Donnerstag, 10. April 2014

Holsteinische Handelsdelegation in Persien 1635-1639

Seit meiner Kindheit übten die Berichte früherer Weltreisender eine besondere Faszination aus. Zehn Bücher aus der Edition Erdmann in meinem Regal stellen einen klaren Beweis dieses Interesses dar. Als ich vor drei Monaten Mungo Parks Afrika-Reisen Revue passieren ließ, erwähnte ich im Nachtrag, dass an sich die Reiseberichte des Adam Olearius geplant waren. Ich löse dieses  ̶  damals vorsichtshalber nur angedeutete  ̶  Versprechen heute ein. Einige der folgenden Angaben entstammen einer 2010 erschienenen Biografie von Erich Maletzke.


Adam Öhlschläger, latinisiert Olearius (1599-1671) war der Sohn eines Schneiders aus Aschersleben (in der Nähe von Quedlinburg im heutigen Sachsen-Anhalt). Er hatte in Leipzig von 1620 bis 1627 Theologie studiert und fand anschließend eine Anstellung als Lehrer an der Nikolai- und danach an der Thomanerschule in Leipzig. Nach wenigen Jahren verließ er den Schuldienst und wurde Assessor an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig. Sein Spezialgebiet waren die Fächer Astronomie und Geografie. Im Rahmen der Kriegshandlungen des Dreißigjährigen Krieges besetzte Wallenstein 1632 die Stadt Leipzig. Olearius und seine Freunde verfolgten den Kanonenlärm der Schlacht von Lützen von der Stadtmauer aus. Es ist die Schlacht, in der König Gustav Adolf von Schweden den Tod fand.

Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf stand damals an der Spitze eines nach weltpolitischer Bedeutung strebenden Kleinstaats. Er ließ sich von holländischen Händlern überreden einen Hafen an der Nordsee zu bauen. Daraus wurde das heute noch holländisch anmutende Friedrichstadt. Der aus Hamburg stammende Kaufmann Otto Brüggemann bewog ihn dazu, sich von der holländischen Dominanz zu lösen und selbst in Kategorien des Welthandels zu denken. Er machte ihm klar, welche strategisch wichtige Rolle sein Land im damals so attraktiven Ostgeschäft spielen könnte. Statt um Afrika herum könnte man einen wesentlich kürzeren Handelsweg nach Persien und Indien erschließen, wenn es gelänge, den Transport durch Russland hindurch zur Ostsee zu organisieren. Es war im Prinzip dasselbe Denken, das Bundeskanzler Gerhard Schröder dazu bewog, sich mit Wladimir Putin anzufreunden und sich beim Bau einer Ölleitung durch die Ostsee zu engagieren.

Nur zur Ergänzung: Das spätere Preußen bestand damals aus der Mark Brandenburg, dem Herzogtum Preußen rund um Königsberg sowie einzelner Gebiete rund um Kleve und Ravensberg. Das Kernland Brandenburg war durch den Dreißigjährigen Krieg stark verwüstet worden, die Einwohnerzahl hatte sich durch Seuchen und Hungersnöte halbiert. Erst im Winter 1701 krönte sich Friedrich I. selbst in Königsberg zum "König in Preußen". Doch es war ihm noch nicht erlaubt, sich "König von Preußen" zu nennen, da Teile Preußens noch unter polnischer Hoheit standen.

Der unterbeschäftigte Hochschulassistent Olearius ließ sich, wegen seiner Astronomie- und Geografie-Kenntnisse bestens qualifiziert, als Sekretär eines im Auftrag des Herzogs von Holstein zusammengestellten Expeditionsteams anwerben. Die Expedition sollte in zwei Stufen erfolgen. Zuerst sollte der russische Zar in Moskau aufgesucht werden, um mit ihm eine Durchreise-Lizenz nach Persien auszuhandeln. Anschließend sollte die eigentliche Handelsmission an den Persischen Hof reisen, der sich damals in Isfahan befand. Es war 1994 in Isfahan, als ich zum ersten Mal den Namen Olearius hörte. Expeditions- bzw. Missionsleiter wurde der holsteinische Diplomat Philipp Crusius. Natürlich fuhr Otto Brüggemann auch mit. Olearius erhielt vom Herzog den persönlichen Auftrag, den genauen Verlauf der Reise und alle wichtigen Ereignisse schriftlich zu dokumentieren. Um diese Information nicht auch andern Teilnehmern der Reise zukommen zu lassen, machte er alle Notizen in Latein. Er war der einzige an Bord, der diese Sprache beherrschte.

