Andreas
Reuter ist Lehrstuhlinhaber für „Verteilte Systeme“ an der Universität
Heidelberg, Geschäftsführer des Heidelberger Instituts für Theoretische Studien
(HITS gGmbH), Vorstand der HITS-Stiftung sowie Wissenschaftlicher Direktor und
Geschäftsführer der EML European Media Laboratory GmbH. Reuter hat Informatik
an der TH (heute TU) Darmstadt studiert und wurde dort 1981 mit einer grundlegenden
Arbeit aus dem Datenbankbereich zum Dr.-Ing. promoviert. Er folgte dann seinem
akademischen Lehrer Theo Härder an die Universität Kaiserslautern und war dort
bis 1983 als Hochschulassistent tätig. Dann ging er für ein Jahr ans IBM San
Jose Research Lab (heute IBM Almaden Research Center) nach San Jose,
Kalifornien.
Nach
Rückkehr nahm er einen Ruf auf den Datenbanklehrstuhl an der Universität
Stuttgart an und gründete dort später auch das Institut für Parallele und
Verteilte Höchstleistungsrechner (IPVR). Im Jahre 1997 verließ Reuter die
Universität Stuttgart und war einer der beiden Gründer der International
University (I.U.) in Germany GmbH in Bruchsal, wo er auch mehrere Jahre
Vizepräsident war; 1998 wurde er zudem Wissenschaftlicher
Direktor der EML GmbH. Im Jahr 2004 verließ er die I.U. Bruchsal. 2006 übernahm
er einen Stiftungslehrstuhl für „Verlässliche Systeme“ an der TU Kaiserslautern
an. Im Jahr 2011 wechselte er nach Heidelberg. Dort ist auch seine Tätigkeit am
HITS angesiedelt.
Klaus
Küspert (KK): Andreas, du hast schon früh erste Berührungen
zur Informatik gehabt, Stichwort Zuse KG.
Und früh ja in mehrerer Hinsicht: zu
Zeiten, als es den Informatikstudiengang noch gar nicht oder gerade erst gab
und auch früh vom Lebensalter her. Könntest du das bitte für die Leser im Blog
etwas darlegen und auch kommentieren, wie weit es deinen weiteren Lebensweg und
die Berufsentscheidung wesentlich mit geprägt hat?
Andreas
Reuter (AR): Wie so oft sind die Eltern schuld. Mein
Vater trat 1964 eine Stelle als Programmierer bei der Fa. Zuse KG in Bad
Hersfeld an. Mich interessierte schon damals alles, was elektrisch
funktioniert, also habe ich mich begeistert auf diese neuartigen Computer
gestürzt. Hätte es diesen Berufswechsel meines Vaters nicht gegeben, wäre ich
wahrscheinlich Amateurfunker geworden und hätte Elektrotechnik studiert. Bei
Zuse kam ich mit allen möglichen Maschinen in Berührung: Z23, Z25, Z31 – und
mit dem elektromechanischen Zeichentisch Z64. Für eine dieser Maschinen, die
Z25, gab es sogar einen Algol-Compiler; der Rest war Maschinensprache. Ich habe
meine letzten drei Schuljahre zu guten Teilen bei Zuse verbracht, ohne Vertrag.
Nachdem ich meine gänzliche Harmlosigkeit unter Beweis gestellt hatte, konnte
ich öfter auch den Maschinenraum in der freien dritten Schicht (22h bis 6h)
allein für mich nutzen. Da habe ich u.a. ein Programm zur Stundenplanerstellung
für meine Schule geschrieben (die waren so begeistert davon, dass mir das
mündliche Abitur erlassen wurde) sowie – mein größter Erfolg – ein Musikprogramm
für den Lochstreifenleser, das u.a. „Yellow Submarine“ und die Internationale
spielen konnte. Das war extrem populär bei den Mitarbeitern, allerdings nicht bei
den Wartungstechnikern.
