Franz Josef Radermacher (*1950) ist seit 1987 Professor für Informatik (künstliche
Intelligenz) an der Universität Ulm und Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte
Wissensverarbeitung (FAW bzw. FAW/n). Radermacher
gilt als Experte für Globalisierungsgestaltung, Innovation, Technologiefolgen,
umweltverträgliche Mobilität, nachhaltige Entwicklung und Überbevölkerung. Er
und der österreichische Politiker Josef Riegler gehören zu den geistigen Vätern
der Global Marshall Plan Initiative und der zugrunde liegenden Zielvorstellung
einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft. Diese setzt sich seit 2003 für eine
gerechtere Globalisierung ein, für eine „Welt
in Balance“, wie sie auch der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore fordert.
Radermacher promovierte 1974 an der RWTH
Aachen in Mathematik. Seine zweite Promotion schloss er 1976 in
Wirtschaftswissenschaften an der Universität Karlsruhe ab. Seine Habilitation
in Mathematik erfolgte 1982 an der RWTH Aachen. Von 1983 bis 1987 war
Radermacher Professor für Angewandte Informatik an der Universität Passau. Von
1988 bis 1992 war er Präsident der Gesellschaft für Mathematik, Ökonomie und Operation
Research (GMÖOR). Radermacher ist Mitglied des Club of Rome und
Präsident des Senats der Wirtschaft.
Bertal Dresen (BD): In meinem Blog-Beitrag über Sie von Anfang April hatte ich vor allem Ihre politischen
Aktivitäten hervorgehoben. Deshalb möchte ich jetzt gerne einige fachliche
Fragen vorwegschicken. Im Namen Ihres Forschungsinstituts steckt der Begriff ‚anwendungsorientierte
Wissensverarbeitung‘. Ist das nicht eine sehr spezielle Auffassung dessen, was
Informatik soll und kann, und andererseits eine sehr anspruchsvolle Aufgabe,
was die Wissenschaften im Allgemeinen betrifft? Wie sehen Sie dies? Wie wurden
Sie mit dieser Spannung fertig in den fast 30 Jahren Ihrer fachlichen Tätigkeit?
Welche markanten fachlichen Ergebnisse verbinden Sie mit Ihren Ulmer Forschungen?
Franz Josef Radermacher (FJR): Das Forschungsinstitut für anwendungsorientierte
Wissensverarbeitung wurde 1987 durch das Land Baden-Württemberg in Kooperation
mit einer Reihe von großen Industrieunternehmen gegründet. Es gab damals einen
KI-Hype von Japan kommend mit dem Fifth Generation
Programme. Die Gründung des FAW war eine Antwort von Politik und Wirtschaft
in Baden-Württemberg auf diese „Welle“. Ich hatte das Glück, in diesem
Gründungsprozess und die weiteren Aktivitäten von den Stiftern ausgewählt und als
Institutsleiter einbezogen zu werden. Das hat mein Leben insgesamt sehr
bereichert.
Die Gründer des FAW wollten die Begrifflichkeit
„Künstliche Intelligenz“ nicht für die neue Institutsgründung benutzen. Sie
waren stark von der industriellen Seite her geprägt. Darum haben sie den
Begriff „anwendungsorientierte Wissensverarbeitung“ als Name für das FAW gewählt.
Mir hat dieser Name gut gefallen, einerseits wegen der Anwendungsorientierung,
die ich selber schätze, andererseits wegen des Begriffs der
Wissensverarbeitung, der weit über künstliche Intelligenz hinausgeht, also im
Besonderen auch Wissensverarbeitung durch den Menschen und Wissensverarbeitung
als Produkt gesellschaftlichen Tuns umfasst.
Ich glaube nicht, dass der Begriff
„anwendungsorientierte Wissensverarbeitung“ damals – wie es die Frage
suggeriert – eine spezielle Auffassung dessen wiedergeben sollte, was
Informatik soll und kann. Eher ging es um eine Begriffsbildung, die Inhalte
erfasste, die irgendwo mit künstlicher Intelligenz in Verbindung gebracht
werden konnten. Natürlich bedeutet „anwendungsorientierte Wissensverarbeitung“ eine
anspruchsvolle Aufgabe, was die Wissenschaften im Allgemeinen betrifft. Mir hat
dieser breite Anspruch zugesagt und ich habe mich in den fast 30 Jahren
fachlicher Tätigkeit seit damals mit dem Begriff immer wohl gefühlt.
Die
fachlichen Ergebnisse aus weit über 100 Projekten in dieser Zeit zusammenzufassen,
ist an dieser Stelle kaum möglich. Einige Hinweise folgen nach einer Vorbemerkung,
die für mich persönlich besonders wichtige Themen hervorhebt. Für mich
besonders relevant war eine tiefe Beschäftigung mit der menschlichen
Intelligenz, mit Kognition und unserem Bewusstsein. Aber auch eine ähnliche
Fragestellung für Superorganismen, im Besonderen natürlich Insektenstaaten,
Großsysteme von Menschen, wie beispielsweise Unternehmungen, und ganz dominant
das Verständnis der Menschheit als intelligenten Superorganismus. Dem
Nachspüren des Zustands der Menschheit als Ganzes und Überlegungen zu einer
Zukunft der Menschheit, die insbesondere für alle Menschen lebenswert ist, hat
sich für mich zu einem dominanten Thema entwickelt, obwohl ich mit dieser Frage
auch schon beschäftigt war, bevor ich die Leitung des FAW in Ulm übernommen
habe.
Am
FAW/n wurde in Breite vieles angegangen – anwendungsorientiert. Wir haben interessante
Beiträge zur Entscheidungsunterstützung geleistet (Präferenz-Elizitierungswerkzeuge)
und sehr stark die Umweltinformatik bereichert (objektorientierte
Geoinformationssysteme, rechnergestützte Bearbeitung von Satellitendaten,
Aufbau des baden-württembergischen Umweltinformationssystems, Umgang mit Metadaten,
Nutzung von Web Tools zum Umgang mit Metadaten). Im Bereich Rechner-Telefon-Koppelung
haben wir eine erste Realisierung der Verknüpfung einer Siemens-Telefonanlage
mit einem IBM-Mainframe durchgeführt. Interessant waren frühe Arbeiten mit
Daimler und Robert Bosch zum Auto der Zukunft, insbesondere zu der Frage, in
wie weit ein Fahrzeug aus der Beobachtung des Fahrverhaltens eines anderen
Fahrzeugs auf die Intensionen des dortigen Fahrers schließen kann, z. B. bzgl.
der Frage, ob er abbiegen oder geradeaus weiter fahren will. Interessant waren
auch Arbeiten zur Generierung von Software und zur Verknüpfung verschiedener
Softwaresysteme über Middle-Ware-Komponenten. Wir haben am FAW sehr früh begonnen,
einen Roboter zu entwickeln, der kleinere Konferenzbesprechungen filmte und
eine ganze Reihe von Robotiksystemen entwickelt, die über Ausgründungen zu Firmen
geführt haben, die heute intelligente technische Lösungen für die Landwirtschaft
und weitere Anwendungsbereiche entwickeln (z. B. Fa. InMach GmbH, Ulm). Aus dem
FAW bzw. FAW/n wurden erfolgreich etwa 10 Firmen ausgegründet, insbesondere die
1998 gegründete Fa. Open Shop, die damals der zweitgrößte E-Commerce Anbieter
in Deutschland (nach Intershop) war.
