Für das Phänomen der Digitalisierung gibt es eine Unzahl von
Betrachtungsweisen. Obwohl das Thema bereits mehrmals in diesem
Blog behandelt wurde, tun sich immer wieder neue Aspekte und
Perspektiven auf. Einige Sichten, die bisher nicht in Erscheinung traten,
sollen im Folgenden expliziert werden. Ich befürchte, dass damit noch immer
kein Abschluss der Diskussion erreicht werden kann.
Verlaufs- oder Zustandsbeschreibung
Mein Kollege Hartmut Wedekind (*1935) befasst sich in einem
aktuellen Beitrag seines Blogs mit notwendigen und hinreichenden Bedingungen, damit die Digitalisierung
gelingt. Seine Darstellungweise mag etwas gewöhnungsbedürftig sein.
Die Digitalisierung ist eine Technologie, die wie jede andere ihre
Vorteile und Nachteile hat. Auch hat sie einen konkreten Anwendungsbereich. Im
Vergleich zu anderen Technologien wie Elektrifizierung oder Automatisierung ist
der Anwendungsbereich enorm groß und laufend wachsend. Je nach Anwendung variiert
das Verhältnis oder das relative Gewicht der Vor- und Nachteile. Eine Auflistung
für das Gebiet des Publizierens findet man auf Seite 15-19 des Buches [1]. Es
ist der Stand des Jahres 2000.
Vor-
und Nachteile digitaler Dokumente
Der Fortschritt der Technik hat zur Folge, dass sich alle
Parameter ändern können. Was gestern noch teuer war, kann morgen oder im
nächsten Jahr schon billig sein. Aspekte, die wenig Bedeutung hatten, können an
Bedeutung gewinnen oder umgekehrt. Die Technologie wird sich anpassen, indem
sie noch vorhandene Nutzungshemmnisse reduziert oder ganz verschwinden lässt.
Sie wird auch für solche Leute attraktiv werden, die sich bisher noch nicht
dafür erwärmen konnten. Wenn ich sage, dass die Technologie etwas tut, dann meine ich die sie treibenden
Ingenieure und Firmen.
In ihrer Frühphase mag eine Technologie einen gewissen Einführungs- und Schulungsbedarf haben. Um einen möglichst großen Nutzerkreis zu erreichen, wird eine Maßnahme darin bestehen, die erforderliche Nutzerschulung zu reduzieren oder ganz zu eliminieren. Das kann durch Verbesserungen in der Nutzbarkeit erfolgen oder dadurch, dass relevantes Wissen überall und frei verfügbar ist. Es ist nicht so, dass der Nutzer einer Technologie sich über ihr ganzes Potential im Klaren sein muss, ehe er den ersten Schritt wagt. Viele Technologien werden von ihren Nutzern auf eine Weise eingesetzt, an die ihre Entwickler nie dachten.
Bekannte Technologie-Entwicklungsmodelle
Es gibt eine Vielzahl von Theorien darüber, wie neue Technologien entstehen, sich entwickeln und ausbreiten. Die einschlägige Literatur füllt Buchregale. Am gebräuchlichsten ist ein Phasenmodell, das die vier Phasen Entstehung, Wachstum, Reife und Alterung unterscheidet. Das von der Firma Gartner propagierte Hypezyklen-Modell kennt die Phasen Technologischer Auslöser, Gipfel der überzogenen Erwartungen, Tal der Enttäuschungen, Pfad der Erleuchtung und Plateau der Produktivität. Folgt man diesem Modell, so müsste uns das Tal der Enttäuschungen noch bevorstehen.
Saloppe Ausdrucksweise
Wie kaum ein anderes Adjektiv so erhielt das Wort ‚digital‘ eine geradezu magische Bedeutung und fand eine inflationäre Verwendung. Es wird an Stellen verwendet, wo es an sich keinen Sinn macht, es sei denn im sehr übertragenen Sinne. Der Kollege Peter Mertens hat ausführlich auf dieses Phänomen hingewiesen [2]. Im folgenden Abschnitt ist laufend von digitalen Personen oder Berufsträgern die Rede. Ich werde – äußerst widerstrebend – diese Sprechweise beibehalten. Bitte fassen Sie den Ausdruck ‚digitale Person‘ auf als Abkürzung für ‚eine Person, die sich mit digitalen Medien befasst oder sich ihrer bedient‘.
Wer sind und was bewirken Digitale Köpfe?
