Samstag, 24. März 2018

Facebook ‚revisited‘ – oder ein erneutes Draufsehen

Als Facebook im Mai 2012 an die Börse ging, setzte ich mich in diesem Blog mit dem eigenartigen Geschäftsmodell dieser Firma auseinander. Obwohl ich mich weder als Ökonom noch als professionellen Datenschützer ansehe, stellte ich damals mehrere Fragen:

Die Frage ist, welche Informationen darf Facebook auswerten und seinen Werbekunden zur Verfügung stellen. Die Grenze zur Verletzung der Privatsphäre liegt hier sehr nahe. Die Frage ist, wieweit es Facebook gelingt, diese Grenze zu verschieben, ohne auf Gegenwind zu stoßen. Hier liegt die Problematik von Facebook. Im Prospekt wird dies ignoriert bzw. heruntergespielt.

Fast sechs Jahre später sind die Antworten offensichtlich. Facebook dachte nie daran, sich ernsthaft zu fragen, ob das benutzte Geschäftsmodell Probleme haben könnte. Mark Zuckerberg und seine Freunde sind vermutlich zu naiv dazu. Dass sie absichtlich schluderten, will ich ihnen nicht unterstellen. Vermutlich hat der sagenhafte Erfolg dazu geführt, jedwede Fragen und Frager zurückzudrängen. Dafür dass ich entgegen meiner Intuition durch den Kauf von Facebook-Aktien an dem Erfolg teilhaben wollte, werde ich wohl bezahlen müssen. Vorwerfen kann ich dies mir nur selber.

Facebook besitzt derzeit über zwei Milliarden Nutzer in der Welt (genau 2,129 Mrd. in 2017). Das ist einsame Spitze. Natürlich sind Nutzer nicht dasselbe wie Kunden. Nur ein geringer Teil von ihnen hinterlässt Geld in Form von Umsätzen, sei es für Produkte oder Dienstleistungen. Wodurch sie wertvoll werden, sind ihre Daten. Deshalb sagt man ja auch, Daten seien das neue Gold des Internet.

Cambridge Analytica

Als ein Parasit, der das Geschäftsmodell von Facebook so richtig zu seinem Gunsten nutzte, steht heute die Firma Cambridge Analytica (CA) da. Sie ist das Musterbeispiel für das, was Facebook anrichten kann. Der Name der Firma soll die Nähe zur Wissenschaft ausdrücken. In Wirklichkeit bestimmen so schräge Typen wie Steve Bannon, was abläuft. Bannon ist ihr Vizepräsident. Er war bekanntlich Donald Trumps Wahlkampf-Manager. CA machte unter anderem psychografische Tests mit ihren Kunden. Um an eine breite Datenbasis zu gelangen, zahlte irgendjemand (vermutlich ein Trump-Fan) Facebook 50 Millionen US-Dollar für Daten über 50 Millionen Kunden. Das sind ein Dollar pro Kunde, vermutlich alles US-Kunden. Was die Daten umfassten ist mir nicht klar. Jedenfalls konnten aus ihnen Wählerprofile erstellt werden, anhand der das Trump-Team gezielte Hausbesuche machen konnte. Ganz neu war dies nicht. Auch Obama arbeitete mit ähnlichen Methoden, allerdings mit weniger umfangreichen Daten.

Kritik an Facebook

Facebook geriet durch den CA-Fall ins Zentrum der Kritik für alles, was aufgrund der neuen Medien schiefläuft. Nicht nur habe die Qualität der Internet-Inhalte abgenommen. Auch der Einfluss auf die Gesellschaft, auf die Politik, auf Märkte und auf Kinder wird immer mehr thematisiert. Ging es vor Monaten noch darum, Apple und Google wegen ihrer Marktposition zu beschneiden, stehen plötzlich Grundziele des Internet zur Diskussion. Die massenhafte, freie Verfügbarkeit von Information wird plötzlich nicht mehr als Segen für die Menschheit angesehen, sondern als eine Quelle von Irritation und Fehlleitung. Alle reden von ‚Fake news‘. ‚Alternative Fakten‘ sind das Unwort des Jahres 2017. Auch die Wissenschaft verliert ihre Aura der Unfehlbarkeit. Ja die Demokratie gerate überall in Gefahr.

