Donnerstag, 4. Januar 2018

Putin zwischen Geheimdienstlern und Oligarchen

Im Februar 2014 befasste ich mich in diesem Blog zum ersten Mal ausführlich mit dem Phänomen Putinismus. Damals war der Begriff noch etwas ungewohnt. Ich kam zu der folgenden Aussage:

Es gibt in Russland offensichtlich keinen Schutz des privaten Eigentums oder anderer Bürgerrechte. Es wird von häufigen Zwangsräumungen von Wohnungen und mehr oder weniger willkürlichen Verhaftungen berichtet. Gewaltanwendung erscheint unverzichtbar bei der Durchsetzung politischer Ziele. Kurz vor den Olympischen Winterspielen wurde Chodorkowskij begnadigt und lebt inzwischen im Westen. Bezüglich Korruption liegt Russland an der Weltspitze. Es gibt keinen Mittelstand, nur Arme und Reiche (die berühmten Oligarchen). Eine Bürgergesellschaft ist erst im Entstehen und konzentriert sich auf Moskau.

Vor kurzem hat die Münchner Politologin Margareta Mommsen  (*1938) eine neue Analyse des Systems Putin vorgelegt, mit dem Titel  Das Putin-Syndikat  –  Russland im Griff der Geheimdienstler  (2017,  251  S.). Mommsen versucht darin, nicht nur den Werdegang von Wladimir Putin zu erklären, sie bemüht sich auch, die Kräfte zu identifizieren, auf denen Putins Macht beruht. Dies ist immer noch mit großen Unsicherheiten verbunden, ist aber nicht desto weniger interessant.

Präsident im Design

Jelzin hat bekanntlich 1999 einen allseits unbekannten ‚Leningrader Straßenjungen‘ namens Putin zu seinem Nachfolger bestimmt. Er ließ damit den damaligen Favoriten Boris Nemzow fallen. In der Wirtschaftskrise von 1998 hatten Oligarchen und Reformer an Einfluss verloren. Außerdem rief die NATO durch die Bombardierung Serbiens alte Ressentiments hervor und legte die Grundlage eines neuen Antiamerikanismus. Als Leiter des Inlandsgeheimdienstes FSB kannte Putin das Land wie kein anderer. Er konnte Jelzin Sicherheit und Straffreiheit gewähren. Dass er hart gegen Terroristen vorgehen konnte, hatte er in Tschetschenien bewiesen.

Um Putin beim russischen Volke bekannt zu machen, ersannen sich so genannte Spinndoktoren eine Werbekampagne. Dabei soll Tony Blair als Design-Muster gegolten haben, nach innen freundlich, nach außen hart. Die Bilder, die von Putin in die Welt gesetzt wurden, zeigten ihn beim Judo, beim Schwimmen, beim Reiten oder beim Kämpfen mit wilden Tieren.

Staat am Haken des Geheimdienstes

Aus russischer Sicht war die Perestroika verbunden mit dem Verfall der UdSSR als Staat. Sowohl Geheimdienstler wie Oligarchen waren sich darin einig, dass dem durch eine Wiedererstarkung des Staates entgegengewirkt werden müsste. Deshalb gab sich Russland eine Verfassung, die Prinzipien der 5. Republik Frankreichs und der USA kopierte. Die Macht des Präsidenten überragt die der Parteien und des Parlaments. Das Besondere für Russland: Die Exekutive verlässt sich weitgehend auf Sicherheitsleute. Putins Macht basiert – laut Mommsen – auf einem Syndikat bestehend aus Geheimdienstlern (russ. Silowiki) und Wirtschaftsbossen (meist Oligarchen genannt).

Als Vergleich zu Sowjetregierungen wird auch oft von einem ‚Zweiten Politbüro‘ gesprochen. Als seine acht Mitglieder listet Mommsen die folgenden Namen: Sergei Tschermessow, Juri Kowaltschuk, Sergei Schoigu, Dimitri Medwedew, Wjascheslew Wolodin, Igor Setschin, Arkadi Rotenberg und Sergei Sobjanin. Nominell gelten vier als Vertreter des FSB und vier als Vertreter der Wirtschaft, wobei unter den letzteren einige aus dem FSB hervorgingen. Zwei Leute gelten als Kandidaten, d.h. sie sind noch nicht vollberechtigt, nämlich Wiktor Solotow und Sergei Kirijenko. Der Patriarch der orthodoxen Kirche, Kirill, gilt als Ehrenmitglied. Schließlich sei die Kirche die geistige Klammer des Staates. Putin selbst sei nur ‚primus inter pares‘. Selbst sieht sich Putin als Managerpräsident, als höchster Angestellter Russlands.

