Es vergeht heute kaum ein Tag, an dem
nicht über den demografischen Wandel geklagt wird. Neben dem Klimawandel ist es
ein immerwährendes Thema. Beide Phänome werden quasi als die modernen Geißeln
Gottes gesehen. Beide sind von Menschen verschuldet. Beide sind weltweite
Phänomene. Beim Klimawandel war die vermutete Ursache der sorglose Verbrauch
fossiler Energien. Beim Bevölkerungswandel hat es irgendwie mit unserem
Sozialverhalten zu tun. Oft wird auch die Verfügbarkeit einer Pille, die
ungewollte Schwangerschaften verhütet, als das auslösende Ereignis angesehen.
Im Folgenden will ich mich weniger an der Suche nach Ursachen beteiligen,
sondern die Wirkung beschreiben.
‚Normale‘ Bevölkerungsentwicklung
Noch vor 80 Jahren, also zur Zeit meiner
Geburt, besaß Deutschland eine sehr regulär aussehende Bevölkerungspyramide.
Dass sie auf der Seite der Männer eine Delle hatte, war die Folge des Ersten
Weltkriegs. Die Frauenseite war dagegen eine gerade Linie. Solche Verläufe gibt
es auch heute noch in vielen Ländern der Welt. Eine Bevölkerungspyramide wurde
in den letzten Jahrhunderten als normal angesehen, wenn in jedem Alter etwa
gleich viele Menschen starben, d.h. ebenso viele 10-jährige, wie 20-jährige,
30-jährige, usw. Besonders in Ländern Afrikas und des Nahen Ostens hat sich der
Anteil Jugendlicher stark erhöht. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag
früher bei uns bei etwa 65 Jahren. In vielen armen Ländern liegt sie heute noch
unter 50 Jahren. Die Weltbevölkerung war stetig im Wachsen begriffen.
Bevölkerungsentwicklung in den reichen
Ländern
Seit etwa 50 Jahren weichen etwa 12-15
Länder der Erde von der früher als normal angesehenen Entwicklung ab. Es sind
dies alle OECD-Länder, d.h. alle Länder mit vergleichsweise hohem Wohlstand.
Die entscheidenden Unterschiede resultieren aus einer Verringerung der Kinderzahl pro Frau, einer geringeren Sterblichkeit bei Kleinkindern und Jugendlichen und einer höheren Lebenserwartung der Alten. Alle drei Faktoren zusammen bewirken,
dass die mehr oder weniger flache Pyramide sich mehr und mehr zu einem Hochhaus
mit Dachspitze verformt. Die Weltbevölkerung wird demnächst ein Maximum von etwa
11 Milliarden erreichen und danach abnehmen.
Durch die geringere Zahl von Geburten
rücken in Deutschland und den vergleichbaren Ländern deutlich weniger Menschen
nach. Wegen der längeren Lebensdauer wird jedoch die Zahl der hier lebenden
Menschen teilweise ausgeglichen. Die Gesamtzahl der zu einem gegebenen
Zeitpunkt in Deutschland lebenden Menschen mag fallen oder nicht. Ob in
Deutschland einmal 80 oder nur 60 Millionen Menschen leben werden, ist für mich eine ziemlich belanglose Zahl. Das Durchschnittsalter kann sich erhöhen. Ausschlaggebend sind
mögliche Veränderungen, die sich durch die globalen Verteilungsströme ergeben.
Veränderte Verteilung innerhalb
Deutschlands
Ehe ich auf globale Aspekte eingehe,
möchte ich zunächst den Blick auf Deutschland selbst lenken. Hier findet gerade
eine Umverteilung zwischen den Regionen statt. SPIEGEL ONLINE vom 29.3.2015 zeigte in farbiger Grafik die Wanderungssalden in den
Jahren 2011-2013. Kurz zusammengefasst, zeigt die Karte eine deutliche Zuwanderung
in den Ballungszentren München, Stuttgart, Frankfurt, Hamburg und Berlin.
Wanderungsverluste bestehen in ganz Ostdeutschland ab einem Abstand von etwa
100 km rings um Berlin, sowie in Ostwestfalen, dem Hochsauerland und auf dem Hunsrück.
Erstaunlich ist, dass diese
Binnenmigration über 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung dieses
ausgeprägte Ost-West-Gefälle hat. Als eine Folge davon explodieren Grundstücks-
und Wohnungspreise in den Ballungszentren. In der so genannten Provinz stehen
Häuser leer und die Immobilienpreise fallen. Der dort lebende Teil der
Bevölkerung ist überaltert, da vor allem die Jugendlichen wegzogen. Die
Versorgung ländlicher Regionen mit medizinischen und sozialen Diensten wird
immer schwieriger. Dass Städte auch mehr Probleme haben werden, müsste
jedermann klar sein. Sie werden jedoch kaum diskutiert.
