Die
Frage, welche Rolle die Mathematik in den Wissenschaften spielt, hat uns schon
mehrmals beschäftigt. Sehr ausführlich war der Beitrag im Dezember
2012.
Dort wurde die Beziehung zwischen Mathematik und Physik beleuchtet. Im Januar 2015 besprach ich Mario
Livios Buch, das den Titel trug ‚Ist Gott
ein Mathematiker? Ich hoffte damit das Thema hinreichend behandelt zu
haben. Diese Woche löste Peter Hiemann (PH) die Diskussion erneut aus. Sein erster
Text ist ein Ausschnitt aus einem umfassenderen Essay. Zuerst reagierte Hans
Diel (HD) darauf. Ich (BD) fügte anschließend einige Gedanken hinzu. Vermutlich
ist das noch nicht das Ende dieser Diskussion. Jeder Blog-Beitrag kann wachsen.
PH: Die führenden
Vertreter der Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert vertraten eine grundlegend neue Perspektive für die
Betrachtung der Natur. Sie waren überzeugt, dass die Phänomene der Natur nicht
als Resultat göttlicher Schöpfungsakte erklärt werden können. Stattdessen
etablierten sie eine lange vermutete Hypothese als die 'wahre' Perspektive:
die Phänomene der Natur sind berechenbar. Vielleicht erleben wir gerade wieder
einen wissenschaftlichen Paradigmenwechsel: Führende Vertreter der Wissenschaft
sind dabei, den Mythos zu begraben, dass alle Phänomene der Natur berechenbar
seien und Mathematik die absolute mächtige Sprache sei, die Natur zu
beschreiben. Die Erkenntnisse über nicht berechenbare Phänomene der natürlichen
Evolution und die Möglichkeiten, nicht berechenbare Phänomene mittels mächtiger
Computer zu simulieren, haben eine Lawine neuer Sichtweisen ausgelöst.
HD: Das zentrale Wort bei
Ihnen ist das Wort "berechenbar". Aus vorangegangenen Diskussionen
wissen wir, dass verschiedene Wissenschaftsdisziplinen (Mathematik, Physik,
Biologie, sonstige) unter "berechenbar" Unterschiedliches verstehen.
Mir geht es stattdessen mehr um "Gesetzmäßigkeiten". Ich glaube, dass
es in den meisten Wissenschaftsdisziplinen, ganz besonders jedoch in den
Naturwissenschaften, primär darum geht Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und
nachdem man sie erkannt hat, möglichst sauber zu formulieren. Bei dem Ziel
„Gesetzmäßigkeiten zu erkennen“ kann ich keinen Paradigmenwechsel erkennen und
es würde mich auch sehr wundern, wenn es
das jemals geben würde. Bei der Art und Weise, wie die erkannten
Gesetzmäßigkeiten formuliert werden können, oder formuliert werden sollen, mag
es durchaus Änderungen oder Änderungsbedarf geben. Dies würde ich jedoch
keinesfalls als Paradigmenwechsel bezeichnen.
Das
Bestreben erkannte Gesetzmäßigkeiten möglichst sauber und präzis zu beschreiben
kann man am besten durch die Verwendung einer formalen Sprache oder formalen
Beschreibungsmethode erreichen. Im Laufe der Jahrtausende hat sich die
Mathematik als sehr gut geeignet erwiesen als Standardsprache für die formale
Beschreibung von Gesetzmäßigkeiten. Es gibt eine Reihe von Vorzügen, die man
erwähnen könnte bezüglich der Verwendung von Mathematik als Standardsprache für
die Beschreibung von Gesetzmäßigkeiten. Ein Kritikpunkt sind jedoch eher die
Unzulänglichkeiten der Mathematik für die Beschreibung von Gesetzmäßigkeiten in
den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Hier möchte ich verschiedene Fälle
unterscheiden:
(1) Gibt es
Wissenschaftsdisziplinen, deren Erkenntnisse prinzipiell wenig bis gar nicht
geeignet sind durch eine formale Sprache präsentiert zu werden? Beispiele:
Philosophie, Psychologie, Soziologie.
