Freitag, 20. Dezember 2013

EU-Gelder zur Erforschung der Sicherheit des Internets

Wenn dieser Tage die EU-Kommission ihre Forschungsgelder vergibt, darf das Thema Internet-Sicherheit natürlich nicht fehlen. Nach den Enthüllungen der letzten Monate wurde uns allen klar, mit welchen Risiken die Milliarden Nutzer des Internets tagtäglich konfrontiert sind. Außer den Kleinkriminellen und dem Organisierten Verbrechen waren es vor allem staatliche Dienste, die uns überrascht haben bezüglich des Aufwands, der Rücksichtslosigkeit und der Cleverness, mit der sie ihre Ziele verfolgen. Das massenhafte Ausspähen sämtlicher elektronischer Kommunikation schien uns die Illusion eines freien und fairen Internets gründlich zu verderben. Alles, was die auf dem Gebiet der Netzsicherheit tätigen Firmen und Forschergruppen versprochen hatten, war plötzlich nichts mehr wert.

Sicherheitsforschung

In meinem ersten Beitrag zur Snowden-Affäre warnte ich davor, der Forschung den schwarzen Peter zuzuschieben. Dort konnten Sie lesen:

Es wurden bisher viele Millionen in die Sicherheitsforschung investiert. Obwohl es schwer ist, hierfür den Ertrag nachzuweisen, wäre es fatal, würde man die Bemühungen jetzt reduzieren. Jeder Fall enthält neue Lehren. Diese zu erkennen und dem Fachwissen, das weitervermittelt wird, hinzufügen, ist das Gebot der Stunde.

Meine Sorge war offensichtlich unbegründet. Die Forschergemeinde hat überlebt und hat sich erstaunlich schnell von dem Schock erholt. Zuerst meldete sich die nationale Forschung zu Wort. Ich stieß unter anderem auf ein Positionspapier des Fraunhofer-Instituts für Sicherheit in der Informationstechnik (SIT) vom September 2013. Darin hieß es: IT-Sicherheit erfordert Forschung. Deutschland ist ein wichtiger und erfolgreicher Forschungsstandort. Als konkrete Fragestellungen wurde unter anderem genannt:
  •  Wie kann man im Internet tatsächlich sicher und unbeobachtbar kommunizieren, im Allgemeinen oder zumindest vis-a-vis Massenüberwachung durch fremde Dienste?
  • Wie geht man mit dem Konflikt zwischen Privatsphärenschutz einerseits und Online Social Networks, Big Data, Ubiquitären und mobilen Systemen andererseits um?

Förderung der EU

Dieser Tage verkündete die EU-Kommission per Presseverlautbarung vom 18.12.2013, dass der Europäische Forschungsrat Förderungen in Millionenhöhe an 13 EU-Forschungsprojekte vergeben hat.

Insgesamt sind 45 Forscher aus elf Ländern beteiligt, zwölf davon kommen aus Deutschland. Die so genannten Synergie-Finanzhilfen gehen an Teams von zwei bis vier Spitzenforschern, die sich aufgrund ihrer ergänzenden Fähigkeiten, Kenntnisse und Ressourcen einzigartige und bahnbrechende Ergebnisse zum Ziel setzen können. Die Projekte erhalten für die kommenden sechs Jahre jeweils bis zu 15 Mio. Euro.

In Deutschland erhalten unter anderem Michael Backes von der Universität des Saarlandes sowie Peter Druschel, Rupak Majumdar und Gerhard Weikum vom Max-Planck-Institut knapp 10 Mio. Euro für ihr Forschungsprojekt zur Internetsicherheit. Die vier führenden Computerspezialisten wollen in ihrem Verbundprojekt imPACT gemeinsam mit Juristen, Sozialwissenschaftlern und Wirtschaftsexperten Lösungen für eine bessere Privatsphäre und mehr Datenschutzes finden. Ziel ist es, den Internetnutzern von morgen die Kontrolle über ihre persönlichen Daten zurückzugeben. Die Prototypen-Software, die sie in dem Projekt entwickeln und die Messdaten aus ihren Feldversuchen mit Internet-Dienstleistungen werden frei verfügbar sein.