Im Rahmen der Initiative Wissenschaftsjahr 2014, das unter dem Thema Die Digitale Gesellschaft stand, wurden vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Gesellschaft für Informatik (GI) 39 Personen mit der Auszeichnung Deutschlands Digitale Köpfe geehrt. Die Auszeichnung galt jenen, die mit ihren Ideen und Projekten die digitale Entwicklung in Deutschland vorantrieben. Informatikern unter den Lesern dürften folgende Namen bekannt sein: Anja Feldmann, Claudia Eckert, Constanze Kurz, Katharina Zweig, Lars Hinrichs, Marco Börries, Oliver Samwer und Volker Markl.
Von den hier genannten Personen sind vier Hochschullehrer (Feldmann, Eckert, Zweig, Markl), drei Unternehmer (Hinrichs, Börries, Samwer) und eine Publizist (Kurz). Sie wirken über ihre Studenten, über ihre Mitarbeiter und Kunden und über ihre Leser. Mit jedem Namen verbindet sich eine andere Geschichte. Es sind in jedem Falle Erfolgsgeschichten. Es sind Beispiele, von denen man sich zur Nachahmung anregen lassen soll.
Sicht eines digitalen Eingeborenen
Die Digitalisierung ist – im Gegensatz zur Meinung von Angela
Merkel – keine neue Technologie. Sie existiert als Technologie im Markt seit mindestens
30 Jahren. Es ist üblich bei Leuten, die diese Technologie seit ihrer Kindheit
kennen, von digitalen Eingeborenen (engl. digital natives) zu reden. Menschen unserer
Altersklasse, die auch die Zeit davor kennen, gelten als digitale Einwanderer (engl.
digital immigrants).
Philipp
Riederle (*1994) ist einer der
jüngsten deutschen Unternehmensberater. Aufgewachsen ist er in Günzburg,
studiert hat er in Konstanz an der privaten Zeppelin-Universität. Er ist seit seinem
15. Lebensjahr als Computer Freak und Buchautor tätig. Vor vier Jahren wurde er
zum Digitalen Kopf ernannt. Sein neuestes Buch heißt: Wie wir arbeiten, und was wir
fordern - Die digitale Generation revolutioniert die Berufswelt (2017,
336 S.). Darin betrachtet Riederle sich als digitalen Eingeborenen, der sich
erdreistet, den digitalen Einwanderern Ratschläge zu erteilen. Ich will nur
kurz auf sie eingehen.
Die Mitarbeiter, die Firmen heute benötigen, seien genau die, die
der Markt anbietet, nämlich digitale Eingeborene. Seit 1975 hat sich das
Angebot akademisch ausgebildeter Berufsanfänger mehr als verdreifacht (von 836
k in 1975 auf 2,75 Mio. Studierende in 2015). Es gibt Bachelor- und Master-Abschlüsse
in 18.000 Studienfächern. Der Frauenanteil ist auch angestiegen, allerdings nur
langsam. Die Bereitschaft, den Wohnort zu wechseln hat deutlich zugenommen. Durch die derzeitige Konjunktur habe sich der Arbeitsmarkt radikal
verändert. Nicht Firmen suchen zwischen Bewerbern aus, sondern Bewerber
zwischen Firmen. Diese müssen sich sehr um ihr Image kümmern, vor allem durch
Selbstdarstellung in den digitalen Medien, aber auch durch Pflege ihres Rufs.
Junge Menschen strebten Jobs an, in denen sie sich weiterentwickeln können.
Dabei spielt die Selbstoptimierung eine große Rolle. Dazu brauchen sie
Feedback.
Jugendliche möchten nicht als Weicheier oder als Prinzessinnen angesehen werden. Vergleichende Informationen über Unternehmen und Bewertungen findet man heute reichlich im Netz (z. Bsp. bei Kununu). Die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen, sei wichtiger als die Höhe des Gehalts. Demokratische Führungsstile und der Zugriff zu allen Informationen im Unternehmen seien essentiell. Die langfristige Bindung an ein Unternehmen sei nicht mehr selbstverständlich.
Jugendliche möchten nicht als Weicheier oder als Prinzessinnen angesehen werden. Vergleichende Informationen über Unternehmen und Bewertungen findet man heute reichlich im Netz (z. Bsp. bei Kununu). Die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen, sei wichtiger als die Höhe des Gehalts. Demokratische Führungsstile und der Zugriff zu allen Informationen im Unternehmen seien essentiell. Die langfristige Bindung an ein Unternehmen sei nicht mehr selbstverständlich.
