Eigentlich
wollte ich mich nicht mehr zum amerikanischen Präsidenten äußern. Vor 12 Monaten hatte ich anlässlich
seiner Amtseiführung bereits geschrieben, wie sehr er eine Zumutung für uns
alle darstellt und dass sein Stil sehr gewöhnungsbedürftig sei. Zahllose
Psychiater in den USA und anderswo nahmen öffentlich und aus der Ferne ihre
Diagnose vor. In fast allen Fällen lautete der Befund auf Narzissmus oder
Infantilismus. Bei seiner ersten Nahost- und Europatour im Mai 2017 regte er, vor allem
in Taormina, alle Welt mit seinem ‚rüpelhaften Verhalten‘ auf. Anstatt mich zu
ärgern, entschloss ich mich, ihn fortan zu ignorieren. Dasselbe habe ich mir
übrigens für Englands Tories vorgenommen. Etwas anderes haben Nigel Farange und
Boris Johnson nämlich nicht verdient.
Bestseller
über Weißhaus-Interna
Zum
Jahresanfang 2018 erschien Michael Wolffs Buch Fire and Fury -
Inside the Trump White House (336 S.). Das Buch stellt in den USA neue
Verkaufsrekorde auf. Eine deutschsprachige Ausgabe soll im Februar erscheinen.
Mich reizte es zu erfahren, wie Trumps Umfeld arbeitet, wer dort die Strippen
zieht, und wie man dort glaubt, einen Neurotiker unter Kontrolle zu behalten.
In dieser Hinsicht hat mich das Buch nicht enttäuscht. Das Buch behandelt primär die acht Monate von Trumps Amtseinführung Ende Januar 2017 bis zu Entlassung von
Steve Bannon im August 2017. Anstatt den ganzen Tratsch zu wiederholen, will
ich im Folgenden nur einige für mich aufschlussreichen Aspekte hervorheben.
Wahlsieger
wider Erwarten
Der
amerikanische Wahlkampf des Jahres 2016 war von schmutzigen Affären und
Anschuldigungen gekennzeichnet. Trumps Chancen schienen beendet, als 10 Jahre
alte Tonbänder auftauchten, in denen er seine Haltung zu Frauen beschrieb.
Hillary Clinton erlitt einen Rückschlag, als kurz vor der Wahl der CIA-Chef Jim
Comey eine Untersuchung wegen der E-Mail-Vorwürfe ankündigte. Nur der
rechtsextreme Flügel der republikanischen Partei und die rechten Medien (z.B. Fox
News) hielten weiter zu Trump. Auf Betreiben des Milliardärs Robert Mercer
übernahm Trump Steve Bannon und die Journalistin Kellyanne Conway in sein Team.
Trump selbst befürchtete, dass er gegenüber der Macht des Clinton-Lagers den
Kürzeren ziehen würde. Als das Ergebnis vorlag, freute er sich wie ein
Vertreter, der ein unerwartetes Geschäft gemacht hatte. ‚Ich bin also doch ein
Gewinner und kein Verlierer‘ so drückte er seine Überraschung aus.
Bannon,
teuflicher als Rasputin
Steve
Bannon (*1953 in Norfolk, Virginia) leitete die rechtsgerichtete Website
Breitbart News, als er im August 2016 Berater des damaligen Kandidaten Trump
wurde. Von dessen Amtsantritt am 20. Januar 2017 bis zum 18. August 2017 war er
der Chefstratege im Weißen Haus. Danach ging er zurück zu Breitbart News. Nach
der Veröffentlichung des Wolffschen Buchs verließ er Breitbart News.
Bannon
war der Vertreter der militanten Rechten. Er schien Trump völlig im Griff zu
haben. Trump selbst las weder Bücher noch Zeitungen. Seine
Hauptinformationsquelle war das Kabelfernsehen. In seinem Schlafzimmer hatte er
drei TV-Geräte. Morgens und abends saß er oft stundenlang davor. Er entscheide
aufgrund seines Bauchgefühls (engl. gut
feeling). Leute, die viel wissen, machen oft schlimme Fehler. Das war seine
Überzeugung. Bannon hatte ein festgefügtes Bild, was in der Welt schief lief.
Schuld daran sei die politische Klasse ganz allgemein. Die von ihm verfasste
Rede zur Inauguration drückt alles dies aus. Der Kernsatz lautete: Das
Land stehe am Abgrund, aber wir machen es wieder groß (engl. the country is in mess, but we make it great
again).