Das Max-Planck-Institut (MPI) für Softwaresysteme in Saarbrücken (mit Druschel) und Kaiserlautern (mit Majumdar) und das MPI für Informatik (mit Weikum) in Saarbrücken und die Uni Saarbrücken (mit Backes) sind anerkannte Forschungsgruppen. Sie setzten sich europaweit gegen rund 450 Anträge durch. Vier Teilthemen sind Gegenstand des Projekts: Schutz der Privatsphäre (Privacy), Nachweis von Aktionen durch bestimmte Personen im Internet (Accountability), Einhalten von Vereinbarungen vonseiten der Software und der Plattformen (Compliance) und Vertrauen in die Korrektheit von Daten und Diensten (Trust). Es ist ein Zeitrahmen von sechs Jahren vorgesehen.

Realistische Erwartungen

Es besteht kein Zweifel, dass die beteiligten Forscher sich sehr wichtige Themen vorgenommen haben. Das Internet ist inzwischen das zentrale Thema für jede Informatik-Forschung. Die Sicherheitsaspekte des Internets haben zwar Hochkonjunktur, sie sind aber nicht alles. Benutzbarkeit, Zuverlässigkeit, Kapazität, Effizienz, Energieverbrauch und Abfallentsorgung sind weitere Aspekte der Internet-Forschung.

Die vier für das Saarpfälzer Projekt angegebenen Teilthemen sind alle äußerst relevant. Sie sind nicht erst jetzt entstanden als Folge der Ereignisse des letzten Halbjahres. Es wurde daran schon seit Jahren gearbeitet. Es ist nicht so, dass es für sie eindeutige und optimale Lösungen gibt. Die Lösungen müssen Kriterien erfüllen, die sich teilweise widersprechen. So widerspricht der Wunsch nach Anonymität der Forderung nach eindeutiger Verantwortlichkeit. Eine Lösung muss nicht nur algorithmisch definierbar sein, sie muss auch technisch realisierbar sein. Es reicht vor allem nicht, sie nur in einer kontrollierten Umgebung zu implementieren, also in einem Schaukasten. Sie muss im Feldversuch getestet werden, am lebenden Körper. Dieser ‚Körper‘ ist in seiner Größe und Gestalt nicht genau zu beschreiben, außerdem verändert er sich laufend. Der Feldtest hat in der Informatik inzwischen dieselbe Bedeutung wie in der Pharmaindustrie. Auch gibt es eine Schwelle für die Produkteinführung, die einer Zulassung entspricht.

Es ist klug, keine kurzfristigen Antworten zu versprechen. Hochschulen oder hochschulnahe Forschungsinstitute können bestenfalls Vorschläge für Antworten machen. Ob diese von der Wirtschaft überhaupt in Betracht gezogen werden, ist nicht selbstverständlich. Welche Lösung letztendlich implementiert wird, hängt wieder von völlig anderen Kriterien ab. Es können auch mehrere Lösungen sein. Eine Lösung, die in Deutschland oder Europa viele Anhänger hat, mag es schwierig haben, international akzeptiert zu werden. Nicht alle Implementationen werden zu einem Markterfolg.

Fazit: Das Internet ist viel zu wichtig, um abwarten zu können, welche Lösungen aus der Forschung sich ergeben. Es gibt heute Hunderte von sehr starken Akteuren, die sich ein ‚besseres‘ Internet wünschen oder von ihm profitieren würden. Nur ein Teil von ihnen ist in der Lage, konkret und konstruktiv einzugreifen. Wichtiger als auf die Forschungsergebnisse der EU zu hoffen, ist es, dass diese Akteure zusammenfinden und beschließen, etwas zu tun. Ich glaube nicht einmal, dass irgendeine Regierung etwas tun muss oder tun kann, weder die amerikanische noch die EU, geschweige denn die deutsche Regierung. Dass mag nicht allen Beteiligten gefallen, noch ist es aber so.

