Zwei Bücher, die ich beide in den
letzten Wochen las, versetzten mich ins Mittelalter, genau genommen ins 14.
Jahrhundert. Durch den SPIEGEL wurde ich aufmerksam gemacht auf Erich
Follaths Buch Jenseits
aller Grenzen ̶ Auf
den Spuren des großen Abenteurers Ibn Battuta durch die Welt des Islam (2016, 529 S.). Schon lange war mir der Titel von Barbara Tuchmans Bestseller Der ferne
Spiegel ̶ Das
dramatische 14. Jahrhundert (2010,
751 S.) bekannt. Das englische Original erschien bereits 1978. Es hieß A Distant Mirror: The Calamitous Fourteenth
Century. Es gilt als moderner Klassiker der Geschichtsschreibung. Tuchmans Stil
hat viele Nachahmer gefunden. Ein sehr bekannter ist Umberto Eco mit Der Name der Rose. Da das Buch als Teil
meines eBuch-Abos zur Verfügung stand, habe ich es jetzt gelesen. Die
Handelnden in beiden Büchern waren Zeitgenossen. Ich finde daher eine
Gegenüberstellung sehr reizvoll. Gerade jetzt, wo der Islam oft Anlass von
Sorge und Kritik ist, wirkt der Vergleich direkt beruhigend.
Islam als Religion des Fortschritts und
der Völkerverbindung
Ich kannte Ibn Battuta schon lange dem
Namen nach. Er hatte nicht viel später als Marco Polo eine ähnlich
bemerkenswerte Reise gemacht. Das Buch von Follath erzählt nicht nur die Reise
nach. Der Autor besucht einige der Orte und beschreibt die heutige Situation.
Der Anlass von Ibn Battutas erster Reise war eine Wallfahrt nach Mekka. Die Strecke
von Tanger, seiner Heimatstadt bis Tunis, legte er allein zurück. Das war eine
äußerst unangenehme Erfahrung. Von Tunis bis Kairo schloss er sich daher einer
Pilgergruppe an. Dabei bekam er das Amt des Richters (Kadi) anvertraut, weil er
aus einer Familie von Richtern stammte.
Nachdem er die Großstadt Kairo lange
genug genossen hatte, versuchte er allein weiterzureisen, und zwar nilaufwärts,
um über das Rote Meer direkt nach Mekka zu gelangen. Das erwies sich als sein
zweiter Fehler. Er musste umkehren und begab sich zunächst nach Damaskus. Hier
traf er auf die Hochblüte islamischer Kultur und Wissenschaft. Regelrecht
begeistert stürzte er sich in das Studium bei angesehenen Religions- und
Rechtsgelehrten. Ähnlich wie heutige Studenten bemühte er sich Scheine zu sammeln,
weil dies für seinen anvisierten Beruf als Richter wichtig war. Er schloss sich
schließlich einer gut organisierten Gruppe an, die auf dem Landweg nach Mekka
pilgerte.
Anstatt sich anschließend wieder in
Richtung Maghreb zu bewegen, schloss er sich Pilgern an, die ostwärts in
Richtung Bagdad reisten. Er blieb aber nicht lange in Bagdad und Nadschaf,
sondern zog über Basra nach Shiraz. Es ist dies die Stadt, wo auch heute noch
die berühmten Poeten Sadi und Hafiz verehrt werden. Nach einem Abstecher an den
Persischen Golf (Dubai) und Ostafrika (Mombasa) reiste er schließlich wieder nach
Norden. In Kleinasien verließ er das hauptsächlich von Muslimen besiedelte
Gebiet und gelangte an den Hof des Kaisers in Konstantinopel. Hier übernahm er
eine diplomatische Mission in die Hauptstadt des Großkhans der Goldenen Horde. Das
war Sarai an der unteren Wolga. Dort traf er auf eine Tochter des oströmischen
Kaisers, die zur Geburt ihres Kindes zurück nach Konstantinopel wollte. Für sie wurde ein Begleiter gesucht. Er ließ
sich mit dieser diplomatischen Aufgabe höchsten Vertrauens betrauen.
Als er ohne die Prinzessin wieder
zurückkam, musste er sich eine neue Aufgabe suchen. Vom da ab war es sein Ziel
nach Indien zu gelangen, wo die muslimischen Herrscher den Ruf hatten, sehr
großzügig gegenüber Fachleuten und Beamten zu sein, die aus der muslimischen
Welt kamen. Nach einem Zwischenstopp in Samarkand, bot er sich beim Sultan von
Delhi für einen lebenslangen Dienst an. Er wurde angenommen und diente sieben
Jahre als Richter für die Hauptstadt Delhi.