BD: Ich
erinnere mich noch sehr gut an die von der Gesellschaft für Informatik (GI) in
den 1980er Jahren durchgeführten Kongresse zum Thema Wissensverarbeitung. Sie
zogen jeweils über 1000 Teilnehmer an. Außer Ihrem Institut in Ulm wurden
damals noch etwa ein halbes Dutzend andere KI-Institute in Deutschland
gegründet. Was hatte die Informatik als Wissenschaft damals anders eingeschätzt
als in späteren Jahren, als Künstliche Intelligenz (KI) und Wissensverarbeitung
plötzlich vom Bildschirm verschwanden? War das nur eine übertriebene
Gegenreaktion, weil Erfolge ausblieben? Auf welche bleibenden Ergebnisse aus
der deutschen KI-Forschung können wir heute zurückblicken?
FJR: Die
KI hat viele Erfolge vorzuweisen. Es ist viel passiert, was man begrifflich der
Künstlichen Intelligenz zuordnen kann – gerne aber auch anderen Anwendungsgebieten
der Informatik. Vieles davon war vor 30 Jahren so nicht zu erwarten. Die
Maschine gewinnt bei Schach, GO und Jeopardy. Das Navigationssystem führt uns
ans Ziel. Autos beginnen, selbstständig zu fahren. Mikrotrading im Finanzsektor
wird von Maschinen durchgeführt, ebenso die Zuteilung oder Ablehnung von Versicherungsanträgen.
Maschinen machen Diagnose- und Therapievorschläge in der medizinischen
Bildverarbeitung, Maschinen suchen relevante Fälle aus Rechtsdatenbanken
heraus. Computersysteme schreiben Pressenotizen und übersetzen einfache Texte.
Allerdings sind das alles Schritte, die Zeit kosten und immer wieder noch lange
nicht abgeschlossen sind. Darum erlischt das öffentliche Interesse rasch und
wendet sich neuen Themen zu.
Die moderne Welt organisiert sich nämlich gerne über „Hypes“,
auch in Prozessen der Entwicklung der Wissenschaften. Schlagworte werden
geboren, bekommen gesellschaftliche Präsenz, werden durch die Medien
hochgetrieben und übersetzen sich irgendwann in Förderprogramme, zum Beispiel
für die Wissenschaft. Um neue Begriffe herum entstehen neue Lehrstühle und
Institute, werden Partnerschaften zwischen Universitäten und der Wirtschaft
geschmiedet, werden große Forschungsprogramme des Bundes und der Länder und
mittlerweile auch der EU initiiert, organisiert sich letztlich der
wissenschaftspolitische Prozess im Sinne der Allokation großer „neuer“
Geldmittel. Ich habe in meinem Leben viele neue, für die Wissenschaft relevante
Termini miterlebt und durchlebt und diese Hype-Phänomene immer wieder beobachten
können, zum Beispiel in der Entwicklung der Datenverarbeitung, des Operation
Research, der Kybernetik, dem Aufkommen der Informatik, der Mechatronik, dem computer intergrated manufacturing, der
Welt der neuronalen Netze, dem Internet, dem Internet 2.0, dem Computing in der
Datencloud, der Robotik, Big Data, der Industrie 4.0 etc.
Dominant ist zu jedem Zeitpunkt die
Vorstellung, dass man an einem Thema arbeitet, das die Menschheit weiterbringt.
Wichtig ist, dass das Thema in einem gewissen Sinne „sexy“ ist, sich also für gesellschaftliche
Kommunikation eignet. Manche Menschen verbinden mit solchen Begriffen
euphorische Hoffnungen, andere haben das schon so oft gesehen, dass sie, egal
was gerade en vogue ist, skeptisch bleiben. Sie wissen, dass die tatsächlichen Probleme
in der Regel in neuer Form wiederkehren und dass wirklicher Fortschritt
schwierig ist, egal, wie der neue Ansatz aussieht. Wir haben den New Economy
Boom erlebt. Er hat viele Ideen nach vorne gebracht. Natürlich hat er dann im Zusammenbruch
der Blase zeitweise eine Investitionslücke erzeugt, eine Art Stau, der dann durch
einen neuen Hype, jetzt zum Beispiel bezüglich Big Data, überwunden wird. Das
Auf und Ab in der öffentlichen Wahrnehmung dieser Prozesse ist zu unterscheiden
von der Haltung von Menschen, die mit durchaus genügend viel Skepsis gegenüber
Versprechungen gleichzeitig in der Wahrnehmung der Potentiale, die im
Besonderen natürlich aus der Wirkung des „Mooreschen Gesetzes“ resultieren, für
dieses Thema und die Gesellschaft aktiv sind, egal unter welcher Überschrift
und die auch weiter machen, wenn ein Thema dann eine Zeit lang nicht in aller
Munde ist.
BD: Es besteht der Eindruck, dass die KI gerade
einen zweiten Frühling erlebt, weil sie inzwischen gewisse Erfolge aufzuweisen
hat, etwa in der Robotik und der Übersetzung natürlicher Sprache? Ist dieser
Erfolg eher dem Fortschritt der Hardware (Speichergröße, Rechnerleistung) zu
verdanken als den Fortschritten in der Algorithmik und der Software? Oder waren
es die um Semantik angereicherten Methoden der Datenbeschreibung?
FJR: Die KI erlebt im Moment einen neuen Frühling. In
meinen Augen nicht den zweiten, sondern mindestens den dritten. Sie hat
praktische Erfolge aufzuweisen, aber das hatte sie durchaus auch schon früher.
Wir sind jetzt wesentlich weiter in der Robotik, aber die Robotik bleibt ein
schwieriges Thema. Körper unter 3D-Bedingungen aktiv zu halten, ist ein
schwieriges Unterfangen. Interessant sind jetzt die Überlegungen zu einem
selbstfahrenden Auto. Das ist ja auch ein „Roboter“, aber ein Roboter
spezieller Art. Hier sind in der Tat erhebliche Fortschritte erfolgt, wobei aber
noch wichtiger ist, dass sich die großen IT-Giganten des Themas annehmen und
damit einen hohen gesellschaftlichen
Druck induzieren, tätig zu werden. Für Deutschland geht es um die
Sicherung einer exzellenten Marktposition im Automobilsektor, eines ökonomisch
besonders attraktiven Marktsegments.
Die Übersetzung natürlicher Sprache
bleibt ein großes Thema. Die Fortschritte sind allerdings begrenzt. Einigermaßen
funktioniert das Vorübersetzen technischer Manuale, erfolgreich ist man bei einzelnen,
einfachen Sätzen, etwa mit Google Translate. Hier arbeitet man im Wesentlichen
mit statistischen Methoden, also ohne tieferes Verständnis für das, was da
gesagt wird. Wir verdanken das natürlich den unglaublichen Fortschritten in der
Hardware, sowohl was die Speicher anbelangt, als auch die Rechnerleistung, weil
wir ja im Wesentlichen statistisch auf sehr großem „Korpora“ von Sätzen arbeiten,
also beispielsweise dem unglaublichen Volumen an übersetzten Inhalten bei der Europäischen
Union. Man hat in diesem Bereich die Algorithmik angepasst, man hat die
Software weiter entwickelt, die Datenbeschreibungen verbessert, aber im Kern ist
es das „Mooresche Gesetz“ mit seinem Faktor 1000 an Effizienzgewinn und Kostenverbesserungen
alle 20 Jahre, das die entscheidenden Fortschritte gebracht hat.
