Im
Februar 2014 befasste ich mich in diesem Blog zum ersten Mal
ausführlich mit dem Phänomen Putinismus. Damals war der Begriff noch etwas
ungewohnt. Ich kam zu der folgenden Aussage:
Es gibt
in Russland offensichtlich keinen Schutz des privaten Eigentums oder anderer
Bürgerrechte. Es wird von häufigen Zwangsräumungen von Wohnungen und mehr oder
weniger willkürlichen Verhaftungen berichtet. Gewaltanwendung erscheint
unverzichtbar bei der Durchsetzung politischer Ziele. Kurz vor den Olympischen
Winterspielen wurde Chodorkowskij begnadigt und lebt inzwischen im Westen.
Bezüglich Korruption liegt Russland an der Weltspitze. Es gibt keinen
Mittelstand, nur Arme und Reiche (die berühmten Oligarchen). Eine
Bürgergesellschaft ist erst im Entstehen und konzentriert sich auf Moskau.
Vor
kurzem hat die Münchner Politologin Margareta Mommsen (*1938) eine neue Analyse des Systems Putin
vorgelegt, mit dem Titel Das Putin-Syndikat –
Russland im Griff der Geheimdienstler (2017, 251 S.).
Mommsen versucht darin, nicht nur den Werdegang von Wladimir Putin zu erklären,
sie bemüht sich auch, die Kräfte zu identifizieren, auf denen Putins Macht
beruht. Dies ist immer noch mit großen Unsicherheiten verbunden, ist aber nicht
desto weniger interessant.
Präsident im Design
Jelzin
hat bekanntlich 1999 einen allseits unbekannten ‚Leningrader Straßenjungen‘ namens
Putin zu seinem Nachfolger bestimmt. Er ließ damit den damaligen Favoriten
Boris Nemzow fallen. In der Wirtschaftskrise von 1998 hatten Oligarchen und
Reformer an Einfluss verloren. Außerdem rief die NATO durch die Bombardierung Serbiens
alte Ressentiments hervor und legte die Grundlage eines neuen Antiamerikanismus.
Als Leiter des Inlandsgeheimdienstes FSB kannte Putin das Land wie kein
anderer. Er konnte Jelzin Sicherheit und Straffreiheit gewähren. Dass er hart
gegen Terroristen vorgehen konnte, hatte er in Tschetschenien bewiesen.
Um
Putin beim russischen Volke bekannt zu machen, ersannen sich so genannte
Spinndoktoren eine Werbekampagne. Dabei soll Tony Blair als Design-Muster
gegolten haben, nach innen freundlich, nach außen hart. Die Bilder, die von
Putin in die Welt gesetzt wurden, zeigten ihn beim Judo, beim Schwimmen, beim
Reiten oder beim Kämpfen mit wilden Tieren.
Staat
am Haken des Geheimdienstes
Aus
russischer Sicht war die Perestroika verbunden mit dem Verfall der UdSSR als
Staat. Sowohl Geheimdienstler wie Oligarchen waren sich darin einig, dass dem
durch eine Wiedererstarkung des Staates entgegengewirkt werden müsste. Deshalb
gab sich Russland eine Verfassung, die Prinzipien der 5. Republik Frankreichs
und der USA kopierte. Die Macht des Präsidenten überragt die der Parteien und des
Parlaments. Das Besondere für Russland: Die Exekutive verlässt sich weitgehend
auf Sicherheitsleute. Putins Macht basiert – laut Mommsen – auf einem
Syndikat bestehend aus Geheimdienstlern (russ. Silowiki) und Wirtschaftsbossen
(meist Oligarchen genannt).
Als
Vergleich zu Sowjetregierungen wird auch oft von einem ‚Zweiten Politbüro‘
gesprochen. Als seine acht Mitglieder listet Mommsen die folgenden Namen: Sergei
Tschermessow, Juri Kowaltschuk, Sergei Schoigu, Dimitri Medwedew, Wjascheslew Wolodin,
Igor Setschin, Arkadi Rotenberg und Sergei Sobjanin. Nominell gelten vier als
Vertreter des FSB und vier als Vertreter der Wirtschaft, wobei unter den
letzteren einige aus dem FSB hervorgingen. Zwei Leute gelten als Kandidaten,
d.h. sie sind noch nicht vollberechtigt, nämlich Wiktor Solotow und Sergei Kirijenko.
Der Patriarch der orthodoxen Kirche, Kirill, gilt als Ehrenmitglied.
