Die Biologie ist die Wissenschaft des Lebendigen.
Sie hatte lange Zeit den Ruf, eine unstrukturierte Sammlung empirischen Wissens
über Blumen, Käfer, Vögel und dergleichen zu sein, also über die
Mannigfaltigkeit des Lebendigen. Es gab so gut wie keine Theorie. Unter einer Theorie versteht man Aussagen, die dazu
dienen, Ausschnitte der Realität zu erklären. Erklären bedeutet, die
Frage zu beantworten, warum etwas
passiert oder existiert. Das versetzt einen (im Allgemeinen) in die Lage, auch
Prognosen über die Zukunft zu erstellen.
Das
Buch von Heinz Penzlin mit dem Titel Das Phänomen Leben (2014, 340 S.) erhebt den Anspruch
die theoretische Seite der Biologie zu behandeln. In den letzten Wochen haben
drei Beitragende dieses Blogs das Buch gelesen: Peter Hiemann (PH) in Grasse, Hans
Diel (HD) und ich (Bertal Dresen, BD) in Sindelfingen. Entsprechend unseren
unterschiedlichen Interessen, heben wir einzelne Themen hervor und kommentieren
auch das Buch unterschiedlich. In Form und Inhalt knüpfen wir an die Diskussion
über John Mayfields Buch “Evolution as
Computation“ Anfang des Jahres an.
Leben
als Prozess (BD)
Das
Leben ist ̶ entgegen früherer Ansicht ̶ kein
Stoff. Es ist vielmehr ein programmgesteuerter Prozess, der in einem
thermodynamischen System abläuft. Das System kann als Einzelzelle, Einzeller
genannt, oder System von Zellen, Vielzeller genannt, organisiert sein. Man muss
Leben als die Leistung von Systemen ansehen, nicht von deren Komponenten. Diese
werden als Organismen bezeichnet und sind selbständige (teilweise aus
präbiotischer Zeit stammende) Organisationsbestandteile. Mit ‚lebend‘ oder
‚lebendig‘ bezeichnet man den aktiven Zustand dieses Prozesses. Das Gegenteil
heißt ‚tot‘.
Der
Ort, an dem Lebewesen anzutreffen sind, ist die Biosphäre. Sie erstreckt sich
als Hülle um die Erde, in einer Tiefe von etwa -11 km bis zu einer Höhe von +9,5
km. Außer dass die notwendigen Ressourcen (Wasser, Luft, Nährstoffe) zur
Verfügung stehen, sind hier Druck und Temperatur in einem akzeptablen Bereich. Es
gibt zwei Arten von Zellen, solche ohne Zellkern (Prokaryoten) und solche mit
Zellkern (Eukaryoten). Die meisten Biologen sind heute der Meinung, dass Leben
nur einmal und nur auf der Erde entstanden ist. Einzeller gibt es seit 3,85
Milliarden Jahren (84 % der 4,6 Milliarden Jahre Erdgeschichte), Vielzeller
erst seit 1,2 Milliarden Jahren (26 % der Erdgeschichte).
Alle
heute lebenden Organismen [sind] in ununterbrochener Generationsfolge mit dem
Ursprung des Lebens auf unserer Erde … verbunden. (S.71)
HD: Das ist für mich
verblüffend! Damit müsste doch die Wahrscheinlichkeit Leben auf erdähnlichen
Planeten zu finden, deutlich vorsichtiger eingeschätzt werden als dies häufig
üblich ist.
Stoffwechsel
und Energie (BD)
Lebewesen
definieren sich durch Stoffwechsel (Metabolismus), Vermehrung (Reproduktion)
und Entwicklung (Evolution). Zellen und die aus ihnen entstandenen Lebewesen
sind offene Systeme im Zustand des Ungleichgewichts. Sie benötigen Energie, um
den Zustand ‚lebend‘ aufrecht zu erhalten, auch wenn keine Arbeit geleistet wird. Dies
wird erreicht durch den Stoffwechsel. Er findet auf der Ebene einzelner
Organismen statt. Eine Seite nimmt Nahrung, Wasser und Sonnenlicht auf. Eine
zweite Seite baut daraus die Formen von Energie auf, die der Organismus
benötigt. Energie geht nie verloren. Sie wird nur in andere Formen umgewandelt.
