen, um die wesentlichen Gefahrenquellen (Stürme, Fluten, Erdbeben) zu verringern. Eine vollständige Kontrolle der Natur durch den Menschen ist jedoch eine Illusion.

In der Wirtschaft

Wenn es um Kunden, Unternehmen und Märkte geht, kommen die positive und negative Bedeutung fast gleichermaßen zum Tragen. Man möchte wiederkehrende Kunden überwachen, um deren Wünschen, auch den nicht ausgesprochenen, optimal gerecht zu werden. Statt Hauswände und Litfaßsäulen mit Plakaten zu bekleben, oder Filme und Sportübertragungen zu unterbrechen, möchte man Werbung direkt zu dem potentiellen Kunden bringen. Wie wir alle wissen, ist dies heute sehr leicht möglich. Wir benutzen heute bereits viele Geräte, die genug Intelligenz – also Computerkapazität – besitzen, um zu wissen, wohin wir gerne reisen, was wir am liebsten lesen, uns anschauen und anhören. In Zukunft wird es genau so leicht sein festzustellen, was wir gerne anziehen, essen und trinken. Das ist alles Information, die ein wirtschaftlich Agierender gerne hätte. Er würde uns gerne genau passende Angebote machen, und zwar jedem einzelnen. Der ‚gläserne Kunde‘ ist das Ideal. Das statistische Wissen über Gruppen ist nur für die Produktplanung von Interesse.

Als Unternehmer möchte man möglichst wenig kontrolliert werden. Ihn stört es, was das Finanzamt alles wissen will, oder die Statistikämter oder die Umweltbehörde. Die gesetzlich vorgeschriebene Menge an Daten, die er abliefern muss, geht weit über das hinaus, was der Unternehmer selbst benötigt. Die dafür nötigen Aufwendungen machen sich in den Kosten bemerkbar.

Gemeinsamkeiten und Ausblick

Manche Überwachungen werden als streng empfunden, andere lassen sich locker ertragen. Für die Enge entscheidend ist die Frequenz. Eine jährlich oder monatlich durchgeführte Überwachung wird als leichter empfunden als eine tägliche oder gar stündliche Kontrolle. Dass es ganz ohne Überwachungen geht, ist nicht vorstellbar. Ein Minimum an Überwachung ist die Voraussetzung dafür, dass zielgerichtet ans Werk gegangen werden kann. Ein Laissez-faire ist meist nur lokal und kurzfristig zu ertragen.

Die Informatik ist diejenige Technik, die die Möglichkeiten der Überwachung laufend erweitert. Das betrifft sowohl die Überwachung von Menschen, von technischen Prozessen und der Natur, und zwar um von Menschen gesetzte Ziele zu erreichen. Die Ziele der Menschen sind bekanntlich alles andere als gleich. Es wird immer begrüßenswerte Ziele geben und solche, die es nicht sind. Im schlimmsten Falle sind es verachtenswerte, ja böse Ziele.

Eine typische Produktrichtung der Zukunft sind immer kleinere und differenziertere Sensoren. Euphemistisch wie Informatiker sind, nennt sich ein richtungsweisendes Projekt für Sensornetze ‚smart dust‘. Es baute schon 1997 Netze in Nanotechnologie, um atmosphärische Daten zu erfassen. Am konkretesten schienen damals die militärischen Anwendungen zu sein. Auch das Internet dient – wie in letzter Zeit überdeutlich geworden  ̶  als die Basis vieler Überwachungsprojekte. Als Zukunftsperspektive spricht man gerne vom Internet der Dinge. Beide Begriffe umspannen eine neue Dimension von Überwachung und Steuerung. Oder anders ausgedrückt, hier liegt Arbeit für die nächste Generation von Informatikern.

1 Kommentar:

  1. Am 9.8.2013 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:

    Zur Philologie: Überwachung heißt englisch meist "surveillance". Das ist voll aus dem Französischen übernommen. Daneben gibt es aber auch "custody" (von lat custos = Wächter, Hüter). Zwischen beiden liegt ein feiner Unterschied. In "custody" steckt das sorgsame Behüten mit drin. "Children are under custody of their parents". Man kann aber auch sagen "Children are under surveillance of their parents". Der Bedeutungsunterschied ist aber deutlich. Für die NSA und die Geheimdienste impliziert ein "surveillance" sicherlich ein "custody". Das deutsche Wort "Kustos" = Gebäudewächter z.B. bei Museen ist ähnlich harmlos.

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