Ehe ich auf den Bestseller von Timur Vermes (*1967) mit
dem Titel ‚Er ist wieder da‘ eingehe, möchte
ich kurz die Frage ansprechen, wie ich selbst Hitler erlebt habe und wie ich
ihn heute sehe.
Gesehen habe ich Hitler in Person ein einziges Mal am 27. August 1938,
als er nach einer Besichtigung von Westwallanlagen im Autokonvoy an meinem Elternhause
vorbeifuhr. Ich war fünf Jahre alt und besuchte noch nicht die Grundschule. Es
folgte der militärische Aufmarsch des Frankreich-Feldzugs, fünf Jahre Kriegswirtschaft
und Jabo-Angriffe und am Schluss die Rundstedt-Offensive. Danach lebte ich in
der französischen Besatzungszone, ging als Austauschstudent nach Amerika und
arbeitete anschließend 35 Jahre für eine internationale Firma.
Ich betrachte es als Glück, dass ich mich nicht mit dem Nazi-System
direkt auseinandersetzen musste, und dass ich von den Folgen des Krieges
weitgehend verschont blieb. Dennoch betrachte ich Hitlers Ideologie als eine
der größten Perversionen der europäischen Geschichte. Sein Einfluss überbietet
sowohl Friedrich den Großen wie Napoléon. Durch die weitgehend freiwillige
Gefolgschaft Hitlers hat sich das deutsche Volk große Schuld aufgeladen. Nicht
alle Zeitgenossen Hitlers trugen das gleiche Maß an Verantwortung. Völlig
wegleugnen lässt sie sich jedoch nicht. Deutschland wird auch weiterhin mit
Hitler in Bezug gesetzt, wie es etwa während der Euro-Krise deutlich wurde.
Neuartiges Hitlerbuch
Der Inhalt des Vermes-Buches ist in einem Wikipedia-Eintrag
vollständig wiedergegeben. Nur so viel: Hitler, der im Jahre 2011 auf einer
Wiese bei Berlin aufwacht, erzählt wie er versucht sich zu orientieren und wie
die Mitmenschen und vor allem die Medien ihm begegnen. Ein privater
Fernsehsender versucht mit ihm als Comedy-Star Quote zu machen. Hitler jedoch
glaubt, er hätte eine zweite Chance bekommen, seine historische Mission zu
erfüllen. Das Augenmerk des Autors ̶ und
die Pointe des Buches ̶ liegt in der Beschreibung der Reaktion auf
die neue Sendereihe. Einige namentlich genannte Politiker tun dies distanziert
und kühl, der Mann oder die Frau aus dem Volke teilweise mit Begeisterung. Die
extreme Rechte sieht sich diffamiert und reagiert mit Gewalt, d.h. mittels Schlagring.
Der neue Hitler wird außer Gefecht gesetzt, nachdem Drohungen durch anonyme
Briefe nicht wirkten (‚Hör auf, Du verfluchtes Judenschwein!').
Wirkung des Buches
Nach seiner Vorstellung auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2012 stieg
der Roman auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste. Er wurde über 400.000 Mal
verkauft (Stand Februar 2013) und in 27 Sprachen übersetzt. Über die
potentielle Wirkung des Buches wird lebhaft diskutiert. In der Süddeutschen
Zeitung (vom 9.1.2013) schrieb Cornelia Fiedler:
Allzu oft lässt sich der Autor dazu
hinreißen, seinen Hitler als humorigen Gesellen zu zeichnen und das wirkt
letztlich verharmlosend … Vermes scheint sehr darauf zu vertrauen, dass sein
Publikum schon auf der richtigen Seite stehen und in der Lage sein wird, das
Gelesene zu reflektieren. Das wiederum ist, vor allem angesichts seiner
intensiven Recherchen, politisch überraschend naiv.
Auf die Frage, wie er seinen Roman literarisch einordnen würde, meinte
der Autor, dass es sich am ehesten um einen Schelmenroman handeln würde. Dabei
fragt man sich unwillkürlich, mit welchen Schelmenromanen der
deutschen Literatur das Buch wohl vergleichbar sei. Mir fallen vor allem der
Simplicissimus ein, aber auch Till Eulenspiegel. Der moderne Schelmenroman
sieht sich als Anti-Bildungsroman. Der Held ist bildungs-resistent, um es
modern auszudrücken.
Politischer Rechtsextremismus
Dass durch das Vermes-Buch die Gefahr größer wird, dass junge Leute
nach dem Lesen von Hitlers Ideen angetan sind, halte ich für übertrieben. Viel
wichtiger ist die Frage, warum es in Deutschland überhaupt diese Form des Rechtsradikalismus gibt, der sich sogar mit den Fetischen der Nazis schmückt.
Ich habe dafür bis jetzt keine gute Erklärung gefunden.
Kann es sein, dass es sich dabei lediglich um eine Kompensierung von
linksradikalen Tendenzen handelt? Da diese sich vornehmlich in der akademischen
Jugend ausbreiteten, kann es sein, dass Teile, vor allem der nicht-akademischen
Jugend auf diese Art ihren Unterschied zum Ausdruck bringen möchten? Ich weiß
es nicht.
In dem Buch von Vermes sind Neonazis als verbohrt dargestellt. Das kann
man kaum als Werbung auffassen. Nachdem Hitler abwechselnd als Dämon,
tragischer Held und Volksverführer dargestellt wurde, warum nicht auch als
Schelm. Diese Freiheit sollte die Kunst haben. Es ist dies ganz im Sinne Schillers,
der meinte, dass die (Schauspiel-) Kunst vor allem das Volk belehren soll. Heute
akzeptieren wir, dass sie auch noch Geld verdienen will.
NB. Übrigens hat dieser
Tage der 50.000te Leser diesen Blog besucht. Im Januar dieses Jahres waren es
erst 35.000 gewesen. Offensichtlich steigt die Leserzahl immer noch
(geometrisch) an. Eine ausführliche Analyse werde ich vermutlich Ende Juni
vornehmen.
In the last year I read 3 books from this period - including Beasts in the Garden of Evil, Citizens of London. I am impressed with how unimaginable that disaster is to one looking from today. I have a very rich imagination - and it short circuits, blows fuses, and rolls over dead whenever I try to conjure up that period in my mind. Cities turned into fields of rubble piles, family tragedies in every house, horrific injuries, scary futures, hunger, millions of soldiers all over the world blasting away at each other ... unimaginable. I do not feel that it is progress to be able to make fun of characters from that period. The Chaplin movie had sense during the time, but today I find that such parody contributes to erasing what memory remains from that time.
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Calvin Arnason