Die erste Reise begann im November 1632 in Travemünde. Das Team bestand aus 34 Leuten. Nach einer schwierigen Überfahrt erholte man sich in der estnischen Hauptstadt Reval. Anschließend wartete man in Narva auf das Eintreffen eines schwedischen Teams, das ebenfalls zu Handelsgesprächen nach Moskau reiste. Es sollte zuerst am russischen Hof vorgelassen werden. Da Zar Michael aus dem Hause Romanow den Schweden als relative Großmacht gegenüber misstrauisch war, mussten diese unverrichteter Dinge nach Hause reisen. Den Holsteinern jedoch bot er an, ihnen die gewünschte Genehmigung zu erteilen, vorausgesetzt der Zarenhof würde finanziell am zu erwartenden Geschäft beteiligt werden. Angeblich forderten die Russen damals bereits eine Million Reichstaler pro Durchreise. Die Expedition reiste, wegen der hohen russischen Forderungen leicht deprimiert, nach Gottorf zurück, um dem Herzog zu berichten. Der Herzog und sein Finanzminister waren nicht begeistert.

Für Olearius hatte der Herzog nach seiner Rückkehr eine dringende Verwendung. Er schickte ihn nach Brüssel, um mit Spanien geheime diplomatische Geschäfte zu erledigen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es dabei darum ging, die auf den Sklavenhandel bezogenen Aktivitäten in Afrika und in der Karibik abzusichern. Neben Dänemark war nämlich auch Holstein im Dreiecksgeschäft aktiv. Mit Waffen aus Europa wurden Sklaven in Afrika gekauft. Diese wurden in die Karibik gebracht, um dort auf Plantagen zu arbeiten. Von dort wurden Zucker und Rum nach Europa geschafft. Ein sehr lukratives Geschäft für die beteiligten Händler.

Brüggemann ließ sich nicht so leicht entmutigen. Er glaubte weiter an das große Geschäft und überzeugte schließlich den Herzog die zweite der geplanten Reisen durchzuführen. Sie begann im Oktober 1635 wieder in Travemünde. Dieses Mal umfasste die Mission 126 Personen. Philipp Crusius war wieder ihr Leiter; Otto Brüggemann der kaufmännische Verhandlungsführer und Adam Olearius der Schriftführer. Der Herzog plante indes einen Kanal zwischen Ostsee und Nordsee und ließ in Kiel mehrere Speicherhäuser für Seide, Gewürze und andere exotische Güter bauen.

Die Expedition erlitt Schiffbruch nahe der Insel Oeland. Von Reval aus sandte man Boten zurück nach Gottorf, um die verloren gegangenen Beglaubigungsschreiben und Urkunden des Herzogs zu ersetzen. Erst im März 1636 wurde die Reise fortgesetzt. Im Juni verließ man Moskau versehen mit dem Pass des Zaren für bestimmte Orte und Güter. Die lokalen Kaufleute waren aus Angst vor der neuen Konkurrenz beim Zaren vorstellig geworden. Per Schiff ging es über die Moskwa zur Wolga. Dort ging man an Bord der 'Friedrich', eines eigens für die Befahrung der Wolga gebauten Schiffs. Außer der aus Deutschland stammenden Besatzung, musste es noch 30 Soldaten des Zaren mitnehmen. Für den beabsichtigten Zweck war dies nur von Vorteil, denn die Größe der Gesandtschaft steigerte ihr Ansehen, genauso die Langsamkeit der Anreise.