Nachtrag am 22.12.2013

Wie aus den von Snowden entwendeten Informationsquellen ersichtlich, hat die NSA der Firma RSA Millionen gezahlt, damit sie 'Hintertüren' in ihre Software-Produkte einbaut. Dagegen ist die beste Forschung machtlos. Der Ruf dieser von den drei Informatik-Professoren Rivest, Shamir und Adleman gegründeten Firma dürfte ruiniert sein.

Freitag, 13. Dezember 2013

Joachim Gauck: Mehr Bürgergesellschaft wagen!

Die obigen drei Worte bildeten den Titel der Theodor-Heuss-Gedächtnis-Vorlesung, mit der Bundespräsident Joachim Gauck am 12.12.2013 des 50. Todestags seines ersten Amtsvorgängers gedachte. Er hatte rund 900 Zuhörer in die zwei großen Hörsäle der Universität Stuttgart gelockt. Gauck hatte vorher zusammen mit Politikern aller Couleur das Grab von Theodor Heuss auf dem Stuttgarter Waldfriedhof besucht. Auch war er im Theodor-Heuss-Museum gewesen, das sich in Heuss‘ früherem Wohnhaus in Stuttgarter Hanglage (‚dem Heuss seinem Häusle‘, wie der Schwabe sagt) befindet.

Der Titel von Gaucks Vortrag, der auf Willy Brandts Regierungserklärung anspielte, war nicht nur sehr aktuell. Er erschien auch der besonderen Stuttgarter Situation angemessen zu sein. Zwei Teilaspekte des Themas, die in der aktuellen Diskussion eine große Rolle spielen, stellte er an den Anfang, Volksabstimmungen und Wahl des Bundespräsidenten. In beiden Fällen konnte er sich derselben Argumente bedienen, die bereits Theodor Heuss, einer der Verfasser unseres Grundgesetzes, benutzt hatte.

Volksabstimmungen gibt es nur in einigen Landesverfassungen, nicht jedoch auf Bundesebene. Den Verfechtern einer Einführung auf Bundesebene legte er nahe, sich über die Gründe klarzuwerden, die Heuss und seine Zeitgenossen bewogen, von diesem Verfassungsmittel Abstand zu nehmen. Bei einem Quorum von 20% können bereits 10% der Stimmberechtigten eine Entscheidung bestimmen. Eine solche Zustimmung ist leicht zu gewinnen, vor allem wenn es um emotional belegte Themen geht. Heuss stand unter dem Eindruck der Volksabstimmungen, die Hitler arrangiert hatte, etwa zum Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund. Das Thema Euro kann heute damit sehr gut verglichen werden. Selbst in der Schweiz, wo Volksabstimmungen zur demokratischen Tradition gehören, mehren sich die Stimmen, die darauf hinweisen, dass Demagogen es lieben, Themen, für die sie im Parlament keine Mehrheit bekommen können, dem Volk direkt vorzutragen.

Würde die Wahl des Bundespräsidenten direkt durch das Volk geschehen, würde dies – zumindest indirekt – ihm mehr Macht verleihen, als er aufgrund unserer Verfassung besitzt. Das Volk fühlte sich sogar mit Recht betrogen. Auch wenn er nicht die Richtlinien der Politik bestimmt, kann er wichtige Diskussionen anstoßen und beeinflussen. Genau so sieht auch Gauck dieses Amt.