Zum
Schluss, 1968, konnte ich noch ein
bisschen an der Entwicklung der Z43 mitarbeiten. Die sollte tatsächlich ein
Betriebssystem haben, einen Plattenspeicher und noch andere aufregende Dinge,
aber daraus wurde ja dann wegen der wirtschaftlichen Probleme der Fa. Zuse
nichts mehr. Nebenher habe ich meinen eigenen 6-Bit-Rechner gebaut, mit
selbstgefädeltem Kernspeicher und mit Fernschreiber zur Ein- und Ausgabe. Reste
davon verwende ich heute als Deko-Artikel fürs Büro. Auf jeden Fall war für
mich völlig klar, dass ich etwas mit Datenverarbeitung („Informatik“ sagte damals
kein Mensch) machen wollte, auch wenn es ein entsprechendes Studium noch
nirgends gab.
KK: Um
noch kurz bei früh zu bleiben: Du
bist damals nicht unmittelbar nach der Schule ins Studium eingestiegen, sondern
hattest nach meiner Erinnerung und Berichten substantiell Praxisjahre zunächst.
Wie hatte es sich ergeben bzw. auch wieder, wie bedeutend (und wahrscheinlich auch
hilfreich) war’s für die weitere Entwicklung?
AR: Ich
bin direkt nach dem Abitur als Werkstudent zu IBM gegangen, ohne (jedenfalls
anfangs) tatsächlich Student zu sein. Dort habe ich viele Maschinentypen kennengelernt,
alle möglichen Ausprägungen der System/360-Serie, aber auch einige längst
vergessene (1130, 1800). Ich habe diverse Assembler, Programmiersprachen, Reportgeneratoren
und sonst noch einiges nicht nur kennen gelernt, sondern in Kundenprojekten ganz
konkret eingesetzt. Auf diese Weise bin ich recht schnell in die Karriere eines
freiberuflichen Programmierers gerutscht, die ich etwa 10 Jahre lang
erfolgreich ausgefüllt habe. Ich habe das nie bereut, im Gegenteil: Viele Kollegen
haben Jim Gray’s Diktum „First write the code, then write the paper“ immer vage
amüsiert zur Kenntnis genommen; ich konnte mir ohne weiteres vorstellen, was er
meinte.
Studiert
habe ich während dieser Zeit auch nebenbei – aber schon so nebenbei, dass meine
Leistungen eigentlich mit keiner Prüfungsordnung in Einklang zu bringen waren.
Zum Glück waren diese Ordnungen damals für Informatik noch nicht so starr
ausformuliert wie heute. Aber ich bin dem Kollegen Wedekind noch heute zu
großem Dank verpflichtet, dass er einen akademischen „oddball“ wie mich
überhaupt zur Diplomprüfung zugelassen hat. Und Theo Härder hatte die
Verwegenheit, einen mit einer so buntscheckigen Vita als Doktoranden
anzunehmen; ich kann nur hoffen, dass er das nicht unter seinen Jugendsünden
abgeheftet hat.
KK:
Gehen wir mit einem gewissen zeitlichen Sprung auf die San-Jose-Zeit als
Post-Doc ein, wieder Praxis bzw. Forschung für die Praxis. Das System R Projekt
war ja damals erst recht kurze Zeit vorbei und die unmittelbaren
Nachfolgeprojekte bzw. aufbauenden Projekte liefen, in einem solchen warst du
tätig. Kannst du bitte die Highlights daraus kurz ansprechen, gerne fachlich
und nicht fachlich? Es war ja damals noch die Zeit, als nicht „alle“ (oder sehr
viele) deutschen Nachwuchsdatenbankwissenschaftler nach San Jose pilgerten,
aber durchaus schon einige (inkl. Theo Härder einige Jahre davor).
AR: Ich
habe in einem Projekt namens AMOEBA mitgearbeitet. Davon hat niemand je was
gehört, denn wegen der großen Nähe zur Entwicklungsabteilung gab es keine
Veröffentlichungen. Es hatte auch nichts mit System R zu tun; im Kern ging es um
eine Parallelrechnerarchitektur nach dem „shared disk“-Prinzip. Meine Aufgabe bestand
darin, Performance-Modelle zu entwickeln und auszuwerten. Ich bin dabei mit den
IMS-Entwicklern in Kontakt gekommen und auch mit einigen großen Anwendern wie
der Bank of America. Die waren bereit, auf einigen ihrer Produktionssysteme
Traces mitlaufen zu lassen, mit denen ich dann Performance-Simulationen – hypothetischer
– Mehrprozessor-Konfigurationen von IMS durchführen konnte – eine wirklich
hochinteressante Sache, aber eben nichts für die Publikationsliste. Viel
wichtiger als all das war aber die Tatsache, dass ich in dieser Zeit die Zusammenarbeit
mit Jim Gray, der damals schon bei Tandem Computers war, vertiefen konnte,
woraus sich dann eine lebenslange Freundschaft entwickelt hat.