Unternehmen müssten ihren Mitarbeitern mindestens dieselben
Kommunikationsmittel und Werkzeuge anbieten, die jedem heute privat zur
Verfügung stehen. Dabei spielen Smartphones eine zentrale Rolle. Dass dies
erhöhte Anforderungen bezüglich Sicherheit und Geheimhaltung stellt, sei
einleuchtend. Ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess sollte für alle Abläufe
implementiert werden. Das Thema Work-Life-Balance sollte adressiert werden. Ein
Home Office kann dabei helfen, denn es erlaubt eine größere Flexibilität.
Traumziel digitaler Professional
Solange Begriffe wie Eingeborener und Immigrant das Thema beherrschen, scheint mir noch eine wesentliche Betrachtungsweise zu fehlen. Es wird nicht gefragt, was aus der Sicht eines Individuums der erwünschte Endzustand sein kann oder sein soll. Es wird nur die Art der Aneignung einer Fähigkeit angesprochen, nicht jedoch der erreichte Reifegrad in der Nutzung. Wer seinen Beruf als Profession und nicht nur als Beschäftigung (engl. job) sieht, wird sich eine professionelle Einstellung zu Eigen machen. Wie in einem der am meisten gelesenen Beiträge dieses Blogs ausgeführt, bedeutet dies für einen Informatiker oder eine Informatikerin, dass sie sich an die folgende Richtschnur halten.
Sie müssen berücksichtigen, was für die Nutzer zweckdienlich und zumutbar ist, was für das Unternehmen notwendig und erschwinglich ist, was ohne unvertretbare Nebenwirkungen für Umwelt und Gesellschaft machbar ist, was nach dem Stand der Technik möglich ist, und was mit den zur Verfügung stehenden Fachleuten und Finanzmitteln realisierbar ist.
Die Digitalisierung ist die zentrale Technik unseres Fachgebiets. Auf sie zu verzichten ist geradezu unverantwortlich, ja unprofessionell. Deshalb führt kein Weg daran vorbei, sie zu beherrschen, also richtig einzusetzen. Um sie richtig einsetzen zu können, muss man alle Stärken und Schwächen kennen und gegeneinander abwägen. Diese Verantwortung kann der Informatiker nicht an einen Fachmann aus einem andern Feld delegieren.
Traumziel digitale Gesellschaft und digitale Wirtschaft
Neben der individuellen Beziehung zu dieser Technik wird auch die
Verbreitung und Nutzung in der Gesellschaft immer wieder thematisiert. So gibt
es einen Verein namens Digitale Gesellschaft in Berlin. Aber auch die EU hat
eines ihrer Kommissariate als Digitale Gesellschaft bezeichnet. Günther
Oettinger war sein Leiter, bis dass er das Budget-Ressort übernahm. Ganz
offensichtlich wird in Deutschland und Europa der Diskussion über die möglichen
gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung fast so viel Aufmerksamkeit
geschenkt wie ihrer Anwendung in der Wirtschaft. Dabei erscheint es fast so,
als wäre die Wirtschaft nicht auch ein Teil der Gesellschaft.
Nachtrag
am 17.1.2018
Zwei Wirtschaftsjournalisten
aus der Redaktion der Süddeutschen Zeitung, Marc Beise und Ulrich
Schäfer, meinen, dass unsere Presse – und damit die Öffentlichkeit – das
Thema Digitalisierung zu negativ sieht. In ihren Buch Deutschland
digital – Unsere Antwort auf das Silicon Valley (2016, 255 S.)
versuchen sie die Dinge zurechtzurücken.
Wir
hätten zwar die erste Runde gegenüber dem Silicon Valley verloren, könnten die zweite
jedoch gewinnen, wenn wir es richtig machen würden. Wir sollten nicht den Versuch
machen, das Silicon Valley bei privaten Internet-Anwendungen einzuholen.
Deutschland hätte aber gute Chancen bei Industrieanwendungen. Immerhin baue ja Tesla seine Elektroautos mit Robotern von Kuka
aus Augsburg und mit Blechpressen von Schuler aus Göppingen.
Auch in
Berlin, Hamburg, München und anderen Orten tue sich etwas. Von der
Startup-Szene in Berlin rede inzwischen die ganze Welt. Oliver Samwer von Rocket
Internet vereinige allein 150 Firmen mit 36.000 Mitarbeitern. Auch ströme mehr Wagniskapital
nach Berlin (2,1 Mrd. in 2015) als nach London. Firmen wie Trump (Ditzingen)
und Würth (Künzelsau) unterhielten dort Forschergruppen.