Im Hauptteil der Rede ging er  ̶  bildlich gesprochen  ̶  mit Theodor Heuss zusammen durch unser Land. Er erinnerte daran, dass es heute eine Vielzahl von direkten Beteiligungsmöglichkeiten gibt, die Heuss und seine Zeitgenossen nicht kannten. Auch der aktuelle Koalitionsvertrag spricht von ihnen (Seite 151). Die Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltpolitisch relevanten Entscheidungen und an Verkehrsinfrastruktur- und Zukunftsprojekten ist schon fast selbstverständlich geworden  ̶  nicht zuletzt dank der Stuttgarter Erfahrungen. Die neuen Medien bewirken, dass insbesondere die Jugend sich besser informieren und einbringen kann.

Die Parlamentarier wie die Regierung können mit einer Schnelligkeit und in einem Umfang mit ihren Wählern interagieren, die man früher nicht für möglich gehalten hatte. Die repräsentative Demokratie hat sich ohne Zweifel bewährt. Es besteht kein Grund, ihre Vorteile nicht auszunutzen. Sie kann den Volkswillen sehr gut zum Ausdruck bringen. Vor allem aber ist ein Parlament in der Lage Kompromisse auszuhandeln. Ohne Kompromisse kommt eine Demokratie nicht aus. Sie leidet unterm 'ohne mich' und lebt vom 'mit uns', so drückte es Heuss einst aus.

Inhaltlich war diese Rede nicht ganz auf dem Niveau seiner Europa-Rede vom Februar 2013. Er hatte ja auch ein anderes Publikum vor sich. 

Die ungewöhnlichen Sicherheitsvorkehrungen, die das Bild der Veranstaltung bestimmten, waren etwas gewöhnungsbedürftig. Nicht neu war jedoch, dass man anschließend bei Wein und Brezel mit dem Referenten noch diskutieren konnte. Nur dass es diesmal unser Staatsoberhaupt war, dem die Rolle eines Bürgerpräsidenten nicht ungelegen zu sein schien.

Mittwoch, 11. Dezember 2013

Rätselhaftes Zentralafrika von Mungo Park bis Al Qaida

Der Teil Afrikas, der südlich der Sahara-Wüste beginnt, war für Europäer lange Zeit ein großes Rätsel. Nach den Phöniziern drangen die Araber und Portugiesen an der Westküste nach Süden vor. Der Araber Ibn Battuta kam im 14. Jahrhundert im Osten bis Mogadischu, im Westen bis nach Tanger. Nachdem sie Kap Mogador umschifft hatten, gelangten die Portugiesen bis in den Golf von Guinea. Neben Guinea-Bissau wurde die Insel Fernando Po ihr Stützpunkt. Als die Engländer im 18. Jahrhundert die USA verloren und sich mit Kanada begnügen mussten, begannen sie sich für Afrika zu interessieren.


Einer der ersten, der zuerst privat und dann im Staatsauftrag die Sahelzone erforschte, war der Schotte Mungo Park. Eine private ‚African Association‘, zu der der Botaniker Joseph Banks den Kontakt hergestellt hatte, finanzierte die Reise. Ein englischer Handelsvertreter in Gambia besorgte ihm ein Pferd und zwei afrikanische Begleiter auf Eseln. Er erreichte 1796 den Niger bei Bamako, geriet aber danach in die Gefangenschaft von Arabern. Völlig mittellos und demoralisiert konnte er fliehen. Er war von da an allein unterwegs und vollkommen auf die Hilfe Einheimischer angewiesen. Er wurde schließlich von einem einheimischen Sklavenhändler aufgenommen und lebte sieben Monate bei ihm (in Kamalia). Nach Ende der Regenzeit konnte er sich einer über 70-köpfigen Sklavenkarawane nach Gorée in Gambia als Begleiter anschließen. Von dort gelangte er an Bord eines Sklavenschiffs in die Karibik und dann 1797 zurück nach England.

