Dienstag, 9. Dezember 2014

Monopole in der Informatik-Branche

In früheren Beiträgen wurde bemerkt, dass die Marktstruktur unserer Branche gewisse Besonderheiten aufweist. In letzter Zeit richtete sich die Kritik vor allem auf Google. Da diese Firma den Suchmaschinenmarkt in Europa mit einem Marktanteil von etwa 90% beherrscht, wurde die EU-Kommission zum Eingreifen aufgefordert. Google gilt zurzeit als das Schulbeispiel eines Monopols, ob berechtigt oder nicht - darüber darf gestritten werden. 

Ein Monopol ist eine Marktsituation, in der für ein wirtschaftliches Gut (Produkt oder Dienst) nur ein Anbieter vorhanden ist. Die Situation kann sich sowohl in einem neuen Markt ergeben, wo ein Anbieter allen andern zuvorgekommen ist, indem er Innovationen schneller oder früher in Produkte oder Dienste verwandelte. Es kann aber auch sein, dass ein Anbieter alle andern aus dem Markt verdrängt hat, sei es durch bessere Qualität, bessere Lieferbedingungen oder durch niedrigere Preise. Manche Monopole sind staatlich geschützt. so das Post-, Branntwein-, Glücksspiel- und Schornsteinfeger-Monopol. Anstatt eines Angebots- kann es auch ein Nachfrage-Monopol geben. Ein Beispiel sind Rüstungsgüter, für die nur der Staat Abnehmer ist, abgesehen von Rüstungsexporten.  

Aus Sicht der Wirtschaftstheorie führen Monopole sehr leicht zu Ineffizienzen, wenn man davon ausgeht, dass der offene Wettbewerb die effizienteste Marktform ist. Mit Effizienz ist hier eine kostengünstige und bedarfsgerechte Befriedigung von Nutzerwünschen gemeint. Aus Sicht des Anbieters verschafft ein Monopol die besten Rendite-Möglichkeiten. 

Beispiele von Monopolen im IT-Bereich 

In einer Korrespondenz mit Christoph Keese, dem Vorstandsmitglied des Axel-Springer-Verlags und Buchautor, skizzierte Hartmut Wedekind dieser Tage drei Beispiele von Monopolen in unserer Branche. 

Vorbemerkung: In Seminaren wurden auch wir jungen SE’ler bei IBM damals immer darauf hingewiesen, um Gottes willen nichts Nachteiliges über unsere Mitbewerber beim Kunden von uns zu geben. Man empfahl euphonisch den Ausdruck „Mitbewerber“, um den grausamen Begriff „Konkurrent“ zu vermeiden. „Be a nice guy“, hieß es damals. So ähnlich verhält sich Eric Schmidt ja auch heute. Das ist also uralt. Völlig klar ist mir der Unterschied zwischen dem IBM-Monopol und dem heutigen Google-Monopol. Dazwischen liegt dann noch (auch zeitlich) der zeitweise permanent Angeklagte Bill Gates mit seiner Microsoft. 

IBM: Das Verfahren führte zum berühmten Unbundling (1969) (Entflechtung), d.h. ein getrenntes „pricing“ von Hard-und Anwendungs-Software, damit die „Kleinen“ mit ihren  Anwendungen auch Chancen im Bereich der Anwendungen jenseits des Betriebssystems haben. Das Betriebssystem wurde der Hardware zugeschlagen, was ja auch sachlich richtig ist. Ob Juristen das richtig verstehen, lassen wir außen vor. Juristen haben ja schon seit vielen Jahrzehnten Probleme mit der Elektrizität als Energie-Abstraktum. Ein  Rückgängigmachen  des Unbundling, das sind heute  die Appliances, wie z.B. in HANA (High Performance Analytic Appliance) von SAP. Hardware-Software-Kombinationen werden in Appliances als große Leistung ins Feld geführt, und niemand, auch keine Antitrust-Behörde  stört sich dran. Das Unbundling ist längst vergessen, Juristen würden sagen „verjährt“. Man verjährt sich  aber auch selbst dabei. Juristen entscheiden offensichtlich situativ, man kann auch sagen pragmatisch oder,  was dasselbe ist, opportunistisch. Grundsätzliches ist selten gefragt. Woher sollen die armen Juristen bei dem Studium dann auch Grundsätzliches her haben? 

Microsoft: So weit ich sehe, kam ein Kompromiss in Sachen „Schnittstellen“ zustande. MS wurde gezwungen, nur seine Schnittstellen, also Abstrakta, preiszugeben, nicht seinen konkreten Quellcode, die eigentliche formidable Leistung. 