Veränderungen der globalen Verteilung
Weltweite Wanderungsbewegungen wurden zum
Beispiel im SPIEGEL 18/2016
dargestellt. Es gibt kein Land, das nicht grenzüberschreitende Zu- und
Abwanderungen (internationale Migration) zusätzlich zur jeweiligen
Binnenmigration zu verzeichnen hat. Es wird geschätzt, dass daran zurzeit etwa
200 Mio. Menschen beteiligt sind. Die Zuwanderung erfolgt bei einigen Staaten mehr
oder weniger gesteuert, bei anderen erfolgt sie sehr spontan, d.h. man verfolgt
eine Politik der offenen Grenzen. Auswanderer verlassen ihre Heimat nicht in
erster Linie, um bessere wirtschaftliche Lebensbedingungen für sich und die
Familie zu finden, sondern weil sie Schutz vor Unterdrückung und Verfolgung
suchen. Insgesamt steigt die Zahl der internationalen Migranten und Flüchtlinge
weitaus langsamer an, als angesichts der fortschreitenden Integration der
Märkte, der Zunahme der weltweiten Ungleichheit und der unzureichenden
Sicherheit in vielen Regionen der Welt zu erwarten wäre.
Die tatsächlichen Zahlen decken sich
nicht mit dem aktuell empfundenen Ausmaß des Problems. Die Zustände auf der
Balkanroute oder auf dem Mittelmeer vermitteln einen anderen Eindruck. Oder
anders ausgedrückt, ein Vulkanausbruch in der Eifel würde eine ganz andere Aufmerksamkeit bekommen als ein erneuter Ausbruch des Krakatau. Beides wären geologisch vergleichbare Ereignisse.
Wirkungen der Bevölkerungsveränderung
Die jetzt folgenden Aussagen mögen auf
den ersten Blick harmlos erscheinen. Sie hören sich fast wie Trivialitäten an.
Nur weichen sie erheblich davon ab, was heute als unausgesprochener Konsens
gilt. Manchmal sind sie auch nicht ‚politically correct‘.
Hat ein Land oder eine Region weniger
Menschen, werden dort weniger Arbeitsplätze benötigt. Die Wirtschaft kann daher
beliebig stark automatisieren. Das kann von Vorteil sein und die Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Arbeitsplätze zu schaffen ist nämlich nicht der einzige
Sinn der Wirtschaft. Sie muss allerdings Kaufkraft in der Hand vieler Menschen generieren.
Damit ist nicht ein bedingungsloses Grundeinkommen gemeint.
Wo es weniger Kinder gibt, braucht man
weniger Lehrer. Eine an sich unproduktive Tätigkeit entfällt. Die Erziehung von
Kindern sollte nicht das Ziel haben, das seit den Zeiten Wilhelm von Humboldts bei uns so
hoch im Kurs steht. Es müssen nämlich nicht leicht anstellbare Arbeiter oder
Beamte ausgebildet werden, sondern sich selbst versorgende (Öko-) Bauern, Unternehmer
oder Händler. Leider haben die vielen Redner, die das Wort Bildung dauernd im
Mund führen, meist keine Vorstellung davon, welche Art der Bildung gemeint sein
könnte. Wenn gefragt, fällt ihnen meist nur der Name Humboldt ein.
Was ein Land oder eine Region nicht
selbst erstellen kann oder will, muss man importieren dürfen. Dabei kann es
sich um bestimmte Arten von Lebensmitteln handeln, aber auch um bestimmte
Rohstoffe, etwa seltene Erden. Niemand muss und kann autark sein. Eine
unausgeglichene Handelsbilanz ist eine Nebensache, so lange man über eigene
Kaufkraft verfügt. Sehr wichtig kann auch der Import von Dienstleistungen sein.
Bei diesen kann es sich ebenso gut um Programmiertätigkeiten handeln wie um das
Ausfüllen von Steuererklärungen. Viele Dienstleistungen müssen nicht vor Ort
erbracht werden, andere schon eher. Das Mähen des Rasens, die Reparatur von
Hausdächern oder die Betreuung von Alten und Kranken geschieht am besten vor
Ort. Auch das Reinigungen von Toiletten oder das Servieren von Mahlzeiten
gehört dazu. Das Vorbereiten von Mahlzeiten jedoch nicht. Deutschland hat, was
die offiziellen Zahlen anbetrifft, einen riesigen Exportüberschuss. Gezählt
werden meist nur Produkte. Würde man auch Dienstleistungen in die Rechnung mit einbeziehen,
würde ein völlig anderes Bild entstehen.
Unabhängig davon ob einheimische
Arbeitskräfte ausreichend zur Verfügung stehen oder nicht, fast immer können
sich Ausländer um bestimmte Jobs bewerben. Für die Jobs vor Ort kommen allerdings
nur Einwanderer in Frage. Für die aus der Ferne zu erledigenden Tätigkeiten ist
nur die Sprache eine Limitierung. Noch hat es sich nicht herumgesprochen, dass
man nicht Deutsch lernen muss, um für deutsche Unternehmen zu arbeiten. Es ist
dies der Grund, warum unsere Wirtschaft zwar den anhaltenden Fachkräftemangel
bedauert, sich aber sehr gut zu helfen weiß. Kann sie in Zukunft noch weniger
Lehrlinge ausbilden als heute, wird sie trotzdem nicht untergehen.