Die heutige Staatsform Russlands sei eine ‚imitierte Demokratie‘ – meinen Beobachter. Damit ähnle sie den Systemen in Ungarn und der Türkei. Die Parteien und damit das Parlament (russ. Duma) hätten keine politische Funktion, sondern bestenfalls eine administrative. Das gelte insbesondere für die Partei ‘Einiges Russland‘, die über eine satte Mehrheit im Parlament verfügt. Die KP spiele nur noch eine geduldete Außenseiterrolle. Die Provinzen des Landes werden wie zu Sowjetzeiten von Moskau aus kontrolliert. Fünf von sieben Regionalpräsidenten sind Generäle. Sie verwalten ihre Provinzen wie Wehrbezirke.

Medwedew, der Statthalter im Tandem

Von den im vorigen Abschnitt genannten Namen ist uns Westlern eigentlich nur Medwedew bekannt. Als Putin aufgrund der Verfassung (einem Zugeständnis an demokratische Optik) nicht dreimal hintereinander Präsident werden konnte, tauschten sie die Rollen. Medwedew wurde Staatspräsident und Putin Ministerpräsident. Medwedew ist der Sohn zweier Professoren und stammt aus Sotschi am Schwarzen Meer. Auch er gilt als Nationalist, vertritt aber wesentlich moderatere Positionen als Putin. Er forderte mehrmals Reformen und ging auf den Westen zu. Er konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Er blieb als Schaufensterpräsident in unserem Gedächtnis.

Als 2012 ein erneuter Ämtertausch durchgeführt wurde, der Putin wieder ins Präsidentenamt hievte, kam es zu Demonstrationen. Diese wurden unter anderem von Alexei Nawalny angeführt. Nawalny wurde dafür zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Staatsdoktrin und Ukraine-Konflikt

In mehreren Reden, unter anderem zum Jahreswechsel 2000, hat Putin Aussagen zur Staatsdoktrin gemacht. Im Mittelpunkt steht die Betonung einer eigenen russischen Zivilisation, unabhängig vom übrigen Europa, sowie das Bestreben als Großmacht anerkannt zu werden. Damit verbunden ist der Glaube an einen starken Staat, in dem die Regierung für Ordnung und Kontrolle sorgt. Da den USA unterstellt wird, Russland klein und schwach halten zu wollen, nährt dies den Antiamerikanismus.

Putin selbst argumentierte in seinen frühen Jahren für eine Öffnung Russlands gegenüber Europa. Als er dabei das erwartete Entgegenkommen vermisste, begann für ihn die Suche nach der zivilisatorischen Einzigartigkeit Russlands. Da dies sich auch für die Propaganda als wichtig erwies, erfolgte ein Schulterschluss mit der orthodoxen Kirche. Den äußeren Anlass dazu boten die Frauen der Gruppe Pussy Riot, als sie im Jahre 2011 mit ihrer provokanten Aktion in einer Kirche den Patriarchen Kirill I. angriffen. Sie gaben der Regierung Gelegenheit, sie sehr streng zu bestrafen. Die Botschaft lautete: Das christliche Russland lässt nicht zu, was im verdorbenen und satanischen Westen an der Tagesordnung ist. Dazu gehört auch das Verhältnis zu Schwulen und Lesben. In Schulbüchern werden bevorzugt Siegesmythen aus der russischen Geschichte dargestellt. Sie begannen 1612 mit einem Sieg über Polen, setzten sich 1812 fort mit dem Sieg über Napoleon, und 1945 mit dem Sieg über Hitler-Deutschland. Der Sieg von 1918 sei von den Kommunisten verraten worden.

Als Gegenstück zur EU propagierte Russland plötzlich eine Eurasische Union für Wirtschaft und Kultur. Vom Westen wurde dies diffamiert als der Versuch wieder Einfluss auf die früheren Sowjetrepubliken und die Ostblockstaaten zu gewinnen. Russlands Nachbar, die Ukraine, schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Putin bot Wiktor Janukowytsch 15 Mrd. Euro an, wenn er sich nicht mit der EU assoziiere. Als er Putins Willen erfüllte, kam es im November 2013 zum Maidan-Aufstand und der Vertreibung Janukowytschs aus Kiew. Russland reagierte im März 2014 mit der Annexion der Krim und den sich anschließenden Kämpfen in der Ostukraine. Diese kulminierten im Juli 2014 im Abschuss des MH17-Fluges durch die Aufständigen. Putins Sympathie-Werte in Russland stiegen dabei auf rund 80%. Die ‚Heimholung der Krim' vereinigte nicht nur Tauben und Falken in Putins Umgebung, sondern das ganze Land.