BD: Wie beurteilen Sie die Zukunft ‚kognitiver‘
Anwendungen, also von Anwendungen, die große Mengen von digitalisiertem Wissen
verarbeiten? Wird dies das Hauptarbeitsgebiet aller Informatiker, die heute in
den Beruf eintreten, also gerade das Fach Informatik an Hochschulen studieren?
FJR: In meinem Sprachgebrauch würde ich Anwendungen, die
große Mengen von digitalisiertem Wissen bearbeiten, noch nicht als kognitive
Anwendungen bezeichnen. Für mich ist kognitiv ein Begriff, der inhaltliche
Qualität andeutet, also ein Verständnis dessen, womit man umgeht, das über
Statistik hinausgeht. Also mehr in Richtung causation
und nicht nur in Richtung correlation.
Ich sehe auch nicht, dass die Verarbeitung derartiger Informationen, also alles
das, was heute unter dem Begriff Big Data läuft, das wichtigste sein wird, was
Informatiker tun werden, die heute in den Beruf eintreten. Schon deshalb nicht,
weil das eigentlich eher ein Thema ist, das in Richtung Statistik und
Algorithmik verweist als in die genuine Informatikrichtung. Ich glaube, wir
werden viele weitere Anwendungen der Informatik erleben, in allen Bereichen des
Lebens, wobei ein Hauptbeitrag der dort Tätigen darin bestehen wird, das
jeweilige Anwendungsfeld ausreichend gut zu verstehen und für den Einsatz von
IT-Technologie geeignet anzupassen. Ich bin auch optimistisch und habe
Hoffnung, dass man in die Richtung echter Kognition, also einem tieferen Verständnis
von Zusammenhängen, zum Beispiel auch bei der gesprochenen Sprache, mit
Rechnern weiter kommen wird und ich kann mir vorstellen, dass in diesem Bereich
viele Informatiker noch lange Zeit Arbeit finden werden.
BD: Was ist Ihr Ratschlag an (junge) Kollegen, die von
den Aussagen und Prognosen der Transhumanisten (z.B. Ray
Kurzweil) beunruhigt sind? Werden wir eine Superintelligenz erleben, die die
menschliche Spezies überragt? Werden Maschinen dem Menschen zur Gefahr? Wie
sinnvoll ist es, dass man versucht, das menschliche Gehirn nachzubauen, also
menschliches Denken zu imitieren?
FJR: Mein Ratschlag an junge Kollegen, aber auch an die
Gesellschaft insgesamt, ist in Bezug auf die Entwicklung der künstlichen
Intelligenz vorsichtig zu sein. Es gibt ein großes Potential, mit Hilfe solcher
Maschinen unsere Gesellschaft wesentlich positiv zu verändern. Es kann aber
auch sein, dass Akteure, die über viel Macht verfügen, sei es nun in der
Politik, in der Industrie, im Militär, im Finanzbereich, die Möglichkeiten der
Intelligenz von Maschinen über Grenzen hinaustreiben werden, deren Überschreitung
für uns Menschen gefährlich wird. Man denke nur daran, wie man Drohnen zu
Killerinstrumenten weiterentwickeln kann. Oder was passieren würde, wenn eine
technische Intelligenz in einer Welt, in der Automobile vernetzt autonom
fahren, die Kontrolle über die Automobile erlangen würde und diese als
Mordinstrumente einsetzt. Es kann durchaus sein, dass wir irgendwann ein
globales Moratorium brauchen mit der Zielsetzung, in der Weiterentwicklung der
Künstlichen Intelligenz bestimmte Möglichkeiten nicht weiter zu verfolgen. Ich argumentiere regelmäßig in diese
Richtung.
Sie stellen dann weiterhin die Frage, ob
es sinnvoll ist, dass man versucht, das menschliche Gehirn nachzubauen, also
menschliches Denken von der neuronalen Architektur her kommend zu imitieren?
Mit dieser Frage sind aus meiner Sicht viele Probleme verbunden. Wir sind im Moment
in einen neuen Hype dabei, sehr große Projekte in diesem Bereich zu fördern,
die in der Tat versuchen, auf der neuronalen Ebene das gesamte Gehirn abzubilden.
Ich halte diese Projekte für wenig sinnvoll. Die Komplexität der Struktur ist viel
zu groß, um sie vollständig nachzubilden. Und in diesen Details liegt auch
nicht die Antwort auf die Frage nach der Natur der Intelligenz – so wenig, wie
das Kennen kompletter Gensequenzen uns den Unterschied zwischen Mensch und Schimpansen
erklärt. Wenn man das Gehirn des Menschen verstehen will, dann muss man von der
Erkenntnis ausgehen, dass wir ̶ wie die
Säugetiere – über ein neuronales Netz verfügen, das uns viele sensomotorischen
Möglichkeiten eröffnet und beispielsweise auch die Basis für unseren
Gefühlsapparat bildet. Wir haben eine grobe Vorstellung, wie das funktioniert –
bei Menschen wie bei Tieren. Wo ist aber jetzt der Unterschied zwischen uns und
den Tieren, wobei dieser Unterschied durchaus graduell zu verstehen ist.
In meiner Interpretation der
Zusammenhänge ist in der Folge der biologischen Evolution auf unsrem neuronalen
Netz eine kleine „Turingmaschine“, ein kleiner Rechner, emuliert worden. Für einen
solchen Rechner ist es egal, ob er auf Basis von Holzkugeln, Papier, Röhren,
Silizium oder auf einem biologischen neuronalen Netz arbeitet. Seine
wesentlichen Fähigkeiten sind die einer Turingmaschine. Für die Intelligenzleistungen
des Menschen hat diese emulierte Turingmaschine eine extreme Bedeutung und man
versteht ihre Möglichkeiten am besten abstrakt.
Ich würde also empfehlen, in die
Richtung zu arbeiten, dass man ein Symbolverarbeitungssystem à la Turingmaschine
geeignet mit einem neuronalen System koppelt. Das ist zumindest zunächst noch
nicht gefährlich, würde zugleich interessante Erkenntnisse eröffnen. Das wäre
aus meiner Sicht ein sehr viel klügerer Ansatz als unglaublich viel Geld in
einen weitgehend standardisierten Kartierungsprozess der neuronalen Basis zu
stecken. Der vorgeschlagene Ansatz würde auch unterschiedliche Lager um das
Thema Intelligenz, Kognition und Bewusstsein miteinander kooperationsfähig
machen. Allerdings ist das natürlich nicht geeignet, um so viel (öffentliches) Geld
für Forschung zu generieren, wie das mit den momentanen Ansätzen möglich ist.
BD: Jetzt zu Ihren politischen Aktivitäten, die sie ̶ so erscheint
es mir ̶ inzwischen voll
auslasten. Sehen Sie sich mehr als Einzelkämpfer, als Rufer im Walde, oder sind
sie der Gründer einer neuen Massenbewegung? Grob gesehen, decken sich Ihre
Ziele mit denjenigen der Partei der Grünen, einer Partei, die zumindest in
unserem ‚Ländle‘ (Baden-Württemberg) nicht über zu wenig Anhänger klagen muss.
Oder anders gefragt: Sind Sie mit der Resonanz zufrieden, die Ihre politisch
motivierten Veröffentlichungen und Reden finden?