Sein Reisebericht ‚Travels in the Interior of Africa von 1799 wurde ein Bestseller und gilt noch heute als Klassiker. Er enthält sehr viel Information über Land und Leute. Die mohammedanischen Araber aus dem Norden gebären sich als Unterdrücker gegenüber den Negern im Süden, gleichgültig ob diese den Glauben des Propheten Mohammed angenommen haben oder nicht. Besonders ausführlich beschreibt Park den Sklavenhandel. Er vermutet, dass seine Ursprünge in der Antike liegen und dass etwa zwei Drittel der Bevölkerung sich in der Sklaverei befindet. Nach seiner Rückkehr übte Park den Beruf eines Landarztes im schottischen Hochland aus.


„Ansicht von Kamalia“, Tafel aus Parks Erstausgabe

Im Herbst 1803 versuchte die englische Regierung Park für eine zweite Reise zu gewinnen. Man bewilligte ihm, was er wollte. Sein Schwager (Alexander Anderson) und ein Freund (der Zeichner George Scott) fuhren mit. Die Besatzung bestand aus einem Leutnant, zwei Seeleuten, einem Sergeant, einem Korporal und 33 einfachen Soldaten. Diese konnte er in dem Sklavenumschlagplatz Gorée in Gambia anwerben, und zwar unter solchen, die dorthin strafversetzt worden waren. Zu den 45 Europäern kamen noch 20 afrikanische Handwerker, darunter vier Schiffszimmerleute, die vor Ort Boote bauen sollten. Unterwegs kaufte er noch fünfzig Esel und sechs Pferde. Die Karawane startete im Juni 1805 mit Verspätung erst zu Beginn der Regenzeit und benötigte doppelt so viel Zeit wie ursprünglich geplant, um bis Bamako zu gelangen. Vom Einsetzen der Regenzeit bis zur Ankunft am Niger starben 31 Personen, d.h. zwei Drittel der Mannschaft, an Krankheiten und Erschöpfung. Park ließ dennoch ein primitives Boot bauen und setzte sich flussabwärts in Bewegung. Alle erhaltenen Briefe an Angehörige, Freunde und Gönner belegen seine Entschlossenheit. Außer durch die üblichen Geschenke machte er sich die afrikanischen Anwohner des Flusses gewogen, indem er versprach, dass nach der Entdeckung der Mündung des Niger englische Händler die begehrten europäischen Güter (Waffen, Werkzeuge) direkt liefern würden und so der sehr teure arabische Zwischenhandel ausgeschaltet würde. Genau das rief jedoch den erbitterten Widerstand der Araber hervor.


Park passierte die Stadt Timbuktu, ohne sie zu besuchen, weil es ihm zu gefährlich erschien. Obwohl sein Schwager nach langer Krankheit starb, wollte er bis zur Mündung des Niger vorstoßen. In Bussa wurde er im Februar 1806 von einem starken Verband der Tuareg angegriffen und kam dabei ums Leben. Sein einheimischer Führer überlebte und geriet in Gefangenschaft. Erst Jahre später nach seiner Freilassung erfuhr die Welt durch ihn Einzelheiten. Park soll auf dem letzten Teil der Reise sich sehr brutal gegen alle Angreifer gewehrt haben und viele von ihnen getötet haben. Die Suche nach Park bzw. seiner Leiche, an der sich auch Parks zweiter Sohn Thomas beteiligte, blieb erfolglos. Erst 1830 wurde das Mündungsdelta des Nigers entdeckt. Der Strom erwies sich aufgrund der vielen Stromschnellen als sehr wenig geeignet für den Transport von Handelsgütern ins Landesinnere.

Das Gebiet um Timbuktu gehört heute zu Mali. Der deutsche Afrikaforscher Heinrich Barth hielt sich in britischem Auftrag von September 1853 bis April 1854 in der Stadt auf. Ihm wurde sowohl über Mungo Parks Erscheinen berichtet, als auch über andere Europäer, die Timbuktu zwar erreichten, jedoch ihre Reise nicht überlebten (Alexander Gordon Laing, René Caillé). Wegen seiner baulichen Schätze gilt Timbuktu heute als Weltkulturerbe. Besonders bemerkenswert sind die vielen arabischen Handschriften aus dem mittelalterlichen Andalusien, die sich teilweise im Privatbesitz befinden.


