Eine Besprechung in der Stuttgarter Zeitung veranlasste mich das neue Buch des Politikers und Kabarettisten Norbert Blüm zu lesen. Das Buch heißt ‚Ehrliche Arbeit: Ein Angriff auf den Finanzkapitalismus und seine Raffgier‘. In der Rezension stach vor allem der Satz hervor, dass Blüm der Ansicht sei, dass ehrliche Arbeit durch Informatik erschwert würde. Na, schon wieder ein Maschinenstürmer, dachte ich.
Im Buch kommt Blüm mehrmals auf die Rolle der Informatik zu sprechen. Geld seien heute weder Münzen noch Scheine, sondern Bits in großen Computern, so erklärt er die Welt. An der fraglichen Stelle (S. 109) schreibt er wörtlich: „Die Informatik entmaterialisiert die Arbeit“ und „…sie entstofflicht alle Produkte“. Er will damit sagen, dass einerseits der Bedarf an Rohstoffen reduziert wird und dass andererseits immer intelligentere Funktionen möglich sind. Ich bewerte beides als positive und durchaus zutreffende Feststellungen. Die Schlussfolgerung der Stuttgarter Zeitung ist daher nicht ganz richtig.
Bei den weiteren Aussagen zum Thema Informatik finde ich Blüms Exkursionen eher abenteuerlich, wenn nicht sogar schlicht absurd. So zitiert er Chris Anderson, den Chefredakteur der Online-Zeitschrift Wired, mit der Vorhersage (S. 54), dass das Internet zu einer Wirtschaft der Geschenke führen würde, wo geistiges Eigentum gefährdet ist und allen literarischen und musikalischen Angeboten der Boden entzogen würde. Diese Besorgnis haben auch schon andere Autoren zum Ausdruck gebracht, etwa Jaron Lanier in seinem Buch ‚You are not a Gadget‘, das ich letztes Jahr im Informatik-Spektrum besprochen hatte. War es dort noch eine Warnung vor einer möglichen Fehlentwicklung, so gibt es Blüm bereits als Fakt aus.
Recht ausführlich beschäftigt er sich mit Ray Kurzweils ‚Homo S@piens‘ von 1999 (S. 236). Er stellt dessen Vorhersage in den Raum, dass es bis 2099 keine Unterschiede mehr zwischen Menschen und Computern geben würde, und dass ein ewiges Leben möglich sei. Er schränkt Kurzweils Prognosen nur dadurch ein, dass er darauf verweist, dass Kurzweils Vorhersagen für 2009 wohl nicht ganz eingetroffen seien. Statt einem Dutzend hat jeder Mensch erst zwei Rechner am Leib. Er stellt also nicht Kurzweils Absurditäten infrage, sondern nur dessen Zeitschätzungen. Der einzige deutsche Autor, den er zitiert, ist Frank Schirrmacher. Ihre Sichten der Informatik scheinen sich zu decken. So befürchtet er auch, dass Computer unsere Gehirne ‚aussaugen‘, d.h. dass sie bald mehr wissen als wir Menschen.
Ganz mutig wird Blüm, wenn er feststellt, dass die Entwicklungen in der Informatik sich mit der philosophischen Sicht von Teilhard de Chardin deckten. Bekanntlich sah Teilhard eine Evolution am Werk, die nach und nach alles Materielle verdrängt, und zu einem rein geistigen Zielpunkt hin konvergiert. Das ist wohl eher als ein Zugeständnis an christliche Romantiker zu verstehen, die nicht locker lassen in ihrem Bestreben, Wissenschaft und religiösen Glauben miteinander zu versöhnen. Denkt man an die Diskussionen, die ich in den letzten Wochen über das Leib-Seele-Problem in diesem Blog führte, so ist dies eine ganz eigene Form des Monismus. Alles ist Geist und nicht Materie oder Energie.
Besorgt bin ich, dass Blüms Wissensquellen über die Informatik nicht die sind, die man sich wünscht. Daraus Blüm einen Vorwurf zu machen, wäre falsch. Wir Informatiker sind selbst Schuld. Wir müssen mehr ‚Geschichten erzählen‘, die die Leute auf der Straße verstehen und glauben.
Das Buch ist in einem sehr lockeren Stil geschrieben. Streckenweise hat Blüm die Form eines Dialogs mit seiner Enkeltochter gewählt, um zu erklären, wozu Geld da ist, und dass es (moralisch) besser ist selbst zu arbeiten als das Geld für sich arbeiten zu lassen. Offensichtlich legt er selbst eventuelle Rücklagen, die er fürs Alter macht, nicht auf ein Sparkonto, – dort könnte das Geld ja arbeiten – sondern in den Sparstrumpf. Die schlimmsten Gauner sind für ihn die Day Trader, die Zinsdifferenzen zwischen verschiedenen Anleihen zu Gewinn machen, und das noch mit Hilfe von Computern.
Dass er Thomas von Aquin genauso gut kennt wie Karl Marx war zu erwarten. Dass er für die Mitbestimmung und für Mindestlöhne plädiert, passt zu der von ihm in Talkshows vertretenen Politik. Schön sind Einsichten von der Art, dass nach Boden (für die agrare Wirtschaft), Kapital (für die industrielle Wirtschaft) und Arbeit (für die Dienstleistung) jetzt Wissen der maßgebliche Produktionsfaktor sei. Auch zu Jeremy Rifkins Prognose über das Ende der Arbeit von 1995 weiß er nichts Neues hinzuzufügen. Wenn wir keine Geldarbeit mehr benötigen, dann sollte man unbezahlte Sinnarbeit (Rifkin nannte es Bürgerarbeit) propagieren, da ja Arbeit für den Menschen wichtig ist, um zu sich selbst zu finden. Als Idealfall sieht er das Erwerbsleben seines Vaters an: zuerst Rennfahrer, dann Testfahrer und schließlich Busfahrer bei Opel. Auch da muss man ihm nicht folgen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.