FJR: Was meine politischen oder besser gesellschaftlichen
Aktivitäten anbelangt, sind die zwar nicht das Einzige, was ich mache, aber sie
spielen in meinem Leben und in meinen
unterschiedlichen Aktivitäten eine große Rolle. Ich sehe mich dabei nicht als
Einzelkämpfer, sondern finde sehr viel Unterstützung. Nicht als Gründer einer
Massenbewegung, sondern als jemand, der zur Aufklärung beiträgt und glücklicherweise
dies nicht als Einziger tut. Ganz im Gegenteil, tausende tun dasselbe, wozu wir
uns übrigens nicht ständig miteinander koordinieren müssen. Angesichts der
bedrängenden Problemlage kommen viele Denker und Beobachter zu ähnlichen
Schlüssen. D.h. die Probleme koordinieren die Akteure.
Seit der Weltfinanzkrise hat sich in
diesem Kontext die internationale Politik von der marktfundamentalistischen „Freie-Markt
Philosophie“ in Richtung so genannter grüner und inklusiver Ökonomien (engl. green and inclusive economies) bewegt,
was nichts anderes ist als unsere langjährige Position des Eintretens für eine weltweite
Ökosoziale Marktwirtschaft.
Deckt sich das jetzt mit den Zielen der
Grünen? Teils ja, teils nein. Die Grünen betonen sehr stark den Aspekt Umwelt,
sozialdemokratische Parteien die Frage des Sozialen, christdemokratische
Parteien die Verantwortung im Sinne des christlichen Menschenbildes und die
Liberalen das ebenso wichtige Thema der Freiheit. Im ökosozialen Modell
brauchen wir alle diese Elemente, aber in einer geeigneten Mischung. Und diese
Mischung muss die jeweiligen Verhältnisse reflektieren. Befinden sich die
Verhältnisse z. B. zu nah an sozialistischen oder planwirtschaftlichen Strukturen
müssen Freiheit, Einsatz und Unternehmertum gefördert werden. Befindet man
sich, wie das im Moment der Fall ist, zu sehr in einem Zustand, bei dem sich
der Wohlstand und insbesondere die Vermögen bei vergleichsweise wenigen Personen
konzentrieren, müssen Mechanismen gefunden werden, diese in der Sache durch
nichts gerechtfertigte „Aneignung“ des von einer Gesellschaft geschaffenen Wohlstands
geeignet in Ordnung zu bringen.
Mit der Umwelt ist das nicht anders. Ist
die Umwelt in keinem guten Zustand, muss man in diese Richtung aktiv werden. Das
ist die große Zeit grüner Parteien. Ist die Umwelt in einem guten Zustand, dann
muss dieser Punkt nicht in den Vordergrund gestellt werden.
Mit der Resonanz, die meine Überlegungen
finden, bin ich zufrieden und das seit Jahrzehnten. Insbesondere erlebe ich
täglich, dass viele kluge Menschen zu ähnlichen Schlüssen gekommen sind wie
ich. Ebenso treffe ich auf viele Menschen, die mir für die Einsichten danken,
die sie in meinen Vorträgen oder Publikationen gefunden haben. Dies zu hören,
ist sehr motivierend.
Ein ganz anderes Thema ist allerdings die
Frage, wie man das alles umsetzt, im Besonderen die Frage, wie sich das
niederschlägt in konkrete Veränderungen der (globalen) Regelwerke, etwa in der
WTO, beim IWF oder auf den Finanzmärkten. Da tun wir uns sehr viel schwerer. Da
setzen sich immer wieder die spezifischen Interessen sehr starker
internationaler Akteure durch. Da setzt sich also z. B. das große Kapital
durch. Da haben wir massive Schwierigkeiten, mit denen wir versuchen müssen, irgendwie
umzugehen. Am ehesten gelingt das noch nach großen Krisen.
BD: Erleidet der Weg in eine karbonfreie Welt nicht
soeben einen Rückschlag durch das Fracking und den sehr niedrigen Ölpreis? Ist
nicht der Abgasskandal, den die deutsche Automobilindustrie verursachte,
für Sie wie ein Schlag ins Kontor? Dass Banker oft unverantwortlich handeln,
daran ist man fast gewöhnt. Aber jetzt stehen die Ingenieure und Programmierer am
Pranger. Wie lässt sich dergleichen in Zukunft verhindern?
FJR: Aus meiner Sicht ist noch nicht klar, dass die Welt in
einen karbonfreien Zustand muss. Es kann ja auch sein, dass wir eine technische
Möglichkeit finden, das Karbon zu nutzen. Für einen Ökonomen ist ansonsten klar,
dass der Weg in eine karbonfreie Zukunft nur über sehr lange Zeiträume
ausgestaltet werden kann, denn die erschlossenen Depots fossiler Energieträger
sind nicht nur nach wie vor das Rückgrat der Weltökonomie, sie gehören auch zu
den werthaltigen Eigentumstiteln. Hier über politischen Zwang und ohne
Entschädigung aussteigen zu müssen, wäre die größte Enteignungsmaßnahme in der
Geschichte der Menschheit. Wenn das entschädigungslos passieren würde, würde das
die Verarmung von Akteuren bedeuten, die heute leistungsstark sind. Ganze
Staaten wie Russland würden in existenzielle Nöte kommen. Das wäre nichts
anderes als eine Art Kriegserklärung an diese enorm mächtigen Akteure. Das
würde nicht gut gehen. Und es kommt eines hinzu. Diese werthaltigen Assets,
also z. B. erschlossene Ölfelder, sind wesentliche Teile der Aktiva der
Bilanzen sehr großer Unternehmen. Diese Unternehmen würden bei kurzfristiger entschädigungsloser
Enteignung reihenweise in den Konkurs gehen. Wir erleben Vorahnungen solcher Prozesse
gerade in Deutschland bei Firmen wie z. B. RWE, mit enorm negativen Konsequenzen
und finanziellen Belastungen für diejenigen Kommunen, die Anteile an diesen
Firmen halten. Wenn diese Firmen straucheln, straucheln ihre Zulieferer,
straucheln die Arbeitsplätze, von Steuerzahlungen und Dividenden gar nicht zu
reden.
Anders ausgedrückt: Der Weg in eine
karbonfreie Welt braucht sehr viel mehr politische und finanzielle Flankierung,
als das heute diskutiert wird. Insofern sind für mich die Entwicklungen um das
Fracking und den Ölpreis nichts anderes als ein Hinweis darauf, dass sich die
Betroffenen auf die eine oder andere Art zu wehren wissen und damit müssen wir umgehen.
Der Abgasskandal ist vom Charakter her
anders, aber er macht das Problem ebenfalls deutlich. Natürlich kann eine
Politik versuchen, mit immer strikteren Regulierungen den Weg in Richtung
Senkung von CO2-Emissionen voranzutreiben, z. B. die entsprechenden
Abgaswerte bei Automobilen dazu immer weiter absenken. Wenn man dann allerdings
forciert von Seiten der Politik her Dinge fordert, die lebenspraktisch und zu
verkraftbaren Kosten nicht geleistet werden können, die insofern das
Geschäftsmodell von großen Unternehmen bedrohen und die für den Bürger als
Konsumenten bedeuten, dass er nicht mehr die Automobile kaufen kann, die er kaufen
will, dann sucht sich das System Lösungen. Oder um es anders auszudrücken, die
Bürger mögen zwar Klimaschutz generell gut heißen, aber nicht um den Preis,
dass sie die von ihnen gewollten Automobile nicht mehr kaufen können. Und da es
viel klügere Lösungen gibt, das Klimaproblem anzugehen, als die zu schnelle Verschärfung
technischer Standards, gibt es auch keinen wirklichen Grund, diesen Weg gehen
zu müssen. Der Weg, der heute in Teilen der Politik verfolgt wird, ist seinem
Charakter nach viel zu national und viel zu planwirtschaftlich gedacht.