Er hatte sich innerlich bereits
losgelöst, als ihm der Sultan die Leitung einer Handelsdelegation nach Hangzhou
in China anvertraute. Bei einem Schiffsunglück bei der Abfahrt von der
südindischen Küste ging das Personal der Delegation mit allen Geschenken
verloren, nur er überlebte. Er traute sich nicht zurück nach Delhi, sondern
begab sich auf die Malediven. Auch hier war der Islam die staatstragende
Religion, allerdings eine sehr primitive Form. Nach einigen Jahren organsierte
er dann eigenmächtig eine Weiterreise nach China. Über Java und Sumatra
gelangte er schließlich nach Hangzhou, das damals als größte Stadt der Welt und
als Handelsmetropole Chinas galt. Überall in Ostasien traf Ibn Battuta auf
muslimische Händler. In Hangzhou lebten sie in einen Stadtteil zusammen. Auch
Juden und Christen verfügten über je einen eigenen Stadtbezirk.
Bei der Rückreise erlebte er das Wüten
der Pestepidemie. Sie war gleichzeitig in mehreren Ländern ausgebrochen. Er kam
über Sardinien nach Spanien, wo die Muslime sich auf dem Rückzug befanden. Nur Granada
war noch in ihren Händen. Er kehrte schließlich nach Marokko zurück und unternahm
von dort noch eine Sahara-Reise. Schließlich überzeugte ihn der Emir von Fez
seine früheren Reisen zu dokumentieren. Das Buch bekam den Titel Die Reise (arabisch Rihla). Alle Jahreszahlen
sind der beigefügten Tabelle zu entnehmen.
Europa im Streit zwischen Papst, Fürsten
und Bürgern
Das Bild, das Barbara Tuchman vom
mittelalterlichen Europa zeichnet, kann kaum negativer sein. Ihr Held ist ein
Adeliger aus der nordfranzösischen Picardie. Das ist die Gegend um Soisson und
Laon. Er hieß Enguerrand VII. von Coucy (im Folgenden kurz Coucy genannt). Zwei
langanhaltende Auseinandersetzungen bestimmten die Epoche. Es war einmal der
Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich, andererseits das
päpstliche Schisma, eine Zeit, in der zwei Linien von Päpsten sich um die
Führung des christlichen Europas stritten. Als ob das nicht schon genug wäre,
gab es noch Aufstände von Bauern und Bürgern und die Pestepidemie, die alle
Volksschichten gleichermaßen traf.
Der Hundertjährige Krieg erhielt diesen
Namen einige Hundert Jahre später von Historikern. Alles begann mit Eleonore von Aquitanien (1122-1204), die in erster Ehe den französischen
König Ludwig VII. und in zweiter Ehe Heinrich Plantagenet heiratete, der dann
als Heinrich II. englischer König wurde. Daraus leiteten die späteren
englischen Könige nicht nur ein Recht auf Aquitanien ab, sondern erhoben auch
Anspruch auf den französischen Königsthron. Als Philipp VI. aus dem Hause
Valois französischer König wurde, wurde dies von Eduard III. von England
angefochten.
Mit Eduards Einfall in Nordfrankreich begann
eine nicht enden wollende Folge von kriegerischen Auseinandersetzungen, in
denen mal die Engländer, mal die Franzosen die treibende Kraft waren.
Historisch bedeutend, und in vielfacher Hinsicht interessant, ist die Schlacht von Crécy (an der Somme), bei der Philipp VI. von Frankreich eine katastrophale
Niederlage erlitt. [Auch in meiner
Geschichte des Hauses
Luxemburg spielt sie eine große Rolle.] Diese wurde fast noch übertroffen, 10 Jahre später,
durch die Niederlage von Poitiers, bei der der französische König Johann II. in
englische Gefangenschaft geriet. Hier setzt die Geschichte von Coucy ein, der
als 15-Jähriger an dieser Schlacht teilgenommen hatte.
Coucy gehörte zu den 50 Geiseln, die
Frankreich außer einem Lösungsgeld stellen musste, um den König freizubekommen.
