Dienstag, 27. August 2013

Ethik für ‚Whistleblower‘ und wir anderen Leute

Ich hatte gleich zu Beginn der NSA-Affäre  ̶  für viele Leser etwas überraschend  ̶  eine Parallele gesehen zwischen Edward Snowden und Michael Kohlhaas. Ehe das öffentliche Interesse am Fall Snowden vom Treibsand der Medienereignisse total überdeckt wird, möchte ich meine ursprüngliche intuitive Reaktion noch einmal erklären. Ich hoffe, damit das Thema verlassen zu können.

Objektives Unrecht und subjektive Abwägung

Edward Snowden wurde persönlich Zeuge eines tausendfachen Rechtsbruchs. Zumindest empfand er es so. Er wollte sein Gewissen damit nicht belasten. Er wollte nicht der Mittäterschaft schuldig werden. Deshalb suchte er einen Weg in die Öffentlichkeit. Er bezieht sich dabei auf einen im amerikanischen Recht geläufigen Begriff des ‚Whistleblowers‘. Trotz mehrerer Anläufe ist dieser Tatbestand in Deutschland rechtlich nicht geklärt.

Ob es sich tatsächlich um einen Missbrauch gigantischen Umfangs handelt, wird möglicherweise von anderen Instanzen anders beurteilt als von dem Enthüller selbst. Weil Snowden dies ahnte, floh er zuerst nach Hongkong, danach nach Moskau. Hinsichtlich der  Sympathie, mit der er in der amerikanischen Öffentlichkeit rechnen konnte, hatte er dadurch seine Situation allerdings nicht verbessert. Kein Staat mit einer rechtsstaatlichen Tradition bot ihm Asyl an. Selbst der Hinweis eines Spiegelredakteurs (Ulrich Fichtner in Heft 37), dass  Angela Merkel mit einer Asylgewährung an Snowden die Chance hätte, aus dem Schatten Gerhard Schröders hervorzutreten, schien diese nicht zu überzeugen.

Persönlicher Preis und politischer Erfolg

Snowden musste sich im Klaren sein, dass er einen Preis zahlen musste. Ich halte ihn nämlich nicht für naiv. Vielleicht war ihm das aber gleichgültig und er wollte den Märtyrer spielen. Dass er zumindest den Schutz durch den amerikanischen Staat verlieren würde, damit musste er rechnen. Dass mittel- und südamerikanische Staaten ihm nur beschränkten Schutz bieten können, liegt auf der Hand. Die USA brauchen nicht einmal nach ihm zu suchen. Angesichts der zu erwartenden Belohnung würden Tausende von Lateinamerikaner das Geschäft gerne übernehmen.

Im Falle von China und Russland liegen die Dinge anders. Er wird zum Politikum auf höchster Ebene. China hatte kein Interesse, sein Verhältnis zu den USA zu verschlechtern. Es reichte die heiße Kartoffel weiter. Bei Russland ist die Situation anders. Putin hat keine Hemmungen, den USA Sticheleien zu versetzen. Wer weiß, welches Geschäft er eventuell herausschlagen will? Snowden ist damit zum Spielball der Großmächte verkümmert. Er hatte vorgesorgt, indem er einiges Material bei Freunden deponierte – vielleicht sogar alles.

Erreicht hat Snowden, dass die NSA in die Defensive geriet. Sie muss einige Hausaufgaben machen, die ihr sonst erspart geblieben wären. Sie muss dem amerikanischen Parlament, den Verbündeten und der Öffentlichkeit gegenüber belegen, dass Alles nur halb so schlimm ist. Sie wird einige Fehler einräumen – was sie bereits getan hat  ̶  und anschließend versuchen, sie abzustellen. Sie wird aber ihre Arbeit  nicht einstellen. Sie wird auch den fragenden Politikern (aus dem In- und Ausland) einige Fragen zu ihren Methoden und Werkzeugen beantworten.

Da Snowden nur Leiharbeiter und kein festangestellter Mitarbeiter war, wurde inzwischen allen Leiharbeitern bei der NSA gekündigt. Schlagartig standen 900 entlassene Systemadministratoren auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt. Zum Glück besitzen diese eine Qualifikation, die auch anderswo eingesetzt werden kann.

In politischer Hinsicht ist als Erfolg zu buchen, dass Obama angekündigt hat, dass er prüfen lässt, ob man zu den bisher völlig geheim tagenden FISA-Gerichten in Zukunft Anwälte als Verteidiger zulassen würde. FISA (Abk. für „Foreign Intelligence Surveillance Act“) heißt das nach dem 11. September 2001 beschlossene Gesetz, mit dem spezielle Gerichte etabliert wurden, die alles entscheiden, was Geheimdienste benötigen.

