Fünf Firmen aus dem amerikanischen
Westen (Apple, Amazon, Facebook, Google und Intel) stellen eine geballte Macht
dar, die ihres gleichen sucht. Drei von ihnen (Amazon, Facebook, Google) sind
Neugründungen aus der Zeit des Dotcom-Booms der Jahrtausendwende, zwei sind rund 40 Jahre alt
(Apple, Intel). Oft sind diese Firmen Anlass für Bewunderung, öfters sind sie
ein Grund der Sorge. Von Sorge betroffen sind nicht nur die Mitbewerber aus der
IT-Branche, sondern alle Firmen in denjenigen Branchen, in welche die oben
genannten Firmen eingebrochen sind. Ihre Aggressivität missfällt. Das
Unwohlsein, vor allem unter deutschen Kommentatoren, beschränkt sich nicht auf
diese Vertreter der amerikanischen Industrie. Auch die amerikanische Regierung,
vertreten durch ihre Nachrichtendienste, findet keine uneingeschränkte
Zustimmung bei deutschen Medien und Bürgern.
Beispiel Amazon
Vor einigen Tagen sah ich bei Arte den
Film ‚Storyseller
- Wie Amazon den Buchmarkt aufmischt‘. Anhand zweier Beispiele wurde
gezeigt, wie eine deutsche und eine französische Autorin über Amazon mittels
E-Books Leser für ihre Erstlingswerke fanden. Nachdem sie bekannt waren, haben auch
klassische Verlage sich um sie bemüht. Beide Autorinnen waren des Lobes voll,
was die Verlage jetzt alles für sie täten, was Amazon nicht zu tun bereit war. Dass
kein Verlag die Autorinnen vorher beachtete, und erst Amazon ihnen als Anfänger
ein Sprungbrett bot, rückte in den Hintergrund. Die Verleger, die zu Wort kamen,
hatten Angst, dass Amazon im Rahmen des TTIP-Verhandlungen an der
Buchpreisbindung rütteln könnte. Da hofft man auf französische Unterstützung.
Ein Freund, der den Film auch gesehen hatte, schrieb dazu:
Über kurz oder lang werden wohl
konventionelle Verlage und Buchhandlungen den Kampf gegen On-line verlieren.
Eine Chance für ihr Überleben besteht darin, auf eine andere Qualität bei der
Selektion und Produktion von Büchern zu setzen. Qualität erfordert nach meinem
Verständnis professionelle Aufmerksamkeit und Kompetenz, das kann man nicht
kostenlosen Algorithmen überlassen. Ob das die Leser honorieren, darf aber
bezweifelt werden. Immerhin hat sich Amazon entschlossen, das Geschäft mit
gedruckten Büchern in eigener Regie beizubehalten. Allerdings mit anderen
Methoden als konventionelle Verleger mit der „Kompetenz“ für Qualität. Ich
mache mir Gedanken, ob bei einer möglichen Amazon Monopolposition am Ende die
Vielfalt der menschlichen Vorstellungen auf der Strecke bleibt. Es sieht
nämlich danach aus, dass populistische Meinungsbildung auf der ganzen Linie
(auch bei politischen Bewegungen und Parteien) die Oberhand gewinnen wird.
Ich persönlich rechne es Amazon hoch an,
dass sie als Erste erkannten, dass ein Online-Buchhändler seine Kunden besser
beraten kann als jeder noch so clevere Verkäufer. Wenn es hieß ‚Wer dieses Buch
kaufte, kaufte auch dieses andere Buch‘. empfand ich dies nicht als Verletzung
meiner Privatsphäre. Dass Amazon alle seine Leser zwingt, ein Spezialgerät
(namens Kindle) zu kaufen, um Bücher in einem proprietären Format zu lesen,
halte ich jedoch für eine sehr riskante Strategie. Wie lange sie aufgehen wird,
ist schwer zu sagen.
Beispiel Goggle
Nur Tage später las ich in der FAZ den
Offenen Brief von Mathias Döpfner an Eric Schmidt, den Aufsichtsratsvorsitzenden
und ehemaligen Geschäftsführer von Google. Schmidt hatte vorher (am 9.4.) in
der FAZ um Verständnis für Google geworben. Google bringe den Verlagen sowohl Leser
wie Werbeeinnahmen. Seit 2013 seien bereits 30 Milliarden US$ an Verlage
geflossen.