Organismen existieren nur bei ständiger Selbsterneuerung. Es findet ein
pausenloser Verfall statt sowie ein laufender Wiederaufbau aller Komponenten.
Als eine Art Energiewährung gilt Adenosintriphosphat (ATP). Ein ruhender
Mensch benötigt mehrere Tausend ATP-Transfers pro Tag innerhalb von Zellen
(z.B. zwischen Mitochondrium und Cytoplasma). Die Stoffmenge, die vom Körper
verarbeitet wird, schwankt zwischen 1,7 kg pro Stunde bei Ruhe und 30 kg bei
Arbeit. Die primäre Energiequelle aller Lebewesen ist das Sonnenlicht. Der
Prozess, der seiner Umwandlung dient, heißt Photosynthese. Die dafür
verantwortlichen Organismen heißen Chloroplasten.
Reproduktion
und Artenvielfalt (BD)
Die Arten
oder die Spezies sind die Reproduktionsgemeinschaften der Lebewesen. Nur ihre
Mitglieder fühlen sich voneinander angezogen und können sich sexuell
fortpflanzen. Durch Mutationen (Speziation) entstehen neue Arten. Die meisten
Mutationen sind schädlich und verschwinden. Die Arten überleben aufgrund von
Variationen. Innerhalb einer Art ist die Variationsbreite sehr hoch. Nicht ein
Individuum evolviert, sondern eine Population.
Bereits
bei den Einzellern ist die Artenvielfalt sehr groß. Man schätzt, dass es über
100 Millionen Arten gibt. Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Es leben heute
noch Arten, die es bereits in der Kreidezeit gab. Besonders artenreich sind Käfer
(350k) und Fliegen (120k). Bei vielen Säugetierarten gibt es eine sukzessive
Größenzunahme der Individuen, nicht jedoch bei allen Arten. Man teilt die Arten
in drei Reiche ein: Urbakterien (auch Archaea genannt), Bakterien und Eukaryoten.
Die Bakterien sind sehr früh entstanden.
Evolution
und deren Zweckorientierung (HD)
Penzlin
gibt eine sehr saubere und ausführliche Einführung in das Thema Evolution. Für
mich als Laien ist es schon mehr als eine Einführung. Gewundert habe ich mich
über folgende Aussage:
Eine
einheitliche Theorie der Evolution, die alle diese Teiltheorien zusammenführt
und – was noch wichtiger wäre – auch die Prokaryoten mit ihren Besonderheiten
(….) einschließt, ist ein Ziel wissenschaftlicher Forschung, aber leider noch
keine Realität. (S. 102)
Im
Gegensatz zu John Mayfield, der in seinem Buch eher nach einer
Verallgemeinerung des Konzepts Evolution gesucht hat, möchte Penzlin den
Begriff Evolution möglichst eng benutzt sehen:
Gegenwärtig
erleben wir eine Inflation des biologischen Begriffs Evolution. Man spricht -
wie selbstverständlich - von der Evolution des Kosmos, der Sterne, unseres
Sonnensystems und unserer Erde oder auch der menschlichen Gesellschaften, der
Sprache, der Kunstformen und der Kultur ohne Rücksicht auf die unbestreitbare
Tatsache, dass diese Vorgänge in ihrem Wesen und ihrer inneren Dynamik völlig
verschieden sind. (S.104). Man sollte den Evolutionsbegriff deshalb nur in
diesem Kontext verwenden und nicht auf alle möglichen Entwicklungsprozesse ganz
anderer Natur anwenden, wie es heute üblich geworden ist. (S. 410)
Die
Zweckorientierung der Evolution ist eines der zentralen Themen des Buches. Wir
(BD, PH, HD) hatten das Thema ausführlich im Zusammenhang mit dem Buch von Mayfield diskutiert. Penzlin macht
eine klare Unterscheidung und begründet seine Sicht (die anscheinend auch die
Sicht der meisten Biologen ist) ausführlich: (1) es gibt keine
Zielgerichtetheit in der (biologischen) Evolution, und (2) die Evolution ist
klar zweckgerichtet. Bekannte Beispiele sind: Das Auge ist zweckmäßig, um sich
zu orientieren. Die Flügel der Vögel sind zweckmäßig zum Fliegen.