KK:
Kurze Zeit nach San Jose erfolgte ja schon der Wechsel auf den Stuttgarter Datenbanklehrstuhl
und ein paar Jahre darauf dort die IPVR-Gründung. Der Institutsname Institut
für Parallele und Verteilte Höchstleistungsrechner ist ja über viele Jahre so
erhalten geblieben. Was war der Auslöser für jene Namensgebung und natürlich
damit verbunden auch inhaltliche Ausrichtung? Wenn ich mich recht entsinne, war
es ja noch etwa die große Zeit der Tandem-Rechner und andere bedeutender Rechnerhersteller,
die dann so nicht mehr erhalten geblieben sind (etwa durch Übernahmen usw.).
AR: Das
war zumindest zum Teil die logische Fortsetzung meiner Arbeiten aus San Jose. Ich
wollte weiter am Thema „Parallelität“ (mit Schwerpunkt auf
Datenbank-Architekturen) arbeiten. Stuttgart war damals ein Zentrum des
High-Performance Computing (ist es immer noch), aber Ende der 1980er Jahre
dominierten in dem Bereich noch die Vektor-Architekturen, und die Stuttgarter
Kollegen huldigten ganz unverblümt dem Motto „Parallelität ist die Methode der
Zukunft und wird es immer sein“. Ich fand dagegen die lose gekoppelten (shared
nothing)-Systeme interessanter, vor allem in Hinblick auf die Skalierbarkeit,
und musste daher sehen, wie ich eine passende Arbeitsumgebung aufbauen konnte.
Ich hatte damals einige Industrie-Angebote aus den USA, die ich als „Hebel“
einsetzen konnte, um von der Universität und vom Land Baden-Württemberg die
Zusage zur Einrichtung des Instituts zu erhalten. Entscheidend war dabei auch,
dass Firmen wie Tandem Computers, IBM, DEC und andere bei der Ausstattung des
Instituts ganz erhebliche Beiträge leisteten.
Ein
Nebeneffekt des Ganzen war das Bestreben, die Informatik in Stuttgart als eigenständige
Fakultät zu etablieren. Ein Hindernis auf diesem Weg war die Tatsache, dass es
bis zu dem Zeitpunkt nur ein Institut
für Informatik gab – und eine Fakultät mit nur einem Institut, das ging nicht.
Insofern war die Gründung des neuen Instituts ein wichtiger Beitrag zu dieser
Agenda. Und was den Namen betrifft: Damit wollte ich mich programmatisch klar
von den Vektor-Jüngern absetzen – mit denen wir dann aber, kaum war das
Institut gegründet, sehr gut und erfolgreich zusammengearbeitet haben.
Angesichts heutiger MPP-Systeme mit Vektorregistern, GPU-Beschleunigern und was
sonst noch sind das natürlich alles Debatten aus einem anderen Jahrtausend.
KK:
Mitte der 1990er Jahre engagiertest du dich sehr stark auch im privatuniversitären
Bereich und dies über recht viele Jahre, waren es fast 10? Wahrscheinlich ließe
sich über Gründe/Erfahrungen/.. dazu ein Buch schreiben oder auch zwei. Versuchen
wir’s mal kürzer: Was war der oder waren die Auslöser für das Engagement und
wie verlief schließlich die Gründungsphase der International University (I.U.)
in Bruchsal? Was war das Besondere an der I.U.? Ich kann mich an einen
interessanten Kolloquiumsvortrag von dir dazu in Jena aus den späten 1990ern
erinnern.
AR: Ich
war von 1992 bis 1996 in Stuttgart Prorektor im Rektorat von Prof. Heide Ziegler.
