Freitag, 13. Dezember 2013

Joachim Gauck: Mehr Bürgergesellschaft wagen!

Die obigen drei Worte bildeten den Titel der Theodor-Heuss-Gedächtnis-Vorlesung, mit der Bundespräsident Joachim Gauck am 12.12.2013 des 50. Todestags seines ersten Amtsvorgängers gedachte. Er hatte rund 900 Zuhörer in die zwei großen Hörsäle der Universität Stuttgart gelockt. Gauck hatte vorher zusammen mit Politikern aller Couleur das Grab von Theodor Heuss auf dem Stuttgarter Waldfriedhof besucht. Auch war er im Theodor-Heuss-Museum gewesen, das sich in Heuss‘ früherem Wohnhaus in Stuttgarter Hanglage (‚dem Heuss seinem Häusle‘, wie der Schwabe sagt) befindet.

Der Titel von Gaucks Vortrag, der auf Willy Brandts Regierungserklärung anspielte, war nicht nur sehr aktuell. Er erschien auch der besonderen Stuttgarter Situation angemessen zu sein. Zwei Teilaspekte des Themas, die in der aktuellen Diskussion eine große Rolle spielen, stellte er an den Anfang, Volksabstimmungen und Wahl des Bundespräsidenten. In beiden Fällen konnte er sich derselben Argumente bedienen, die bereits Theodor Heuss, einer der Verfasser unseres Grundgesetzes, benutzt hatte.

Volksabstimmungen gibt es nur in einigen Landesverfassungen, nicht jedoch auf Bundesebene. Den Verfechtern einer Einführung auf Bundesebene legte er nahe, sich über die Gründe klarzuwerden, die Heuss und seine Zeitgenossen bewogen, von diesem Verfassungsmittel Abstand zu nehmen. Bei einem Quorum von 20% können bereits 10% der Stimmberechtigten eine Entscheidung bestimmen. Eine solche Zustimmung ist leicht zu gewinnen, vor allem wenn es um emotional belegte Themen geht. Heuss stand unter dem Eindruck der Volksabstimmungen, die Hitler arrangiert hatte, etwa zum Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund. Das Thema Euro kann heute damit sehr gut verglichen werden. Selbst in der Schweiz, wo Volksabstimmungen zur demokratischen Tradition gehören, mehren sich die Stimmen, die darauf hinweisen, dass Demagogen es lieben, Themen, für die sie im Parlament keine Mehrheit bekommen können, dem Volk direkt vorzutragen.

Würde die Wahl des Bundespräsidenten direkt durch das Volk geschehen, würde dies – zumindest indirekt – ihm mehr Macht verleihen, als er aufgrund unserer Verfassung besitzt. Das Volk fühlte sich sogar mit Recht betrogen. Auch wenn er nicht die Richtlinien der Politik bestimmt, kann er wichtige Diskussionen anstoßen und beeinflussen. Genau so sieht auch Gauck dieses Amt.

Im Hauptteil der Rede ging er  ̶  bildlich gesprochen  ̶  mit Theodor Heuss zusammen durch unser Land. Er erinnerte daran, dass es heute eine Vielzahl von direkten Beteiligungsmöglichkeiten gibt, die Heuss und seine Zeitgenossen nicht kannten. Auch der aktuelle Koalitionsvertrag spricht von ihnen (Seite 151). Die Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltpolitisch relevanten Entscheidungen und an Verkehrsinfrastruktur- und Zukunftsprojekten ist schon fast selbstverständlich geworden  ̶  nicht zuletzt dank der Stuttgarter Erfahrungen. Die neuen Medien bewirken, dass insbesondere die Jugend sich besser informieren und einbringen kann.

Die Parlamentarier wie die Regierung können mit einer Schnelligkeit und in einem Umfang mit ihren Wählern interagieren, die man früher nicht für möglich gehalten hatte. Die repräsentative Demokratie hat sich ohne Zweifel bewährt. Es besteht kein Grund, ihre Vorteile nicht auszunutzen. Sie kann den Volkswillen sehr gut zum Ausdruck bringen. Vor allem aber ist ein Parlament in der Lage Kompromisse auszuhandeln. Ohne Kompromisse kommt eine Demokratie nicht aus. Sie leidet unterm 'ohne mich' und lebt vom 'mit uns', so drückte es Heuss einst aus.

Inhaltlich war diese Rede nicht ganz auf dem Niveau seiner Europa-Rede vom Februar 2013. Er hatte ja auch ein anderes Publikum vor sich. 

Die ungewöhnlichen Sicherheitsvorkehrungen, die das Bild der Veranstaltung bestimmten, waren etwas gewöhnungsbedürftig. Nicht neu war jedoch, dass man anschließend bei Wein und Brezel mit dem Referenten noch diskutieren konnte. Nur dass es diesmal unser Staatsoberhaupt war, dem die Rolle eines Bürgerpräsidenten nicht ungelegen zu sein schien.

3 Kommentare:

  1. Ein Tipp noch für Gehbehinderte: Es reicht nicht, wenn Sie einen Taxiunternehmer bitten, Sie am Ende einer vielbesuchten Veranstaltung wieder abzuholen. Ein gestriges Erlebnis hat mich klüger gemacht. Unser Taxi war zwar pünktlich nach Ende der Veranstaltung am verabredeten Ort. Als ein anderes Ehepaar das Taxi in Anspruch nehmen wollte, und nach unserem Namen gefragt wurde, nahm es diesen kurzerhand an. Als der Taxifahrer fragte, wieso die Richtung der Fahrt nicht dem entsprach, was ihm gesagt wurde, hieß es, man habe umgeplant. Nach gut einer halben Stunde durfte der inzwischen aufgeklärte Fahrer ein zweites Mal vorfahren. Ohne Handy hätte man noch länger gewartet.

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  2. Am 13.12.2013 schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:

    Das erste Thema für eine Volksbefragung wäre für mich: Die Funktion des Bundespräsidenten jeweils für ein halbes Jahr durch rotierende Ministerpräsidenten ersetzen und ihn selbst abschaffen! Welch unnützes Amt und welch peinliche Vertreter!

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  3. Am 15.12.2013 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:

    Ich habe vom Bau von international-vernetzten Großbahnhöfen streng genommen keine Ahnung und könnte zu Entwurf, Planung und Durchführung so gut wie nichts beitragen; Infantiles schon, wie Herr Geißler. Aber so etwas mache ich nicht, vielleicht aus Demut oder aus Angst vor einer Blamage, als arroganter Dummkopf dazustehen. Denn ich müsste mich mindestens ein ganzes Jahr mit dem Problem befassen, um auch nur eine ganz kleine, gehaltvolle Aussage machen zu können, obwohl ich seit Studienzeiten über technische Grundlagen verfüge. Die Beteiligung inkompetenter, unbelehrbarer Bürger, die aus dem Bauch heraus argumentieren und den Krawall suchen, ist ein teures Vergnügen und ist abzulehnen. Es sei denn, die Inkompetenten bezahlen den Schaden und nicht der Steuerzahler. Demokratie verlangt ein transsubjektives Problembewusstsein, das aufgeklärte Bürger sich erarbeiten müssen, und kein rohes subjektives Gefühl. „Es ist so bequem, unmündig zu sein“ sagte Kant in seiner auch von Herrn Geißler nur in pathetischer Absicht zitierten Schrift „ Was ist Aufklärung“(1784).

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