Außer der direkten gibt es eine indirekte Wirkung. Diese ist vermutlich enorm. Millionen begannen über die Sicherheit des Internet nachzudenken, so auch dieser Autor. Einige Firmen müssen sogar ihre Geschäftsmodelle neu durchdenken – so die Anbieter und die Nutzer von Cloud-Services. Auch das Topthema ‚Big Data‘ hat ein Geschmäckle bekommen.

Selbstaufopferung und Alternativen

Whistleblower genießen in Teilen der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen, weil sie für Transparenz sorgen und sich als Informanten selbst in Gefahr begeben oder anderweitige gravierende Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Arbeit riskieren.

So heißt es in Wikipedia. Fast immer enden derartige Helden auf tragische Weise. So erging es auch Michael Kohlhaas bei Kleist. Es kann einen mit Stolz erfüllen, für das Recht gekämpft zu haben. Es kann einen aber auch das Leben kosten.  Zum Nachdenken noch ein paar Hinweise.

Unsere Rechtsordnung verlangt nicht, dass man sich,  um Gutes zu tun, selbstlos opfert. Man muss sich nicht selbst in Gefahr bringen, will man ein Verbrechen aufklären. Das Recht auf ein unversehrtes Leben hat einen höheren Stellenwert. Man kann (und soll) seinen Verstand mit einsetzen. Das ist vergleichbar mit dem Zeugnisverweigerungsrecht. Unsere Prozessordnung (§383 ZPO) gibt nämlich einem Zeugen das Recht, seine Aussage ohne Angabe von Gründen zu verweigern, wenn er Gefahr läuft, sich selbst zu belasten.

Snowden hätte auch andere Möglichkeiten gehabt, die weniger gefährlich für ihn gewesen wären. Sie hätten vielleicht mehrere Wochen oder Monate Zeit in Anspruch genommen. Er wäre vielleicht auch nicht in die internationale Presse oder ins Fernsehen gekommen. Als Erstes hätte er das Arbeitsverhältnis regulär beenden können. Er hätte sich einem Abgeordneten, Juristen  oder Journalisten anvertrauen können. Diese können nicht gezwungen werden, einen Informanten zu verraten. Er muss sie allerdings überzeugen. Welches Material dafür erforderlich ist, ist eine entscheidende Frage. Unrechtmäßig erworbenes Beweismaterial ist immer schlecht. Fast alle Juristen übernehmen auch Aufträge gegen Bezahlung oder verteidigen Klienten, von deren Anliegen sie nicht überzeugt sind. Auch als Autor eines Buches (oder Blogs) kann man manchmal die Öffentlichkeit erreichen und genießt dabei den Schutz der freien Meinungsäußerung.

Fall Manning als Lehrstück

Es gibt eine Reihe von 'Whistleblowern‘, auf die immer wieder verwiesen wird. Der jüngste Fall ist der des Soldaten Bradley Manning. Er ist allerdings zu einem abschreckenden Beispiel geworden. Er hatte der Plattform WikiLeaks im Jahre 2010 Film-Material zugespielt, das ihm in Bagdad in die Hände gekommen war. Dazu gehörten Aufnahmen einer Hubschrauber-Besatzung, die den Beschuss von unbewaffneten Zivilisten zeigten. Trotz Demonstrationen, die seine Freilassung verlangten, wurde er am 21. August 2013 von einem Militärgericht zu 35 Jahren Haft verurteilt. Snowden wurde bereits zugesagt, dass er mit einem Zivilprozess rechnen könnte. Wenn seine Freunde ihm einen guten Anwalt besorgen, kann es sein, dass er mit einer geringen Strafe davon kommt. Ganz ohne Strafe, das wäre eine Sensation.

Fortsetzung folgt

Das Thema 'Ausspähen der Privatsphäre' wurde Ende Oktober wieder aufgegriffen.

1 Kommentar:

  1. Am 28.8.2013 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:

    Zur Philologie von „whistleblowing“.

    Während das entsprechende deutsche Wort „verpfeifen“ eindeutig aus der Gaunersprache stammt, scheint das beim englischen Wort „whistleblowing“ nicht der Fall zu sein, obwohl das Englische in Sachen Gaunersprache reich bestückt ist. „Whistleblowing“ ist umfassender. Neben dem Verpfeifen umfasst es auch das öffentliche Aufdecken von Missständen in der zivilen Welt.

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