In dieser Zeit habe ich viele Dinge gelernt und verstanden, warum das ganze
Hochschulsystem so schwerfällig, änderungsresistent und unflexibel war – ich
rede in der Vergangenheitsform, denn heute ist das ja vielleicht alles anders.
Jedenfalls gab es damals in den Hochschulen, in der Politik, in der Wirtschaft
und in der breiten Öffentlichkeit eine große Unzufriedenheit mit dem Status quo
und demzufolge eine spürbare Bereitschaft, neue Ansätze auszuprobieren, neue
Wege zu suchen.
Frau
Ziegler und ich haben auf der Basis unserer Erfahrungen ein Konzept zur Einrichtung
einer (kleinen) Privatuniversität vorgelegt, das dann nach einigen Querelen,
bei denen auch die alte Animosität zwischen dem schwäbischen und dem badischen
Landesteil erstaunliche Blüten trieb, von der Politik akzeptiert wurde. Der
damals zuständige Wissenschaftsminister sagte in einem Interview, die I.U.
solle der Stachel im Fleische der staatlichen Universitäten sein. Das hat uns
in diesen Kreisen keine Freunde beschert, und wir selber haben unseren Versuch
auch nie so verstanden. Wir sahen in der I.U. eher so etwas wie die
Modellwerkstatt eines Autoherstellers, eine Umgebung zur Erprobung neuer
Konzepte im realen Maßstab. Einige der wesentlichen Punkte waren:
- Erhöhung der Attraktivität eines Studiums in Deutschland für ausländische Studierende; daher Orientierung am angelsächsischen Universitätssystem (Unterricht durchweg in Englisch, wobei alle ausländischen Studierenden Deutschkurse belegen mussten und die Deutschen Kurse in einer Fremdsprache außer Englisch; Bachelor-/Master-Abschlüsse; einheitliches Creditpoint-System usw.)
- Kleine Gruppengrößen (ca. 10:1 dort im Betreuungsverhältnis)
- Wissenschaftliche Ausbildung mit hohem Praxisbezug (obligatorisches Industriepraktikum im Team, obligatorisches Auslandstrimester, hoher Anteil von Projektarbeiten)
- Trimester-System zur besseren Nutzung der Zeit (39 Unterrichtswochen im Jahr statt 26)
- Obligatorische Einbindung von „Cultural Studies“ ins Curriculum
- Beschränkung auf wenige „attraktive“ Fächer, die keine allzu hohen Anfangsinvestitionen erfordern; im Fall der I.U. waren das Wirtschaftswissenschaften und Informatik.
- Auswahl der Studienanfänger
Wie
gesagt, das war 1997. Seither sind etliche dieser Aspekte von (vielen) anderen
Universitäten übernommen worden – und das war ja letztlich auch Sinn der Sache.
Aus akademischer Sicht waren das Konzept und die Absolventen ausgesprochen
erfolgreich. Ein Beispiel: Ein M.Sc. des ersten Jahrgangs ist nach Oxford
gegangen um zu promovieren und arbeitet heute im IBM Forschungslabor Yorktown
Heights.
KK: Die
I.U. hatte gute Jahre und dann nicht mehr so gute Jahre. Ich glaube, es hing auch
mit einer wirtschaftlich schwächeren Periode zusammen, als die wirtschaftlichen
Unterstützer der I.U. (Unternehmen also) kürzer treten wollten und traten. Was
geschah dort näher?
AR: Dazu
gäbe es viel zu sagen, aber das müssten vor allem Leute tun, die auch die
letzten Phasen der I.U. miterlebt haben. Ich selbst bin 2004 ausgeschieden, nachdem
mir klar wurde, dass die Gesellschafter nicht mehr hinter dem Management der
Einrichtung standen – und im Prinzip auch nicht mehr hinter dem Konzept. Ich
habe das bei meinem Ausscheiden deutlich artikuliert und mich danach nicht mehr
weiter darum gekümmert. Ich habe mitbekommen, dass die I.U. von den
Gesellschaftern zwei Jahre später an einen Investor verkauft wurde, der – nach
allem, was im Nachhinein berichtet wurde – die Einrichtung finanziell
systematisch an die Wand gefahren hat.