Google: Ich verstehe nur, dass das Goggle-Monopol ganz etwas anderes ist als vormals das Monopol der IBM und das Monopol von Microsoft, also Hardware/Software-Monopole und Schnittstellen-Monopole. Denn dass Google mit Abstand die beste Suchmaschine hat, daraus kann man Google keinen Strick drehen. Qualität darf grundsätzlich nicht schädlich sein. Man muss bei Marktbeherrschung immer fragen, wo die Ursachen liegen. Sind es die Feinde einer Offenen Gesellschaft im Sinne Poppers „The open society and its enemies“, die abgeschlossen  andere nicht hochkommen lassen wollen, oder sind es bloß tüchtige Menschen, die nicht pennen, aber  dennoch  andere auch hoch kommen lassen wollen. Qualitäts-Monopole (jeder hat Zutritt): ja, Absonderungs- oder Seklusions-Monopole (nur „Geweihte“ haben Zutritt): nein. 

Nachbemerkung: Das Buch von Eric Schmidt „How Google works“ (2014), das ich gerade zu Ende gelesen habe, ist ein ausgezeichnetes Organisationsbuch, an dem sich viele andere Bücher, insbesondere auch natürlich die gängige Management-Literatur, messen lassen muss. Ich wenigstens habe einiges gelernt (auch aus seinen Geschichten), was sonst in Sachen Organisationsbücher nicht mehr der Fall ist. Die sind langweilig und schreiben voneinander ab. Man merkt natürlich: Eric Schmidt schreibt auch für Googlianer, also auch für Leute in seinem eigenen Laden. A propos Googlianer: Ich kenne davon einige im Valley („smart creatives“). Die sind mit ihren Arbeitsbedingungen, wie sie auch von Schmidt beschrieben werden, hochzufrieden. Ich habe den Eindruck, die stehen wie eine Eins hinter ihm. Und das ist für einen Chef sehr, sehr wichtig. Einer von denen ist der Enkel unseres vormaligen Erlanger Logik-Professors (1915-1994) Paul Lorenzen.

Gründe für Monopole in der IT-Branche 

Jede von den Fortschritten der Technologie abhängige Branche neigt zu Monopolen. Es gibt immer wieder ‚smart creatives‘, ein Ausdruck, den Eric Schmidt in dem erwähnten Buch verwendet. Das sind Leute mit einer Ingenieur-Mentalität, aber verbunden mit einer Offenheit für das Geschäftliche. Sie wollen nutzbare Dinge konzipieren, also Produkte oder Dienste. Sie sehen ihre Aufgabe nicht primär in der Verteidigung heutiger Produkte und Dienste. Das ist anders bei Unternehmen, in denen Kaufleute und Juristen das Sagen haben. 

Wie in dem früheren Eintrag zu Keeses Buch ausgeführt, ‚führen Netze fast automatisch zu Monopolen. Zum Glück bestehen im Internet diese Monopole nicht ewig. Sie werden aber nur durch umwälzende Innovationen zerstört.` Mit juristischen oder politischen Aktionen gegen Monopole vorzugehen, ist nur die zweitbeste Lösung. Es wird etwas zerstört. aber es wird nichts an seine Stelle gesetzt. 

Diskussion und Ergänzung 

Manche Kommentatoren sind der Meinung, dass das über Jahrzehnte laufende Antitrust-Verfahren die Firma IBM sehr in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht hat. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass im Rahmen des Verfahrens 950 Zeugen verhört wurden und über 30 Mio. Seiten an Dokumenten vorgelegt wurden. Als Ex-IBMer erinnere ich mich noch gut, wie jede Spezifikation, jeder Bericht und jedes Schreiben, das System/370 betreffend, von unseren Juristen den US-Behörden übergeben werden musste. Dass hinter dem Verfahren auch politische Erwägungen standen, wurde klar, als es am 8. Januar 1982 eingestellt wurde. Das war ein Jahr nach dem Amtsantritt von Ronald Reagan, einem Republikaner. 

Die Diskussion um Google nimmt gerade eine neue Wende. Letzte Woche hat das EU-Parlament beschlossen, Google zu zerschlagen. Ich kann mir dies nur als Aktion der europäischen Zeitungsverlage erklären. Einer der Initiatoren sei der CDU-Abgeordnete Andreas Schwab. In einem Beitrag von Zeit-Online vom 27.11.2014 heißt es über ihn: 

Schwab selbst hatte mit einer Nebentätigkeit bei der Anwaltskanzlei CMS Hasche Sigle Aufmerksamkeit erregt. Diese vertritt unter anderem den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), der zu den Beschwerdeführern in den EU-Wettbewerbsermittlungen gegen Google zählt. Schwabs Büro bestätigte, dass er die Kanzlei "gelegentlich zu verschiedenen europarechtlichen Themen" berate, jedoch keine eigenen Mandate als Rechtsanwalt übernehme.