Bannon
ließ alle wissen, nur er habe die Wahl gewonnen. Sein Ideal waren die USA der
1950-1960 Jahre. Er war gegen die Globalisten, die Davos-Leute. Das Land
benötige eine klassische Industrie. Mit Handel und Dienstleistungen allein sei
ein so großes Land wie die USA nicht zu unterhalten. Trumps Tochter Ivanka
hielt Bannon für ‚teuflischer als Rasputin‘. Indem er sage, lasst Trump Trump
sein, meine er in Wirklichkeit, lasst Trump Bannon sein. Trumps Pressesprecherin
Conway wurde dadurch berühmt, dass sie Trumps Aussage über die Zuhörerzahlen
bei der Inauguration als ‚alternative Fakten‘ bezeichnete.
Jarvanka
und der jüdisch-demokratische New-York-Liberalismus
Noch
stärker als Bannon scheint Trumps Familie die Fäden zu ziehen. Sie wird
vertreten durch die Tochter Ivanka und deren Mann Jared Kushner. Sie stellen
eine Beziehung her zu einer an sich den Demokraten nahestehende, sehr liberale
Geldaristokratie in New York. Im Buch wird dieser Zweig als Jarvanka
bezeichnet, ein Kunstwort, das aus den zwei Vornamen gebildet wird. Jared
Kusher hat sehr mächtige Freunde. Zwei Beispiele sind Rupert Murdoch, der
Medientycoon, und Henry Kissinger, der Ex-Politiker. Trump soll nur auf Leute hören,
die wie er Erfolg in der Wirtschaft haben. Daher überzeugte Kushner Trump ein
Beratungsgremium aus Geschäftsleuten (engl. business
advisory council) zu bilden. Dieser Plan verlor an Attraktivität, als
Bannon als erste Maßnahme den Bann gegen muslimische Einwanderer durchsetzte.
Eine
erste ernsthafte Krise entstand, als Trump seinen Sicherheitsberater Michael
Flynn entlassen musste. Er hatte sowohl Geld aus Russland empfangen als
auch mit dem russischen Botschafter über die mögliche Abschaffung von Sanktionen
gesprochen. Als Thema wird Russland Trump jedoch weiterbegleiten.
Anker
des republikanischen Partei-Establishments
Als
dritter im Bunde derer, die Trump zu kontrollieren versuchen, erscheint Reince
Priebus. Er führt den Titel Stabschef des Weißen Hauses und sollte eigentlich
das Sagen haben (engl. to run the White House).
In Wahrheit ist er nur ein Mitläufer. Er
schaffte es jedoch, dass Trump überhaupt mit den Republikanern im Kongress und
mit Paul Ryan, dem Fraktionsführer, spricht. Neben ihm wirkte Katie Walsh, eine
fleißige Arbeitsbiene aus dem Büro der Partei stammend, die es versteht, der
Bürokratie Genüge zu leisten. Diese wird abfällig meist als Sumpf (engl. swamp) bezeichnet.
Der
Vizepräsident Mike Pence lebe in einer Welt für sich. Die Leute, die für ihn
arbeiten, redeten so wenig wie er selbst. Er erzeugte also keinen Stoff für das
Buch. Der Autor sah den Zustand des Weißen Hauses als großes Durcheinander (engl.
clusterfuck) an. Im berühmten Oval
office war Bannon immer dabei. Er wirkte fast wie ein Teil der Einrichtung. Er
blieb auch nachts auf, wenn er meinte, dass er gebraucht würde. Kushner hatte
immer ein Auge auf ihn. Conway und Priebus waren fast immer auch da. Daneben
gab es nur noch die Kadetten, die die Gäste herein- und herausleiteten. Zuständige
Beamte waren keine zu sehen.
Lief
etwas nicht so, wie eine der drei Gruppen im Stab es wollte, wurde meist ein
schwergewichtiger Externer bemüht. Bannon ließ Mercer anrufen, Kushner Murdoch,
Priebus Ryan. Auch Trump telefonierte laufend, und zwar mit immer andern Leuten.
Die meisten der Angerufenen fühlten sich zur Geheimhaltung nicht verpflichtet.
Es sickerte nur so. Plötzlich war Sickern (engl. leaking) ein Topp-Problem.