Das heißt auch, dass
die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, oft nicht eine Folge davon sind,
dass Ingenieure oder Programmierer ethisch verwerflich orientiert wären. Es
geht eher darum, wie ein Gesamtsystem sich entscheidet und wie dann unter
Marktverhältnissen Akteure sich verhalten bzw. sich verhalten müssen, wenn sie
beispielsweise ihren Arbeitsplatz und damit ihren Lebensstandard erhalten wollen.
Das heißt auch, dass die Verhinderung solcher Geschehnisse in der Zukunft nicht
einfach eine Folge von besserer Aufsicht und besserer Regulierung sein wird. Die
nicht zu scharfe Aufsicht war auch ein Weg, wie wir uns selber täuschen konnten
über unsere ideellen Aspirationen einerseits und über das, was wir uns für
unser Leben materiell wünschen, andererseits. In dem Maße, wie wir durch
Kontrolle diese Selbsttäuschung verunmöglichen, wird das letzten Endes
politisch dazu führen, dass wir dann andere Dinge beschließen werden,
beispielsweise weniger forciert die technischen Normen für Fahrzeuge zu verschärfen.
Wir werden stattdessen dann über andere Wege nachdenken, dem Klimawandel zu
begegnen, z. B. durch gewaltige internationale Aufforstprogramme zur
Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre und zur Gewinnung von Zeit. Solche
Programme wären auch aus vielen anderen Gründen wünschenswert, aber das ist
noch nicht in das allgemeine Bewusstsein gedrungen. Ganz im Gegenteil, über
Kampfbegriffe wie „Freikauf“ oder „Ablasshandel“ wird versucht, schon das
Nachdenken über solche Programme zu erschweren.
BD: Wie in meinem erwähnten Blog-Beitrag ausgeführt,
erwarten Sie drei mögliche Szenarien für die Weiterentwicklung des Globus:
Kollaps, Spaltung oder Ausgleich (Balance). Mir fiel auf, dass Sie der Option
Balance bei Vorträgen in 2007 und 2014 unverändert eine Chance von 35% gaben.
Seither bin ich geneigt, Sie etwas als Zweckoptimisten anzusehen. Alles deutet
doch darauf hin, dass die Spaltung in Wirtschaft und Gesellschaft mit
Riesenschritten fortschreitet. Auch Thomas Piketty,
den ich auf Ihre Empfehlung hin las, kann ich nicht anders interpretieren. Wo
nehmen Sie Ihren Optimismus her? Oder besser, welche konkreten Fakten lassen
sich in Ihrem Sinne deuten und extrapolieren?
FJR: In der Tat sehe ich für die Zukunft die drei Szenarien
Kollaps, Spaltung oder Ausgleich. Und ja, meine Wahrscheinlichkeitseinschätzung
dazu hat sich im letzten Jahrzehnt nicht verändert. Woran liegt das? Es liegt
daran, dass wir uns auf gesellschaftlicher Seite auf einem Grat bewegen. Die „Kugel“
rollt auf einem Grat, es ist noch nicht entschieden, in welches Tal (zu welchem
Attraktor) sie letztlich hinlaufen wird.
Es ist richtig, dass sich in den letzten
Jahren viele Dinge verschlechtert haben. Nicht zuletzt durch die Explosion der
Weltbevölkerung, den stärker werdenden Klimawandel, den Migrationsdruck, der
Rückfall der Staaten in nationale Egoismen, auch in Europa. Aber dem steht
kompensatorisch gegenüber, dass die Weltgemeinschaft ihren Blick auf das
ökonomische, insbesondere weltökonomische System, nach der Finanzkrise
2008/2009 dramatisch verändert hat. Wir sprechen heute, wie oben schon erwähnt,
von grünen und inklusiven Märkten, nicht mehr von freien Märkten. Die Illusion,
dass der freie Markt die Dinge schon richten wird, dass der Markt über einen „Trickle
Down Effekt“ dafür sorgen wird, dass alle vom Wachstum fair profitieren, hat
sich als Irrglauben für jeden sichtbar gezeigt. Und dass der Markt aus sich
heraus schon dafür sorgen wird, dass wir die Umwelt schützen, glaubt heute auch
niemand mehr.
Alle diese Punkte wurden als Propaganda
entlarvt. Sie waren nie etwas anderes, sie werden von interessierten Kreisen so
platziert, und zwar von Kreisen, die die Macht haben, ihre Sicht der Dinge
öffentlich massiv zu positionieren.
Nach der Finanzkrise ist jetzt die
„Magie“ dieser Formel gebrochen. Die Notwendigkeit der Regulierung ist heute
allgemein akzeptiert. Gedanklich operieren wir in einem Paradigma, das gut mit
weltweiter Ökosozialer Marktwirtschaft beschrieben werden kann. Die Probleme
sind natürlich, dass wir da lange nicht sind, auch wenn wir jetzt wenigstens die
richtigen Worte benutzen. Thomas Piketty, den Sie erwähnen, hat sehr gut
beschrieben, wie wenig erträglich sich die Verhältnisse bei der Anhäufung von
Eigentum entwickeln. Die Verhältnisse laufen dort in die falsche Richtung. Interessanterweise
hat sich seit der Weltfinanzkrise aber gerade in diesem Umfeld durch politische
Maßnahmen auch vieles in die positive Richtung bewegt - Prozesse, die ich in
dieser Form kaum je zu erhoffen gewagt hätte. Die Staaten der Welt sind sehr
entschieden in Richtung Steuerparadiese aktiv geworden. Die Schweiz hat ihr
Geschäftsmodell vollkommen verändert. Alle diese Prozesse sind nicht abgeschlossen,
aber es ist viel passiert. Dasselbe gilt für die Argumentation gegen aggressive,
grenzüberschreitende Steueroptimierung. Auf G20-Ebene und auf der Ebene der
OECD ist sehr viel passiert und sogar innerhalb der EU, wo man jetzt die sehr
weitrechenden „Deals“ von Staaten mit Unternehmen in der Frage der Steuern plötzlich
nicht mehr als Steuerthema wertet (da sind die Staaten zuständig), sondern sie
im Lichte des Wettbewerbsrechts als Subvention einordnet und deshalb dagegen
angehen kann, denn dafür ist die EU zuständig und solche Subventionen sind nur
in einem sehr engen Rahmen erlaubt.
