Vor drei Jahren, im Sommer 2013,
veränderte sich das Weltbild einiger Internet-Nutzer. Edward Snowden, ein nach
Russland sich absetzender früherer Auftragnehmer der National Security Agency (NSA)
der USA, hatte an einigen Grundfesten gerüttelt. Den Begriff Internet verband man
nicht länger mit freundlichen Nerds, enthusiastischen Predigern und dezent im
Hintergrund wachenden Behörden. Jeder dachte fortan an Schlapphüte und Gangster,
die sich dort ihr Stelldichein gäben.
Plötzlich war Sicherheit im Netz ein Superthema,
das nicht nur einzelne Spezialisten in großen Firmen beschäftigte. Jedermann
und jede Frau seien betroffen, vor allem aber Teenager, Schul- und sogar
Kleinkinder. Verschlüsselung aller Texte und E-Mails galt als das
Allheilmittel. Dass es hierfür keine ordentlichen Lösungen gab, die auch von
Privatpersonen nutzbar waren, machte einige Kollegen – um nicht zu sagen, die
ganze Fachwelt ̶ sehr besorgt.
Die Gesellschaft für Informatik (GI) machte sich zum Sprachrohr der
Enttäuschten und half zumindest bei der Aufklärung. Ich habe darüber
ausführlich in diesem Blog
berichtet. Ich zitierte damals meinen
Kollegen Rudolf Bayer aus München wie folgt:
Die Einrichtung von
E-Mail-Verschlüsselung ist derzeit sehr umständlich. Sie wird in der Praxis
deshalb kaum eingesetzt, weder im Privaten noch in der Wirtschaft. Ich sehe für
die Informatik eine große Herausforderung darin, diese Situation zu ändern und
unterbreite konstruktive Vorschläge. … Das Abhören des E-Mail-Verkehrs ist kein
Big Data Problem, sondern überraschend Small Data.… Die Einrichtung von E-Mail-Verschlüsselung
muss so einfach werden wie die Installation einer App auf einem Smartphone!
Rudolf Bayers Klage scheint Gehör
gefunden zu haben. Nach drei langen Jahren tat sich endlich etwas. Drei Jahre –
so werden Sie sagen ̶ sind ja im
Internet eine Ewigkeit. Schließlich hat eine mit öffentlichen Mitteln geförderte
Forschungseinrichtung sich des Problems, das Rudolf Bayer und viele andere
Fachleute so erregte, angenommen. In diesen Wochen wurde von dem Fraunhofer-Institut für sichere Informationstechnik
(SIT) in Darmstadt endlich eine App frei ins Netz gestellt.
Hurra! Bezeichnend ist, dass offensichtlich private Investoren hierfür bisher
keinen Bedarf sahen. Das möge verstehen, wer will. Ich jedenfalls hätte selbst als
Rentner sogar 10 Euro pro Monat bezahlt.
Auf die Verfügbarkeit der App wurde ich am
Dienstag dieser Woche (2.8.2016) von Simone Rehm, der früheren
GI-Vizepräsidentin, aufmerksam gemacht. Hier Ihre Mail:
Liebe GI-Mitstreiter, nachdem im
September 2014 [beim GI-Fellow-Treffen in Stuttgart] das Thema „laientaugliche
Ende-zu-Ende Verschlüsselung“ tot zu sein schien, hat sich nun
erfreulicherweise etwas getan: In unserer [Stuttgarter] GI-Regionalgruppe gab
es heute Abend einen hervorragend und topaktuellen Vortrag zum Thema
Volksverschlüsselung von Dipl.-Inf. Michael Herfert (Leiter Cloud
Computing and Identity & Privacy, Fraunhofer-Institut for Secure
Information Technology, Darmstadt). Der
Referent hat sehr kompetent und anschaulich über die Volksverschlüsselung
berichtet, eine Initiative des Fraunhofer-Instituts in Darmstadt kombiniert mit
einer App, die vor wenigen Wochen „live“ ging und nach meinem Verständnis alle
unsere Erwartungen von damals erfüllt. Hier der Link zum
Nachlesen.