In München
und Süddeutschland machten weniger die Finanz- und Marketing-Experten von sich reden,
dafür aber einige Ingenieure. Die Firma NavVis in München baut
Navigationsgeräte für Innenräume, die Firma Bragi eine Art von Hörgeräten im
Ohr, mit denen man Maschinen steuern und kontrollieren kann. Weltbekannt sei inzwischen
TeamViewer aus Göppingen, mit deren Software man Windows-PCs aus der Ferne
warten kann. Der Marktführer bei 3D-Druckern sei die Firma EOS aus Krailling bei
München.
Die
deutsche Industrie sei besser auf das ‚Internet der Dinge‘ (engl. Internet of things, Abk. IOT) vorbereitet
als die amerikanische. Die USA seien bereits zu sehr deindustrialisiert, um
hier noch eine große Rolle spielen zu können. Deutschlands Vorteile lägen
in seinem Bildungssystem (vor allem der fachlichen Qualifizierung), seiner
Unternehmensstruktur (starker, flexibler Mittelstand) und dem ausgeprägten Sinn
für Datenschutz und Datensicherheit. Es fehle an Wagniskapital (vor allem aus
privater Hand) und einem gut ausgebauten Gigabitnetz. Es fehle auch an Leuten,
die über das Positive mindestens so viel reden wie über das Negative, die nicht
nur auf Risiken und Gefahren hinweisen. Wir bräuchten mehr Geschichtenerzähler.
Referenzen
- Albert Endres, Dieter W. Fellner: Digitale Bibliotheken – Informatik-Lösungen für globale Wissensmärkte, 2000
- Peter Mertens, Dina Barbian: Digitalisierung und Industrie 4.0 – Moden, modische Überhöhung oder Trend? 2016
Simone Rehm aus Stuttgart schrieb: Ich sehe Digitalisierung nicht als Technologie an, sondern als eine technologisch getriebene, letztlich aber von Menschen vorgenommene umfassende Veränderung unserer Arbeits- und Lebenswelt. Aufgrund ihrer umfassenden Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche unseres Lebens als Individuum, aber auch als Gesellschaft kommt der Digitalisierung - in der Tat ähnlich wie der Elektrifizierung und Automatisierung - epochale Bedeutung zu. Das soll heißen, sie ist kein vorübergehendes Phänomen, kein modischer Trend, sondern eine bewusst herbeigeführte und somit eine wenn auch nicht mehr aufhaltbare, aber so doch steuerbare Entwicklung, die unsere Welt über viele Jahre und Jahrzehnte prägen und im wahrsten Sinne verändern wird. Ich unterscheide bei der Verwendung des Begriffs der Digitalisierung drei Bedeutungsebenen:
AntwortenLöschen1 - Die eng gefasste, rein technische Bedeutung: Als Digitalisierung im engeren (wörtlichen) Sinne bezeichnet man die Übertragung von analogen Informationen in ein digitales Format. So bezeichnet man zum Beispiel in einer Bibliothek die sukzessive Konvertierung des Buchbestandes in digital repräsentierte, elektronisch verfügbare Medien als „Digitalisierung“.
2 - Die weiter gefasste, im Laufe der Jahre entstandene, eher evolutionäre Bedeutung: Als Digitalisierung im etwas weiteren, vom wörtlichen bereits abweichenden Sinne bezeichnet man (vor allem im Firmenkontext) das sukzessive Vorantreiben der IT-Unterstützung von Geschäftsprozessen, also die schlichte Einführung von Softwaresystemen, mit deren Hilfe die bisher nicht IT-gestützten Prozesse stabiler, schneller oder sicherer abgewickelt werden können. Die Einführung eines ERP-Systems in einem Unternehmen oder der Umstieg auf ein elektronisches Dokumentenmanagement kann in diesem Sinne als Schritt der Digitalisierung verstanden werden.
3 - Die sehr weit gefasste, gesellschaftliche Entwicklungen implizierende und induzierende, revolutionäre Bedeutung: Mit Digitalisierung im ganz breiten, die gesellschaftlichen Implikationen mit betrachtenden Sinne beschreibt man das Entwickeln und Entstehen völlig neuer Geschäftsmodelle in der Wirtschaft oder Umwälzungen in der Gesellschaft, als Folge des Einsatzes von digitaler Technologie, mit dem Potenzial, Vorhandenes in Frage zu stellen und komplett durch Neues zu ersetzen. In einem Artikel der FAZ über den Taxi-Dienst Uber wurde dieser Prozess als „Prozess kreativer Zerstörung“ bezeichnet, was ich allerdings als euphemistisch empfinde. Als weitere Beispiele für Digitalisierungsschritte auf dieser Ebene können hier all die Umwälzungen genannt werden, die unter Industrie 4.0 subsumiert werden.