Immer mehr Leute beginnen damit, vor der Nutzung der sozialen Medien zu warnen. Bald wird der Schrei ‚Zurück zum Papier!‘ durch die Straßen erschallen. Dass als nächstes Smartphones und Computer aus den Schulen verbannt werden, ist nicht mehr auszuschließen. ‚Aus der Sinnkrise ist eine Systemkrise geworden‘ schreibt Thomas Schulz im SPIEGEL (Heft 13/2018). Die sozialen Netze zerreißen die  (natürlichen) Strukturen der Gesellschaft, so laute ein neuer Vorwurf. Der Optimismus des Silicon Valleys stoße an seine Grenzen. Es sieht so aus, als ob einige Beteiligte an dem Internet-Boom zu fragen beginnen, ob ein Mehr an Information auch dazu führt, dass es der Menschheit immer besser geht. Von da ist es der nächste Schritt zu fragen, ob mehr Wissen immer von Vorteil ist. Eine Antwort zu beiden Fragen traue ich mir nicht zu geben. Jedenfalls sind sie sehr tiefgreifend. Sie sind eher eine Sache des Glaubens als des Wissens und Nachdenkens.

Mein Facebook-Universum

Ich bin ein ausgesprochen vorsichtiger Nutzer von Facebook. Ich bin dort seit 2011 registriert, und zwar mit einem Pseudonym (was an sich gegen die Geschäftsbedingungen von Facebook verstößt). Ich erhalte jede Woche etwa ein Dutzend Namen und Fotos von Leuten, die meine ‚Freunde‘ werden wollen. Hin und wieder akzeptierte ich jemanden. Es ist schon länger her, seit ich zuletzt einen neuen Freund hinzugewann.



Meine Facebook-Freunde

Von meinen inzwischen 35 Facebook-Freunden ragt eine Gruppe hervor. Das sind jugendliche Verwandte, also Kinder und Enkel meiner Geschwister. Mit ihnen korrespondiere ich fast nur über Facebook. Bei allen andern überwiegt der normale E-Mail-Verkehr. Meine Verlautbarungen an meine Facebook-Freunde beschränken sich auf 3-4 Hinweise pro Jahr auf interessante Funde im Internet. Ein Auswerter meiner Korrespondenz muss mich für eine Banause halten mit Interesse für einige skurrile Themen. Dass dieser Eindruck entsteht, ist nicht unbeabsichtigt. Wer mich näher kennt, liest ohnehin diesen Blog. Er erscheint bei Google. Googles Ruf ist bei vielen Leuten auch nicht gut, weil Google deren Geschäftsmodell untergräbt. Dabei geht Google meines Erachtens auf wesentlich weniger fragwürdige Weise vor als Facebook. Derzeit trage ich mich mit dem Gedanken, mein Facebook-Konto zu schließen. Auf Twitter verzichte ich bereits seit über einem Jahr.

Bescheidene Ratschläge

Wir Europäer müssen uns oft anhören, dass wir zu langsam und zu bescheiden sind. Wenn jetzt das Silicon Valley von Selbstzweifeln geplagt ist, kann das nur Gutes bringen. Leider besteht die Gefahr, dass der Ball des technischen Fortschritts dann anderswo aufgegriffen wird. Ganz liegen bleibt er nicht. In welcher Himmelsrichtung Ausschau zu halten ist, ist auch klar.

Vielleicht erübrigen sich bald die vielen Dienstreisen deutscher Unternehmer ins Silicon Valley. Anstatt nach technischen Revolutionen (wie Doro Bärs Flugtaxen) zu suchen, sollten wir das, was wir machen immer besser machen. Dazu gehört auch, dass wir uns um die Lösung derjenigen Probleme kümmern, die wir selbst verursacht haben. Dazu gehören nicht nur die Belastungen der Atmosphäre (vor allem durch den Straßenverkehr), sondern auch die Verschmutzungen der Ozeane (durch die Abfälle des Handels und des Konsums). Um an beiden Problemen etwas zu tun, müssen wir Deutsche allerdings nach internationalen Partnern suchen.