KK:
Letzte Frage hierzu: Wie wären bitte die Lessons Learned im Sinne von Hinweisen
für andere solche Privathochschulen?
AR: Ich
fürchte, dazu kann ich nicht viel sagen – nicht etwa aus Mangel an Lernfähigkeit,
sondern weil die Gründe für das Scheitern von Privatuni-Projekten sehr verschieden
sind, und für eine solide Statistik sind die Fallzahlen nicht groß genug. Kritisch
sind auf jeden Fall die Träger-Struktur, das Finanzierungsmodell, die Erwartungen
der Gesellschafter (das habe ich gerade schon erwähnt) und die Angebotsstruktur
der Einrichtung. Wenn diese vier Aspekte nicht zusammen passen, wird das Projekt
früher oder später scheitern. Eine private Universität in Deutschland muss ja immer
mit der Tatsache leben, dass sie für (relativ) viel Geld etwas anbietet, was es
nebenan, bei den staatlichen, vermeintlich umsonst gibt. Die besten Chancen
haben auf Dauer diejenigen, die sich auf ein Segment spezialisieren, an dem die
staatliche Konkurrenz ganz klar nicht interessiert ist, und das ist nach meinem
Eindruck derzeit der Bereich der berufsbegleitenden Studienangebote. Hier kommt
es sogar zunehmend zu Joint Ventures zwischen privaten und staatlichen
Hochschulen.
KK: Nähern
wir uns nun der Gegenwart: Wann und wie kam es zum Engagement bei der
Klaus-Tschira-Stiftung und was war das besonders Verlockende daran? Es war ja
ein Einstieg in die Wissenschaftliche Leitung des European Media Lab, dessen
einer, größerer Teil dann 2010 zum Heidelberger Institut für Theoretische
Studien (HITS) wurde.
AR: Ich
kannte Klaus Tschira seit Mitte der 1990er Jahre aus dem GI-Präsidium, und er
war auch der Ansprechpartner im SAP-Vorstand für die Förderung der I.U. durch
SAP. Da wir in dieser Zeit relativ häufig Kontakt hatten, wusste ich auch von
seinen Plänen, durch die Klaus Tschira Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Media
Lab des MIT ein Informatik-Forschungslabor in Heidelberg einzurichten. Das
Joint Venture mit dem MIT ging allerdings sehr schnell auseinander, und so
fragte er mich, ob ich mir nicht vorstellen könnte, das European Media Lab (der
Name war zu dem Zeitpunkt schon festgelegt) aufzubauen. Damals stand die I.U.
kurz vor dem Start, aber Klaus Tschira meinte, dass man angesichts der
räumlichen Nähe einige Synergien zwischen beiden Einrichtungen realisieren
könnte – ein durchaus stichhaltiges Argument. Außerdem hatte ich ein Angebot
als Direktor am Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken, was man ja
nicht leichten Herzens ablehnt.
Letztlich
hat den Ausschlag gegeben, dass mich Klaus Tschiras Engagement für eine
Forschungsförderung ohne „strings attached“ überzeugt hat, und ich habe mir gesagt,
dass die Möglichkeit, ein von einem wissenschaftsbegeisterten Sponsor privat
finanziertes, unabhängiges Forschungslabor aufzubauen, zumindest im deutschen
Kontext ziemlich einmalig ist und mich deshalb auf das „Abenteuer“ EML eingelassen.
Vom EML wurde dann 2003 eine gemeinnützige Gesellschaft namens EML Research abgespalten,
die sich ausschließlich auf Grundlagenforschung konzentrieren sollte, und aus
dieser wurde dann 2010 durch Umbenennung (nebst einigen anderen Maßnahmen) die
HITS gGmbH.
KK:
Welche Themen prägen das HITS heute vor allem? Mit welchen davon fühlst du dich
besonders verbunden, sofern man unter seinen „Kindern“ Unterschiede machen darf
oder möchte?
