Das Thema Überwachung ist in
diesem Sommer in aller Munde. Schuld daran ist ein gewisser Edward Snowden, ein
ehemaliger Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA, der sein Unbehagen an die
Öffentlichkeit trug. Bereits zwei
Beiträge dieses Blogs, jeder mit vielen Nachträgen und Kommentaren versehen,
waren dem Fall Snowden gewidmet. Heute schreibe ich einige Gedanken auf, die
mir durch den Kopf gehen, wenn generell von Überwachen die Rede ist. Der
Begriff hat, je nach Anwendungsgebiet, völlig verschiedene Konnotationen.
In der Gesellschaft
In der Politik, wie der gesellschaftlichen Diskussion allgemein, ist
das Wort Überwachung sehr stark negativ belegt. Jeder denkt dabei an das
politisch sehr beladene Schlagwort vom Überwachungsstaat.
Seine Inkarnation hieß lange Zeit DDR mit der Stasi. Es war daher kein Wunder,
dass man in Berlin nach dem Bekanntwerden der Enthüllungen des Edward Snowden
an die DDR erinnert wurde. Wer dies nicht gleich tat, dem half ein ‚Künstler‘
nach, indem er die amerikanische Botschaft mit der Lichtschrift United
Stasi of America anstrahlte.
Unter der Tätigkeit des Ausspähens versteht man (in unserem
Zusammenhang) nur unerlaubtes Lesen von Materialien, die dem Netz anvertraut
wurden. Nach der Meinung einiger Aktivisten oder neugegründeter Parteien
bräuchte es überhaupt kein Ausspähen zu geben. In ihren Pamphleten und
Parteiprogrammen wird Transparenz und absolute Informationsfreiheit gefordert.
Mehr gemäßigte Autoren beschränken dies auf alles, was der Steuerzahler eh
schon bezahlt hat, etwa die Forschungsergebnisse öffentlich geförderter
Projekte oder die diplomatische Post der Regierungen. Ausspähen ist rein passiv
und schonend. Ihr Ziel ist nicht das Zerstören oder Verändern von Daten.
Nur sehr zögerlich wird von Politikern und Soziologen eingeräumt oder
zur Kenntnis genommen, dass Überwachung sowohl eine positive wie eine negative
Bedeutung haben kann. Gutes Überwachen kann zur Verhütung und Aufklärung von
Verbrechen oder zur Vermeidung von Schäden führen. Überwachung ist immer dann schlecht,
wenn sie zur Unterdrückung (Repression) von Volksgruppen oder zur Vorbereitung
von Verbrechen dient. Überwachen gilt im Bewusstsein vieler als ein Verbrechen,
obwohl es weder Opfer noch Schaden gibt. Es gibt nur Kosten. Ob diese sich
rentieren, stellt sich erst später heraus. Das gilt sowohl für den positiven
wie den negativen Fall von Überwachung.
Ein Einbrecher, der ohne Widerstand in eine Privatwohnung einsteigen
will, wird einige Tage oder Stunden lang die Lebensgewohnheiten der Bewohner
überwachen. Polizeistreifen oder eine Video-Überwachung des Stadtteils können Einbrüchen
vorbeugend entgegenwirken. Dem internationalen Terror ist anders als durch
Überwachung des Telefon- und Internetverkehrs kaum beizukommen. Da der eigene
Tod bei einem Anschlag in Kauf genommen wird, ist die Androhung von Strafen
kein Mittel zur Abschreckung. Nur die Aufdeckung der Vorbereitungen von
geplanten Anschlägen hilft. Dafür werden große Anstrengungen unternommen. Der
dieser Tage erhobene Vorwurf, die damit zusammenhängende Überwachung einer
großen Anzahl offensichtlich Unbeteiligter stelle eine ‚fortlaufende Menschenrechtsverletzung‘
dar, zeigt nur, wie schwierig es ist, effektive Methoden der Eingrenzung zu
finden. Im Zweifelsfalle observiert man lieber jemanden zu viel als jemanden zu
wenig. Dieser Fehler hat die weniger dramatischen Folgen.
Ganz allgemein gilt Überwachung (neben den handgreiflicheren Formen des
Freiheitsentzugs) als das Gegenteil von Freiheit und Selbstbestimmung. Sowohl unmündige
Kinder wie straffällig gewordene Erwachsene können in ihrer Freiheit eingeschränkt
sein. Die oft mit dem Alter verbundene Demenz und Senilität können einen
ähnlichen Effekt haben. Die Medien und damit der Öffentlichkeit stehen grundsätzlich
auf der Seite der Freiheit. Ihr Engagement für die Freiheit steht manchmal in keinem
Verhältnis zur tatsächlichen Größe der Gefahr. Die tatsächlichen Verteidiger
der Freiheit fühlen sich oft in die Defensive gedrängt – um es gelinde
auszudrücken.
In Medizin und Technik
In Medizin und Technik hat Überwachen einen vorwiegend positiven Beigeschmack.
Oft wird auch das Synonym ‚Monitoring‘ verwendet. Es ist eine Tätigkeit, die
Maschinen meist besser erledigen können als Menschen. Sie sind dem Menschen überlegen
in puncto Ausdauer und Genauigkeit. Überwachungen können sich auf Menschen,
Prozesse oder Lokalitäten beziehen. Sie sind die Voraussetzung für jede Form
der Steuerung oder der Automatisierung. Eine Maschine, die einen schwer kranken
Patienten überwacht, hat keine Konzentrationsstörungen. Sie läuft 24 Stunden am
Tag, sieben Tage die Woche. Das medizinische Monitoring ist dank des Fortschritts der Technik nicht
mehr auf stationäre Maßnahmen beschränkt. In einer normalen Alltagsumgebung
können Biosignale wie Herzfrequenz oder Blutdruck erfasst werden und zwecks
Steuerung von Therapiemaßnahmen an einen Arzt übertragen werden.