Der sechsjährige Aufenthalt hatte für Coucy die angenehme Nebenwirkung, dass er
eine Tochter Eduard III. als Frau mit nach Hause nahm. Seine Loyalität galt
fortan sowohl England wie Frankreich, da er auf beiden Seiten des Kanals
Grundbesitz und Adelstitel besaß.
Im Auftrag des französischen Königs
kämpfte Coucy zunächst auf Seiten des Papstes in Oberitalien. Bald darauf führte
er einen Haufen von vagabundierenden Kämpfern ins Elsass und in den Aargau, um
Habsburg zu schaden. Dort lernte er jedoch die Stärke der schweizerischen Landkrieger
kennen. Nachdem ihn seine Frau verlassen hatte und allein nach England zurückgekehrt
war, entschied sich Coucy auf seine englischen Titel und Besitztümer zu
verzichten. Er wollte nur noch der französischen Sache dienen. Er eroberte die Normandie
für Frankreich und beteiligte sich an der Niederschlagung von Bürgeraufständen
im flandrischen Gent und in Paris. Nach dem Tod seiner englischen Frau
heiratete er eine Tochter des Grafen von Lothringen. Ein geplanter Feldzug zur Eroberung
Englands kam nicht zustande, weil der Herzog von Berry sich dafür nicht
interessierte. Seine Kunstsammlungen hatten Vorrang. König Karl VI. verbrachte
die letzten Jahre seines Lebens im Wahnsinn.
Auf Wunsch genuesischer Kaufleute beteiligt
sich Coucy an einer Strafexpedition an die tunesische Küste. Sie galt den
Franzosen als Abenteuer mit religiösem Vorwand, als Mini-Kreuzzug. Sie wurde
nach neun Wochen beendet. Beide Seiten sahen sich als Sieger. Schließlich bat
Kaiser Sigismund Frankreich um Unterstützung gegen das Vordringen der Osmanen
auf dem Balkan. Als die Belagerer der bulgarischen Festung Nikopol (an der unteren Donau) von einem
türkischen Entsatzheer geschlagen wurden, war Coucy unter den Gefangenen, für
die Lösegeld verlangt wurde anstatt sie zu töten. Nach einem wochenlangen Fußmarsch nach Gallipoli an den Dardanellen
wurde er vier Monate später nach Bursa verlegt. Dort macht er sein Testament
und starb im Alter von 57 Jahren. Sein einbalsamierter Leichnam wurde nach Frankreich
gebracht. Die Burg von Coucy, die als eine der imposantesten in ganz Frankreich
galt, wurde 1917 auf Befehl von Erich von Ludendorff gesprengt.
Glaubens- und Kirchenspaltungen
Bereits 1304 hatte der französische König
Philipp IV. den Papst dazu gezwungen, seinen Amtssitz nach Avignon zu verlegen.
Er wollte ihn nicht der Willkür italienischer Städte-Politik überlassen. Mit
Hilfe des Papstes gelang es ihm, den wie ein Staat im Staat auftretenden
Templerorden zu verbieten und dessen Vermögen zu konfiszieren. Als die
italienischen Kardinäle einen eigenen Papst wählten, spaltete dies das
westliche Christentum. Der Zustand wurde auch abendländisches Schisma genannt
und endete 1418 mit dem Konzil von Konstanz. Die beiden Päpste versuchten durch
Ämterverkauf (Simonie) ihre Einkünfte zu verbessern und übertrumpften sich im
Luxus. Hinter Urban VI. stand ein Teil der italienischen Städte, sowie der
deutsche Kaiser und der englische König. Die Unterstützung Klemens V.
beschränkte sich auf den französischen König und seine Vasallen. Parallel dazu
trat in England mit John Wyclif ein früher Vorläufer Martin Luthers auf. Genau
wie Luther über 100 Jahre später propagierte Wyclif die Benutzung der Bibel in der
Landessprache sowie die Loslösung von Rom. Eine spezielle Ausdrucksform
mittelalterlicher Hysterie war das Hexenwesen. Seine Verfolgung war vielerorts
Sache der Kirche (Inquisition).
Ibn Battuta war von Herkunft und
Ausbildung her ein Anhänger der sunnitischen Glaubensrichtung des Islams. In
Nadschaf, Basra und Shiraz hatte er zwar die schiitische Richtung kennengelernt.
Er sah sie teils als unbedeutenden Zweig an, teils als sehr der Kunst und den
Freuden des Lebens zugewandt (besonders in Shiraz).