Schließlich sei die Kirche die geistige Klammer des Staates. Putin selbst sei
nur ‚primus inter pares‘. Selbst sieht sich Putin als Managerpräsident, als höchster Angestellter
Russlands.
Die
heutige Staatsform Russlands sei eine ‚imitierte Demokratie‘ – meinen Beobachter. Damit ähnle sie
den Systemen in Ungarn und der Türkei. Die Parteien und damit das Parlament
(russ. Duma) hätten keine politische Funktion, sondern bestenfalls eine administrative.
Das gelte insbesondere für die Partei ‘Einiges Russland‘, die über eine satte
Mehrheit im Parlament verfügt. Die KP spiele nur noch eine geduldete Außenseiterrolle.
Die Provinzen des Landes werden wie zu Sowjetzeiten von Moskau aus
kontrolliert. Fünf von sieben Regionalpräsidenten sind Generäle. Sie verwalten
ihre Provinzen wie Wehrbezirke.
Medwedew,
der Statthalter im Tandem
Von den
im vorigen Abschnitt genannten Namen ist uns Westlern eigentlich nur Medwedew
bekannt. Als Putin aufgrund der Verfassung (einem Zugeständnis an demokratische
Optik) nicht dreimal hintereinander Präsident werden konnte, tauschten sie die
Rollen. Medwedew wurde Staatspräsident und Putin Ministerpräsident. Medwedew ist der Sohn zweier Professoren und stammt aus Sotschi am
Schwarzen Meer. Auch er gilt als Nationalist, vertritt aber wesentlich
moderatere Positionen als Putin. Er forderte mehrmals Reformen und ging auf den
Westen zu. Er konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Er blieb als
Schaufensterpräsident in unserem Gedächtnis.
Als
2012 ein erneuter Ämtertausch durchgeführt wurde, der Putin wieder ins
Präsidentenamt hievte, kam es zu Demonstrationen. Diese wurden unter
anderem von Alexei Nawalny angeführt. Nawalny wurde dafür zu einer
Gefängnisstrafe verurteilt.
Staatsdoktrin
und Ukraine-Konflikt
In
mehreren Reden, unter anderem zum Jahreswechsel 2000, hat Putin Aussagen zur
Staatsdoktrin gemacht. Im Mittelpunkt steht die Betonung einer eigenen
russischen Zivilisation, unabhängig vom übrigen Europa, sowie das Bestreben als
Großmacht anerkannt zu werden. Damit verbunden ist der Glaube an einen starken
Staat, in dem die Regierung für Ordnung und Kontrolle sorgt. Da den USA
unterstellt wird, Russland klein und schwach halten zu wollen, nährt dies
den Antiamerikanismus.
Putin
selbst argumentierte in seinen frühen Jahren für eine Öffnung Russlands
gegenüber Europa. Als er dabei das erwartete Entgegenkommen vermisste, begann
für ihn die Suche nach der zivilisatorischen Einzigartigkeit Russlands. Da dies
sich auch für die Propaganda als wichtig erwies, erfolgte ein Schulterschluss
mit der orthodoxen Kirche. Den äußeren Anlass dazu boten die Frauen der Gruppe
Pussy Riot, als sie im Jahre 2011 mit ihrer provokanten Aktion in einer Kirche den
Patriarchen Kirill I. angriffen. Sie gaben der Regierung Gelegenheit, sie sehr
streng zu bestrafen. Die Botschaft lautete: Das christliche Russland lässt nicht zu,
was im verdorbenen und satanischen Westen an der Tagesordnung ist. Dazu gehört auch das
Verhältnis zu Schwulen und Lesben. In Schulbüchern werden bevorzugt Siegesmythen
aus der russischen Geschichte dargestellt. Sie begannen 1612 mit einem Sieg
über Polen, setzten sich 1812 fort mit dem Sieg über Napoleon, und 1945 mit dem
Sieg über Hitler-Deutschland. Der Sieg von 1918 sei von den Kommunisten verraten
worden.
Als
Gegenstück zur EU propagierte Russland plötzlich eine Eurasische Union für Wirtschaft
und Kultur. Vom Westen wurde dies diffamiert als der Versuch wieder Einfluss
auf die früheren Sowjetrepubliken und die Ostblockstaaten zu gewinnen. Russlands
Nachbar, die Ukraine, schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Putin bot
Wiktor Janukowytsch 15 Mrd. Euro an, wenn er sich nicht mit der EU assoziiere. Als
er Putins Willen erfüllte, kam es im November 2013 zum Maidan-Aufstand und der Vertreibung
Janukowytschs aus Kiew. Russland reagierte im März 2014 mit der Annexion der
Krim und den sich anschließenden Kämpfen in der Ostukraine. Diese kulminierten
im Juli 2014 im Abschuss des MH17-Fluges durch die Aufständigen. Putins Sympathie-Werte in Russland stiegen
dabei auf rund 80%. Die ‚Heimholung der Krim' vereinigte nicht nur Tauben und
Falken in Putins Umgebung, sondern das ganze Land.