Die Gründe warum solche Wissenschaftsdisziplinen schlecht geeignet sind
für formale Sprachen sind unterschiedlich. Ich meine jedoch man sollte sich
davor hüten (a) diese Wissenschaftsdisziplinen als minderwertig zu sehen,
jedoch auch (b) diesen Wissenschaftsdisziplinen zu viel „Narrenfreiheit“ zu
zugestehen.
(2) Gibt es erkannte
Gesetzmäßigkeiten, die noch nicht mittels der derzeitigen Standardmathematik
formuliert werden können? Dank der großen Leistungen der Mathematik war dieser
Fall in den letzten Jahrhunderten ziemlich selten (oder gab es diesen Fall überhaupt nicht?).
Newton hat die Infinitesimalrechnung mit erfunden, um seine Mechanik sauber zu
formulieren. Als Variante von Fall 2 kann es auch passieren, dass die zur
Beschreibung einer bestimmten Art von Gesetzmäßigkeit akzeptierte Mathematik zu
eng ausgelegt wird. Mein Standardbeispiel ist hier, wenn in der Physik verlangt
wird, dass Prozesse und kausale Entwicklungen nur durch Differentialgleichungen
und Operatoren beschrieben werden müssen. Algorithmische Beschreibungen sind
verpönt.
(3) Gibt es ungenügend
verstandene Gesetzmäßigkeiten? Diese kann man normalerweise nicht mittels
der Mathematik besser verstehen. Es gab
Fälle, wo man mit Hilfe der Mathematik das ungenügende Verständnis sichtbar
machen konnte (siehe Bells Ungleichung).
Diese ungenügend verstandene Gesetzmäßigkeiten sollten normalerweise kein
Problem sein. Das wird es noch sehr lange geben. Problematisch wird es meiner
Meinung nach, wenn man das ungenügende Verständnis durch (nicht-formale)
verbale Formulierungen kaschiert und damit die formale Formulierbarkeit
dauerhaft und prinzipiell als unmöglich deklariert. Die Quantenphysik enthält
eine Reihe von Beispielen, wo dies der Fall ist.
(4) Gibt es
Gesetzmäßigkeiten, die nur bis zu einem gewissen Präzisierungsgrad praktisch
nachvollziehbar oder vorhersagbar (d.h. praktisch berechenbar) sind? Beispiele
aus der Physik: Statistische Mechanik, nicht-deterministische Prozesse
(Quantenphysik), kollektives Verhalten).
PH: Wenn ich Sie recht
verstehe, vertreten Sie folgende Vorstellungen: (1) Bei den meisten
Wissenschaftsdisziplinen, ganz besonders jedoch in den Naturwissenschaften,
geht es primär darum, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen (2) Erkenntnisse möglichst
sauber zu formulieren. (3) Bei wissenschaftlicher Zielsetzung
„Gesetzmäßigkeiten zu erkennen“ ist nicht ersichtlich, dass wissenschaftliche
Paradigmen eine erkennbare Rolle spielen
bzw. dass es jemals wissenschaftlichen Paradigmenwechsel gegeben hätte.
Für
mich hat der Begriff 'Paradigma' folgende Bedeutung: Ein Paradigma ist eine
grundsätzliche Denkweise. Seit dem späten 18. Jahrhundert bezeichnet Paradigma
eine bestimmte Art der Weltanschauung. Die gewaltigen Fortschritte
wissenschaftlicher Arbeit und Erkenntnisse haben bewirkt, dass wir heute
weniger von Weltanschauung als vielmehr von einer wissenschaftlicher Sicht bzw.
