Donnerstag, 24. April 2014

Deutsch-amerikanische Hassliebe oder immer nur neue Missverständnisse?

Fünf Firmen aus dem amerikanischen Westen (Apple, Amazon, Facebook, Google und Intel) stellen eine geballte Macht dar, die ihres gleichen sucht. Drei von ihnen (Amazon, Facebook, Google) sind Neugründungen aus der Zeit des Dotcom-Booms der Jahrtausendwende, zwei sind rund 40 Jahre alt (Apple, Intel). Oft sind diese Firmen Anlass für Bewunderung, öfters sind sie ein Grund der Sorge. Von Sorge betroffen sind nicht nur die Mitbewerber aus der IT-Branche, sondern alle Firmen in denjenigen Branchen, in welche die oben genannten Firmen eingebrochen sind. Ihre Aggressivität missfällt. Das Unwohlsein, vor allem unter deutschen Kommentatoren, beschränkt sich nicht auf diese Vertreter der amerikanischen Industrie. Auch die amerikanische Regierung, vertreten durch ihre Nachrichtendienste, findet keine uneingeschränkte Zustimmung bei deutschen Medien und Bürgern.

Beispiel Amazon

Vor einigen Tagen sah ich bei Arte den Film ‚Storyseller - Wie Amazon den Buchmarkt aufmischt‘. Anhand zweier Beispiele wurde gezeigt, wie eine deutsche und eine französische Autorin über Amazon mittels E-Books Leser für ihre Erstlingswerke fanden. Nachdem sie bekannt waren, haben auch klassische Verlage sich um sie bemüht. Beide Autorinnen waren des Lobes voll, was die Verlage jetzt alles für sie täten, was Amazon nicht zu tun bereit war. Dass kein Verlag die Autorinnen vorher beachtete, und erst Amazon ihnen als Anfänger ein Sprungbrett bot, rückte in den Hintergrund. Die Verleger, die zu Wort kamen, hatten Angst, dass Amazon im Rahmen des TTIP-Verhandlungen an der Buchpreisbindung rütteln könnte. Da hofft man auf französische Unterstützung. Ein Freund, der den Film auch gesehen hatte, schrieb dazu:

Über kurz oder lang werden wohl konventionelle Verlage und Buchhandlungen den Kampf gegen On-line verlieren. Eine Chance für ihr Überleben besteht darin, auf eine andere Qualität bei der Selektion und Produktion von Büchern zu setzen. Qualität erfordert nach meinem Verständnis professionelle Aufmerksamkeit und Kompetenz, das kann man nicht kostenlosen Algorithmen überlassen. Ob das die Leser honorieren, darf aber bezweifelt werden. Immerhin hat sich Amazon entschlossen, das Geschäft mit gedruckten Büchern in eigener Regie beizubehalten. Allerdings mit anderen Methoden als konventionelle Verleger mit der „Kompetenz“ für Qualität. Ich mache mir Gedanken, ob bei einer möglichen Amazon Monopolposition am Ende die Vielfalt der menschlichen Vorstellungen auf der Strecke bleibt. Es sieht nämlich danach aus, dass populistische Meinungsbildung auf der ganzen Linie (auch bei politischen Bewegungen und Parteien) die Oberhand gewinnen wird.

Ich persönlich rechne es Amazon hoch an, dass sie als Erste erkannten, dass ein Online-Buchhändler seine Kunden besser beraten kann als jeder noch so clevere Verkäufer. Wenn es hieß ‚Wer dieses Buch kaufte, kaufte auch dieses andere Buch‘. empfand ich dies nicht als Verletzung meiner Privatsphäre. Dass Amazon alle seine Leser zwingt, ein Spezialgerät (namens Kindle) zu kaufen, um Bücher in einem proprietären Format zu lesen, halte ich jedoch für eine sehr riskante Strategie. Wie lange sie aufgehen wird, ist schwer zu sagen.