Man MUSS nicht alles digitalisieren, man kann es auch lassen. Es sollte immer eine bewusste Entscheidung sein, unter Abwägung der Kosten und der mit der Digitalisierung einhergehenden Vor- und Nachteile, oder besser: Chancen und Risiken. Und Digitalisierung ist auch nicht gleich Digitalisierung. Man kann und muss sie auch inhaltlich gestalten.
Ich erlebe leider häufig, dass Außenstehende wie auch die Informatiker sich selbst gerne als reine „Handwerker“ betrachten, die „ihr Handwerk“, also das Wissen um informatische Grundbegriffe und Zusammenhänge anwenden, sich aber um die Folgen dieser Anwendung keine Gedanken machen müssen, sollen oder auch können. Ich sehe das nicht so und schließe mich dem, was Sie oben als Richtschnur vorgeben, uneingeschränkt an. Es stellt sich freilich die Frage, ob wir unseren Nachwuchs, die Jung-Informatiker, auch entsprechend ausbilden bzw. darauf vorbereiten. Dazu würde mich die Meinung bzw. die Sicht derer interessieren, die als Hochschullehrer oder als Studierender das Curriculum eines zeitgemäßen Informatikstudiums besser kennen als ich.
Dass die Digitalisierung eine Technologie mit großer gesellschaftlicher Wirkung ist, ist unbestritten. Das galt auch vorher für die Elektrifizierung. Wie sagte doch W.I. Lenin 1920: ‚Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes‘. Ähnliches würde er heute über die Digitalisierung sagen. Vielleicht tun dies seine heutigen Jünger in China und Nordkorea.
LöschenPeter Hiemann aus Grasse schrieb: Der Begriff 'Digitalisierung' ist nicht mehr auf seine ursprüngliche 'unschuldige' Bedeutung als eine Transformation und Darstellungsstruktur von Information beschränkt, seit mobile Computer und quasi beliebiger Zugang zu Information für jeden und überall verfügbar geworden sind. Ich teile Simone Rehms Ansicht, dass das Thema 'Digitalisierung' heute in der Öffentlichkeit unter vielfältigen Aspekten diskutiert wird. Ich habe auch den Eindruck, dass bei der heutigen Verwendung des Begriffs 'Digitalisierung' nicht klar unterschieden wird, welche unterschiedlichen Perspektiven und Argumente von Vertretern unterschiedlicher Interessengruppen benutzen werden, um unterschiedliche Ziele zu verfolgen.
AntwortenLöschenDie wohl bedeutendte Interessengruppe, die sogenannte 'digitalisierte' Anwendungen als grundlegendes Geschäftsmodell nutzen, bilden finanzstarke Vertreter von Unternehmen wie Google, Apple, Facebook, Amazon und Finanzinstitutionen, die potentiell erfolgreiche 'digital orientierte' Start-up Projekte unterstützen und spekulatives Investitionskapital platzieren. Die Entwicklung 'digitalisierter' Anwendungen wird von Informatikern und Programmierern vorangetrieben. Sie erschließen Methoden und Möglichkeiten des Einsatzes von vernetzten Computeranwendungen und widmen sich Bereichen wie Mobil Computing, Big Data, neuronale Netzwerke (Deep Learning), Virtuelle Realität, Künstliche Intelligenz. Und nicht zu vergessen: Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre.
Hochgeschwindigkeitsnetze und 'digitalisierte' Infrastrukturen werden heute benutzt, um Staatswesen politisch und wirtschaftlich effektiv gestalten zu können. Die 'digitalen' Anwendungen betreffen alle Bereiche der Gesellschaft wie Administration, Versorgung, Sicherheit, Gesundheitswesen und Bildung. Soziale Netzwerke, Smartphones und 'digitalisierte' Apps beeinflussen individuelle Denk- und Verhaltensweisen tiefer gehender als andere Technologien zuvor. Sie haben Einfluss auf persönliche Orientierungen und Entwicklungen. Sie können Individuen sowohl nützen (z.B. Informationsverfügbarkeit, Kooperation) als auch schaden (z.B. übertriebene Unterhaltungsbefriedigung, Computerspielsucht).