Verständnis sprechen,
naturwissenschaftliche Phänomene zu betrachten. Ein Beispiel für einen
grundlegenden wissenschaftlichen Wandel (Wechsel), die Phänomene unseres
Planetensystems zu erklären, war der grundlegende Wandel von einem
geozentrische Weltbild zu einem heliozentrische Weltbild. Der katholische
Klerus vermochte diesen Wandel erst 300 Jahre nach Galileo Galilei
nachzuvollziehen. Ihre
Kommentare haben mich veranlasst, meine vorangegangene Aussage ein wenig zu
präzisieren:
Die
führenden Vertreter der Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert vertraten eine
grundlegend neue Perspektive für die Betrachtung der Natur. Sie waren zwar nach wie vor überzeugt, dass der Mensch und die Natur
einem göttlichen Schöpfungsakt zu
verdanken ist. Sie waren sich
aber sicher, dass Menschen nicht mehr ausschließlich unbedingtem göttlichen
Eingebungen unterworfen sind. Menschen
besitzen die Fähigkeit, die Phänomene der Natur mittels Methoden der Mathematik
zu erklären. Eine lange gehegte Vermutung wurde als neue absolute Wahrheit
verkündet: Phänomene der Natur sind berechenbar. Ohne Ursache keine Wirkung. Im
21. Jahrhundert sind führende Vertreter der Wissenschaft dabei, den Mythos zu
begraben, dass Mathematik die absolut einzig gültige Sprache sei, um alle
Phänomene der Natur zu erklären. Es existieren hinreichende Erkenntnisse, dass
während der natürlichen Evolution unvorhersehbare Strukturen ohne göttlichen
Einfluss entstanden sind. Phänomene der natürlichen Evolution und die
Möglichkeiten, nicht berechenbare Phänomene mittels mächtiger Computer zu
simulieren, haben eine Lawine zusätzlicher wissenschaftlichen Sichtweisen
ausgelöst.
Am
Rande sei bemerkt: Ich betrachte Mathematik nicht als Naturwissenschaft sondern
als eine Methode. Das ist schon deshalb angebracht, weil es für Mathematik
keine allgemein anerkannte wissenschaftliche Definition gibt. Für Galileo
Galilei war „Mathematik das Alphabet, mit dessen Hilfe Gott das Universum
beschrieben hat“. Johann Wolfgang von Goethe betrachtete Mathematiker als eine
Art Franzosen: „Redet man zu ihnen, so übersetzen sie es in ihre Sprache, und
dann ist es alsobald ganz etwas anderes.“ Ich schließe mich Albert Einsteins
Ansicht an: „Die Mathematik handelt ausschließlich von den Beziehungen der
Begriffe zueinander ohne Rücksicht auf deren Bezug zur Erfahrung.“
Zurück
zum Anfang: Den Aussagen (1) und (2) ist nichts hinzuzufügen. Die Vorstellung
(3), dass wissenschaftliche Paradigmen keine erkennbare Rolle spielen bzw. dass
es keine historischen wissenschaftlichen Paradigmenwandel bzw.
Paradigmenwechsel gegeben hätte, teile ich nicht.
HD: Ich bin sicher, dass
Sie von Paradigmen und Paradigmenwechsel in der Wissenschaft mehr verstehen als
ich. Deshalb werde ich Ihre Benutzung des Begriffs Paradigmenwechsel nicht mehr
in Frage stellen. Zweifel bleiben bei mir jedoch noch, ob es angebracht ist, den
von Ihnen gesehenen Paradigmenwechsel mit dem Begriff "Berechenbarkeit"
zu assoziieren, genauer, mit der Einsicht, dass in und mit der Wissenschaft
viel weniger berechenbar zu sein scheint als noch vor 400 Jahren geglaubt
wurde.
Bei der
Suche nach Unterstützung bezüglich der Benutzung des Begriffs
"Berechenbarkeit" bin ich auf ein Buch gestoßen (Bernd-Olaf Küppers:
"Die Berechenbarkeit der Welt"). Küppers ist Physiker und Philosoph
und arbeitete am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen.
Das Buch habe ich vor vier oder fünf Jahren gelesen. Es wurde 2013 auch in diesem Blog
besprochen.
Ich sehe gerade, dass eines der letzten Kapitel des Buches die Überschrift
"Der Aufstieg der Strukturwissenschaften" hat. Das scheint mir sehr
nahe an Ihrer Sicht zu sein.
Bei dem
Versuch nachzuvollziehen, wo genau Sie den Paradigmenwechsel sehen, kommt mir
als erstes das Thema "Ende der mechanistischen Weltanschauung" in den
Sinn. Das Ende der mechanistischen
Weltanschauung wurde mir durch die (halb-) philosophischen Bücher von
Heisenberg bekannt gemacht. Heisenberg hat seine Sicht natürlich mit seinen
Erkenntnissen aus der Quantenmechanik begründet. Eine noch radikalere
Infragestellung des mechanistischen Weltbilds findet sich in dem Buch von
Sheldrake ("Der Wissenschaftswahn"). Das Buch wurde mir (und den
anderen Zuhörern seines Vortrags) von Prof. Fahr, einem Astrophysiker,
empfohlen. Hier ein kleiner Auszug aus dem Klappentext: "Lässt sich die
Welt rein mechanistisch erklären? Sehen wir uns selbst wirklich als genetisch
programmierte Maschinen? Kommt das Bewusstsein tatsächlich aus dem
Gehirn?" Mir ist Sheldrake etwas zu radikal, auch wenn ich bei vielen Punkten seine Zweifel an der
"wissenschaftlichen Erklärbarkeit" (nicht nur der Berechenbarkeit)
und seine Kritik an einer gewissen Dogmatik in der Wissenschaft teile.
PH: Der Biochemiker und
Zellbiologe Rupert Sheldrake ist mir durch sein 1988 erschienenes „Buch „Das
Gedächtnis der Natur – Das Geheimnis der Entstehung der Formen der Natur“
aufgefallen. Sheldrakes Arbeitshypothese beruht auf der Vorstellung
„morphogenetischer Felder“. Danach wird angenommen: „Der Ort des embryonalen
Geschehens und der Formbildung ist ein Feld (im physikalischen Sprachgebrauch),
dessen Grenzen mit denjenigen des Embryos im Allgemeinen nicht zusammenfallen, vielmehr dieselben
überschreiten. ...Ein Feld ist die Rahmenbedingung, der ein lebendiges System
seine typische Organisation und seine spezifischen Aktivitäten verdankt.“ Sheldrake
vertritt offensichtlich eine physikalische Perspektive.
Sheldrakes
Thesen haben sich nicht bewährt. Die biologischen Strukturbildungen sind
wesentlich komplexer als Sheldrake annahm und lassen vermuten, dass
Selbstorganisation eine entscheidende Rolle spielt. Ihre Vermutung stimmt, dass
Bernd-Olaf Kippers strukturwissenschaftliche Ansätze in vieler Hinsicht meinen
Vorstellungen entsprechen: „Heutzutage bilden die Strukturwissenschaften die
Basiswissenschaften für das Verständnis komplexer Phänomene schlechthin. … Dass
der Anteil der Strukturwissenschaften ständig zunimmt, kann man unter anderem
daran erkennen, dass die Computersimulation zunehmend das klassische Experiment
in den Naturwissenschaften verdrängt. … Tatsächlich scheinen die
Strukturwissenschaften zu einem einheitlichen Wirklichkeitsverständnis, das
heißt zu einem objektiven Sinnzusammenhang und einem objektiven
Anschauungsganzen zu führen, das nunmehr alle Formen wissenschaftlicher
Erkenntnis umfasst. Und es mag geradezu paradox erscheinen, dass es
ausgerechnet die so facettenreiche Wissenschaft des Komplexen ist, die wieder
zur Einheit des Wissens und damit zur Einheit der Wirklichkeit zurückführt.“ (Bernd-Olaf
Küppers: Die Strukturwissenschaften als Bindeglied zwischen Natur- und
Geisteswissenschaften).
BD: Ich finde es toll,
dass Sie beide sich auch über den Sinn und Zweck der Wissenschaft Gedanken machen.
Ich stimme Ihnen voll zu, dass es nicht die primäre Aufgabe der Wissenschaft ist,
die Realität zu mathematisieren. Sie sollte lediglich versuchen, die Realität
zu erklären, so dass möglichst viele Leute sie verstehen. Die Mathematisierung
bewirkt nicht selten genau das Gegenteil.
Da wir
nicht am Punkte Null beginnen, ist es ein Teil der Aufgabe auf frühere
Fehlversuche oder Irrwege aufmerksam zu machen. Diese nennt man Fiktionen oder
Mythen. Ein solcher Mythos ist der Glaube, dass Gott Mathematiker sei, und
alles was er schuf, mathematische Konstrukte sein müssten. Ich erinnere mich
noch lebhaft an einen Kollegen, der vehement diese Meinung vertrat. Wer nicht für
Mathematik werbe, wirbt nicht für Gott, oder das Göttliche im Menschen und in
der Welt. Er negiere die Seele, ja das Geistige und den Sinn. Der Ausdruck, den
schon die Griechen für solche Leute hatten, war der der Banause. Ein ‚banausos‘ war ein Unfreier, einer der am
Ofen arbeitete. Diese Leute sind für Kunst und Wissenschaft unfähig.
Ich möchte
meine Sicht von Wissenschaft in den Rahmen (engl. frame) folgender Fragen stellen.
Was gibt es alles und warum gibt es dies? Wie und wohin wachsen die
unterschiedlichen Entitäten oder Organismen? Wie breiten sie sich aus oder wie und
warum bewegen sie sich fort?
Als
Beispiele: Warum ist der Abendhimmel in Sindelfingen, so wie er ist? Warum ist
die Baie des Anges bei Nizza, so wie sie ist und warum ist der Hans Diel, so wie
er ist? Wie und wann sind sie entstanden, welche Ursache und Einflüsse spielten
eine Rolle? Wie wird die Entwicklung weitergehen und wie wird sie enden? Eine
Entwicklung zu verstehen, heißt zu wissen, wie sie anfing und wie sie weitergeht. Wir können dann Vorhersagen
machen. Das verleiht Macht.
Ob es
dabei Gesetzmäßigkeiten gibt, ist für mich sekundär. Natürlich gibt es
Wiederholungen. Ob diese wie ein Gesetz, eine Regel oder Norm wirken, setzt
voraus, dass jemand dies als zweckmäßig erkannt hat oder zufällig entdeckt hat.
Das Fehlen von Gesetzmäßigkeiten könnte bedeuten, dass es keine Ordnung gibt, dass keine
ordnende Hand wirksam war. Wir Menschen suchen in allem nach Mustern und
Gesetzen. Wir freuen uns wie ein Kind, wenn wir welche gefunden haben. Am
Himmel (in Sifi), am Meer (in Nizza) oder in der gesamten Biologie gibt es nur recht wenige davon. Wir nehmen
aber an, es gäbe deren viele, überall und für alles. Bei den drei genannten
Beispielen überwiegt der Eindruck des Einmaligen, das Fehlen von Regelhaftem.
Was Charles
Darwin erklärte, war die Vergangenheit von Flora und Fauna. Über die Zukunft
ließ er sich nicht aus. Er konnte nämlich keine geologischen Verschiebungen
oder Klimaänderungen vorhersagen. Wir tun uns heute noch schwer damit. Die
erfolgreichen Wissenschaften suchen primär in der Vergangenheit. Sie versuchen
verloren gegangenes Wissen bzw. das Wissen der Vergangenheit wieder zu erwerben.