Das
Zweckmäßige entsteht im Organischen ohne vorangegangene Zwecksetzung….Alles
Zweckmäßige in der Natur ist eine Zweckmäßigkeit a posteriori.
Diese
Feststellung „a posteriori-Zweckmäßigkeit“ macht natürlich bei der
Zielgerichtetheit keinen Sinn. Die Biologen sind sich anscheinend einig in der
Ablehnung der Zielgerichtetheit der Biologie. Allerdings sollte die Aussage der
Biologen nicht lauten „es gibt keine Zielgerichtetheit der Evolution“, sondern
eher „aus Sicht der Biologie ist keine Zielgerichtetheit zu erkennen“. Mit der
Aussage, es gäbe keine Zielgerichtetheit (der Evolution), verlassen die
Biologen ihr Arbeitsgebiet und werden zu Philosophen.
BD: Im Hinblick auf
unsere frühere Diskussion fand ich auch folgende Formulierungen beachtenswert:
Der Zweck [des Projekts Leben] ist die Selbsterhaltung des Lebendigen. Diese Zweckmäßigkeit
ist nicht akzidentiell. Sie ist zutiefst immanent. … Die Natur zielt nicht; sie
spielt.
Entropie
(HD)
Sowohl
unter Physikern wie auch Biologen wird schon seit Jahrhunderten die Frage
diskutiert, wieso die Entstehung und das Bestehen von Leben nicht den 2.
Hauptsatz der Thermodynamik verletzt. Der besagt bekanntlich, dass die Entropie nur wachsen kann, d.h. die Unordnung in der Natur
kann nur zunehmen. Ich habe den Verdacht, dass hierbei (wie auch
bei bestimmten Entropie-Diskussionen in der Physik) die Definition dessen, was
man unter „geordnet“ und „Ordnung“ versteht, so zurechtgebogen wird, dass man
die Allgemeingültigkeit des Entropiegesetzes retten kann. Das Resultat ist, wie
Ilya Prigogine schrieb, „a very strange concept“.
Information
(HD)
Auf
diese Ausführungen war ich besonders gespannt, da wir das Thema in den letzten
Jahren oft und heftig diskutiert haben. Das Thema wird auch in einigen Blogeinträgen adressiert. Der
wichtigste Diskussionspunkt war dabei die Frage, was die richtige (oder
zumindest plausible oder zweckmäßige) Definition des Begriffs „Information“
sein sollte. Penzlin schreibt:
Der
Shannon’sche Informationsbegriff als mathematisches Maß des
Informationstransfers hat sich dagegen in der Biologie als wenig brauchbar
erwiesen. (S.271) Es ist leider richtig, dass der Informationsbegriff in der Literatur
mit sehr unterschiedlichem Inhalt und Bezug gebraucht wird,. … Dessen
ungeachtet ist der Informationsbegriff bei manchen Autoren geradezu zum Dreh-
und Angelpunkt ganzer Weltanschauungen avanciert. (S. 272)
Meine Meinung zu diesem Thema möchte ich wie folgt ausdrücken:
- Dass der Shannon’sche Informationsbegriff für die meisten (oder gar alle) Wissenschaften zu eng ist, ist kaum zu bestreiten. Selbst für die Physik gab es schon diese Erkenntnis.
- Eine neue Definition, die alle möglichen Disziplinen zufrieden stellt, ist anscheinend sehr schwer zu finden. Selbst für die Biologie alleine scheint es noch nicht gelungen zu sein, sich auf eine allerseits zufriedenstellende Definition zu einigen.
- Noch schwieriger wird es, wenn man versucht ein mathematisches Maß für den Informationstransfer zu finden. Dies war ja die ursprüngliche Zielsetzung von Shannon.