Der Anteil deutscher Auswanderer nach
den USA, Kanada oder Australien ist immer noch sehr hoch. Waren es in früheren
Jahrhunderten vorwiegend ungebildete Arbeiter, so sind es heute vorwiegend
Akademiker. Der Sog ist einfach vorhanden. Es macht keinen Sinn, diesen
‚Aderlass‘ zu stoppen. Die Beschäftigungsrate liegt in Deutschland immer noch
deutlich unter der skandinavischer Länder. Falls wir anstreben würden, bis 2050
dieselbe Beschäftigungsrate zu erreichen, die Dänemark heute hat, würden uns (nach einer Rechnung von SPIEGEL-Autoren) nur 6% weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen als heute. Nur um es
klarzustellen: Länder mit einem hohem Anteil berufstätiger Frauen bezahlen dies
nicht mit einer niedrigeren Kinderrate.
Immer wieder wird die Mär verbreitet,
dass bis 2050 nicht genug Arbeitende vorhanden seien, um die Rente der Alten zu
finanzieren. Offensichtlich wird das heutige Finanzierungsprinzip der
Rentenversorgung als alternativlos angesehen. Schon heute wird davon abgeraten,
sich auf das staatlich-finanzierte Rentensystem allein zu verlassen. Schon
heute leben viele Senioren ohne die Unterstützung ihrer Kinder. Außerdem steigt
von Jahr zu Jahr das von Eltern an ihre Kinder vererbte Vermögen.
Fazit
Die durchschnittliche Lebenserwartung
der Deutschen wird bald bei 90 Jahren liegen. Das ist ein Zuwachs um fast 50%
innerhalb einer Generation. Es ist dies kein Grund zur Klage. Bei manchen
Autoren hat man allerdings das Gefühl, dass sie den früheren Zustand als besser
empfanden. Eine Republik der ergrauten Weisen und der rührigen Selbstständigen ist um
Klassen besser als das einst angestrebte sozialistische Paradies. Wir erleben heute
die beste aller Zeiten für die Spezies Mensch, und das nicht nur in Deutschland.
Nachtrag vom 12. 6. 2016
Übrigens habe ich letzte Woche eine Personenwaage der deutschen Marke Soehnle gekauft und installiert, die außer meinem Gewicht auch meine Bio-Impedanz misst. Darunter versteht man den Fett-, Wasser- und Muskelanteil meines Körpers. Die Messergebnisse lese ich auf meinem iPhone ab.
Nachtrag vom 12. 6. 2016
Es ist an sich unverzeihlich, dass ich
in der ursprünglichen Darstellung die Wirtschaft fast vergessen hatte. Zur Entschuldigung sei angeführt: Einiges dazu hatte
ich vor fast zwei Jahren erzählt, und zwar unter der Überschrift ‚Demografischer
Wandel aus der Nähe betrachtet‘. Unsere Wirtschaft passt sich natürlich an
und nutzt das neue Geschäftspotenzial aus. Es werden immer mehr und immer
größere Kreuzfahrtschiffe gebaut. Sie bedienen vorwiegend ältere Leute. Amazon
testet gerade den Versand von Lebensmitteln in den USA. Ich rechne damit, dass
das Experiment dazu führt, dass Amazon eine Lösung findet, die auch für Senioren nutzbar ist. Leider
sehe ich bei deutschen Unternehmen wie Edeka kein echtes Interesse an diesem Markt, noch traue ich es ihnen so recht zu. Wenn ich nur an die Deutsche
Post denke. Es will ihr nicht in den Kopf, dass das Abholen von Briefen bei
Privaten genauso wichtig ist wie das Verteilen. Ich schreibe schon deshalb
ungern Briefe, weil der nächste Briefkasten fast einen Kilometer entfernt ist.
Es steht
außer Zweifel, dass die Medien enorm betroffen sind. Auch hier ist der Konsum
durch Senioren überproportional. Wenn es nicht mehr Zeitungen sind, dann umso
mehr Fernsehen. Auch ich sehe immer mehr Fernsehschnipsel, aber zeitversetzt
auf meinem Smartphone oder Tablet. Ich lese heute pro Monat mehr Bücher als
früher in einem Jahr. Diese Bücher sind zu 100% eBücher, und keine Papierbücher (also Pappisate).
Das Thema Informatik-Nutzung
durch Senioren hatte ich bereits vor fünf Jahren diskutiert. Alles, was ich
damals sagte, stimmt auch heute. Die Entwicklung hat sich ungebremst
fortgesetzt.Übrigens habe ich letzte Woche eine Personenwaage der deutschen Marke Soehnle gekauft und installiert, die außer meinem Gewicht auch meine Bio-Impedanz misst. Darunter versteht man den Fett-, Wasser- und Muskelanteil meines Körpers. Die Messergebnisse lese ich auf meinem iPhone ab.
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