Anfang 2012 rückte Mali ins Licht der Weltöffentlichkeit. Im Verbund mit Söldnern, die aus Libyen zurückkehrten und der Al Qaida nahestanden, versuchten Tuaregs den nördlichen Teil des Landes zu erobern. Sie erklärten dessen Unabhängigkeit (als Republik Azawad) vom südlichen Mali. Im März 2012 kam es in der malischen Hauptstadt Bamako zu einem Militärputsch gegen den Präsidenten, dem vorgeworfen wurde, den Aufstand nicht entschlossen genug zu bekämpfen. Als frühere Kolonialmacht sah sich Frankreich Anfang 2013 veranlasst mit Truppen einzugreifen. Sie konnten einige der besetzten Städte wiedererobern, unter anderem Timbuktu.

Hier hatten die Islamisten bereits einige historische Denkmäler zerstört. Neben den Lehmmoscheen haben auch einige Manuskripte (des Institut des hautes études et de recherches islamiques Ahmed Baba) gelitten, obwohl die Mehrzahl rechtzeitig in Sicherheit gebracht wurde. Außerdem wird von Menschenrechtsverletzungen in Form von Auspeitschungen, Amputationen und Hinrichtungen berichtet. Inzwischen verstärken mehrere westafrikanische Staaten die Truppen der Zentralregierung und hoffen die Islamisten weiter zurückzudrängen.

Freitag, 6. Dezember 2013

Ist Deutschlands Zukunft wirklich so klar?

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zukunft sollte eigentlich sehr nützlich sein. Schon einmal hatte ich mich im Januar dieses Jahres mit diesem Superthema befasst. Damals hatte ich mich mit dem Journalisten Matthias Horx und dessen Ansatz auseinandergesetzt. In der Zielsetzung vergleichbar, aber im Ansatz völlig anders geht Horst Opaschowski das Thema an. Er war Professor an der Universität Hamburg und wurde als Leiter des BAT Freizeitforschungsinstituts bekannt. Seine Klientel war die Tourismusbranche, die von ihm wissen wollte, wo und wie die Deutschen ihren Urlaub verbringen. Seit seiner Emeritierung veröffentlicht er ein Buch nach dem andern. Sein vorletztes 2011 erschienenes Buch hat den Titel Der Deutschland-Plan. Die wichtigsten Aussagen des Buches sind auf seiner Homepage als ‚Deutschland-Vision 2030‘ zusammengefasst. Mit drei Mal zehn Thesen beschreibt er dort die Essenz seiner Analysen.

Demoskopische Methode

Opaschowskis Kredo ist die Befragung der Bürger, die Demoskopie. Für jede nur denkbare Frage hat er ein Umfrageergebnis. Dass diese Methode nicht immer der Wahrheitsfindung dient, soll gleich am Anfang an einem Beispiel gezeigt werden. Oder anders ausgedrückt, das Ergebnis mag zwar wahr sein, im Sinne von ehrlich und korrekt, das Ergebnis ist aber nicht sehr hilfreich.

Gefragt, ob die Menschen gerne Genaueres über ihre Zukunft wissen möchten, ist die Mehrzahl dafür. Daraus wird geschlossen, dass die meisten Menschen ein großes Interesse an Zukunftsfragen (also an Opaschowskis Spezialgebiet) haben. Das ist aber nicht der Fall. Gefragt, ob man Politikern glaubt, ist die Antwort sehr negativ. Gefragt, was man von Politikern hören möchte, so sind dies Visionen für die Zukunft. Es sollten dies aber keine Illusionen oder ideologisch geprägte Idealvorstellungen sein, sondern verlässliche Aussagen, wie es wirklich kommt. Ein weiterer klarer Widerspruch. Zum Glück – so möchte ich hier einfügen – gibt es kaum Politiker, die sich bemühen, diesem Wunschbild gerecht zu werden. Das können sie nämlich nicht. Trotz dieser Kritik am Ansatz macht Opaschowski eine Reihe von Aussagen oder benutzt Schlagworte, über die man nachdenken sollte.