Penzlin
beschreibt die Shannon’sche Theorie im Einzelnen. Daran anschließend hat
Penzlin ein Kapitel „Information und Entropie“. Die Verquickung von Information
und Entropie macht ja nur Sinn, wenn man von dem Shannon’sche
Informationsbegriff ausgeht (vielleicht auch nicht einmal dann).
BD: Es ist schon
erstaunlich, dass die Biologie sich immer wieder in die Irre führen lässt,
waren doch Manfred Eigen und Carl Friedrich von Weizsäcker sehr klar in ihren
Aussagen. Auch hier wird Weizsäcker zitiert mit dem Satz: ‚Information ist nur das,
was verstanden wird‘. Es verwundert mich sehr, dass Biologen (wie Physiker) an
eine Art Erhaltungssatz für Information glauben, in Analogie zur Energie. Nur so
ist zu verstehen, dass Penzlin Lebewesen als informationell abgeschlossene
System ansehen kann.
Gene
und Spezifität (HD)
Nach
der Entschlüsselung des menschlichen Genoms entstand die Hoffnung, dass die
Biologie jetzt alle Fragen des Lebens klären kann. Die Gene schienen der
Schlüssel zu allem zu sein. Auch Penzlin warnt davor, zu viel zu erwarten.
Man
kann nur hoffen, dass das Denken in Ein-zu-eins Entsprechungen zwischen Genen
und Eigenschaften nun endlich und unwiderruflich sein Ende gefunden hat. (S. 334). Das genozentristische Bild von den Genen als
elementare und unabhängige Struktureinheiten, die in linearer Anordnung auf dem
Chromosom aufgereiht sind, und für bestimmte „Merkmale“ stehen, gehört
unwiederbringlich der Vergangenheit an. (S. 335)
Ob in
ferner Vergangenheit, also zur Zeit des Lebensursprungs, einmal eine RNA-Welt
existiert hat, bleibt weiterhin fraglich.
Selbstorganisation
und Synergetik (HD)
Der
Begriff der Selbstorganisation wurde ursprünglich in der Physik (Thermodynamik)
geprägt.
Dessen
ungeachtet hat der Begriff sehr schnell Akzeptanz in den verschiedenen
Disziplinen außerhalb der Physik bis hin zur Neurobiologie, Psychologie, und
Soziologie gefunden, ohne dass in jedem Fall sorgfältig geprüft wurde und wird,
ob man mit dem Begriff tatsächlich vergleichbare, d.h. in ihrer inneren Dynamik
übereinstimmende Vorgänge, oder nur oberflächlich analog-ähnliche belegt. (S.
397)
Eng
verwandt, wenn nicht deckungsgleich ist der Begriff Synergetik. Hierzu sagt
Penzlin:
Es
trifft leider nicht zu, dass das Konzept der Synergetik, wie es der Physiker
Hermann Haken mit großer Hingabe entwickelt hat, bereits die „neuen Gesetze“
für ein besseres Verständnis und ihrer Beziehungen mit ihrer Umgebung geliefert
hat. (S.398)
Physikalismus
und Reduktionismus (HD)
Unter
Physikalismus versteht man die Theorie oder Meinung, dass die gesamte Natur auf
physikalischen Vorgängen beruht und deshalb auch alleine mit Physik erklärt
werden kann.
Dem
radiklen Physikalismus liegt die These zugrunde Leben sei restlos im Rahmen der
Begriffe und Gesetze zu verstehen, wie wir sie aus den anorganischen
Naturwissenschaften kennen. Die Dinge unterscheiden sich nur hinsichtlich ihrer
Komplexität, aber nicht prinzipiell. (S. 5)
Unter
Reduktionismus versteht man das Bestreben die wissenschaftliche Erkenntnis
durch immer weiter gehende Reduzierung auf tiefer liegende Gesetzmäßigkeiten
zurückzuführen. Für die Nicht-Physikwissenschaften kann der Reduktionismus nur
zur Physik führen. Aber auch innerhalb der Physik gibt es den
reduktionistischen Ansatz. Die reduktionistische Denkweise und Vorgehensweise
wurde in den letzten Jahrzehnten stark kritisiert (Reduktionismus ist fast zu
einem Schimpfwort geworden).