Döpfner leitet den Axel Springer-Verlag,
den Besitzer von ‚Bildzeitung‘ und ‚Welt‘. In einem mehrspaltigen Beitrag in der FAZ vom 16.4.2014 macht er sich zum Sprecher aller deutschen Verleger.
Er gibt zu, dass er von Google profitiert. Dennoch empfindet er Googles Macht
als zu groß. Er droht Google mit den europäischen Wettbewerbshütern, damit
eingestehend, dass zumindest in dieser Hinsicht eine europäische Aktion mehr
bewirken kann als eine rein deutsche. (So kurz vor der Europawahl mag diese Argumentation
weder CSU noch AfD gefallen). Döpfner schreibt zusammenfassend:
Lieber Eric Schmidt, Sie brauchen meinen
Rat nicht, und natürlich schreibe ich hier aus der Perspektive des Betroffenen.
Ich bin Partei. Als Profiteur von Googles Traffic. Als Profiteur von Googles
automatisierter Werbevermarktung. Und als potentielles Opfer von Googles
Datenwissen und Marktmacht. Dennoch: Weniger ist manchmal mehr. Und man kann
sich auch zu Tode siegen. Ein anderer Weg wäre die freiwillige
Selbstbeschränkung des Siegers. Ist es wirklich klug, zu warten, bis der erste
ernstzunehmende Politiker die Zerschlagung Googles fordert? Oder, noch
schlimmer: bis die Bürger Ihnen die Gefolgschaft verweigern – solange sie noch
können? Wir jedenfalls können es schon nicht mehr.
Statt einer Antwort von Eric Schmidt gab
es hierzu einen Kommentar von Jeff Jarvis am 16.4.2014 in dessen Blog. In meiner Übersetzung lautet der
entscheidende Satz:
Genau in dem Moment, in dem Berlin seine
Stärke als kreatives, technisches und unternehmerisches Kraftwerk entdeckt,
kommt ein Titan der alten Industrie und lässt sein Land technik- und wettbewerbsfeindlich, ja sogar leicht
antikapitalistisch erscheinen.
Mehrere Kommentatoren und
Fernseh-Diskussionen griffen inzwischen diese Diskussion auf und
beglückwünschten die FAZ, dass sie dieses (für deutsche Verleger und
Journalisten) so überaus wichtige Thema endlich in die Öffentlichkeit gebracht
habe. Zur Information sei hinzugefügt, dass jeder, der an dem Thema
interessiert ist, schon seit Mitte der 1990er Jahre das Jammern der Verleger
vernehmen konnte. In den letzten 20 Jahren haben nur wenige von denen, die ich
kenne, wirkliche Konsequenzen gezogen.
Wirtschaftliche und technische
Herausforderung
Das faszinierende, und zugleich
bedrohende aus deutscher Sicht ist die technische und betriebswirtschaftliche Kompetenz
der fünf erwähnten Firmen. Mit der Ausnahme von Amazon und Facebook hatten
diese Firmen ihre Wurzeln in dem einzigartigen technischen Biotop namens
Silicon Valley. Alle strahlen eine Dynamik aus, wie man sie in andern Gegenden
der USA oder anderswo auf der Welt nicht antrifft.
Dass ich technische und
betriebswirtschaftliche Kompetenz hier gleichzeitig betrachte, ist schon ein
Teil meiner Erkenntnis und meiner Überlegungen. Das eine geht nicht, ohne das
andere. Wo beides zusammenkommt, spricht man auch von Unternehmertum (engl. entrepreneurship). Am
Beispiel Google
lassen sich heute alle wichtigen Grundsätze des Unternehmertums lehren. Obwohl
niemand den Erfolg von Google vorhersagen konnte, kann ihn heute jeder Fachmann
erklären. Niemand braucht sich dessentwegen zu schämen. Am Anfang stand eine
technisch herausragende Erfindung. Der PageRank-Algorithmus, den inzwischen alle Informatik-Studierende
kennenlernen, ist mathematisch relativ uninteressant. Sein entscheidender
Vorteil ist, dass er das Problem der Bewertung von Texten nicht mit einer
Analyse des Inhalts versucht, wie Millionen dies vorher vergebens taten. Er
benutzt eine indirekte Methode. Er bewertet das umgebende Kommunikationsnetz.