Die OECD-Vereinbarungen zur
automatischen Übertragung von Informationen zwischen Finanzämtern und
Sitzstaaten von Eigentümern sind bemerkenswert, ebenfalls die neuen
Regulierungen zur Schaffung von Transparenz bei Firmen, aber auch bei Trusts
und Stiftungen. Dabei geht es darum, dass jetzt immer die Personen bekannt sein
müssen, die ökonomisch profitieren. Die Bemühungen um Eigentumskataster gehen zügig
voran. Es ist erstaunlich, was passiert ist. Und wenn sich auch die USA, die
sich mit ihrer ökonomischen Macht und der FATCA-Regulierung alle Steuerinformationen auf dem Globus
für ihre Zwecke besorgen, auf OECD-Ebene weigern, bei sich zu Hause
durchzusetzen, dass ihre Bank den anderen Staaten dieselben Daten zur Verfügung zu
stellen, so sind wir doch sehr viel weiter als vor zehn Jahren. Wir erkennen
jetzt auch alle klarer die Rolle der USA als wichtigstes verbliebenes Steuerparadies
(z. B. die Staaten Nevada und Florida) und reden darüber. Das verändert die
Welt.
Infolge der Panama-Papiere werden sich
die Prozesse weiter in die richtige Richtung entwickeln. Piketty hat in diese
Richtung viel bewirkt. Viele Fachleute diskutieren jetzt darüber, wie schädlich
es ist, wenn Kapital zu sehr konzentriert ist und auf welche Weise hoch-konzentriertes
Kapital seine Interessen politisch durchsetzt. Im Besonderen eröffnen uns die Möglichkeiten
der IT neue Chancen. Nicht nur liefert die IT die Basis für die Leaks, die so
unendlich wichtig sind, um Missstände aufzuzeigen und tatsächliche Verhältnisse
zu entlarven und der aufgebauten „Fassade“ schöner Worte die „Maske
herunterzuziehen“. Dieselbe IT wird es irgendwann auch möglich machen, ein
individuelles Welteinkommen zur Basis der Besteuerung zu machen und insbesondere
progressiv zu besteuern. Dann müssen wir im Bereich von Kapitalerträgen keine
besonderen Vergünstigungen mehr einräumen und dann werden Einkommen aus
Kapitalerträgen irgendwann so versteuert werden wie andere Einkommensarten
auch. Wir haben also an dieser und an anderen Stellen durchaus Chancen, uns
weiter in die richtige Richtung zu bewegen. So sehr sich die Dinge in den
letzten zehn Jahren also verschlechtert haben, so sehr haben sich andere Dinge
verbessert und deshalb ist meine Einschätzung in Bezug auf die Wahrscheinlichkeiten
für die möglichen Attraktoren zukünftiger Entwicklungen nicht anders als vor einem
Jahrzehnt.
BD: Überrascht war ich durch Ihre recht klare Aussage,
dass Sie nicht den Mangel an Ressourcen für entscheidend halten (dank ständiger
Innovation), sondern den Mangel an Kaufkraft. Spielt nicht auch der Mangel an
politischer Stabilität eine große Rolle, da dadurch die Bildung
fortgeschrittener Infrastrukturen behindert wird? Stellen nicht die
gescheiterten Staaten (engl. failed
states) Afrikas, wie Somalia und Libyen, eine Gefahr dar als möglicher
Auslöser für ein noch größeres Anrennen gegen die Festung Europa, als wir es
gerade erleben? Wenn überhaupt, in welcher Zeitspanne erwarten Sie, dass die
positive Entwicklung überwiegt? Noch in der Lebenszeit unserer Generation oder
erst in 50 oder 100 Jahren?
FJR: Meine klare Aussage ist zunächst etwas präziser, dass
nicht der Mangel an Ressourcen das entscheidende Defizit ist, um eine Welt in
Wohlstand zu schaffen. Für eine Welt in Wohlstand brauchen wir adäquate
technische Innovationen, kombiniert mit entsprechenden politischen
Innovationen. Bei den technischen Innovationen steht ganz oben ein neues
Energiesystem (wahrscheinlich bestehend aus vielen spezifischen Komponenten für
je spezifische Bedürfnisse und je spezifische lokale Gegebenheiten), überall
auf der Welt verfügbar, preiswert, umweltfreundlich, klimaneutral. Im
politischen Bereich brauchen wir eine Governance, die die Prinzipien einer weltweiten Ökosozialen
Marktwirtschaft tatsächlich durchsetzt. Zu einer solchen gehören massive
Umlenkungen von Finanzen, einerseits weg von den Haltern der mittlerweile zum
Teil exzessiv übergroßen Vermögen, andererseits aber auch durch die vernünftige
Bepreisung der Nutzung der globalen Gemeingüter. Diese Bepreisung soll
einerseits den Nutzungsumfang dieser Gemeingüter klug eingrenzen, andererseits entsprechenden
Einnahmen in weltsoziale und weltökonomische Prozesse lenken (z. B. zur
Durchsetzung der Agenda 2030 und zur Stabilisierung der Situation im
Klimabereich. Adressiert werden muss auch die Thematik der Familienplanung).
Die Bekämpfung von Umweltzerstörung und Klimawandel kommen als größere Aufgaben
hinzu. Die heute zu starke Nutzung der Ressourcen durch leistungsstarke Akteure
und der Ausschluss der Ärmsten von diesen Möglichkeiten ist nicht akzeptabel.
Die Governance muss sich an dieser Stelle deshalb verändern, sie muss insbesondere
auch die benötigten Innovationen fördern.
Ich habe auch vom Mangel an Kaufkraft
gesprochen. Das bezog sich vor allem auf das Problem des Hungers, verbunden mit
der Aussage, dass wir im Moment Nahrung für die (vegetarische) Ernährung von 13
Milliarden Menschen produzieren, aber zurzeit „nur“ 7,5 Milliarden Menschen auf
der Erde leben. Wir stecken allerdings die Hälfte dieser von uns produzierten Nahrung
in Fleisch. Ich argumentiere hier nicht gegen Fleisch, sondern gegen Hunger und
damit gegen eine Verteilung von Kaufkraft, die nicht tragfähig ist und aus ethischer
Sicht nicht akzeptiert werden kann.
Den Ärmsten fehlt nämlich die Kaufkraft,
sich auch nur das bisschen Nahrung zu kaufen, dessen es bedürfte, damit sie
nicht verhungern. Die Reichen haben so viel Kaufkraft, dass sie sich auch noch
diese geringen, den Armen nicht zur Verfügung stehenden Nahrungsmittelvolumina
pro Kopf auf ihre Seite ziehen können, um z. B. ihren Fleischkonsum noch einmal
auszudehnen oder jetzt auf Biosprit zu setzen.
Hier wird erneut deutlich, dass wir auf
der einen Seite mit Innovationen Unglaubliches bewirken können. Wir haben die
Nahrungsmittelproduktion auf diesem Globus in den letzten 300 Jahren mehr als verzwanzigfacht.
Wir haben gleichzeitig immer noch Hunger in der Welt. Das ist eine Frage der
Regulierung oder anders ausgedrückt der Kaufkraftzuordnung. Die Welt muss zu
anderen Lösungen kommen als sie heute implementiert sind.
Die Diskussion über ein bedingungsloses
Grundeinkommen hat hier einen wichtigen Punkt auf ihrer Seite. Es hat zwar viel
für sich, dass Menschen ihren Lebensstandard durch Arbeit verdienen, weil
Arbeit sehr viel mehr gibt, als nur Geld zur Sicherung des Lebensstandards.