Nachtrag vom 24.3.2018

Gerhard Schimpf aus Pforzheim wies auf einen Artikel im Online-Magazin WIRED hin, der zum Blog-Beitrag passt. Er lautet: How to Manage All of Facebook's Privacy and Security Settings. Man kann ja nicht vorsichtig genug sein.

Nachtrag vom 29.3.2018

Je ein Autor der Süddeutschen Zeitung (SZ) plädiert für das Verlassen und das Verbleiben bei Facebook. Ich neige derzeit zur Reduzierung, d.h. dem partiellen Auszug. Dass die Neue Züricher Zeitung (NZZ) Facebooks Geschäftsmodell als genial bezeichnet, erscheint etwas seltsam. Vielleicht ist es auch schweizerischer Sarkasmus.


Dienstag, 20. März 2018

Von der Globalisierung zum Weltgewissen – zwei Seiten einer Medaille?

Bilder schaffen Eindrücke. Dieser Tage war es ein älterer Mann aus Afrin, im Norden Syriens, der zwei Söhne durch türkische Artilleriegranaten verloren hatte. Er schrie den Reporter an mit den Worten: ‚… und was tut die Weltgemeinschaft?‘ In Ost-Ghouta, im Süden Syriens, wurden gestern mindestens 15 Kinder sowie zwei Frauen bei einem von russischen Flugzeugen durchgeführten Luftangriff auf ihre Schule getötet. Baschar al-Assad, der Präsident des von seinem Clan beherrschten Landes, ließ sich am Steuer eines von ihm gelenkten PKWs in den Trümmern der Stadt fotografieren. Als eine Woche zuvor über einen Giftgasangriff der Regierungstruppen berichtet wurde, hieß es, die anschließend entstandenen Bilder seien zu hässlich, um sie im Fernsehen zu zeigen.

Globalisierungen

Jürgen Osterhammel (*1952) vertritt das Fach Globalgeschichte an der Universität Konstanz. In seinem neuesten Buch Die Flughöhe der Adler (2017, 300 S.) befasst er sich mit einigen Begriffen, die uns allen mehr oder weniger auf der Zunge liegen. Ein schönes Beispiel ist das Wort Globalisierung. Die amerikanische Kongressbibliothek (engl. library of congress) soll 9500 Bücher besitzen, alle erschienen zwischen 2000 und 2013 mit dem Substantiv ‚Globalisierung‘ im Titel. Nicht mitgezählt sind Bücher, die nur das Adjektiv ‚global‘ im Titel führen. Osterhammel meint es wäre besser, man würde das Wort in der Mehrzahl verwenden. Es gibt nämlich eine Vielzahl von Globalisierungen, je nach Fachgebiet und Aspekt. Meist wird auch die Vorsilbe Welt verwandt, wie in Weltliteratur oder Weltwirtschaft.

Historisch gesehen könnte von Globalisierung erst gesprochen werden, als im 15. Jahrhundert Portugiesen und Spanier die Grenzen des europäischen Kontinents überschritten. Der Blick nach außen allein genügte jedoch nicht. Es musste eine gewisse Form von Konnektivität etabliert werden, die sich fortentwickelte. Die Gründung von permanenten Niederlassungen und Handelsbeziehungen musste stattfinden. Selbst zu den Zeiten des holländischen und iberischen Welthandels im 16. und 17. Jahrhundert hätte das gesamte Handelsvolumen noch in zwei moderne Supertanker gepasst. Heute ist die zur Verfügung stehende Tonnage grenzenlos und die Transportkosten sind minimal. Die Ausbreitung des Christentums folgte den Heeren und Handelsrouten. Erfolge und Misserfolge wurden akribisch dokumentiert, so zum Beispiel vom Jesuitenorden. Dessen Zugang zum chinesischen bzw. mongolischen Hof war kein Problem, da man Wissen besaß, das begehrt war. Der Konvertierungserfolg blieb jedoch versagt.