Der Link führt zu mehr Information und
zur Download-Möglichkeit der App. Es gibt sie für IOS- und Android-Systeme. Ich
selbst hatte sie innerhalb einer knappen Stunde am Laufen. Für den Zugang
benutze ich mein T-Online-Konto, über das ich seit Jahren meine E-Mails
empfange und versende. Für den Fall, dass Sie kein Konto bei der Telekom haben,
gibt es andere Möglichkeiten.
Ein Kollege bezweifelte, dass der Name Volksverschlüsselung gut gewählt sei. ‚Ich
musste erst mal an Negatives wie Volksverdummung oder Volkswagen [!] denken‘
meinte er. Ich entgegnete: ‚Der Name störte mich kaum. Hauptsache, es tut
jemand etwas, anstatt immer nur zu reden. Jetzt sollte man testen, ob sich damit
eines der 'größten Probleme des Internets' wirklich löst.`
Es muss sich herausstellen, ob dieses kostenloses
Angebot angenommen wird, vor allem von den Leuten, die bisher den (Internet-)
Weltuntergang befürchteten. Technisch gesehen erscheint die App alle
Anforderungen zu erfüllen. Ich hoffe natürlich, dass der Sponsor des Projekts,
sei es der Staat oder ein nicht genannter Internet-Provider, keinerlei Auflagen
mit der Finanzierung verknüpft hatte, oder dass nicht clevere Hacker die FhG
unterwandern oder überlisten werden. Letzte Sicherheiten – das hören wir ja
immer wieder ̶ kann niemand geben. Die lange Entwicklungsdauer
deutet daraufhin, dass hier keine ‚agilen‘ Methoden zur Anwendung kamen. Sorgfalt
und penible Arbeitsweise ermöglichen zwar ein hoch qualitatives Produkt, sie
garantieren es jedoch noch nicht.
Nachtrag vom 10.8.2016
Michael Herfert ist Leiter des Projekts Volksverschlüsselung beim FhG-SIT in Darmstadt. Gestern gab er mir in einem Telefonat einige Informationen zum Projekt. Das Projekt wurde im Herbst 2013 als internes Projekt des Instituts gestartet. Einschließlich Werkstudenten arbeiteten nie mehr als 10 Mitarbeiter an der Software. Anlässlich des IT-Gipfel 2015 kam der Kontakt zur Telekom zustande. Man gewann die Telekom dafür, die Server-Software in einem ihrer sicheren Rechenzentren zu betreiben. Seit der Ankündigung der Verfügbarkeit im Sommer 2016 besteht großes Interesse in der Öffentlichkeit. Es ist der derzeitige Plan, die Verschlüsselung für Privatkunden langfristig kostenlos anzubieten. Man hofft kommerzielle Kunden wie zum Beispiel Banken, Versicherungen und andere Unternehmen mit Kontakt zu Privatkunden dafür zu gewinnen, die angebotene kostenlose Verschlüsselung für die Kommunikation mit diesen Kunden zu verwenden.
Nachtrag vom 29.10.2016
Leider muss ich gestehen, dass es mir trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen ist, selbst fachlich interessierte Kolleginnen und Kollegen für einen Test der Volksverschlüsselung zu gewinnen. Eine nur minimale Unterstützung durch den Anbieter war nicht zu erhalten.
In den fast zwei Wochen seit ich diesen Eintrag veröffentlichte, konnte ich einen einzigen meiner E-Mail-Partner dazu überreden, mir verschlüsselte Mails zu schicken. Fast könnten Sie es raten. Er heißt Michael Herfert. Hoffnung habe ich noch bei meiner Enkeltochter. Sie studiert nämlich Nachrichtentechnik.
AntwortenLöschenSchon seit ich von der Volksverschlüsselung erfuhr, fragte ich mich ob die Kollegen, die dahinter stehen, wohl im Internet-Zeitalter angekommen sind. Mein Versuch, meine Enkeltochter als zweiten Nutzer zu gewinnen, muss auf die lange Bank geschoben werden. Sie hat keine Möglichkeit ein Zertifikat zu erhalten, bevor die (edlen) Spender nicht zwecks Huldigung vor Ort erscheinen. Ob unser Landstrich noch in diesem Jahre die Ehre bekommt, ist noch offen. Warum kann ein Dörfler oder Kleinstädter sein Zertifikat nicht beim Bürgermeister oder auf der Post erwerben?
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