Auch
Penzlin kritisiert den Reduktionismus in der Biologie und den Versuch Biologie
zu verstehen, indem man die Abbildung auf die Physik besser versteht.
Der
radikale Reduktionismus ist zum Scheitern verurteilt und muss durch einen
moderaten ersetzt werden. Das bedeutet, die Reduktion dort, wo sie angebracht
und nützlich ist, soweit wie möglich
voranzutreiben, dabei aber niemals aus dem Auge zu verlieren, dass es
Zusammenhänge und Erscheinungen im Bereich des Lebendigen gibt - und das sind nicht gerade die unwichtigsten
-, die nur auf höherer Ebene verstanden und erklärt werden können. (S.40)
Zu
diesem Thema passt auch das, was Penzlin zum Schichtenaufbau der realen Welt
schreibt. Er zeigt ein auf Nikolai Hartmann zurückgehendes Model von vier Schichten,
aus denen die reale Welt besteht. Die vier Schichten sind: (1) die Schicht des
Anorganischen, (2) die Schicht des Organischen, (3) die des Seelischen und (4)
die des Geistigen. Trotzdem fehlt es nicht an Widerständen, sie in all ihren
Konsequenzen anzuerkennen. Der Grund dafür liegt in dem tief verwurzelten und
weit verbreiteten Einheitspostulat des spekulativen Denkens.
[Es gibt das] Streben, die Welt aus wenigen oder gar aus einem einzigen Prinzip heraus
erklären zu wollen. An solchen verlockenden Versuchen hat es in der
Vergangenheit bis zum heutigen Tag niemals gemangelt, sei es in
spiritualistischer Weise „von oben nach unten“ oder in materialistischer Weise
in umgekehrter Richtung „von unten nach oben".
Erwin
Schrödinger charakterisierte die Physik einmal als „die bescheidenste
aller Naturwissenschaften“. Penzlin zitiert C.F. von Weizsäcker:
Die
Physiker haben sich die einfachsten Probleme ausgesucht, die es überhaupt gibt,
dagegen die Biologen vielleicht die interessantesten; aber die interessantesten
Probleme sind nicht notwendigerweise die einfachsten. (S. 407)
Mir ist
diese Diskussion zu prinzipiell (schon fast ideologisch). Es wird
vermutlich von niemand bestritten, dass gewisse Themen (die letztlich auf
physikalischen Gesetzen beruhen) wie zum Beispiel Chemie, Meteorologie und auch
Biologie, erst durch die Schöpfung neuer eigener Begriffe und Gesetzmäßigkeiten
einem verbesserten Verständnis zugeführt werden konnten. Beispiele dafür sind
nicht nur die Entstehung der Nicht-Physikwissenschaften, sondern auch innerhalb
der Physik lassen sich derartige Beispiele finden (z.B. Wärmelehre,
Supraleitfähigkeit). Ist es nicht radikaler Reduktionismus, wenn Empathie durch
Spiegelneuronen erklärt wird?
Wissenschaft
und Weltanschauung (PH)
Bei
diesem Thema bin ich geneigt, das ganze Kapitel des Buches zu zitieren:
Es
bleiben Fragen, die von keiner Wissenschaft beantwortet werden, weil sie gar nicht erst
gestellt werden. Dazu gehören solche nach dem Wert, dem Sinn, der Bedeutsamkeit
oder der Berechtigung. … Um
jeweils die richtigen Entscheidungen treffen zu können, sind nicht nur
Kenntnisse unerlässlich, sondern auch feste ethisch-moralische Grundsätze und
Normen die Bestandteil einer Weltanschauung sind. Sie werden uns nicht in die
Wiege gelegt, denn sie sind kein Produkt der Evolution. (S. 416)
BD: Hier leitet Penzlin
über zu der Frage, woher kommen das geistige und ethische Rüstzeug des Menschen
und wie wird es übertragen.