Es sieht so aus, als ob Mathias Döpfner seine Drohung wahr macht, die er in seinem viel beachteten Aufruf in der FAZ aussprach. Im April schrieb er; ‚Ist es wirklich klug, zu warten, bis der erste ernstzunehmende Politiker die Zerschlagung Googles fordert?‘ Es sieht so aus, als ob Google keine europäischen Fürsprecher mehr hat. Nur noch Jeff Jarvis scheint eine Gegenmeinung zu vertreten: ‚Die Verleger haben sich selbst, ihre Branche und ihr Land erfolgreich lächerlich gemacht‘, schreibt er. Es ist allerhöchste Zeit, dass alle deutschen Ingenieure und Techniker aufwachen, um gegen das Bild anzukämpfen, das Mathias Döpfner und seine Gesinnungsgenossen von uns Deutschen gerade schaffen. Wir sollten uns das nicht gefallen lassen. Oder sind Europapolitiker etwa nicht ernstzunehmend?


Nachtrag am 11.12.2014
Heute verwies mich Hartmut Wedekind auf einen Beitrag in der Welt Digital über den chinesischen Suchmaschinen-Giganten Baidu, vor dem ’selbst Google zittern muss‘. Dazu schrieb er:  

Monopole im Internet bröckeln auch auf natürliche Weise. Man braucht in einer Internet-Welt der Tüchtigen keine gesetzlichen Zwangsmaßnahmen. Was Herr Keese wohl dazu sagt? Und das erscheint auch noch in der „Welt“ [einer Zeitung aus dem Axel-Springer-Verlag]. Was die Chinesen da treiben im Sinne eines politischen Filtrierens, wird bei Eric Schmidt ausgiebig beschrieben, in seinem Buch „Reshaping the Future“. Bei der Wahl zwischen Google und Baidu bin ich immer noch lieber auf der Seite von Google. Die Chinesen sind mir nach wie vor unheimlich. „C’est chinois pour moi“, sagen auch die Franzosen, wenn es unverständlich oder unheimlich wird.

Vor einiger Zeit meinte Otto Buchegger aus Tübingen:
Was Döpfner nicht kapiert, dass nicht Google der Feind ist, sondern das Konzept der Suchmaschine. Ich verwende Google schon lange nicht mehr, sondern DuckDuckGo.

Ich habe DuckDuckGo als App auf dem iPhone installiert. Mehr als zwei Mal habe ich es jedoch nicht benutzt. Man sieht sofort, dass es nur eine partielle Abdeckung des Internets liefert. Außerdem ist es langsam.

Wie dümmlich die Zeitungsverlage argumentieren, ist ja offensichtlich. Sie bekämpfen eine Firma, in Wirklichkeit geht es um eine Technologie. Nur merken das die EU-Abgeordneten in Straßburg nicht. Googles Probleme in Spanien verführen sogar zu echten Wortspielen.

3 Kommentare:

  1. Heute schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:

    Es gibt für alle Bereiche zu Google Konkurrenz. Also stimmt das nicht mit dem Monopol. Die Menschen wählen Google, weil es das beste Angebot hat. Google hat sehr viele Unterstützer bei den Bloggern, weil nur durch Google diese existieren können. Google ist den alten Medien und den Politikern ein Dorn im Auge, weil sie die Meinungshoheit haben abgeben müssen und das ist auch gut so.

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  2. Heute schrieb Peter Hiemann aus Grasse:

    die derzeitige Diskussion über 'Monopole in der Informatik-Branche', speziell über die Dominanz von Google, ist nur vordergründig eine technologische Angelegenheit. Ich teile Jaron Laniers Perspektive: „Das Problem ist nicht die Technologie, sondern die Art, wie wir darüber denken.“ Es geht um 'Big Data' in von Lanier sogenannten 'Sirenenservern' und Benutzer bezüglichen Computeralgorithmen. Es sind die Benutzerdaten und Computeralgorithmen, die den Eigentümern der mächtigsten Computersysteme eine marktbeherrschende Macht verleihen. Das trifft für Banken, die ihre Transaktionen im verborgenen Hochfrequenzhandel abwickeln, genauso zu. Die Google-Situation ist nicht vergleichbar mit der IBM-Situation von 1969. Gesammelte Benutzerdaten lassen sich nicht entflechten. Sie lassen sich jedoch anonymisieren. Anonymisierte 'Big Data' statt statistische Umfragewerte für politische und ökonomische Planungen zu benutzen, hielte ich für einen wünschenswerten Fortschritt.

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  3. Heute schrieb Calvin Arnason aus Portland, Oregon:

    I find it interesting that Microsoft, with enormous funds, was not successful in creating a search engine [BING] that produced better results than GoogleSearch. Some of my clients have entered into agreements with Microsoft to mandate BING as default search engine --- every single time I have used it for the kind of searches I do, I end up having to redo the searches in Google, because the latter is a much better search engine.

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