Beispiel Goggle

Nur Tage später las ich in der FAZ den Offenen Brief von Mathias Döpfner an Eric Schmidt, den Aufsichtsratsvorsitzenden und ehemaligen Geschäftsführer von Google. Schmidt hatte vorher (am 9.4.) in der FAZ um Verständnis für Google geworben. Google bringe den Verlagen sowohl Leser wie Werbeeinnahmen. Seit 2013 seien bereits 30 Milliarden US$ an Verlage geflossen.

Döpfner leitet den Axel Springer-Verlag, den Besitzer von ‚Bildzeitung‘ und ‚Welt‘. In einem mehrspaltigen Beitrag in der FAZ vom 16.4.2014 macht er sich zum Sprecher aller deutschen Verleger. Er gibt zu, dass er von Google profitiert. Dennoch empfindet er Googles Macht als zu groß. Er droht Google mit den europäischen Wettbewerbshütern, damit eingestehend, dass zumindest in dieser Hinsicht eine europäische Aktion mehr bewirken kann als eine rein deutsche. (So kurz vor der Europawahl mag diese Argumentation weder CSU noch AfD gefallen). Döpfner schreibt zusammenfassend:

Lieber Eric Schmidt, Sie brauchen meinen Rat nicht, und natürlich schreibe ich hier aus der Perspektive des Betroffenen. Ich bin Partei. Als Profiteur von Googles Traffic. Als Profiteur von Googles automatisierter Werbevermarktung. Und als potentielles Opfer von Googles Datenwissen und Marktmacht. Dennoch: Weniger ist manchmal mehr. Und man kann sich auch zu Tode siegen. Ein anderer Weg wäre die freiwillige Selbstbeschränkung des Siegers. Ist es wirklich klug, zu warten, bis der erste ernstzunehmende Politiker die Zerschlagung Googles fordert? Oder, noch schlimmer: bis die Bürger Ihnen die Gefolgschaft verweigern – solange sie noch können? Wir jedenfalls können es schon nicht mehr.

Statt einer Antwort von Eric Schmidt gab es hierzu einen Kommentar von Jeff Jarvis am 16.4.2014 in dessen Blog. In meiner Übersetzung lautet der entscheidende Satz:

Genau in dem Moment, in dem Berlin seine Stärke als kreatives, technisches und unternehmerisches Kraftwerk entdeckt, kommt ein Titan der alten Industrie und lässt sein Land technik- und  wettbewerbsfeindlich, ja sogar leicht antikapitalistisch erscheinen.

Mehrere Kommentatoren und Fernseh-Diskussionen griffen inzwischen diese Diskussion auf und beglückwünschten die FAZ, dass sie dieses (für deutsche Verleger und Journalisten) so überaus wichtige Thema endlich in die Öffentlichkeit gebracht habe. Zur Information sei hinzugefügt, dass jeder, der an dem Thema interessiert ist, schon seit Mitte der 1990er Jahre das Jammern der Verleger vernehmen konnte. In den letzten 20 Jahren haben nur wenige von denen, die ich kenne, wirkliche Konsequenzen gezogen.

Wirtschaftliche und technische Herausforderung

Das faszinierende, und zugleich bedrohende aus deutscher Sicht ist die technische und betriebswirtschaftliche Kompetenz der fünf erwähnten Firmen. Mit der Ausnahme von Amazon und Facebook hatten diese Firmen ihre Wurzeln in dem einzigartigen technischen Biotop namens Silicon Valley. Alle strahlen eine Dynamik aus, wie man sie in andern Gegenden der USA oder anderswo auf der Welt nicht antrifft.