Hätte man diese Idee nicht geschützt, hätten alle Entwickler von Suchmaschinen
sie sofort verwendet. Sie ist einfach zu gut, um sie unbeachtet liegen zu
lassen.
Nachdem Google erkannt hatte, dass es
für das Werbegeschäft die längst erhoffte technische Lösung besaß, flossen die
Geldströme. Damit konnte es eine Industriebranche nach der anderen umkrempeln
oder gar zerstören, wie Joseph Schumpeter zu sagen
pflegte. Diese Zerstörung begann in der Software-Industrie und setzte sich auf
andere Industrien fort. Da Google es nicht nötig hat, mit Suchmaschinen,
Sprachübersetzern, Betriebssystemen und dergleichen Geld zu verdienen, kann
dies (bald) auch niemand anderes mehr. In ganz ähnlicher Weise lässt sich der
Erfolg von Apple
erklären. Apple war lange eine Firma an der Peripherie unserer Branche, bis
dass Steve Jobs
bei seinem letzten Aufenthalt in der Firma sie an die Spitze der Branche katapultierte.
Er hatte technische Visionen, die er in Produkte für neue Märkte umsetzte.
Smartphones und Tablett-Rechner zerstörten den bisherigen Computer-Markt.
Natürlich hat der amerikanische Markt
bessere Möglichkeiten für Startups als der deutsche Markt. Dies zu leugnen, ist
so töricht wie zu leugnen, dass das Wetter in San Diego besser ist als in
Hamburg. Daran lässt sich nichts ändern. Das ist aber nicht der einzige Grund,
warum deutsches Wagniskapital vorwiegend nach Amerika fließt und nicht in Deutschland
eingesetzt wird. Junge Menschen in den USA werden nicht nur technisch
ausgebildet, sondern lernen es auch, unternehmerisch zu denken. In Deutschland
– darüber klagen viele – stehen Miesmacher und Kritiker oft im Zentrum des
Interesses. Lassen wir zu, dass sie die Szene beherrschen, sind wir es selbst
schuld.
Zum oben zitierten Streit der Verleger
mit Google noch soviel: Wenn es Unternehmen gibt, die noch ihre Werbemittel quasi
zum Fenster hinaus werfen, sie also Zeitungen und Fernsehsendern anvertrauen,
ist dies vergleichbar mit Ärzten, die ihre Medikamente dem Trinkwasser einer
Stadt beimischen, statt sie nahe an den Organen von erkrankten Patienten zu platzieren.
Das Bild soll bewusst übertreiben. Wenn ich Verleger über Googles Werbegeschäft
reden höre, drängt es sich jedoch auf. Es ist erstaunlich, wie gut es passt.
Politisches Verhalten
Viele Leute, die in den letzten neun
Monaten auf Amerika schimpften, dachten eher an die Regierung als an die
Industrie. Manche Beobachter neigen dazu, beide gleichzusetzen, oder zumindest
ihre Interessen. Seit Juni 2013 ist die Welt schockiert über die Bespitzelungen
durch die NSA und andere Geheimdienste. Was die Auswüchse zwar nicht
entschuldigt, aber erklärt, ist das Verhalten der Amerikaner zur Technik.
Die Bedrohungen des Landes durch die
9/11-Ereignisse erschütterten das Bewusstsein nationaler Sicherheit bis in ihre
Grundfesten. Die klassischen Methoden, die dazu dienten, das Land zu schützen,
hatten versagt. Man suchte neue, d.h. technische Lösungen. Da kam die
zunehmende Digitalisierung aller Kommunikation und ihre Konzentration in der
Hand amerikanischer Firmen gerade recht. Man entschloss sich, diese Option
technisch auszuloten, koste es, was es wolle. Bezogen auf den mit andern
Methoden verknüpften Verlust an Menschenleben, waren die Erfolge beeindruckend.