Eklatante
Justizskandale
Wie
bereits im früheren Beitrag bemerkt, verfügen russische Bürger in ihrem Land
über so gut wie keinen Schutz von Leben und Eigentum. Mommsen erinnert an
einige Fälle, die auch in Deutschland bekannt wurden. Sehr bekannt ist der Fall des
Mickail Chodorkowski. Zuerst wurde er des Steuerbetrugs bezichtigt und seine
Firma Jukos ging an einen Staatskonzern (Rosneft) über. Nach mehrjähriger Haft
wurde er in einem zweiten Prozess der Bestechung beschuldigt. Dieser Prozess
wurde fehlerhaft geführt und politisch gesteuert (der Richter erhielt Telefonanrufe
aus dem Kreml). Chodorkowski kam durch die Vermittlung Hans Dietrich Genschers
frei und lebt jetzt im Westen.
Weniger
bekannt ist der Fall des Sergei Magnitzki. Als Wirtschaftsprüfer deckte er
einen Steuerbetrug in Ministerien auf. Es wurden rund 230 Mio. Dollar an
Steuer-Rückzahlungen gewährt. Magnitzki wurde verhaftet, im Gefängnis gefoltert
bis er dort 2009 starb. Er wurde 37 Jahre alt. Der US-Senat verhängte Einreiseverbote
gegen alle Beteiligten, was Putin mit Gegenmaßnahmen beantwortete.
Die
Journalistin Anna Politkowskaja hatte kritisch über Putin und den Krieg in
Tschetschenien berichtet. Sie wurde im Jahre 2006 in ihrer Moskauer Wohnung
erschossen. Als Täter wurden Tschetschenen angeklagt und verurteilt. Auf
dasselbe Täterprofil führt der im Jahre 2015 nahe am Kreml erfolgte Mord an
Boris Nemzow. Auch hier wurden Tschetschenen verdächtigt. Putin soll sich danach
zwei Wochen lang aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben.
Auftritt
auf Weltbühne
Ein
neues Element scheint erst in den letzten Jahren Eingang in Russlands Staatsdoktrin
gefunden zu haben. Es ist der Leitsatz, dass kein Weltproblem mehr ohne
Russland lösbar ist. Dem entsprechend engagierte sich Russland in Syrien. Wie
es scheint hat Russland damit die Rolle übernommen, die die USA lange Jahre innehatten.
Zur effektiveren Terrorbekämpfung baut Russland gerade eine so genannte Nationalgarde
auf. Sie soll eine Personalstärke von 400.000 Mann erhalten.
Als
Putins Sprachrohr bot Außenminister Sergei Lawrow 2016 der EU und den USA eine Kooperation 'auf Augenhöhe' an. Eine einzige Bedingung
sei von Nöten. Es dürfte keine Einmischung in innere Angelegenheiten stattfinden.
Auch dieses Mal war die Resonanz sehr lau. Westliche Diplomaten messen nämlich Russland
primär an seinem Anteil am weltweiten BIP. Er beträgt bescheidene 1,5%. Dass
Russland auf solche Behandlung sehr leicht beleidigt reagiert, macht die Dinge
nicht einfacher.
Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2015 betrug für die EU-28 26,3%, die USA 25,4%, China 10% und für alle andern Staaten 38,3%. Absolut betrug das weltweite BIP 59,7 Billionen US-Dollar.
AntwortenLöschenAm 18. März wird Russland einen neuen Präsidenten wählen. Außer Putin stehen mehrere Kandidaten zur Wahl. Der einzig ernst zu nehmende Gegenkandidat zu Putin war Alexei Nawalny. Er wurde jedoch vom Wahlleiter ausgeschlossen, mit der Begründung, dass er vorbestraft sei. Nawalny hatte vor allem der Korruption den Kampf angesagt, und u.a. Medwedews Reichtum angeprangert. Er hatte bereits in 84 Städten Unterstützerbüros eingerichet.
AntwortenLöschenDer Stadtrat von Washington DC hat beschlossen, den Platz vor der russischen Botschaft in Boris-Nemzow-Plaza umzubenennen. Putin sei ‚not amused‘.
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