Wenn das Internet als Verbindung zwischen Kontinenten hervorgehoben wird, wird leicht vergessen, dass die Verkabelung der Kontinente eine lange Vorgeschichte hat. Eine Weile waren Weltausstellungen der Maßstab für den Austausch von Kulturen. Fernreisen von Leuten wie Georg Forster und Alexander von Humboldt begeisterten zwischen 1770 und 1820 die Welt. Heute kann jeder Student oder Rentner dieselben Strecken zurücklegen. Eine Vielzahl von Leistungen und Maßstäben werden heute weltweit koordiniert. Zwei Beispiele sind sportliche Leistungen und Wettbewerbe, sowie das Shanghai-Ranking der Unis.

Globalisierung kann aktiv betrieben werden, sei es um Märkte zu erweitern oder um Ideen zu verbreiten. Sie kann auch erlitten werden, etwa durch die Verbreitung von Pandemien oder durch die Angleichung von Löhnen und Preisen. Sie wirkt im Sinne einer Konvergenz von Sitten und Gebräuchen, sowie einem Durchmischen von Ethnien und Sprachen.

Weltöffentlichkeit und Weltgemeinschaft

Auch den Begriff der Weltöffentlichkeit sollte man im Plural benutzen. Osterhammel sieht ein Beispiel in Friedrich Hölderlins (1770-1843) Schaffen. Der um 1770 begonnene Freiheitskampf der Griechen gegen die Türken hatte es ihm angetan. Sein Prosawerk Hyperion und mehrere Gedichte befassen sich damit. Genau wie Immanuel Kant sein Königsberg so hatte Hölderlin in seinen späten Jahren Tübingen nicht verlassen. Englische Autoren lieferten ihm die Details, mit denen er sich am Tübinger Neckarufer beschäftigte.

Ein Kosmopolit ist ein Mensch, dessen Interesse die ganze Welt umfasst. Als erstes ist er bereit, die Andersartigkeit anderer Menschen und anderer Kulturen anzuerkennen. Viel schwerer ist es von der Anerkennung zu Verantwortung überzugehen. Wieso soll ich mich verantwortlich für jemanden fühlen, der bewusst anders sein will als ich?

Aus Kants Altersschrift ‚Zum Ewigen Frieden von 1795 soll Woodrow Wilson 1919 einige Ideen geschöpft haben, die ihn zu Gründung des Völkerbunds bewogen. Den Anlass gab jedoch der erste Weltkrieg, dessen Schrecken die Welt entsetzten. Man glaubte in Zukunft derartige Gemetzel verhüten zu können. Es waren Deutschland, Italien und Japan, die in den 1930er Jahren den Völkerbund herausforderten und in aushöhlten. Die nach 1945 gegründeten Vereinten Nationen (UN) stehen in dessen Tradition.

Die UN hat in die letzten sechs Jahrzehnten die Weltpolitik mehr oder weniger geprägt. Sie hatte Erfolge und Misserfolge. Sie hat auch Hoffnungen geschaffen, die sich nicht erfüllen ließen. Es sind nicht nur die Großmächte China, Russland und die USA, die eigene Wege gehen wollen oder Interessen haben, die denen der übrigen Staaten entgegenstehen. Auch Kooperationen außerhalb der UN haben es nicht immer leicht. Man denke nur an den Sport und das Doping-Problem.

Von der Weltordnung zum Weltgewissen

Es war das Ergebnis langer Verhandlungen am Ende des 30-jährigen Krieges, die zur Westfälischen Weltordnung führte. Es war dies eine rein prozedurale, wertneutrale Weltordnung. Die darin vereinbarte Nichteinmischung in fremde Staaten ist immer noch die Basis des heutigen Völkerrechts. Wie Henry Kissinger ausführte, sind das minimalistische Vereinbarungen. ‚Macht ohne Moral führt zum Kräftemessen, Moral ohne Ausgewogenheit zu Kreuzzügen‘ meinte er.