Aber da, wo das ökonomische System nicht „liefern“ kann, was Arbeitsplätze
anbelangt, wo also die Wirtschaft die entsprechenden werthaltigen Arbeitsplätze
nicht zur Verfügung stellt, müssen wir eben über andere Wege nachdenken,
Kaufkraft verfügbar zu machen. Menschenwürde bedeutet in jedem Fall, dass ein
Mensch über ein auskömmliches Einkommen (bzw. Vermögen) verfügt, um die
materiellen Voraussetzungen für die Sicherung seiner Würde herzustellen. Dahin
muss die Governance in Zukunft wirken und zwar nicht nur in jedem einzelnen
Land, sondern auf der ganzen Welt. Wobei man dafür nicht notwendigerweise ein
Weltsozialsystem braucht, aber eine Solidarität unter den Staaten, auf
verschiedene Weise, auch durch Finanztransaktionen, dafür zu sorgen, dass es in
jedem Staat, auch in den ärmsten, ein entsprechendes Sozialsystem gibt. Solche Systeme wären im Übrigen
ein wichtiger Hebel, endlich in Bezug auf das Wachstum der Weltbevölkerung zu
einer Umkehrung der heutigen, bedrohlichen Wachstumsverhältnisse zu kommen.
Im Übrigen haben Sie Recht, dass die
fehlende politische Stabilität in vielen Ländern, also z. B. die Probleme mit failing states, enorme Schwierigkeiten
für uns aufwerfen. Sie sind global betrachtet Teil des Prozesses, der in
Richtung Zweiklassengesellschaft oder gar Kollaps führt. Andererseits kommen
mit diesen Zusammenbrüchen die nicht gelösten Probleme der Welt zu uns.
Entweder auf zwei Beinen über forcierte Migration oder auch in Form von Terror.
Das setzt bei uns Kräfte frei, die hilfreich sein können, natürlich auch
Kräfte, die destruktiven Charakter besitzen. Im günstigsten Fall sind es Kräfte
des gemeinsamen Arbeitens an Problemen, etwa die Art, wie wir aktuell in
Deutschland versuchen, die Migration positiv zu sehen, dann aber auch mit
nordafrikanischen Anrainerstaaten Abkommen zu schließen, um die Prozesse zu
kanalisieren und dazu endlich auch Geld zu transferieren, um Stabilisierung zu
ermöglichen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch die negativen Reaktionen
eines Rückfalls in den Nationalismus. Das sind alles Elemente auf dem Weg in
eine der drei Zukünfte und die Ambivalenz der Entscheidungen, die wir im Moment
sehen, reflektiert nichts anderes als die Wahrscheinlichkeiten, über die wir
oben diskutiert haben. Klar ist, positive Entwicklungen können nicht beliebig
lange auf sich warten lassen. Wesentliche Fragen werden in 50 Jahren geklärt
sein, teils schon wesentlich früher. Es liegt in der Natur exponentieller
Prozesse und sich kumulierender Probleme, dass sie auf eine Entscheidung
hindrängen. Der labile Zustand der „Kugel auf dem schmalen Grat“ ist nicht
beliebig lange zu halten. In den nächsten Jahrzehnten werden sich die
entscheidenden Dinge klären.
BD: Ihre Betonung der ‚Qualität der Gehirne‘ finde ich richtig
und wichtig. Ich halte es allerdings für eine Verkürzung. Ich nehme an, dass
Sie nicht nur an Hardware (bzw. Wetware) denken, um im Bild der Informatik zu
bleiben, sondern auch an Software und Daten. Entscheidend ist doch, dass hohe
Kompetenzen auf Gebieten vorhanden sind, die für die Zukunft der Menschheit
wesentlich sind, z.B. Naturwissenschaft und Technik, und dass sie von der
Motivation begleitet sind, diese Kompetenzen zeitnah und konstruktiv zur
Anwendung zu bringen. Das ist ein Erziehungs- und Bildungsideal, dem wir uns auch
in Deutschland erst noch annähern sollten. Sehen Sie das anders?
FJR: Ihre Formulierungen zum Thema „Qualität der Gehirne“
gefallen mir gut. Damit ist in der Tat keine Verkürzung auf Hardware bzw. die
rein mechanische Seite der Angelegenheit gemeint. Gemeint ist, dass wir
Menschen zu unglaublichen Dingen fähig sind und dass wir in der Kombination
unserer naturwissenschaftlichen-technischen Möglichkeiten wie unserer geistes-
wie sozialwissenschaftlichen Fähigkeiten in der Lage sein sollten, sowohl die
benötigten Innovationen in Technologie, wie diejenigen in Governance zu realisieren.
Es gibt gute ethische Gründe, sich dafür zu engagieren, aber es reicht als
Motivation dafür auch schon ein sogenannter einsichtsvoller Egoismus.
Für die Menschheit als Ganzes ist es am
besten, diesen Weg zu gehen und damit gleichzeitig weltpolitische Strukturen zu
schaffen, die beispielsweise in Bezug auf künstliche Intelligenz die Moratorien
erlauben, die oben diskutiert wurden. Auf diesem Weg werden dann endlich auch
die Trends in der Bevölkerungsentwicklung umgekehrt. Die Zahl der Menschen auf
der Erde könnte endlich schrumpfen, statt immer nur zu wachsen.
Bildung spielt eine große Rolle, um sich
diesem Ziel zu nähern. Bildung ist ein wichtiges Thema, im Besonderen auch die
Bildung für nachhaltige Entwicklung. Natürlich brauchen wir Menschen, die in
unseren Wissenschaften an der Front des Möglichen arbeiten. Wir sollten
allerdings nicht glauben, dass Exzellenz im Sinne der Wissenschaften das
Einzige wäre, was zählt. In der Finanzkrise gehörten zu den Akteuren und
Machern der „Plünderungen“ durch einen entfesselten Finanzsektor Personen, die
zu den bestausgebildeten Mathematikern, Informatikern, Ökonomen, Juristen, Steuerfachleuten,
Wirtschaftsprüfern, Notaren der Welt gehörten. Eine enorm hohe formale
Qualifikation heißt noch nicht, dass man ein Humanist ist, Empathie für andere
hat und das Herz an der richtigen Stelle sitzt. Wir brauchen dazu auch so etwas
Altmodisches wie Herzensbildung. Der
Stellenwert von Herzensbildung muss weltweit deutlich erhöht werden, und wir
sollten auch viel stärker anerkennen, was zum Beispiel nach wie vor in Familien
in Richtung Herzensbildung geleistet wird. Das ist ein entscheidender Baustein,
um eine gute Zukunft zu ermöglichen.
BD: Die so genannten Panama-Papiere haben erneut bewiesen, wie hoch die
Beträge sind, die von Privaten und von Unternehmen an der Besteuerung vorbei
bewegt werden, also an ihrer Verwendung für gesellschaftliche Aufgaben. Bei
welchen internationalen Organisationen besteht noch Hoffnung, dass sie in Ihrem Sinne durchgreifen? Ist der Begriff
‚Weltinnenpolitik‘ mehr als ein schönes Wort? Die UNO hat zwar Ende 2015 in
Paris mutige Beschlüsse gefasst, ihre Umsetzung wird noch viele Fragen
aufwerfen. Die EU hat es derzeit schwer, mehr als nur ihr Überleben zu sichern
(z.B. gegen Flüchtlinge und BREXIT). Kann man sie wirklich noch als Muster für
die Welt hinstellen, so wie Sie dies taten? Ist auf Bürgerinitiativen (NGOs)
mehr Verlass?