Immer wieder fuhr das Schiff auf Sandbänke und musste mühselig wieder flott gemacht werden. Der erste offene Streit zwischen Brüggemann und Olearius brach aus, als Olearius die Stadt Kasan besichtigte, Brüggemann aber mit dem Boot weiterfuhr, bevor Olearius zurück an Bord war. Im September wurde Astrachan erreicht. Für die Fahrt auf dem Kaspischen Meer erwies sich die ‚Friedrich‘ wegen der kurzen, hohen Wellen als ungeeignet. In der Grenzstadt Derbent beschloss man, das Schiff abzuwracken und in Brennholz zu verwandeln.

Man musste über drei Monate an der Grenze zu Persien warten, bis der Schah die Erlaubnis zur Einreise erteilte. Die Weiterreise erfolgte schließlich mit 40 Kamelen, 30 Ochsenwagen und 80 Pferden. Weitere zwei Monate dauerte es, ehe man von der Stadt Ardebil aus sich weiter in Richtung Isfahan bewegen durfte. Im Bericht des Olearius wird der Proviant-Verbrauch der letzten zwei Monate angeben: 18,000 Liter Wein; 477 Schafe, 472 Lämmer, 9300 Eier, 800 kg Brot zusätzlich noch Obst und Gemüse. Wegen der hinzugekommenen persischen Begleiter verfügt die Reisegesellschaft jetzt über 300 Pferde. Olearius stellte durch seine astronomischen Ortsbestimmungen fest, dass das Kaspische Meer seine größte Ausdehnung in Nord-Süd-Richtung hat und nicht in Ost-West-Richtung, wie dies in Karten aus der Zeit des Ptolemäus dargestellt wurde.



Im August wurde Isfahan erreicht. Ehe man vom Schah empfangen wurde, kommt es zu einem Gemechtel mit einer usbekischen Delegation. Olearius hielt sie für Inder. Es gab sieben Tote. Daraufhin wurde die andere Delegation des Landes verwiesen. Während ihres Aufenthaltes in Isfahan erhielten die Holsteiner täglich 16 Schafe, 100 Hühner, 600 Liter Wein, sowie Früchte und Brot. An dieser Stelle sei bemerkt, dass die auf die Seldschuken zurückzuführende Dynastie eine äußerst genussfreudige Form des Islams vertrat. Noch heute sind im Palast von Isfahan bunte Frauenporträts zu sehen.


Nach langen Vorverhandlungen gab Schah Safi zu verstehen, dass er mit den Gastgeschenken zufrieden ist. Diese bestanden aus silberbeschlagenen Pistolen, mit Edelsteinen besetzten Säbeln und mehreren Kästchen aus Bernstein. Das ursprünglich vorgesehene große mechanische Uhrwerk war bei einer Havarie zu Schaden gekommen. Brüggemann erbat vom Schah das Recht, exklusiv persische Seide nach Europa auszuführen zu dürfen. Außerdem bat er darum, alle Holländer aus dem persischen Reich zu vertreiben. Als Gegenleistung versprach er dem Schah Hilfe gegen dessen Erzfeind, die Türken. Für diese Hilfe stünden außer seinem Herzog auch der deutsche Kaiser sowie der englische und der französische König zur Verfügung.


Hatte Brüggemann bei diesen Zusagen bereits die Grenzen seines Verhandlungsmandats überschritten, tat er dies noch mehr, als er dem russischen Gesandten in Isfahan anbot, die Seidenraupenzucht in Russland zu fördern, wenn Russland an Stelle Persiens das Geschäft übernähme. Durch einen unverschuldeten Zwischenfall wurden die Verhandlungen abrupt beendet. Der in Isfahan lebende Schwager Brüggemanns, der Uhrmacher Stadler aus Zürich, erschoss einen Dieb, der bei ihm einbrach. Da er sich weigerte, zum Islam überzutreten, konnte ihm der Schah keine Strafverschonung gewähren. Er wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Auch innerhalb der holsteinischen Delegation war das Verhältnis zwischen den führenden Personen völlig zerrüttet. Crusius und Olearius sahen bei Brüggemann die alleinige Schuld dafür. Immer öfter kam es zu Wutausbrüchen und gegenseitigen Beschuldigungen. Als Brüggemann zum wiederholten Male von Olearius die Herausgabe seiner Protokolle verlangte, bedrohte er diesen mit einem Messer. Es gelang Olearius durch ein Fenster zu fliehen und sich in den Schutz von spanischen Augustinermönchen zu begeben.