Pest als gemeinsames Schicksal
Sowohl Coucy wie Battuta erlebten den
Ausbruch der Pest, durch die in Städten wie Kairo, Paris und Florenz bis zu
einem Drittel der Bevölkerung hingerafft wurde. Ihr erstes Auftauchen in Europa
war auf einem genuesischen Schiff im Hafen von Messina, das von der Krim kam.
Sie verbreitete sich über ganz Europa, mit der Ausnahme von Böhmen und
Russland. Die Wissenschaftler der Universität Paris sahen die Ursache in der Konstellation
von Saturn, Jupiter und Mars. Das Volk glaubte an den Zorn Gottes. Nur der Arzt
von Papst Klemens VI. schien die richtige Vermutung zu haben. Er riet dazu sich
immer zwischen zwei Feuern aufzuhalten (was unter anderem Ratten und Flöhe abhielt, die ja
viel später als Wirtstiere identifiziert wurden).
Aufgrund der offensichtlichen Ohnmacht
der Mächtigen und sogar der Kirche verbreiteten sich große Sorgen und Ängste bezüglich der Zukunft
der Menschheit. Im Abendland suchte man die Schuld bei den weit verzweigt
lebenden jüdischen Gemeinden. Es kam zu den grausamsten Pogromen, so in Narbonne,
Carcassonne, Basel, Worms, Mainz und Erfurt. Eine andere Folge war ein Auswuchs
von Todeskult gemischt mit Lebensgenuss und pervertiertem Luxus. Es scheint,
dass in der muslimische Welt das Pendel weniger extrem ausschlug als auf
christlicher Seite.
Auflösung der Gesellschaft, Brigantentum
Die Pariser Kaufleute und Handwerker
forderten immer mehr Rechte vom König und hatten Erfolg. Als Nachwehen der
englischen Angriffe machten sich räuberische Banden breit, so genannte Kompanien,
meist bestehend aus Engländern und Gasconen. Dieses Brigantentum erstreckte
sich von der Kanalküste bis in die Provence. Das Königreich sei aus den Fugen,
schrieb ein Jean de Venette (einen Ausdruck benutzend den Shakespeares Hamlet
später berühmt machte). Chaos habe obsiegt,
die Ordnung verschwinde. Papst Urban VI. erließ eine Bulle gegen das Brigantentum,
allerdings in Italien. Hier kämpfte der Engländer John Hawkwood als
Landknechtshauptmann (it. condottieri) für italienische Stadtstaaten, mal
diesen, mal jenen.
Die Bauern (in Frankreich ‚villaines‘
oder ‚jaques‘ genannt) waren fast alle Leibeigene. Viele lebten unter einer
Armutsgrenze, die durch den Besitz eines eigenen Pfluges (daher Pfluggrenze)
definiert wurde. Einer der ersten Aufstände (Jaquerie genannt) erfolgte in der Picardie
(in Soisson, Laon und Senlis). Diese richteten sich gegen Adel und Klerus,
nicht jedoch gegen den König. Sie wurden alle blutig niedergeschlagen. Ihre
Anführer wurden qualvoll getötet.
Kriegerischer Zusammenstöße der
Religionen
Coucy erlebte auch die kriegerische Form
des Zusammenstoßes der beiden Religionen. War es an der Küste von Tunis noch ein
ritterliches Abenteuer, kostete ihn der Einsatz auf dem Balkan schließlich das
Leben. Ibn Battuta blieben diese Erfahrungen erspart.
Die militärischen Misserfolge der
französischen Ritter hatten teils technische, teils organisatorische Gründe.
Die Engländer besaßen mit ihren Langbögen eine Waffe, die bezüglich
Treffgenauigkeit, Reichweite (250 m) und Schussfrequenz (10 Pfeile pro Minute)
den genueser Armbrustschützen, die in französischen Diensten standen, hoch
überlegen war. Viel schädlicher noch war die Arroganz französischer Ritter, die
es nicht zuließ, dass Gemeine eine die Schlacht entscheidende Funktion
bekleideten. Im Mann-zu-Mann-Kampf mit Genter Bürgern spielte dies keine Rolle. Jedoch gegenüber den Truppen des osmanischen Sultans bei Nikopol war es
entscheidend.
PS.
Nach dieser Lektüre ließe sich noch sehr viel über das Mittelalter sagen. Es
würde aber zu weit führen.