Die Überwachung chemischer Fabriken oder die genaue Steuerung von
Verbrennungsmotoren können den schonenden Verbrauch von Ressourcen bewirken und
die Belastung der Umgebung oder der Umwelt einschränken. Der technische
Fortschritt besteht größtenteils darin, die Überwachung der irdischen Atmosphäre
und der Sonne zu verbessern, die Bewegungen der fließenden und stehenden Gewässer
(Flüsse, Gezeiten) und der Festlandblöcke zu verfolgen und die Eingriffe des
Menschen (Ressourcenverbrauch, Umweltbelastung) in das Geschehen zu minimieren.
Viele kleine Verbesserungen der Überwachung müssen zusammen kommen, um die
wesentlichen Gefahrenquellen (Stürme, Fluten, Erdbeben) zu verringern. Eine
vollständige Kontrolle der Natur durch den Menschen ist jedoch eine Illusion.
In der Wirtschaft
Wenn es um Kunden, Unternehmen und Märkte
geht, kommen die positive und negative Bedeutung fast gleichermaßen zum Tragen.
Man möchte wiederkehrende Kunden überwachen, um deren Wünschen, auch den nicht
ausgesprochenen, optimal gerecht zu werden. Statt Hauswände und Litfaßsäulen
mit Plakaten zu bekleben, oder Filme und Sportübertragungen zu unterbrechen,
möchte man Werbung direkt zu dem potentiellen Kunden bringen. Wie wir alle
wissen, ist dies heute sehr leicht möglich. Wir benutzen heute bereits viele Geräte,
die genug Intelligenz – also Computerkapazität – besitzen, um zu wissen, wohin
wir gerne reisen, was wir am liebsten lesen, uns anschauen und anhören. In
Zukunft wird es genau so leicht sein festzustellen, was wir gerne anziehen, essen
und trinken. Das ist alles Information, die ein wirtschaftlich Agierender gerne
hätte. Er würde uns gerne genau passende Angebote machen, und zwar jedem einzelnen. Der ‚gläserne
Kunde‘ ist das Ideal. Das statistische Wissen über Gruppen ist nur für die Produktplanung von Interesse.
Als Unternehmer möchte man möglichst
wenig kontrolliert werden. Ihn stört es, was das Finanzamt alles wissen will,
oder die Statistikämter oder die Umweltbehörde. Die gesetzlich vorgeschriebene
Menge an Daten, die er abliefern muss, geht weit über das hinaus, was der
Unternehmer selbst benötigt. Die dafür nötigen Aufwendungen machen sich in den
Kosten bemerkbar.
Gemeinsamkeiten und Ausblick
Manche Überwachungen werden als streng empfunden,
andere lassen sich locker ertragen. Für die Enge entscheidend ist die Frequenz.
Eine jährlich oder monatlich durchgeführte Überwachung wird als leichter empfunden
als eine tägliche oder gar stündliche Kontrolle. Dass es ganz ohne
Überwachungen geht, ist nicht vorstellbar. Ein Minimum an Überwachung ist die Voraussetzung
dafür, dass zielgerichtet ans Werk gegangen werden kann. Ein Laissez-faire ist
meist nur lokal und kurzfristig zu ertragen.
Die Informatik ist diejenige Technik,
die die Möglichkeiten der Überwachung laufend erweitert. Das betrifft sowohl
die Überwachung von Menschen, von technischen Prozessen und der Natur, und zwar
um von Menschen gesetzte Ziele zu erreichen. Die Ziele der Menschen sind
bekanntlich alles andere als gleich. Es wird immer begrüßenswerte Ziele geben
und solche, die es nicht sind. Im schlimmsten Falle sind es verachtenswerte, ja
böse Ziele.
Eine typische Produktrichtung der
Zukunft sind immer kleinere und differenziertere Sensoren. Euphemistisch wie
Informatiker sind, nennt sich ein richtungsweisendes Projekt für Sensornetze ‚smart dust‘. Es baute schon
1997 Netze in Nanotechnologie, um atmosphärische Daten zu erfassen. Am
konkretesten schienen damals die militärischen Anwendungen zu sein. Auch das
Internet dient – wie in letzter Zeit überdeutlich geworden ̶ als die Basis vieler Überwachungsprojekte. Als
Zukunftsperspektive spricht man gerne vom Internet der Dinge.
Beide Begriffe umspannen eine neue Dimension von Überwachung und Steuerung.
Oder anders ausgedrückt, hier liegt Arbeit für die nächste Generation von
Informatikern.
Am 9.8.2013 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:
AntwortenLöschenZur Philologie: Überwachung heißt englisch meist "surveillance". Das ist voll aus dem Französischen übernommen. Daneben gibt es aber auch "custody" (von lat custos = Wächter, Hüter). Zwischen beiden liegt ein feiner Unterschied. In "custody" steckt das sorgsame Behüten mit drin. "Children are under custody of their parents". Man kann aber auch sagen "Children are under surveillance of their parents". Der Bedeutungsunterschied ist aber deutlich. Für die NSA und die Geheimdienste impliziert ein "surveillance" sicherlich ein "custody". Das deutsche Wort "Kustos" = Gebäudewächter z.B. bei Museen ist ähnlich harmlos.