Dass ich technische und betriebswirtschaftliche Kompetenz hier gleichzeitig betrachte, ist schon ein Teil meiner Erkenntnis und meiner Überlegungen. Das eine geht nicht, ohne das andere. Wo beides zusammenkommt, spricht man auch von Unternehmertum (engl. entrepreneurship). Am Beispiel Google lassen sich heute alle wichtigen Grundsätze des Unternehmertums lehren. Obwohl niemand den Erfolg von Google vorhersagen konnte, kann ihn heute jeder Fachmann erklären. Niemand braucht sich dessentwegen zu schämen. Am Anfang stand eine technisch herausragende Erfindung. Der PageRank-Algorithmus, den inzwischen alle Informatik-Studierende kennenlernen, ist mathematisch relativ uninteressant. Sein entscheidender Vorteil ist, dass er das Problem der Bewertung von Texten nicht mit einer Analyse des Inhalts versucht, wie Millionen dies vorher vergebens taten. Er benutzt eine indirekte Methode. Er bewertet das umgebende Kommunikationsnetz. Hätte man diese Idee nicht geschützt, hätten alle Entwickler von Suchmaschinen sie sofort verwendet. Sie ist einfach zu gut, um sie unbeachtet liegen zu lassen.

Nachdem Google erkannt hatte, dass es für das Werbegeschäft die längst erhoffte technische Lösung besaß, flossen die Geldströme. Damit konnte es eine Industriebranche nach der anderen umkrempeln oder gar zerstören, wie Joseph Schumpeter zu sagen pflegte. Diese Zerstörung begann in der Software-Industrie und setzte sich auf andere Industrien fort. Da Google es nicht nötig hat, mit Suchmaschinen, Sprachübersetzern, Betriebssystemen und dergleichen Geld zu verdienen, kann dies (bald) auch niemand anderes mehr. In ganz ähnlicher Weise lässt sich der Erfolg von Apple erklären. Apple war lange eine Firma an der Peripherie unserer Branche, bis dass Steve Jobs bei seinem letzten Aufenthalt in der Firma sie an die Spitze der Branche katapultierte. Er hatte technische Visionen, die er in Produkte für neue Märkte umsetzte. Smartphones und Tablett-Rechner zerstörten den bisherigen Computer-Markt.

Natürlich hat der amerikanische Markt bessere Möglichkeiten für Startups als der deutsche Markt. Dies zu leugnen, ist so töricht wie zu leugnen, dass das Wetter in San Diego besser ist als in Hamburg. Daran lässt sich nichts ändern. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum deutsches Wagniskapital vorwiegend nach Amerika fließt und nicht in Deutschland eingesetzt wird. Junge Menschen in den USA werden nicht nur technisch ausgebildet, sondern lernen es auch, unternehmerisch zu denken. In Deutschland – darüber klagen viele – stehen Miesmacher und Kritiker oft im Zentrum des Interesses. Lassen wir zu, dass sie die Szene beherrschen, sind wir es selbst schuld.

Zum oben zitierten Streit der Verleger mit Google noch soviel: Wenn es Unternehmen gibt, die noch ihre Werbemittel quasi zum Fenster hinaus werfen, sie also Zeitungen und Fernsehsendern anvertrauen, ist dies vergleichbar mit Ärzten, die ihre Medikamente dem Trinkwasser einer Stadt beimischen, statt sie nahe an den Organen von erkrankten Patienten zu platzieren. Das Bild soll bewusst übertreiben. Wenn ich Verleger über Googles Werbegeschäft reden höre, drängt es sich jedoch auf. Es ist erstaunlich, wie gut es passt.

Politisches Verhalten

Viele Leute, die in den letzten neun Monaten auf Amerika schimpften, dachten eher an die Regierung als an die Industrie. Manche Beobachter neigen dazu, beide gleichzusetzen, oder zumindest ihre Interessen. Seit Juni 2013 ist die Welt schockiert über die Bespitzelungen durch die NSA und andere Geheimdienste. Was die Auswüchse zwar nicht entschuldigt, aber erklärt, ist das Verhalten der Amerikaner zur Technik.