Regieren
mittels Anordnungen
Es war
Bannons Idee, möglichst viel Aktivität in den ersten 100 Tagen zu zeigen. Da
der Kongress hierbei nicht mitspielen konnte, sollte möglichst viel per Anweisung
der Regierung (engl. executive order,
Abk, EO) erfolgen. Die erste Anweisung betraf die Immigration. Trump hatte die
von den Vorgängern geübte Praxis als zu liberal und zu großzügig kritisiert. Da
niemand im Stab des Weißen Hauses wusste, wie man dies macht, machte es Bannon.
An 27. Januar, einem Freitag, ging es
über die Bühne. Die Aufregung im Lande und die Verwirrung auf den Flughäfen,
waren enorm. Schließlich wurde die Aktion von Gerichten gestoppt. Ein anderes
Thema, das Trump im Wahlkampf sehr stark betont hatte, war seine Abneigung
gegen Obamas Gesundheitsreform. Die Details interessierten ihn wenig. Deshalb
überließ er die Neureglung (engl. repeal and
replace Obamacare) Paul Ryan und dem Kongress.
Im
krassen Gegensatz zu der Rede bei der Amtseinführung steht die Rede, die Trump
am 28. Februar vor beiden Häusern des Kongresses hielt (engl. state of union speech). Sie wurde von
Kushner, Ivanka und Dina Powell geschrieben. Powell war vorher bei Goldman
Sachs gewesen. Während auch linke Zeitungen sich positiv zu dieser so genannten
‚Goldman speech‘ äußerten, begann Bannon
sich Sorgen zu machen. Kushner schaffte es sogar mit Gary Cohn einen weiteren
ehemaligen Angestellten von Goldman Sachs im Weißen Haus zu platzieren, und
zwar als Wirtschaftsberater (engl. chief economic advisor).
Ominöse
Russland-Verbindung
Außer
dem Sicherheitsberater Flynn sind noch zwei weitere Personen aus Trumps
Umfeld mit dem Vorwurf konfrontiert, illegale Kontakte zu Russland gehabt zu
haben. Justizminister Jeff Sessions hatte zuerst bestritten und später
eingestanden, dass er Kontakt mit dem russischem Botschafter hatte. Auch Jared
Kushner (und sein Vater) hatten immer wieder Geschäftsbeziehungen mit
russischen Personen und Unternehmen.
James
Comey, der bereits erwähnte FBI-Direktor, sah sich veranlasst eine Untersuchung
zu den Russland-Beziehungen Trumps zu eröffnen. Darauf reagierte Trump, indem
Comey durch das Justizministerium entlassen ließ. Der Oberstaatsanwalt beauftragte
daraufhin Comeys Amtsvorgänger Robert Mueller als Sonderermittler die
Untersuchung durchzuführen. Comey selbst erhob in einer Anhörung im Senat
schwere Vorwürfe gegen Trump. Welche Kräfte hier am Werk sind, ist nicht zu
durchschauen. So erschienen am Tag nach dem G20-Treffen in Hamburg weitere Details
über Treffen mit Russen während des Wahlkampfs.
Freund
der Saudis, Beschimpfer Nordkoreas
Mit
Schadenfreude hatte Bannon zur Kenntnis genommen, dass Trump das heikle Thema
Israel und Mittlerer Osten ebenfalls delegierte. Kushner sollte sich kümmern. Als
ersten sichtbaren Erfolg organisierte Kushner im Mai eine Reise nach
Saudi-Arabien. Aus Trumps Sicht ist Saudi-Arabien in erster Linie der Hauptfeind des Iran. Als
Ergebnis verkündeten beide Seiten Waffenkäufe in Höhe von 350 Mrd. US-Dollars.
Das gäbe jobs, jobs, jobs. Die Zwischenstopps im Vatikan und in Brüssel waren
dagegen bedeutungslos.
Im Juni
machte Trump ein weiteres Wahlversprechen wahr und schied aus dem Pariser
Klima-Abkommen aus. Die Raketen, die Nordkorea verschoss, bekämpfte er mit
ungewöhnlich harten Worten (North Korea is
to be met with fire and fury, the likes of which the world has never seen
before). Als auf dem Campus der University of Virginia in Charlotteville bei
einer rechten Demo eine Frau getötet wurde, reagierte er nicht sehr klug.
Trumps Weltsicht sei ganz einfach und pragmatisch. Es gäbe Länder, die für
einen sind (Saudis, Israel, England), solche, die gegen einen sind (Nordkorea,
Iran) und uninteressante (der Rest der Welt). Russland und China könnte er
nicht recht einordnen.