Seit langem gibt es Diskussionen darüber, wie das Völkerrecht mit humanistischen Elementen angereichert werden kann. Am weitesten gehen in dieser Hinsicht die im Jahre 2005 definierte Schutzverantwortung (engl. responsibility to protect, Abk. R2P). Sie entsprang aus den Erfahrungen des Jahres 1994 in Ruanda, wo bei einem rein innerstaatlichen Gemetzel über eine halbe Million Menschen starben. Das Massaker von Srebenica von 1995 hatte eine ähnlich aufrüttelnde Wirkung. Es werden drei Pflichten unterschieden: 
  • Pflicht zur Prävention: Sie zielt auf die Vermeidung von Situationen, in denen es zu schweren Menschenrechtsverletzungen kommt, insbesondere durch den Aufbau einer guten Verwaltung und die Bekämpfung tiefverwurzelter Ursachen für Konflikte.
  • Pflicht zur Reaktion: Sie verpflichtet zu einer Beseitigung bzw. Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen. Mittel hierzu sind nicht-militärische Zwangsmaßnahmen der Staatengemeinschaft wie Waffenembargos und das Einfrieren von Bankkonten.
  • Pflicht zum Wiederaufbau: Sie verpflichtet schließlich zu einer Konfliktnachsorge. Wichtigste Mittel sind hierbei das Entwaffnen und Versöhnen ehemals verfeindeter Gruppen sowie der Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur. 
Dieser Vorschlag ist weit davon entfernt, zum bindenden Gesetzes-Code zu werden. Zum einen wird hier ein Widerspruch zur UN-Charter gesehen, andererseits wird wegen der Involvierung des Sicherheitsrates der politischen Willkür Tür und Tor geöffnet. Sofern Vetomächte wie die USA, China oder Russland beteiligt sind, kann die Weltgemeinschaft zum Debattierclub degenerieren – und nicht nur dann.

Durch die Nürnberger Prozesse wurde 1945 bekanntlich juristisches Neuland beschritten. Es wurden Politiker und Militärs verurteilt, die kein für sie à priori geltendes Recht verletzt hatten. Da ist der Haager Strafgerichtshof besser dran. Bisher wurden allerdings nur Urteile gegen Afrikaner oder Serben gefällt. Die Angehörigen der Großmächte bleiben verschont.

Schritt zurück oder Wendepunkt?

Die Richtung schien bisher immer zu mehr Globalisierung zu führen. Sie ist quasi ein Synonym für Modernität. Auch das ist nicht mehr sicher. Seit 2000 gibt es eindeutige Trends zur Deglobalisierung. Es findet eine Fragmentierung der Welt statt. Dazu bedarf es nicht erst eines Donald Trump. Auch die Wirtschaftskrise von 2008 verschaffte den Nationalstaaten eine neue Bedeutung.

Die USA haben ihre Rolle als Weltpolizist abgetreten. Weder in Afrin noch in Ost-Ghouta sind sie beteiligt, zumindest nicht direkt. Wenn es so scheint, als ob Erdogan und Putin an ihre Stelle traten, ist dies keine Verbesserung egal auf welcher Seite sie stehen. Gegen die Politik der USA wurde wenigstens hin und wieder auf unseren Straßen protestiert. Wenn sich protestieren nicht mehr lohnt, ist dies ein sehr bedrohliches Zeichen.

Mittwoch, 7. März 2018

Viele möchten, dass wieder regiert wird, Dorothee Bär und einige andere auch

Inzwischen ist es fast ein halbes Jahr her, seit das Wahlvolk gefragt wurde, von wem es regiert werden möchte. Bekanntlich war die Antwort nicht eindeutig. Sehr naheliegend erschien eine Farbkombination, die man Jamaika nannte. Als dieser Versuch an der unüberwindbaren Kluft zwischen Grünen und FDP scheiterte, empfahl der Bundespräsident, die Beziehung zwischen Union und SPD, Groko genannt, wiederaufleben zu lassen.

Groko, eine Art von Zwangsehe?

Die SPD sieht sich selbst als eine 150 Jahre alte Dame an. Mit ihr kann man nicht einfach herumspringen. Zuerst wurde sie von einem bärtigen Flagellanten dazu überredet, in sich zu gehen, um durch staatlich finanzierte Rehabilitation wieder zu Kräften zu gelangen. Nachdem sie ihren Freier des Wortbruchs überführt und abgeschüttelt hatte, befragte sie ihren Teil des Volkes, ob sie tun dürfe, was sie müsste. Rund 66 % reagierten vernünftig. Fast 34% taten es nicht. Sie folgten Kevin Kühnert, einem Jungsozi, dem das Land egal ist. Hauptsache die Partei vergnügt sich.