Eklatante Justizskandale

Wie bereits im früheren Beitrag bemerkt, verfügen russische Bürger in ihrem Land über so gut wie keinen Schutz von Leben und Eigentum. Mommsen erinnert an einige Fälle, die auch in Deutschland bekannt wurden. Sehr bekannt ist der Fall des Mickail Chodorkowski. Zuerst wurde er des Steuerbetrugs bezichtigt und seine Firma Jukos ging an einen Staatskonzern (Rosneft) über. Nach mehrjähriger Haft wurde er in einem zweiten Prozess der Bestechung beschuldigt. Dieser Prozess wurde fehlerhaft geführt und politisch gesteuert (der Richter erhielt Telefonanrufe aus dem Kreml). Chodorkowski kam durch die Vermittlung Hans Dietrich Genschers frei und lebt jetzt im Westen.

Weniger bekannt ist der Fall des Sergei Magnitzki. Als Wirtschaftsprüfer deckte er einen Steuerbetrug in Ministerien auf. Es wurden rund 230 Mio. Dollar an Steuer-Rückzahlungen gewährt. Magnitzki wurde verhaftet, im Gefängnis gefoltert bis er dort 2009 starb. Er wurde 37 Jahre alt. Der US-Senat verhängte Einreiseverbote gegen alle Beteiligten, was Putin mit Gegenmaßnahmen beantwortete.

Die Journalistin Anna Politkowskaja hatte kritisch über Putin und den Krieg in Tschetschenien berichtet. Sie wurde im Jahre 2006 in ihrer Moskauer Wohnung erschossen. Als Täter wurden Tschetschenen angeklagt und verurteilt. Auf dasselbe Täterprofil führt der im Jahre 2015 nahe am Kreml erfolgte Mord an Boris Nemzow. Auch hier wurden Tschetschenen verdächtigt. Putin soll sich danach zwei Wochen lang aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben.

Auftritt auf Weltbühne

Ein neues Element scheint erst in den letzten Jahren Eingang in Russlands Staatsdoktrin gefunden zu haben. Es ist der Leitsatz, dass kein Weltproblem mehr ohne Russland lösbar ist. Dem entsprechend engagierte sich Russland in Syrien. Wie es scheint hat Russland damit die Rolle übernommen, die die USA lange Jahre innehatten. Zur effektiveren Terrorbekämpfung baut Russland gerade eine so genannte Nationalgarde auf. Sie soll eine Personalstärke von 400.000 Mann erhalten.

Als Putins Sprachrohr bot Außenminister Sergei Lawrow 2016 der EU und den USA eine Kooperation 'auf Augenhöhe' an. Eine einzige Bedingung sei von Nöten. Es dürfte keine Einmischung in innere Angelegenheiten stattfinden. Auch dieses Mal war die Resonanz sehr lau. Westliche Diplomaten messen nämlich Russland primär an seinem Anteil am weltweiten BIP. Er beträgt bescheidene 1,5%. Dass Russland auf solche Behandlung sehr leicht beleidigt reagiert, macht die Dinge nicht einfacher.

3 Kommentare:

  1. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2015 betrug für die EU-28 26,3%, die USA 25,4%, China 10% und für alle andern Staaten 38,3%. Absolut betrug das weltweite BIP 59,7 Billionen US-Dollar.

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  2. Am 18. März wird Russland einen neuen Präsidenten wählen. Außer Putin stehen mehrere Kandidaten zur Wahl. Der einzig ernst zu nehmende Gegenkandidat zu Putin war Alexei Nawalny. Er wurde jedoch vom Wahlleiter ausgeschlossen, mit der Begründung, dass er vorbestraft sei. Nawalny hatte vor allem der Korruption den Kampf angesagt, und u.a. Medwedews Reichtum angeprangert. Er hatte bereits in 84 Städten Unterstützerbüros eingerichet.

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  3. Der Stadtrat von Washington DC hat beschlossen, den Platz vor der russischen Botschaft in Boris-Nemzow-Plaza umzubenennen. Putin sei ‚not amused‘.

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