Bannons
Entsorgung, Abgang von Priebus
In
Trumps Stab gab es im Laufe des Jahres mehrere Änderungen. Mitte August war es
soweit, dass er dem Drängen von mehreren Seiten (Jarvanka, McMaster, Murdoch)
nachgab und Bannon entließ. Ein dritter General, John Kelly, ersetzte Priebus.
Seine
inzwischen ebenfalls ausgeschiedene Mitarbeiterin Katie Walsh fasste ihr Urteil
über Trump wie folgt zusammen. Trump will von allen geliebt werden, und möchte
dies erzwingen. Er möchte überall ein Sieger sein (engl. Trump wants to be liked so badly everything is struggle for him. He always
wants to look like a winner). Trump wird nachgesagt, dass er seine
Telefonpartner immer wieder Fragen der Art stellte: Wen soll ich feuern? Sessions,
Tillerson, Mueller? Geraten wird dann, wer wen schützt. Alle drei genannten
haben offensichtlich starke Fürsprecher.
Blüten
des Umgangsstils
Das
Buch von Wolff ist eine wahre Fundgrube von gegenseitigen Beschimpfungen. Mögen
sie uns fast wie Verbalinjurien vorkommen, in den USA sind sie zwar hart an der
Grenze, aber durchaus vorstellbar. Beginnen wir eine Auswahl mit Bannon:
Trump
sei ein großer warm-herziger Affe (engl. a
big warm-hearted monkey) oder die älteste unerfahrene Person im Weißen Haus
(engl. oldest inexperienced person in the
White House). Außenminister Tillerson soll gesagt haben, Trump sei ein
verdammter Depp (engl. fucking moron).
Wirtschaftsberater Cohn vergab das Prädikat ‚dumm wie Scheiße‘ (engl. dumb as shit). Trump selbst habe seine Mitarbeiter alle als Idioten
(engl. idiots) bezeichnet. Menschen, die sich in Atlantic City
herumtrieben, seien weißer Abschaum wie er, aber arm (engl. white trash like me, only poor). Man
kann schwerlich sagen, Trump verfüge nicht über selbstkritischen Humor.
Weltbühne
in Davos
Trump
hat es geschafft, in den USA die Steuern für Unternehmen von 35 auf 15% zu
senken. Die Firma Apple hat anschließend versprochen, in großem Umfang in den USA zu investieren. Außerdem führte er (per
EO) Strafzölle für Waschmaschinen aus Südkorea und Solarzellen aus China ein.
Für die deutsche Autoindustrie hat er das gleiche angekündigt. Es konnte ihm
bisher ausgeredet werden, mit dem Hinweis auf die deutschen Fabriken in den
USA.
In
Davos hielt Trump Hof. Israels Netanyahu und Englands Theresa West kamen, aber
auch Joe Kaeser (Siemens), Werner Baumann (Bayer), Bill McDermott (SAP) und 12
andere Unternehmensleiter aus Europa. Sie alle gelobten, verstärkt in den USA
zu investieren. Am letzten Konferenztag hielt Trump schließlich seine
vielbeachtete Rede. Darin warb er für die USA als Industrie-Standort. Nie sei
die Zeit besser gewesen, um in den USA zu investieren. Dank seiner Politik
erlebe die Industrie einen Aufschwung. Dass er Amerika an die erste Stelle
setze, das erwarte er von jedem Staatsmann für sein Land. Amerika zuerst hieße
nicht Amerika allein. Wenn es Amerika
gut ginge, ginge es auch andern Ländern gut, und umgekehrt.
Da
diese Rede von Gary Cohn, einem früheren Mitarbeiter der Investitionsbank
Goldmann Sachs geschrieben wurde, war dies nach der Februar-Rede seine zweite
Goldman-Rede. Im übrigen teile ich die Meinung von Klaus Brinkbäumer, dem Chefredakteur
des SPIEGEL, der schrieb:
Der Davoser Trump war ein gezähmter Trump ─ für seine Verhältnisse. Die Weltelite, die
vorgibt, ihn abzulehnen, scharte sich um den US-Präsidenten. Das könnte zum
Problem für Merkel, Macron und Co. werden.
Nicht mehr die Boston Tea Party hat das Sagen im Weißen Haus, sondern – wie gehabt – der militärisch-industrielle Komplex, vertreten durch drei Generäle und eine Handvoll Industrieller und Bankiers. Der Bannonsche Trump scheint passé zu sein, es lebe der Goldman-Sachs-Trump!