Kulturelle
Evolution (PH)
Penzlins
Bemerkungen zu den Unterschieden zwischen der biologischen Evolution und der
kulturellen Entwicklung (oder Evolution), haben sofort meine Aufmerksamkeit
gefunden. Er vertritt die Meinung:
Niemand
sollte allgemeine Behauptungen hinsichtlich der Evolution in Bereichen
außerhalb der biologischen Welt machen, ohne sich zuvor mit den gut
ausgereiften Vorstellungen der biologischen Welt bekannt gemacht zu haben. ... Das Motiv für
Begriffsverflachungen muss man in dem verbreiteten Streben nach Kontinuität
oder in dem “Einheitsbedürfnis” sehen, dass auch heute noch eine nicht zu
unterschätzende Triebfeder menschlichen, auch wissenschaftlichen Denkens ist.
(S. 104)
Das
„Einheitsbedürfnis“ ist auch für mich eine wichtige Triebfeder. Ich maße mir keinesfalls an, die
Prinzipien und Phänomene der Evolution, wie sie von Penzlin vertreten werden,
zu kritisieren.
HD: Als Fachmann steht es Heinz Penzlin zu, über die korrekte Benutzung des
Begriffs Evolution zu wachen. Trotzdem finde ich, dass dies nicht dazu führen
sollte, das Studium von Gemeinsamkeiten mit anderen Entwicklungsprozessen zu
unterlassen. Ob man dabei entdeckte Verallgemeinerungen auch
"Evolution" nennen sollte, ist für mich zweitrangig.
Nachtrag
am 28.3.2014:
Wenn der Eindruck entstand, dass Peter Hiemann am
wenigsten zu dem Buch von Penzlin zu sagen hätte, dann ist dies falsch. Seine
Rezension ist in beigefügtem Artikel wiedergegeben. Vergessen hatte ich,
Penzlins Schlusszitat zu bringen. Es stammt von Immanuel Kant. Fast könnte man
meinen, auch Kant sei gegen Abstraktionitis gewesen.
Ins Innere der Natur dringt Beobachtung und Zergliederung
der Erscheinungen, und man kann nicht wissen, wie weit diese mit der Zeit
führen werden. (Kritik der reinen Vernunft. Revidierte Gesamtausgabe, Band 2, S.
266)
Am 31.3.2014 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:
Es gibt noch eine viel ältere Schichtentheorie, nämlich die von Aristoteles (siehe unten), die unter dem Begriff Ontologie (Seinslehre) firmiert. Das ist eine Sphärentheorie. Das Schöne ist ihr konstruktiver Aufbau von unten nach oben und eine Einteilung der Wissenschaften. Grundlegend ist die Somatologie, die Lehre vom unbelebten Körper oder die Sphäre der Somata. Dann kommt im Aufbau die Biosphäre, um die es hier geht. Darüber liegen die Psycho-Sphäre und dann weiter die Noo-Sphäre, die dem Menschen vorbehalten ist. Berühmt ist die Mensch-Definition des Aristoteles: „Der Mensch ist das Lebewesen, das Logos hat.“ Die Griechen konnten sich noch auf allen Schichten bewegen, was uns leider abhanden gekommen ist.
Nachtrag am 3.4.2014:
Nach Kopernikus und Darwin könnte man das Weltbild heute etwas anders darstellen als zur Zeit der alten Griechen, z.B. so:
Am 31.3.2014 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:
Es gibt noch eine viel ältere Schichtentheorie, nämlich die von Aristoteles (siehe unten), die unter dem Begriff Ontologie (Seinslehre) firmiert. Das ist eine Sphärentheorie. Das Schöne ist ihr konstruktiver Aufbau von unten nach oben und eine Einteilung der Wissenschaften. Grundlegend ist die Somatologie, die Lehre vom unbelebten Körper oder die Sphäre der Somata. Dann kommt im Aufbau die Biosphäre, um die es hier geht. Darüber liegen die Psycho-Sphäre und dann weiter die Noo-Sphäre, die dem Menschen vorbehalten ist. Berühmt ist die Mensch-Definition des Aristoteles: „Der Mensch ist das Lebewesen, das Logos hat.“ Die Griechen konnten sich noch auf allen Schichten bewegen, was uns leider abhanden gekommen ist.
Nachtrag am 3.4.2014:
Nach Kopernikus und Darwin könnte man das Weltbild heute etwas anders darstellen als zur Zeit der alten Griechen, z.B. so: