Vor gut
einer Woche wies mich Peter Hiemann aus Grasse auf ein Buch von Elisabeth Wehling (*1981) hin: ,Politisches
Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht‘. (224 S., 2016).
Wehling ist Linguistin und Kognitionswissenschaftlerin und stammt aus Hamburg.
Sie arbeitet in Berkeley, und zwar am International Computer Science Institute
(ICSI). Das ICSI wurde 1988
auf Initiative von Norbert Szyperskis, dem damaligen Chef
der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) in Birlinghoven
gegründet. Das Ziel war, dem ‚Rückstand der deutschen Computer- und Softwaretechnologie
sowie deren mangelnder Vernetzung mit der internationalen Entwicklung der
Informationstechnik Abhilfe zu schaffen‘. Das Institut wird vorwiegend vom
deutschen Steuerzahler finanziert. Zusätzlich zu Deutschland haben Italien, die
Niederlande, Finnland und Singapur bisher Gastwissenschaftler entsandt.
Frames
als Strukturierungsform des Denkens
Die
Idee, dass unser Gehirn mittels Deutungsrahmen (engl. frames) arbeitet, geht angeblich
auf den israelischen Psychologen Daniel Kahneman (*1934) zurück, den
Träger des Wirtschaftsnobelpreises von 2002. Sein Buch Schnelles Denken ̶ Langsames Denken wurde 2013 in diesem Blog besprochen.
Kahnemans Aussagen sind sehr differenziert und kaum auf eine einzige Formel zu
bringen.
Peter
Hiemann fasste das Buch von Wehling wie folgt zusammen: Zugrunde liegt die
Annahme, dass unser durch Sozialisation erworbenes Weltwissen vom Gehirn
organisiert und in Form von Frames abgespeichert wird. Sie werden immer dann
abgerufen, wenn es gilt, bestimmte Wörter, konkrete Handlungen oder Situationen
richtig zu verstehen. Dazu stellen die Frames jenes Kontextwissen bereit, mit
dem das Ereignis interpretiert, bewertet und in das vorhandene Wissen
eingeordnet werden kann. Entscheidend ist dabei jedoch, dass Wörter oder Fakten
je nach Kommunikationsziel unterschiedlich 'gerahmt' werden. Wehling betont,
dass ‚Framing immer selektiv und mit Komplexitätsreduktion verbunden ist und
somit unser Denken mehr oder weniger unbewusst lenkt‘.
Wehling
weist darauf hin, dass persönliche Vorstellungen mittels Framing stark
beeinflusst bzw. sogar manipuliert werden können. Wörtlich: 'Politisches Denken ist
bewusst, rational und objektiv – diese althergebrachte Vorstellung geistert bis
heute über die Flure von Parteizentralen und Medienredaktionen und durch die
Köpfe vieler Bürger. Doch die Kognitionsforschung hat die ›klassische Vernunft‹
längst zu Grabe getragen. Nicht Fakten bedingen unsere Meinungen, sondern
Frames. Sie ziehen im Gehirn die Strippen und entscheiden, ob Informationen als
wichtig erkannt oder kognitiv unter den Teppich gekehrt werden. Frames sind
immer ideologisch selektiv, und sie werden über Sprache aktiviert und gefestigt
– unsere öffentlichen Debatten wirken wie ein synaptischer Superkleber, der
Ideen miteinander vernetzen kann, und zwar dauerhaft. In der Kognitionsforschung
ist man sich daher schon lange einig: Sprache ist Politik. Höchste Zeit also,
unsere Naivität gegenüber der Macht politischer Diskurse abzulegen.‘
Neugierig
gemacht, las ich Wehlings Buch. Ich habe wenig dazugelernt, über das hinaus,
was Peter Hiemann dem Buch entnommen hatte. Hier einige weitere Aussagen. Fakten
ohne Frames seien bedeutungslos. Frames werden durch Sprache aktiviert. Verstehen
heißt Sinnzusammenhänge aus der Vergangenheit verarbeiten. Die ‚verkörperlichte‘
Kognition (engl. embodied cognition) ruft Vorgänge ab, die mit Worten
assoziiert werden. Das Wort Nagel ruft ein Bild eines Hammers hervor. Bewegungen
werden vorbereitet, indem sie simuliert werden. Frames selektieren, sie blenden
aus. Wir können nicht kontrollieren, welche Frames wir zulassen. Wir sind uns
nur zwei Prozent unseres Denkens bewusst, auch nicht der Frames. Einen Frame zu
negieren, aktiviert ihn. Abstrakte Ideen werden durch Metapher denkbar gemacht.
Wir können ohne Metapher kaum kommunizieren. Am gebräuchlichsten ist die Objekt-Metapher.
Alle Ideen werden so ‚begreifbar‘, und ‚erfassbar‘.
Aktuelle
Themen in der politischen Diskussion Deutschlands und Österreichs
In der
Diskussion um Steuern würde der Bürger
immer als Melkkuh gesehen. Der Last könne man sich am besten durch Flucht in
Oasen und oder Paradiese entziehen. Staat
und Gesellschaft stellten einen Wettlauf dar. Es gäbe Abgehängte und Eliten.
Oben ist gut, unten ist schlecht. Dies lernten schon Babys, bevor sie sprechen.
Die Sozialleistungen stellten ein
Netz dar. Mal wird daraus eine Hängematte, mal wird es zum Tropf. Die Semantik
von Arbeit sei die des Verdienens.
Anders hat das Leben wenig Sinn. Islamphobie
sei unvermeidbar wegen des Terrors. Er ist Angstauslöser par excellence. Der
Islamische Staat (IS) sei ein ‚medial induziertes Trauma‘. Flüchtlinge träten immer als Welle oder Strom auf. Sie seien eine
Gefahr genauso wie zu viel Wasser. Die Metapher ‚das Boot ist voll‘ deute eine Nation
als einen Behälter. Der Ausdruck Klimawandel
ist zwar neutral, das Wort verharmlose jedoch. Wir müssten nicht das Klima, sondern
die Menschen schützen.
Meine
Bewertung des Buches
Ein
Linguist kann vermutlich nicht umhin, dem ‚Volk aufs Maul‘ zu schauen, wie dies
schon Martin Luther tat. Ob daraus folgt, dass die wichtigsten Ergüsse der
deutschen zeitgenössischen Prosa in Medien wie BILD, Welt und Kronenzeitung zu
finden sind, kann ich nicht beurteilen. Dieses Buch sondert sich nicht vom
Volke ab, indem es nur akademische Werke zitiert. Ein moderner
Kognitionswissenschaftler hat Zugriff zu einem Kernspintomographen. Er
überprüft welche Gehirnzellen aktiv sind, d.h. mit Blut versorgt werden, wenn jemand
bestimmte Worte spricht. Unterschiede gibt es zwischen morgens, mittags und
abends, zwischen Männern und Frauen, Amerikanern und Chinesen, Norddeutschen
und Süddeutschen. Aus der Kombination aller Parameter ergibt sich ein nahezu unbegrenztes
Forschungsgebiet.
Über
Sprache und Linguistik
Dass
unsere Sprache noch voller Rassismus und politischer Unkorrektheit steckt, ist
nicht zu bestreiten. Erst vor wenigen Jahren wurden die Mohrenköpfe und
Negerküsse entsorgt. Noch sagen wir ‚man‘, wenn auch Frauen gemeint sein
können. Da kann noch ordentlich geputzt werden. Dabei
hat die Linguistische Wende (engl. linguistic
turn) überhaupt erst gerade begonnen, was die Geistes- und Sozialwissenschaften
betrifft.
Sprache wird seither als eine „unhintergehbare Bedingung des Denkens“ angesehen. Denken ohne Sprache wird als „nicht existent“ oder aber „zumindest als unerreichbar“ angesehen. Das führte umgekehrt zur Erweiterung des Begriffs Sprache. Sie setzt nicht länger ein bestimmtes Medium, einen bestimmten Zeichensatz oder gar eine Grammatik voraus. Das Gegackere eines Huhns, das Rülpsen eines Dromedars, die Duftnoten einer Ameise, aber auch der Pinselstrich eines Malers oder der Bauplan eines Architekten werden danach als Sprachwerke interpretiert. Die betroffenen Berufe konnten sich nur wundern, dass sie plötzlich als Spracharbeiter oder Wortgelehrte vereinnahmt wurden. Sie empfanden dies geradezu als eine Herabstufung. Sie ließen sich aber nicht entmutigen. Das betraf erst recht alle Ingenieure, die immer noch glauben, dass ihre Werke auch ohne begleitenden Text einen Wert darstellen. Nur der Mathematik erging es besser. Zum Glück gibt es einen uralten Aufsatz des Logikers Paul Lorenzen (1915-1994). Er basiert auf einem Vortrag im holländischen Amersfoort vom August 1951, in dem er dafür warb, die Mathematik nicht als Sprache einzustufen. Eine Kopie dieses Vortrags wurde mir dieser Tage von einem besorgten Kollegen zugespielt.
Sprache wird seither als eine „unhintergehbare Bedingung des Denkens“ angesehen. Denken ohne Sprache wird als „nicht existent“ oder aber „zumindest als unerreichbar“ angesehen. Das führte umgekehrt zur Erweiterung des Begriffs Sprache. Sie setzt nicht länger ein bestimmtes Medium, einen bestimmten Zeichensatz oder gar eine Grammatik voraus. Das Gegackere eines Huhns, das Rülpsen eines Dromedars, die Duftnoten einer Ameise, aber auch der Pinselstrich eines Malers oder der Bauplan eines Architekten werden danach als Sprachwerke interpretiert. Die betroffenen Berufe konnten sich nur wundern, dass sie plötzlich als Spracharbeiter oder Wortgelehrte vereinnahmt wurden. Sie empfanden dies geradezu als eine Herabstufung. Sie ließen sich aber nicht entmutigen. Das betraf erst recht alle Ingenieure, die immer noch glauben, dass ihre Werke auch ohne begleitenden Text einen Wert darstellen. Nur der Mathematik erging es besser. Zum Glück gibt es einen uralten Aufsatz des Logikers Paul Lorenzen (1915-1994). Er basiert auf einem Vortrag im holländischen Amersfoort vom August 1951, in dem er dafür warb, die Mathematik nicht als Sprache einzustufen. Eine Kopie dieses Vortrags wurde mir dieser Tage von einem besorgten Kollegen zugespielt.
War da
noch etwas?
Zwei Bemerkungen noch zu dem fachlichen Hintergrund der Arbeit: (1) In den Sozialwissenschaften ist es offensichtlich schwerer als in den Naturwissenschaften reproduzierbare Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Die Versuchung ist groß, sich mit anekdotischem Wissen zufrieden zu geben. Mit dem Maß, was statistisch als relevant zu gelten hat, wird etwas großzügig verfahren. Die Wahlforscher können ein Lied davon singen. Hat jemand gehustet, muss nicht schon deshalb eine Grippe-Epidemie im Anmarsch sein. (2) Wegen der Zugehörigkeit zum ICSI frage ich mich, was wohl der Bezug dieser Arbeit zur Informatik ist. Vielleicht nimmt man 30 Jahre nach seiner Gründung die ursprüngliche Zielsetzung weniger ernst. Anders ausgedrückt, da das Ziel eh verfehlt wurde, spielt es jetzt keine Rolle mehr, über was geforscht wird, Hauptsache, die Forschungsmittel fließen.
Peter Hiemann schickte die folgende Ergänzung: Wehling liegt richtig in der Annahme, dass emotionale Wertungen für menschliche Orientierung eine wichtige Rolle spielen. Sie liegt falsch mit ihrer Behauptung, dass „Kognitionsforschung die ›klassische Vernunft‹ längst zu Grabe getragen hat“. Vielmehr ist richtig, dass Hirnforscher annehmen, dass wissen-orientierte, 'vernünftige“ Vorstellungen und emotionale 'Bewertungen' bei menschlicher Wahrnehmung und Orientierung zusammengenommen betrachtet werden müssen. In diesem Sinn lassen sich 'Frames' als Einrahmungen (Einheiten) komplexer kognitiver und emotionaler neuronaler Zustände interpretieren.
AntwortenLöschenWehling scheint sich einseitig darauf zu konzentrieren, dass spezielle 'Frames' von Institutionen kreiert und eingesetzt werden, um individuelle Vorstellungen zu beeinflussen. 'Framing' in diesem Sinn wird nicht nur von Politikern und Ökonomen geschätzt und benutzt. Mit anderen Worten: Existierende Institutionen betreiben 'Framing', indem sie kognitive, vernünftige Inhalte (bewusst?) vernachlässigen und auf emotionale (moralisch orientierte) Werte setzen. Auch Experten der philosophischen und theologischen Fakultäten wissen 'Frames' in diesem Sinn zu schätzen. Religiös orientierte 'Frames' sind sehr erfolgreich, um eine Herde Schäfchen zusammenzuhalten. Zusätzlich sorgen festgeschriebene religiös begründete Feiertage und Rituale dafür, dass religiöse Vorstellungen in menschlichen Gehirnen fortlaufend erinnert werden. Muezzins rufen täglich fünf mal zum Gebet.
Hartmut Wedekind aus Darmstadt schrieb: Die Linguistik ist heute ins total Empiristische abgewandert. Deshalb diese Langeweile. Die stolze rationale Linguistik, die für das Fach konstitutiv war, kommt vielleicht auch bald wieder. Der "Linguistik Turn" war keine empirische Kognitions-Linguistik, sondern ist mit mit dem späten Wittgenstein in die "Oxford-Philosophie" eingewandert. Die pragmatische Wende, die folgte, hat die empiristische Linguistik nicht zur Kenntnis genommen.
AntwortenLöschenSie werden es in den nächsten 20 Jahren vermutlich nicht mehr schaffen, mich davon zu überzeugen, dass die Realität sich bittegefälligst nach der Vernunft (lat. ratio) richten soll. Im Zweifelsfalle glaube ich der erfahrenenen Realität (griech. Empirie) und nicht Kant.
LöschenHartmut Wedekind antwortete: Sie haben das Problem: Die Realität schweigt, sie redet nicht. Reden tut nur der Mensch und zwar über die Realität, die er sich sprachlich festlegt.
LöschenWie am Ende meines vorletzten Blog-Beitrags (allegorisch) vermerkt, hat es die Wissenschaft sogar geschafft, Steine und Sterne zum Reden zu bringen. Da können Wortwissenschaftler nur staunen.
LöschenHans Diel aus Sindelfingen schrieb: Lässt sich das alles, was Sie schreiben und zitieren nicht wie folgt zusammenfassen: "Es gibt beim Menschen (d.h. beim menschlichen Gehirn) keine absolute Objektivität. Der Mangel an Objektivität wird durch eine Vielzahl von Einflüssen, Erfahrungen und Unwissen verursacht." Leider glaube ich jedoch, dass unsere Grund-)Einstellung zu Wissensangeboten auch schon durch unsere "Frames" geprägt ist. Ob ich Einstein oder Bohr, Dawkin oder Sheldrake, Bell oder von Neumann, Laughlin oder XX glaube, hat leider auch viel mit meinen Frames zu tun. Selbstverständlich ist es trotzdem wichtig, immer wieder zu versuchen den Einfluss der eigenen Frames zu erkennen und zu hinterfragen.
AntwortenLöschenIch fand die Ausdrucksweise von Daniel Kahneman, den ich in einem früheren Eintrag zitierte, viel angemessener. Er sprach von einer Voreingenommenheit (engl. bias), meinte aber dasselbe wie seine Epigonen, die daraus Rahmen (engl. frames) machten. Das eine beschreibt die Funktion ziemlich genau, das andere suggeriert eine bestimmte Erscheinungsform oder Implementierung. Wer jetzt nach rechteckigen oder ovalen Figürchen sucht, wird lange suchen. Es könnten ja genau so gut chemische Attraktoren, Brücken oder Pufferspeicher sein.
LöschenPeter Hiemann schrieb: Eine Metapher ist die Übertragung eines Wortes nach den Regeln der Analogie. Bei einer Analogie wird ein Problem aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und angegangen. In der kognitiven Linguistik gelten Metaphern als eine der wesentlichen Strukturierungen des Denkens. Metaphern eigenen sich als deskriptive Methode für vielfältige Situationen.
AntwortenLöschenDer Begriff Frame wird im Sinne einer Analogie für eine (gerahmte) Zusammenfassung innerer Bewusstseinszustände benutzt. Solche Zustände können derzeit nur auf analytisch-deskriptive Weise beschrieben werden.
Dass das Wort Frame eigentlich eine Metapher ist, sehe ich auch so. Im Buch von Wehling wurde es als ein Gegenstück dargestellt. Ich halte diese Metapher für sehr schlecht gewählt. Ein 'bias' ist keine Zusammenfassung von etwas. Es ist eine Sichtweise, eine Färbung.
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