AR: Das
HITS ist – gemäß dem Auftrag des Gründers Klaus Tschira – ein multidisziplinäres
Institut auf dem Gebiete der Naturwissenschaften, der Mathematik und der
Informatik. Die derzeit 12 Forschungsgruppen befassen sich u.a.
mit Molekularbiologie, Astrophysik, Hochleistungsrechnen, Computerlinguistik,
Differentialgeometrie, Statistik, maschinellem Lernen – um nur einige zu
nennen. Der gemeinsame Kern ist das, was man oft als „computational science“
bezeichnet, d.h. die Nutzung von rechnergestützter Simulation und „data mining“
in vielen verschiedenen Ausprägungen. Und es ist in der Tat erstaunlich, dass
Fächer, die so unterschiedlich sind wie Astrophysik und Molekularbiologie,
voneinander profitieren können, wenn es um Methoden der Lösung von
n-Körper-Problemen (mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung) und deren
Parallelisierung geht. Ähnliches kann man bezüglich der Suche auf großen
Graphen feststellen oder im Hinblick auf Methoden des maschinellen Lernens, der
Analyse der Fehlerfortpflanzung bei großen Simulationen usw. Das bedeutet, dass
das HITS kein bloßes Sammelsurium heterogener Arbeitsgruppen ist, sondern dass
aus der Multidisziplinarität tatsächlich ein interdisziplinärer Mehrwert entsteht.
Und das ist es auch, was ich besonders hervorhebenswert finde; Favoriten unter
den Arbeitsgruppen habe ich naturgemäß nicht – ich arbeite auch in keiner aktiv
mit, sondern bin nur der Administrator des Ganzen.
KK:
Letzte Frage, zum Heidelberg Laureate Forum (HLF), dessen Initiator oder Ideengeber
du meines Wissens warst. Kannst du bitte auch hier dem Leser des Blog die
Intention kurz darlegen und etwas zu den bisherigen Erfahrungen (und Plänen?) sagen.
AR: Es
gibt seit über 60 Jahren das jährliche Lindauer Nobelpreisträger-Treffen, bei
dem sich Nobelpreisträger für eine Woche mit ausgewählten Nachwuchswissenschaftlern
zum zwanglosen Austausch treffen. Da die Klaus Tschira Stiftung (KTS) die
Veranstaltung schon seit vielen Jahren als Sponsor unterstützt, konnten wir regelmäßig
erleben, wie motivierend und anregend diese Treffen sowohl für die Preisträger
als auch für die jungen Leute sind. In vielen Gesprächen darüber haben wir
bedauert, dass einige Disziplinen, die für das HITS wichtig sind, nämlich die
Mathematik und die Informatik, dort nicht vorkommen. Ich habe Klaus Tschira
irgendwann mal vorgeschlagen, etwas nach dem Lindauer Muster für die
Turing-Preisträger zu organisieren. Er hat die Idee sofort aufgegriffen und
gleich auch noch die angesehensten Mathematik-Preise dazu genommen.
Und
dann hat er, ausgehend von der KTS, die Heidelberg Laureate Forum Foundation
ins Leben gerufen und eine Organisation auf die Beine gestellt, die jetzt
solche Treffen für die Träger der Fields-Medaille, des Abel-Preises, des Nevanlinna-Preises
und des A.M. Turing Award in absolut professioneller Weise organisiert. Das
erste Forum fand 2013 statt, und die Vorbereitungen für das dritte im August
2015 nähern sich gerade dem Abschluss. Es nehmen jeweils 200 ausgewählte
Nachwuchswissenschaftler aus etwa 50 Ländern teil sowie zwischen 25 und 35 der
Laureaten. Im Jahr 2015 gibt es erstmals auch eine Art Austausch mit dem
Lindauer Treffen: Beim HLF 2015 wird der Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell
einen Vortrag halten; im Gegenzug spricht der Turing-Preisträger Vint Cerf in
Lindau. Das Feedback der Teilnehmer zu den ersten beiden Treffen war extrem
positiv, und wir hoffen natürlich, dass das so weiter geht.
KK:
Andreas, herzlichen Dank für das sehr interessante Interview. Wir kennen uns ja
seit über 35 Jahren. Der eine von uns ist eben „rein Datenbänkler“ geblieben,
der andere hat weit darüber hinaus national und international gewirkt ;-)