Zunehmende Brasilianisierung

Uns wird eine krasse Klassengesellschaft vorhergesagt, in der sich die sozialen Ungleichheiten eher verschärfen als reduzieren. In unsern Großstädten entstünden Ghettos ähnlich wie in Brasilien. Die Armen zögen sich zusammen, aber auch die Reichen. Dabei ist der Begriff ‚arm‘ sehr relativ. Die Grenze verschiebt sich im Laufe der Zeit, da nach der offiziellen EU-Definition sie sich an dem sich ändernden Haushaltseinkommen der Gesamtbevölkerung ausrichtet. Arm ist, wer unter dem Durchschnitt liegt.

Größerer Anteil alter Menschen

Die Fortschritte der Medizin führen zum rasanten Anstieg der Lebenszeit. Als Folge davon werden die Menschen nicht nur länger arbeiten. Der Anteil von Senioren und Invaliden an der Bevölkerung steigt. Die Wohnungswelt muss sich dem Anpassen. Die Einweisung in ein Altersheim ist nur eine mögliche Lösung. Das Zusammenleben von mehreren Generationen in einem Haus gewinne an Bedeutung. Es sei sogar möglich, dass Generationenbeziehungen wichtiger werden als Partnerbeziehungen.

Vermehrte Bürgerbeteiligung

Da das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Politiker aller Couleur abgenommen habe, drängen Bürger zu stärkerer Direktbeteiligung. Nicht regierungs- oder parteigebundene Organisationen (NGOs) drängen sich vor. Stuttgart 21 mit der im Fernsehen übertragenen Schlichtung durch Heiner Geißler gilt als Musterbeispiel. Die verschiedensten Themen oder Projekte führen zu spontanen Aktionen der Zivilgesellschaft. Bürger möchten mitmischen. Es bestehe ein Trend, möglichst keine langfristigen Bindungen mehr einzugehen. Manchmal heißt es, man begnüge sich immer mehr mit einer Zuschauerrolle. Das ist zwar ein Widerspruch. Dennoch mag beides richtig sein.

International gesehen nehmen Kriege zwischen Ländern ab, umso öfters komme es zu Bürgerkriegen. In Anbetracht der Übermacht der globalen Finanzbeziehungen trete eine gewisse Ohnmacht der Staaten zutage. Der Einzelne sähe sich immer mehr eingeschränkt bezüglich seiner Privatsphäre. Die Bedrohungen stammten ebenso sehr von internationalen Organisationen wie vom eigenen Staat. [Dieses Thema war wiederholt Gegenstand dieses Blogs].

Nicht-Ökonomisches als Fortschritt

Dass als Maß des Fortschritts einer Gesellschaft das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht besonders aussagefähig ist, wird von vielen Seiten beklagt. Die von Frankreichs vorletztem Staatspräsident Nikolas Sarkozy ins Leben gerufene Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission hatte sich bereits mit dieser Frage auseinander gesetzt.

Auch Opaschowski regt an, nicht nur quantitatives ökonomisches Wachstum anzustreben. Er schlägt vor, Fortschritt als ein Weiterkommen in politischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht anzusehen. Wohlstand umfasse auch die immateriellen Werte, die eine Gesellschaft auszeichnen. Als Beispielbereiche benennt er Gesundheit, Kultur, Natur, Nachbarn und Freunde. Vor allem müssen die Interessen der nachfolgenden Generationen berücksichtigt werden. Dazu gehört, dass unsere Generation durch Schuldenabbau und Nachhaltigkeit aller Projekte keine Belastungen für die Zukunft ansammelt. [Die Kritik der Opposition am derzeitigen Koalitionsvertrag setzt unter anderem hier an].