Beispiele sind Archäologie, Astronomie, Biologie, Chemie, Geologie, Medizin, Klimakunde, Kosmologie,
Plattenverschiebungen und Vulkanologie. Genauso sehr wie das Wissen interessiert uns auch
das Nicht-Wissen früherer Zeiten, also Fiktionen und Mythen. Für die Äonen, in
denen es Menschen noch nicht gab, müssen die Steine oder die Sterne reden.
Hartmut Wedekind aus Darmstadt schrieb: Ich vermisse eine Diskussion der bekannten Fragestellung, ob Mathematik eine Sprache oder ein Kalkül ist oder beides.
AntwortenLöschenIch fühle mich dafür nicht kompetent.
LöschenPeter Hiemann schrieb: Die von Hartmut Wedekind aufgeworfene Frage, „ob Mathematik eine Sprache oder ein Kalkül ist oder beides“ ist für unsere Diskussion irrelevant.
LöschenGrundlegende Fragen der Mathematik, wie sie etwa von Bertrand Russel ( Principia Mathematica) oder David Hilbert (Hilbertprogramm) aufgeworfen wurden, spielen für die hier betrachtenden wissenschaftlichen Situationen keine Rolle.
In dieser Diskussion geht es um die Frage, ob mathematische Theorien ausreichen, alle Phänomene des Kosmos (Universum, Natur, geistige Vorstellungen) vollständig und widerspruchsfrei zu erfassen und zu beschreiben. In diesem Sinn kann man sich darauf konzentrieren (beschränken), dass eine mathematische Theorie aus einem Axiomensystem (definierte Elemente und Regeln, Kalkül) und all daraus abgeleiteten Theoremen besteht. In der Physik hat sich die Anwendung mathematischer Theorien bewährt. Einer ihrer renommierten Vertreter, Robert Laughlin (Nobelpreis für Physik 1998), ist jedoch überzeugt: „Der Mythos, kollektives Verhalten folge aus der Gesetzmäßigkeit, geht in der Praxis genau in die falsche Richtung. Stattdessen folgt Gesetzmäßigkeit aus kollektivem Verhalten, ebenso wie andere daraus hervorgehende Dinge wie etwa Logik und Mathematik. ...Damit ist nicht gesagt, dass Gesetzmäßigkeit im mikroskopischen Maßstab falsch sei oder keinen Zweck habe, sondern nur, dass sie in einer Vielzahl von Umständen durch ihre Kinder und Kindeskinder, die höheren Ordnungsgesetze der Welt, belanglos geworden sind.“ (Robert Laughlin: „Abschied von der Weltformel - Die Neuerfindung der Physik“)
Hartmut Wedekind schrieb: Wenn Mathematik als Sprache zur Modellbildung herangezogen wird (wie z.B. in der Physik), dann ist die Frage: „Sprache oder Kalkül“ hochrelevant.
LöschenHans Diel schrieb: Jede wissenschaftliche Forschung besteht im Grunde aus zwei Komponenten (1) Erforschen von Fakten (aktuell oder historisch) und (2) Erkennen von Gesetzmäßigkeiten. Diese beiden Komponenten sind bei den verschiedenen Wissenschaften unterschiedlich stark ausgeprägt und unterschiedlich wichtig. Nur bei der Archäologie sehe ich, dass der Teil (2) gegen Null geht. Nur bei der Mathematik (die ich durchaus zu den Wissenschaften zähle) sehe ich dass Teil (1) gegen Null geht. Bei allen anderen Disziplinen (auch bei den von Ihnen aufgelisteten) sehe ich einen großen Anteil in der Suche nach Gesetzmäßigkeiten. Alle Faktensammlung und Experimente in der wissenschaftlichen Forschung macht man doch nur weil man sich davon das Erkennen von Gesetzmäßigkeiten erhofft. Natürlich gibt es auch in jedem Wissenschaftszweig (selbst in der Mathematik) die Anwendungen. Aber die Anwendung besteht doch ausschließlich in der Anwendung der gefundenen Gesetzmäßigkeiten.
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