Mich interessiert, welche Rolle die Gilde der professionellen Informatiker spielt. Einige derzeitige Vorstellungen wie etwa hinsichtlich Industrie 4.0, technologische Singularität oder Transhumanismus halte ich für überzogen und illusionär (siehe meine Ausführungen zu 'Digitalisierung' im Essay 'Einsicht ins Ich' in diesem Blog). Die derzeitigen Technologie orientierten, gesellschaftlichen Entwicklungen in Japan, Südkorea und China werden zu wertvollen Erkenntnissen beitragen. Übrigen hätte sich Lenin gefreut und es freuen sich die politischen 'heutigen Jünger Lenins in China und Nordkorea' über die Möglichkeiten, ihre Bevölkerungen mittels 'digitaler' Anwendungen zu kontrollieren. Von nordkoreanischen Informatikern wird sogar vermutet, dass sie sich auf das Hacken digitalisierter' Systeme spezialisiert haben, um Staatsaufgaben zu finanzieren.
Übrigens, 3Sat hat eine Dokumentation „Das Ende des Zufalls - Die Macht der Algorithmen“ gesendet. Sie ist geeignet, das heutige Phänomen 'Digitalisierung' besser zu verstehen.
(http://www.3sat.de/page/?source=/wissenschaftsdoku/sendungen/180296/index.html)
Philipp Riederle bemüht sich in seinem Buch, die Nicht-Nutzung digitaler Medien als antiquiert oder weltfremd darzustellen. Mehrmals beutzt er als Beispiel, dass wohl niemand, der noch bei Trost ist, auf die Idee käme, ein Taxi per Brief zu bestellen.
AntwortenLöschenWie sehr ein derartiger Vergleich daneben gehen kann, wurde mir klar, als ich an einen Unfall dachte, der sich 1889 in meinem Heimatdorf ereignete. Als der Sohn des Schlosspächters mit dem Arm in eine wassergetriebene Dreschmaschine geriet, waren innerhalb kürzester Zeit drei Ärzte aus zwei verschiedenen Nachbarstädten da. Sie waren telegraphisch herbei gerufenen worden. Auch in den Jahren danach standen Kommunikationsmittel zur Verfügung (z.B. das analoge Telefon), die schneller waren als ein Brief. Ein digitales Telefon oder das Internet hätten die Situation kaum verbessert.
Wäre es nicht Teil der professionellen Verantwortung von Informatikern und ihrer Fachorganisation dafür zu sorgen, dass die offensichtliche Sprachverwirrung bekämpft oder eingedämmt wird? Inzwischen sind nämlich nicht nur Menschen und Organisatioen digital, obwohl sie aus analogen Bestandteilen bestehen, sondern auch Anwendungen, die analoge Medien benutzen. Sich damit herauszureden, dass das dumme Volk bestimmt, was Sache ist, sollte man nicht akzeptieren.
Kleine historische Reminiszenz. Das Wort ‚digital‘ ist lateinischen Ursprungs. ‚Digitalis‘ ist auch heute noch der lateinische Name einer Pflanze, die bei uns Fingerhut heißt. Griechen und Römer benutzten Buchstaben, um Ziffern zu bezeichnen. Eigene Zeichen für Ziffern hatten zuerst Inder und Araber. Seit dem Jahr 1000 nach Chr. wurden diese auch in Westeuropa verbreitet. Gerbert d’Aurillac, bekannt als Papst Silvester II., war daran maßgeblich beteiligt. Deshalb widmete ich ihm auch im August 2011 einen Beitrag in diesem Blog.
AntwortenLöschenDie erste Maschine, die durch einen in Lochkarten gestanzten Code gesteuert wurde, war 1805 der Webstuhl von Joseph-Marie Jacquard. Herman Hollerith erhielt 1895 ein Patent auf die von ihm erfundenen Lochkarten. Sie dienten der Datenspeicherung.
Mit diesen Lochkarten wurde der Rechner programmiert und gefüttert, an dem ich 1956 das Programmieren lernte. Das war mein Einstieg in die digitale Welt. Ich bin daher ein digitaler Einwanderer (engl. digital immigrant). Der Rechner (IBM 650) hatte eine biquinäre Zahlendarstellung. Mit Rechnern, die Ziffern rein binär darstellten, hatte ich es ab 1958 zu tun. Meine Kinder wurden in diese Welt hinein geboren. Sie sind daher digitale Eingeborene (engl. digital natives).