Wandel der gesellschaftlichen Werte

Obwohl Opaschowski angeblich das Ohr am Puls der Massen hat, sind einige seiner Aussagen für mich etwas überraschend. So stellt er fest, dass das Interesse für Kinder-, Familien- und Altenbetreuung seit der Jahrtausendwende im Ansteigen begriffen sei. Ähnlich wie die Finnen möchten auch junge Deutsche einen Rechtsanspruch für Kinderbetreuung haben. Die Stellung der Familie würde derzeit eine Aufwertung erfahren. Außerdem nimmt er an, dass es einen Wunsch nach Steuervergünstigung für soziales Engagement gibt. Wir kämen nicht umhin, Ehrenämter aufzuwerten und ihnen verstärkte Anerkennung zu verschaffen. Die für ganze Nachbarschaften eingerichteten Helferbörsen zeigten einen Weg.

Dass sich der in Großstädten in den letzten Jahrzehnten festzustellende Trend zu Singles oder Kleinstfamilien umkehren wird, ist zwar noch nicht zu erkennen. Es wäre dann nur noch eine Frage der Zeit, bis der Umschwung erfolgt.

Sinnsuche jenseits der Erwerbstätigkeit

Eine auf die Maximierung des Wohlstands ausgerichtete Gesellschaft sei nicht ohne weiteres in der Lage, auch die Frage nach dem Sinn des Lebens zu beantworten. Sie stelle sich unweigerlich und unentwegt. Woher die Antworten kommen, lässt Opaschowski jedoch offen. Ob es eine Renaissance des Religiösen geben wird, wie viele hoffen, sei dahingestellt. Dass die berufliche Tätigkeit überhaupt keine Rolle dabei spielen soll, ist zumindest bei akademischen Berufen nicht zu verstehen. Nur Zweitjobs lieferten Sinnbezug und Anerkennung, schreibt er. Man fände sie vor allem in Freizeitangeboten.

Unvorhersehbares in den Modellen

Die meisten Zukunftsforscher kommen zu ihren Aussagen, indem sie bereits beobachtete Trends extrapolieren. Natürlich werden sie nicht von zwei Jahren gleich auf zwanzig Jahre hochrechnen. Sie können auch die Verknappung von Ressourcen in Ansatz bringen oder den Fortschritt der Technik. Nur was aus Bestehendem heraus sich weiterentwickelt oder wächst, lässt sich vorhersagen. Auch Opaschowski unterliegt denselben Beschränkungen.

Sehr schwierig ist es, in Zukunftsmodellen Vorkehrungen für sporadische Ereignisse zu treffen. Es gibt eine Vielzahl von Ereignissen, die zwar relativ selten sind, aber mit Gewissheit eintreten werden. Die Frage ist lediglich wann. Beispiele von Ereignissen, die bestimmt Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung haben werden, sind Orkane, Hochwasser, Frost- und Dürreperioden, Währungskrisen und Inflationen, Konkurse großer Unternehmen, Strom- oder Gasausfälle, größere Unfälle oder Katastrophen bei Kraftwerken oder im Verkehr, Streiks im öffentlichen Dienst oder bei der Bahn, Piloten- oder Lotsenausstände im Flugverkehr, Volksaufstände, drohender Staatsbankrott, Machenschaften von Mafia oder Rauschgift-Kartellen sowie die Unterwanderung durch fremde Volksgruppen.

Nur wenn man diese grundsätzliche Schwäche aller Vorhersagemethoden berücksichtigt, kann man die Aussagen von Zukunftsforschern richtig einordnen. Erinnerungen an die Denkweise eines levantinischen Autors (Nassim N. Taleb) drängen sich auf. Er machte den Ausdruck ‚Schwarze Schwäne‘ in Politik und Wirtschaft populär, um nicht vorhersagbare, aber reale Ereignisse zu beschreiben.