Jetzt kann die SPD aber immer noch nicht regieren. Sie muss weiter Nabelschau betreiben. Der amtierende Vorsitzende und die Designata müssen sich klarwerden, ob sie Sigmar Gabriel als Außenminister ertragen wollen. Der machte sich unbeliebt, als er seine 6-jährige Tochter zitierte. Er sei nicht teamfähig – so heißt es jetzt. Andrea Nahles meint damit, dass er sich von ihr nichts sagen lässt. Das muss jetzt aber in Ruhe geklärt werden. Deutschland darf warten, Europa auch.
Akteurin im Startloch

Andere Parteien haben diese Probleme nicht. Weder CDU noch CSU. Die CSU-Politikerin Dorothee Bär (*1978) ist Mutter dreier kleiner Kinder und Frau des Landrats von Hof. Sie ist designierte Staatsministerin für Digitales in der nächsten Bundesregierung. Als sie dieser Tage für die Heute-Nachrichten des ZDF interviewt wurde, legte sie so richtig los.

Auf die Frage der Journalistin Marietta Slomka nach dem lahmen Breitbandausbau in Deutschland, der insbesondere ländliche Regionen benachteilige, ging Bär nicht unmittelbar ein. Sie sagte vielmehr, dass man die Frage der Digitalisierung nicht auf die Breitbandfrage verengen dürfe. Man müsse weiter denken: "Kann ich mit dieser Infrastruktur, die wir dann haben, auch mal autonom fahren? Habe ich die Möglichkeit zum Beispiel auch mit einem Flugtaxi durch die Gegend zu können?"

Damit hatte sie natürlich die volle Aufmerksamkeit in den sozialen Medien erreicht. Programmieren müsse in die Lehrpläne der Grundschulen, es sei so wichtig wie Lesen und Schreiben. Ähnlich zu Sport und Musikgymnasien müsse es auch Digitalgymnasien geben. Wer wagt es da noch zu sagen, Doro Bär sei keine überzeugte, ja fanatische Digitalisiererin? Mir scheint es, dass da jemand vor lauter Enthusiasmus etwas den Blick auf die Realität verloren hat. Politikern sei dies verziehen. Ein paar Followers mehr ist doch ganz gut.

Sicht einer Fachgesellschaft

In dieser Situation ruht unsere ganze Hoffnung bei den Fachleuten. Sie sollten die Dinge richtig stellen. In einer Verlautbarung der Gesellschaft für Informatik (GI) von dieser Woche hieß es:

Denn digitale Bildung kommt nicht mit dem Möbelwagen. Der Fokus auf Ausstattung und Infrastruktur ist zu kurz gedacht. Die unangenehme Wahrheit ist: Der Handlungsbedarf bei der Lehrerqualifikation ist enorm. Die Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern in Bezug auf digitale Medien reicht nicht aus. Schulen brauchen auch Lehrkräfte mit fundierter informatischer Qualifikation. Wir können nicht erwarten, dass alle Lehrerinnen und Lehrer die gesellschaftlich erforderliche informatische Bildung zusätzlich in ihre Fächer integrieren können oder wollen.

Dazu ist zu bemerken: Manche Kollegen scheinen nicht akzeptieren zu wollen, dass unsere Technik ihre Anwendung und Verbreitung dadurch vergrößert, dass sie inzwischen Nutzer gewinnt, ohne dass Lehrer im Lieferwagen mit eingepackt werden müssen. Früher, d.h. vor 50 Jahren, da mussten Stöße von Büchern mit geliefert werden. Wo es ohne gute Ausbildung partout nicht geht, das ist bei der Entwicklung neuer Technik. Das scheint aber nicht gemeint zu sein. Das Bild des Möbelwagens ist auch etwas unpassend, da es sich in der Informatik heute um Produkte handelt, die man im Ohr tragen kann.