Nachbetrachtung vom 2.5.2016
Mein Freund und Ex-Kollege Calvin Arnason (aus Portland, Oregon) bemerkte, dass er eigentlich mit einem 'zusammenfassenden Kommentar' von mir zum eigenen Text gerechnet hätte. Ich meinte durch die Gegenüberstellung der beiden Bücher schon genug Anlass zum Reflektieren gegeben zu haben. Eine Nachbetrachtung soll also her. Wieso können beide Bücher einen fernen Spiegel darstellen für unsere heutige Zeit? So frage ich mich. Wir wissen ja, wie es in der Geschichte weiter ging. Hier also ein paar Gedanken, die manchem Leser etwas weit hergeholt erscheinen mögen.
Nachbetrachtung vom 2.5.2016
Mein Freund und Ex-Kollege Calvin Arnason (aus Portland, Oregon) bemerkte, dass er eigentlich mit einem 'zusammenfassenden Kommentar' von mir zum eigenen Text gerechnet hätte. Ich meinte durch die Gegenüberstellung der beiden Bücher schon genug Anlass zum Reflektieren gegeben zu haben. Eine Nachbetrachtung soll also her. Wieso können beide Bücher einen fernen Spiegel darstellen für unsere heutige Zeit? So frage ich mich. Wir wissen ja, wie es in der Geschichte weiter ging. Hier also ein paar Gedanken, die manchem Leser etwas weit hergeholt erscheinen mögen.
Aus europäischer Sicht war das 14. Jahrhundert wirklich ein unglückseliges,
ja unheilvolles Jahrhundert (engl. a calamitous century), nicht nur ein dramatisches.
Die römische Kultur hatte sich einige Jahrhunderte lang von England bis Tunesien
und Persien erstreckt. Sie wurde durch die Germanen während der
Völkerwanderungszeit zerstört. Die Franken unter Karl dem Großen legten um 800
eine neue Basis für das westliche Europa, die das Christentum integrierte.
Danach trat man intellektuell so ziemlich auf der Stelle, wenn wir von einzelnen
Koryphäen wie Gerbert d'Aurillac, Thomas von Aquin, Dante und Petrarca absehen. Wir finden im 14.
Jahrhundert eine vollkommen erstarrte Gesellschaft vor, in der die fränkische
Oberschicht, also der Adel, sich Macht und Gewaltmonopol gesichert hatte. Die
Kirche wurde im Sinne des Adels instrumentalisiert. Ihre völkerübergreifende
religiöse Aufgabe trat in den Hintergrund. Eine starke geistige Elite war nicht
erkennbar. Adel, Kirche und Volk begannen sich zu reiben. Dazu kam die Pest als
großer Schock. Sie erschütterte die Grundgewissheiten von Gesellschaft und Religion.
Der kommende Umbruch der Gesellschaft deutete sich an. Wo es hinführte, zeigte
sich allerdings erst einige Hundert Jahre später, zuerst bei der Reformation
Calvins und Luthers, dann bei der amerikanischen Unabhängigkeit und danach bei
der Französischen Revolution. Damit begann Europa (inkl. der USA) sich vom Rest
der Welt abzusondern. Dank Wissenschaft und Technik, Demokratie, Laizismus und
Individualismus verbunden mit Breitenbildung erschlossen wir uns, was wir heute
die Neuzeit nennen.
Auch auf muslimischer Seite lagen die kulturellen Höhepunkte bereits Jahrhunderte
zurück. Um 900 glänzte Bagdad, um 1000 Cordoba und Toledo. Man befasste sich dort
unter anderem mit griechischer Philosophie und Mathematik. Dank arabischer
Vermittlung kam das griechische Gedankengut nach Europa. Das war unsere
Renaissance. In der islamischen Welt blieben die gesellschaftlichen und
religiösen Strukturen und Gewissheiten intakt. Nur die militärischen
Expansionen der Osmanen spielten eine Rolle. Nicht die Aufklärung erfasste das Geistesleben, sondern eine romantische Wendung nach
Innen, mit Sufis und Derwischen (Dass Ibn Battuta
hierfür besonders empfänglich war, hatte ich verschwiegen). Die Gesellschaft
erstarrte. Die Muslime blieben mehr oder weniger in einer mittelalterlichen
Gesellschaft gefangen. Aus heutiger Sicht erweist sich dies als großer
Nachteil. Deshalb hat die muslimische Welt heute einige Probleme im Vergleich
zu Europa (inkl. den USA), ja sogar zu China und Japan sowie anderen Regionen mit sich
wechselnder Kultur.