FJR: Die über die Panama-Papiere und andere Leaks deutlich
gewordenen verdeckten Verhältnisse sind Teil der Probleme, mit denen wir zu
kämpfen haben. Die Ausnutzungen insbesondere supranationaler Struktur- und
Intransparenzverhältnisse durch Akteure höchster Leistungsfähigkeit und der
Einfluss dieser Akteure auf die Politik ist die zentrale Herausforderung. Es
ist geradezu unerträglich, wie sich höchste Einkommen und höchste Vermögen der
Besteuerung entziehen und die Kosten zum Erhalt der Governance- und
gesellschaftlichen Infrastrukturen, die diesen Wohlstand überhaupt erst
ermöglichen, von den Normalbürgern und dem Mittelstand auf Unternehmerseite getragen
werden müssen. All das hat viel zu tun mit einer Welt, die in Nationalstaaten
organisiert sind, während das ökonomische System längst global strukturiert
ist. Einigungen auf internationaler Ebene sind schwierig, wobei insbesondere
die reichen Länder nichts mehr fürchten, als mit dem Rest der Menschheit in
eine Art weltdemokratischem Zusammenhalt eingezwängt zu werden, weil sie wissen,
dass sie dann sehr viel umfangreicher für die Finanzierung des Weltgemeinwohls
herangezogen werden würden, als das heute der Fall ist. Weltinnenpolitik ist
erforderlich, wenn Nachhaltigkeit erreicht werden soll, würde uns aber auch
stärker belasten. Deshalb wird dies in einer sehr kurzfristig ausgerichteten
Haltung möglichst vermieden. Wir sind insofern von Weltinnenpolitik weit
entfernt. Die jüngsten Beschlüsse von New York und Paris, so wichtig sie sind, sind
ja zunächst auch nicht viel mehr als Worte. Rechtlich unverbindlich, ohne klare
Verantwortlichkeiten und vor allem ohne Budget. Wie oben beschrieben, führt der
zunehmende Druck in Richtung Re-Nationalisierung. Mit Blick auf eine
nachhaltige Entwicklung ist das die falsche Richtung, aber es ist
nachvollziehbar, dass passiert, was passiert. Und dass die politischen Ränder
dabei stärker werden, war zu erwarten und dass das eine auf Zukunft
ausgerichtete Politik erschwert, wird niemanden überraschen.
Die Probleme, die die EU heute hat, sind
offensichtlich. Wir können nur hoffen, dass die EU diese Probleme überwindet.
Wenn das gelingt, wird Kanzlerin Merkel daran einen großen Anteil haben. Ich
bin sehr froh, dass wir diese Kanzlerin haben und dass sie so agiert, wie sie
es tut. In jedem Fall bleibt die EU eine Hoffnung für die Welt, denn das ist
die Richtung, in die wir agieren müssen, wenn Balance das Ziel ist. Dass die EU
Schwierigkeiten hat, spricht nicht dagegen, dass dies die Richtung ist, in die
wir uns bewegen müssten. Aber es macht eben auch deutlich, dass das vielleicht
nicht gelingen wird.
Die Szenarien Kollaps und Spaltung haben
bei mir zusammen eine Wahrscheinlichkeit von etwa zwei Drittel. Deshalb
überrascht es mich nicht, dass das, was in Richtung Balance weist, was in
Richtung des einen Drittel Wahrscheinlichkeit für globale Nachhaltigkeit und
Weltinnenpolitik weist, unter Druck kommt.
Auf wen ist in dieser Situation Verlass?
Auf die Bürgerinitiativen auch nicht mehr als auf die Politik, denn viele
Bürgerinitiativen verfolgen sehr egoistische Ziele. Manchmal wissentlich,
manchmal vielleicht auch ohne es zu merken. Zum Beispiel engagieren sich bei
uns viele für eine Energiewende in einer Weise, die bestimmten Branchen nutzt,
aber für das Weltklima viel zu wenig bewegt für das, was es kostet. Weil sie
nur lokal denken und nicht in Form weltweiter Konsequenzen. Wir können für den
Weg in eine vernünftige Welt, in eine Weltinnenpolitik, primär nur auf das
Miteinander aller positiv wirkenden Kräfte hoffen, also auf das Miteinander der
Politik, vor allem supranational, der Unternehmen und der Zivilgesellschaft,
also z. B. der NGOs genauso wie der Konsumenten. Nur in einer klugen
Wechselwirkung der verschiedenen Akteure haben wir die Chance, eine vernünftige
Zukunft zu erreichen. Diese Chance zu haben, Wahrscheinlichkeiten hin oder her,
ist viel mehr als nichts.
BD: Wo stecken Ihre wahren Verbündeten? Wie kann man sie
mobilisieren? Welche Rolle können Fachkollegen spielen? Können die Gesellschaft
für Informatik (GI), der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) oder andere helfen?
FJR: Sie fragen, wo meine wahren Verbündeten sind? Mir ist
das alles viel zu personifiziert. Ich sehe mich als Teil eines Superorganismus
Menschheit in einer Welt von 7,5 Milliarden Menschen mit einer materiellen
Strukturbildung im Wert von vielleicht 400.000 Milliarden US-Dollar. Also als „kleines
Rädchen“ in einem enorm komplexen und wirkungsvollen System. Glücklicherweise
gibt es aber tausende andere, die ähnlich operieren wie ich das tue. An vielen
Stellen ringen Akteure um die Zukunft, viele kommen zu ähnlichen Schlüssen. Sie
können sich durch öffentliche Artikulation und Aktionen in ihrer Wirkung verstärken,
sich informieren, Koalitionen bilden. Alleine wäre also die Lage hoffnungslos,
wir reden über eine Welt mit 7,5 Milliarden Menschen. Aber glücklicherweise
gibt es an vielen Stellen viele Akteure, die in eine Richtung agieren, die von
Empathie geprägt eine Welt in Balance will und durchaus als möglich ansieht. Es
gibt leider auch viele, die wollen eine Zweiklassengesellschaft und sehen sich
als Teil der kleinen Elite. Andere Kräfte sehen die Lösung unserer Probleme eher
in so etwas wie einer planwirtschaftlichen Knappheitsverwaltungsstruktur, die
von Suffizienzvorstellungen her bestimmt wird. Es gibt Akteure, die das
Potential des technischen Fortschritt sehen, über den Rebound-Effekt
Bescheid wissen und deshalb der Global Governance zentrale Bedeutung beimessen. Die Kombination aus
Governance und Technikentwicklung, von den akademischen Disziplinen her
interessanterweise von der gesellschaftswissenschaftlichen Seite bis hin zur Technikseite
und Naturwissenschaft, hat aus meiner Sicht das entscheidende Potential.
Es ist keine Frage, dass in diesem
Kontext Fachkollegen der Informatik, die GI und der VDI, wichtige Akteure sind
und eine wichtige Stimme haben. Meine Erfahrung über die letzten Jahrzehnte
war, dass mit Ingenieuren tendenziell Verständigung über das Erforderliche
relativ einfach möglich ist. Das ist eine Folge des analytischen Denkens. Nicht
so einfach war es, solche Vertreter dafür zu gewinnen, sich öffentlich zu
äußern. Aber auch das ist immer öfter passiert. Meine Hoffnung ist, dass es
noch viel öfter passieren wird.
BD: Vielen Dank für die sehr ausführliche Beantwortung
meiner Fragen. Ich finde es erstaunlich, wie es Ihnen gelingt, auch komplexe
Zusammenhänge zu erklären. Ich kann daher vor allem meinen jungen
Leserinnen und Lesern sehr empfehlen, dieses Interview zu lesen.