Realistische Perspektiven

Alle Versuche, einer bestimmten Technik durch staatliche Maßnahmen einen entscheidenden Impuls zu geben, sind meistens fehlgeschlagen. Das betrifft sowohl deren Akzeptanz wie ihre Breitenwirkung. Technik wird dann akzeptiert, wenn sie eine genügende Reife hat, um einen Bedarf verlässlich genug abzudecken. Die einschlägige Industrie muss dies machen. Eine reife Technik macht Investitionen in die Schulung von Nutzern überflüssig. Sie passt sich ihren Nutzern an. Entschließt sich die Industrie die gesamte Produktion in den Norden Chinas zu verlegen, wie es bei allen Smartphones geschehen ist, darf die politische Gesamtwetterlage dem nicht entgegenstehen. Wer viel mehr von der Politik erhofft, verplempert nach meiner Meinung nur seine Zeit.

Eine Technik kann für Spiele früher akzeptabel sein als für Anwendungen, von denen Leib und Leben abhängen. Betrachten wir als Beispiel die oben erwähnten ferngesteuerten Lufttaxen. Als Drohnen dienen sie heute vor allem als Spielzeuge. Als Träger von Kameras können sie auch sonst unzugängliche oder gefährliche Gebiete überfliegen und Erkundungsdaten liefern. Sie können auch Waffen oder Sprengladungen transportieren und zum Einsatz bringen. Ehe sie in großem Umfang für den Transport von Personen eingesetzt werden, können noch Jahrzehnte vergehen. Es sei denn, eine geschickte Propaganda betört den Verstand. Es wäre nicht das erste Mal, wie weiter unten ausgeführt.

Auch staatlich gesteuerte Schulungsmaßnahmen sind kein sicherer Faktor, was die Verbreitung einer neuen Technik betrifft. So sollen Länder wie Tunesien, aber auch Russland und Indien die Informatik-Ausbildung in Schulen weit vorangetrieben haben. Die so qualifizierten Menschen finden in ihrem Land jedoch nicht die Beschäftigung, die sie erwarten. In Tunesien löste ein Informatiker eine Revolution aus, indem er sich öffentlich verbrannte, da er keine adäquate Beschäftigung fand. Details beschrieb ich im März 2011 in diesem Blog. Anders ist es in Industrieländern, wo staatliche Bildungsmaßnahmen der dort aktiven Industrie helfen können. Bildungsapostel mögen mir diese ketzerische Sicht verzeihen.

Nächste zu erwartende Klagewelle

Der Gedanke an Flugtaxis ist auch deshalb für mich so beunruhigend, da er von derselben Blindheit geschlagen zu sein scheint, die das Anhimmeln des Automobils bewirkte. Derzeit wird ein Skandal nach dem andern ans Licht des Weltbewusstseins gebracht. Im letzten Jahrzehnt war es Kohlendioxid, dann der Feinstaub, jetzt sind es die Stickoxide.

Ein Problem, um das seltsamerweise noch keine Kläger sich kümmern, drückt sich in den folgenden Zahlen aus. In Deutschland sterben jeden Tag 10 Menschen in Verkehrsunfällen. Im Jahre 2016 waren es 3.214. In Europa waren es 25.500. Das waren 7% weniger als im Jahr davor. Dazu kommen in Deutschland etwa 135.000 Schwerverletzte. Was ist dagegen schon der Effekt von ein bisschen Stickoxid?

Die Klugheit unserer Politiker scheint sich darin zu erschöpfen, immer wieder auf die Arbeitsplätze zu verweisen, die sie schaffen oder beschützen. Donald Trump ist nur insofern etwas Besonderes, weil er sich vorwiegend um Arbeitsplätze im Rostgürtel der USA und der Rüstungsindustrie kümmert. Das Silicon Valley interessiert ihn nicht. Die Leute dort wählen ihn ja nicht.

Nachtrag vom 10.3.2018

Da ist doch in den Medien eine echte Diskussion über Flugtaxis ausgebrochen. Wird es sie wirklich geben? Sind sie die Zukunft der Mobilität? Oder alles Quatsch? Wie gut, dass wir Doro, die Flugtaxen-Ministerin, haben.

Nachtrag am 15.3.2018
 
Bei der gestrigen Ernennung der Regierungsmitglieder hat Bundespräsident Steimeier dazu aufgefordert, verlorenes Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen. „Es ist gut, dass die Zeit der Ungewissheit und Verunsicherung vorbei ist“, sagte er.  „Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, wird ein schlichter Neuaufguss des Alten nicht genügen“, so Steinmeier.