Im Dezember 1637 wurde die Rückreise angetreten. Einige Teilnehmer entschieden sich bereits in Isfahan, nicht mehr mit der Gruppe zu reisen. Es wurde wieder der Landweg über Ardebil genommen. Im März 1638 wurde die Grenze zu Russland erreicht. Crusius entschloss sich, ein Beschwerdeschreiben bezüglich Brüggemann an den Herzog zu senden. In Astrachan stellte man mit Überraschung fest, dass ihnen eine persische Gesandtschaft hinterher nach Gottorf reiste. In Moskau, das man im Januar 1639 erreichte, wiederholte der Zar seine finanziellen Forderungen. Er verlangte jetzt 600.000 Taler für die bereits erfolgte Durchreise. Obwohl der Rest der Reisegruppe bereits im April 1639 in Reval ankommt, fahren Brüggemann und Crusius erst im August zum Hof in Gottorf. 

Olearius, der früher weiterreiste, war inzwischen davon überzeugt, dass nicht nur der Verlauf der Mission eine Katastrophe war, sondern dass die gesamten Pläne Brüggemanns auf Fehleinschätzungen beruhten. Die gesamte Seidenproduktion in Persien war geringer als das, was Brüggemann zu importieren beabsichtigte. Außerdem war das Geschäft bereits fest in Händen von Holländern und Türken. Als die persische Delegation in Holstein ankam, erregte sie zwar sehr viel Aufmerksamkeit, hatte aber wenig Konkretes zu bieten. Man versprach, weiter im Kontakt zu bleiben – in guter Diplomatenmanier.


Die drei Protagonisten dieser historischen Episode erlitten unterschiedliche Schicksale. Am härtesten traf es Brüggemann. Im Mai 1646 wurde er zum Tode durch Enthaupten verurteilt und hingerichtet. Crusius heiratete eine Frau aus Reval und ließ sich dort nieder. Olearius wurde vom Herzog zum Hofmathematiker ernannt. Später wurde er auch Bibliothekar und Antiquar. So konnte er Bücher aus Klöstern retten. die als Folge der Reformation aufgelöst wurden. Auch seine Mitbringsel aus Russland und Persien konnte er ausstellen, sowie das, was andere Reisende an Exotischem mitbrachten. Im Jahre 1640 heiratete er Catharina Müller aus Reval. Er baute sich ein Haus in Nähe des Gottorfer Schlosses, in dem er auch starb.


Im Jahre 1647 erschien ein erster Band seiner Reiseberichte (546 S.). Er fand große Aufmerksamkeit im Inland und Ausland. Er begründete de facto die wissenschaftliche Reisebeschreibung in Deutschland. Es erschienen Übersetzungen in Holländisch, Französisch, Englisch und Italienisch. Es war eines der ersten deutschen Bücher, die eine internationale Verbreitung fanden. Neun Jahre später (1656) folgte die zweite Auflage (800 S.). Sie trägt den Titel: ‚Vermehrte Newe Beschreibung Der Muscowitischen und Persischen Reyse‘. Zu erwähnen sind auch die von Olearius vorgenommenen Übersetzungen aus dem Persischen.

Übrigens half eine andere historische Episode dabei, dass Russland dem Herzogtum Holstein die besagten 600.000 Reichstaler Schulden erlassen hat. Nach dem Tode von Zar Michael tauchte in Deutschland ein Hochstapler auf, der angab, der wahre Zar zu sein. Er wurde im Gottorfer Schloss gefangen gesetzt. Im Gegenzug zur Löschung der Schulden wurde er ausgeliefert und anschließend in Moskau hingerichtet.

NB: Es ist ein Exemplar der Auflage von 1656, die sich im Besitz der Trierer Stadtbibliothek befindet. Ich freue mich, dass ich seine Restaurierung ermöglichen durfte.

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