Schließlich war es Edward Snowdon, der die Kollateralschäden des neuen Ansatzes
sichtbar machte. Das wird zu einer Neujustierung führen. Es ist m. E. jedoch nicht
damit zu rechnen, dass die USA von dieser Form der Landesverteidigung wieder
abrücken werden.
Historische Reflektionen
Deutschlands Intelligenzschicht war
immer tief gespalten, wenn es um Amerika ging. Der Historiker Heinrich August Winkler spricht von Deutschlands langem Weg nach Westen, wenn
er die zwei Jahrhundert seit Napoléons Sieg 1806 bei Jena und Auerstedt Revue
passieren lässt. Den Ersten und den Zeiten Weltkrieg beendeten die Amerikaner
durch ihr Eingreifen auf der Seite von Deutschlands Gegnern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Care
Pakete und Rosinenbomber, aber auch die Ausbreitung von General Motors, Esso
und Coca Cola. Mit der von Helmut Schmidt eingeleiteten Raketen-Nachrüstung und
dem erfolglosen Vietnamkrieg formte sich eine geradezu militante Außerparlamentarische
Opposition in Deutschland. Unter George W. Bush prägte Donald Rumsfeld den Begriff
der alten Europäer, wozu er Deutsche und Franzosen rechnete. Der Autor Robert
Kagan benutzte 2003 das Bild der Amerikaner,
die vom Mars stammten, und der Europäer, die mehr von Venus beeinflusst seien.
Mit Barack Obama verbanden sich große Hoffnungen,
vor allem vor seiner Wahl. Er musste nach der Wahl, als die politische
Verantwortung seiner Herr wurde, weitgehend enttäuschen. Er beendete zwar den
Afghanistan-Krieg ohne Rücksicht auf Verluste. Das Gefangenenlager auf Guantánamo
jedoch wurde nicht geräumt, der Nahe Osten nicht befriedet. Von ihm hatte man
am allerwenigsten erwartet, dass er die von seinem Amtsvorgänger George W. Bush
eingeleiteten Bespitzelungen fortsetzen würde. Das Amt eines
Oberkommandierenden kann das Denken einer Person verändern. Jeder hat das Recht
dazulernen, selbst ein gewählter Präsident der Weltmacht USA.
IcelanderLight wrote on 26. April 2014 00:07
AntwortenLöschen1. The biggest achievement of Obama’s Presidency lies with the American People – that he could be elected at all. His own operational performance has been better than his predecessor (GWB) but has very little else to recommend it at a time when the country really needed wisdom and execution in its President.
2. America is not a literate country like Germany. The general population carries gaping holes of ignorance regarding history, geography, science, and current affairs. Recently a poll of 2066 Americans showed that only one in 6 was able to locate Ukraine on a map, and there was a positive correlation between distance of error and the opinion that military force should be considered in response to the Russian influence on the country – the guesses were all over the map – including Alaska – 5 were within the continental USA.
3. Germany and Germans still mean engineering/science/music and fascism to Americans. The latter would not be apparent [in general] in a meeting of a German with an American – but if it would still be lurking in the conscious/subconscious boundary without a real German in the mix. Without a Nazi template, Hollywood would be bereft of its favorite enemy model – a German accented scientist or power-mad psychopath – that has served the entertainment industry for decades – not just starting with Dr. Strangelove. The recent “Captain America” films fit the model as well (e.g., Baron Wolfgang Von Strucker). [btw - the other major movie enemy model - the insider traitor - is a legacy of Vietnam] Nevertheless - my expectation is that this blogger felt welcomed in America during his sojourn in the States. At least I hope so.
4. I personally find Amazon of enormous benefit in choosing what books I want to read, or not read. The enormous number of reviews are very helpful. Note it is not necessary to PURCHASE a Kindle from Amazon – I just use an Android Kindle application to read e-books from Amazon. The Amazon Cloud services are truly phenomenal – I was able to stand up a 2 server Windows Server+SQL plus a large collection of HP test tools in 4 hours – from scratch. For under <<$10 US for the hardware and Microsoft software. !!
5. Churchill claimed that 1940 was England’s finest hour. I think the post war years in Germany were much more than a Wirtschaftswunder and showed Germany at not only its productive best. I feel very fortunate to have experienced some of it.