Die Bedrohungen des Landes durch die 9/11-Ereignisse erschütterten das Bewusstsein nationaler Sicherheit bis in ihre Grundfesten. Die klassischen Methoden, die dazu dienten, das Land zu schützen, hatten versagt. Man suchte neue, d.h. technische Lösungen. Da kam die zunehmende Digitalisierung aller Kommunikation und ihre Konzentration in der Hand amerikanischer Firmen gerade recht. Man entschloss sich, diese Option technisch auszuloten, koste es, was es wolle. Bezogen auf den mit andern Methoden verknüpften Verlust an Menschenleben, waren die Erfolge beeindruckend. Schließlich war es Edward Snowdon, der die Kollateralschäden des neuen Ansatzes sichtbar machte. Das wird zu einer Neujustierung führen. Es ist m. E. jedoch nicht damit zu rechnen, dass die USA von dieser Form der Landesverteidigung wieder abrücken werden.

Historische Reflektionen

Deutschlands Intelligenzschicht war immer tief gespalten, wenn es um Amerika ging. Der Historiker Heinrich August Winkler spricht von Deutschlands langem Weg nach Westen, wenn er die zwei Jahrhundert seit Napoléons Sieg 1806 bei Jena und Auerstedt Revue passieren lässt. Den Ersten und den Zeiten Weltkrieg beendeten die Amerikaner durch ihr Eingreifen auf der Seite von Deutschlands Gegnern.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Care Pakete und Rosinenbomber, aber auch die Ausbreitung von General Motors, Esso und Coca Cola. Mit der von Helmut Schmidt eingeleiteten Raketen-Nachrüstung und dem erfolglosen Vietnamkrieg formte sich eine geradezu militante Außerparlamentarische Opposition in Deutschland. Unter George W. Bush prägte Donald Rumsfeld den Begriff der alten Europäer, wozu er Deutsche und Franzosen rechnete. Der Autor Robert Kagan benutzte 2003 das Bild der Amerikaner, die vom Mars stammten, und der Europäer, die mehr von Venus beeinflusst seien.

Mit Barack Obama verbanden sich große Hoffnungen, vor allem vor seiner Wahl. Er musste nach der Wahl, als die politische Verantwortung seiner Herr wurde, weitgehend enttäuschen. Er beendete zwar den Afghanistan-Krieg ohne Rücksicht auf Verluste. Das Gefangenenlager auf Guantánamo jedoch wurde nicht geräumt, der Nahe Osten nicht befriedet. Von ihm hatte man am allerwenigsten erwartet, dass er die von seinem Amtsvorgänger George W. Bush eingeleiteten Bespitzelungen fortsetzen würde. Das Amt eines Oberkommandierenden kann das Denken einer Person verändern. Jeder hat das Recht dazulernen, selbst ein gewählter Präsident der Weltmacht USA.

1 Kommentar:

  1. IcelanderLight wrote on 26. April 2014 00:07

    1. The biggest achievement of Obama’s Presidency lies with the American People – that he could be elected at all. His own operational performance has been better than his predecessor (GWB) but has very little else to recommend it at a time when the country really needed wisdom and execution in its President.

    2. America is not a literate country like Germany. The general population carries gaping holes of ignorance regarding history, geography, science, and current affairs. Recently a poll of 2066 Americans showed that only one in 6 was able to locate Ukraine on a map, and there was a positive correlation between distance of error and the opinion that military force should be considered in response to the Russian influence on the country – the guesses were all over the map – including Alaska – 5 were within the continental USA.

    3. Germany and Germans still mean engineering/science/music and fascism to Americans. The latter would not be apparent [in general] in a meeting of a German with an American – but if it would still be lurking in the conscious/subconscious boundary without a real German in the mix. Without a Nazi template, Hollywood would be bereft of its favorite enemy model – a German accented scientist or power-mad psychopath – that has served the entertainment industry for decades – not just starting with Dr. Strangelove. The recent “Captain America” films fit the model as well (e.g., Baron Wolfgang Von Strucker). [btw - the other major movie enemy model - the insider traitor - is a legacy of Vietnam] Nevertheless - my expectation is that this blogger felt welcomed in America during his sojourn in the States. At least I hope so.

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