FDP zieht die Reißleine
Am Sonntag um 23 Uhr erklärte die
FDP, dass sie die Sondierung abbreche. Es sei kein Vertrauensverhältnis
zwischen den vier Verhandelnden zustande gekommen. Die Spannungen – so erschien
es – seien am größten gewesen zwischen Grünen und FDP. Beobachter meinten, dass der Entschluss schon früher gereift war und dass die Verhandlungen der letzten Tage keine Wirkung mehr hatten. Das ist für die Zukunft uninteressant.
Streitthemen
Die wichtigsten Themen, über die
verhandelt wurde, sind in folgender Tabelle zusammengefasst. Die Haltungen der vier Parteien sind als positiv (+) oder negativ (-) abstrahiert.
Mehrere Punkte fallen auf. Da ist
zunächst die scheinbar völlige Übereinstimmung zwischen den beiden
Unionsparteien. Sie mag nicht mehr als eine oberflächliche Einigung sein –
trotzdem ist es ein Fortschritt. Übereinstimmungen zwischen Union, FDP und Grünen gibt
es nur in einem einzigen der neun gelisteten Punkte, nämlich dem Ausbau der
digitalen Kommunikationsnetze. Es ist zufällig auch das Gebiet, wo der Staat
eigentlich nicht (mehr) zuständig ist. Seit der Privatisierung der Telekom ist diese
nämlich ein Wettbewerber neben anderen. Obwohl der Staat nur noch eine Minderheitsbeteiligung besitzt, sehen viele Politiker (und Kunden) die Telekom immer noch als Staatsbetrieb an, dem der Steuerzahler helfen muss. Auch die Außenpolitik und insbesondere Europa waren kaum Gegenstand von Verhandlungen. Hier herrscht offensichtlich Meinungsgleichheit. Es kann auch sein, dass man sich lieber bedeckt hält.
Wo die FDP die Knackpunkte sah,
waren der Abbau des Solidarbeitrags (Abk. Soli), der Ausstieg aus dem
Braunkohlebergbau und das Verbot ab 2030 von Verbrennungsmotoren zugunsten der
Elektromobilität.
Analyse des Verhandlungsablaufs
Nach meinem Dafürhalten waren es
nicht die Themen, bei denen keine Einigung erreicht wurde, die zum Abbruch der
Gespräche führte. Es war vermutlich das Gefühl, das sich einstellte, nachdem
immer wieder dasselbe Thema neu aufgegriffen wurde und Zwischenergebnisse der
Verhandlungen an die Presse durchgestochen wurden. In einer Mail an Hartmut
Wedekind in Darmstadt schrieb ich gestern:
Das Problem scheint gewesen zu
sein, dass Lindner es nicht schaffte, eine auf Vertrauen beruhende
Arbeitsatmosphäre auszumachen. Dazu fehlte ihm wohl Erfahrung. Er ließ sich von
Trittin zu leicht ärgern. Seine Forderung, den Soli zurückzuzahlen, hätte sich
leicht in einen Kompromiss umwandeln lassen. Da geht es ja nicht um
Entweder-Oder. Ein paar Prozente weniger oder eine paar Monate nach hinten, da
kann verhandelt werden. Bei Grünen und Union schien die Chemie besser zu
stimmen. Da spielten Kretschmann und Strobl und ihre Erfahrung in Baden-Württemberg
eine Katalysator-Rolle.
Hartmut Wedekind erwiderte heute:
Ich hätte wahrscheinlich schon
nach zwei Tagen den Bettel hingeworfen. Wenn Punkte, die man abgelegt hat,
immer wieder aufgerufen werden, dann platzt einem nach einer gewissen Zeit die
Hutschnur. Als ich noch im roten Darmstadt war und in TH-Gremien saß
(drittelparitätisch), war das auch so. Ich bin dann auch so um 23:00 nach Hause
gegangen und habe mich nach einer Flasche Bier als Beruhigung ins Bett gelegt.
Den Quatsch habe ich mir nicht mehr zugemutet. Heute wären es die Grünen, die mir auf die Nerven gingen. Wenn
die untereinander sind, machen die es ja auch so. Klassisch ist das Stricken
der Mädchen beim Filibustern. Bloß wenn
die mit anderen zusammen sind, dann sollten die das "Filibustern "
unterlassen. Es gibt auch noch rationale Politiker, die sich um die
Republik als res publica kümmern und
voran kommen wollen, nicht filibustern und nicht nur scheinbar Liberale, also Subjektivisten. Mit den Grünen bekommen
wir die befürchtete Auflösung, von der
Paul Lorenzen auch schon gesprochen hat. Welcher einigermaßen Begabte wird denn
da noch Politiker? Mein Spezialfreund ist der Trittin (früher KBW). Als ich den
sah, wusste ich, das "Ding" geht schief. Der ist nämlich auch noch
zusätzlich heimtückisch.
Peter Hiemann aus Grasse schrieb:
Ich habe die Sondierungstreffen
als politische Veranstaltung wahrgenommen, von der ich keine Impulse für politische Neuorientierungen erwartet habe. Meines
Erachtens wurde ziemlich deutlich, worum es den Akteuren, jedem auf seine
Weise, vor allem ging: (1) indivuelle
Darstellung, (2) Positionierung für Regierungsämter (auch in Bayern), (3)
Medienpräsenz und (4) Vermeidung von Neuwahlen. Offensichtlich war Punkt (4) für
Lindner und Kubicki irrelevant. Mir ist nicht klar geworden, wer von den beiden
die Richtung vorgab. Kubicki hatte vorher angekündigt, dass Sonntag, der 19.11.
, ein denkwürdiger Tag sein wird.
Wie geht es weiter?
Offensichtlich ist jetzt eine der
seltenen Situationen eingetreten, wo das Amt des Bundespräsidenten mehr als nur
repräsentative Aufgaben hat. Er wird zunächst mit allen Spitzenpolitikern des
Landes Gespräche führen. Er muss ihnen zuerst den Kopf waschen, natürlich nur
im übertragenen Sinne. Er muss sich seine Meinung bilden, wer und warum der
Karren im Dreck landete. Keiner wird sagen, ich war es und ziehe ihn wieder
heraus. Dann muss er sich etwas überlegen. Seine Phantasie und seine politische Klugheit sind gefordert. Am Schluss kann er einfach eine Kanzlerwahl forciert herbeiführen. Dann hören alle
Spielereien auf. Kann das Parlament sich nicht auf eine Person einigen, die das Land
führen soll, wird es Neuwahlen geben. Das passiert frühestes im Februar/März
2018.
Da dabei alle Beteiligten an
Renommee verlieren und hohe Kosten entstehen, wird man versuchen, Neuwahlen zu
vermeiden. Vor allem besteht die Gefahr, dass Wahlen an den Zahlenverhältnissen
nichts ändern. Dann muss man wieder Sondierungen zwischen denselben Parteien
anberaumen. Diese Horrorvision kann einige Leute dazu bewegen, in sich zu
gehen.
Otto Buchegger aus Tübingen schrieb: Auf die Frage wie es weiter geht, meine Antwort: Irgendwie geht es immer weiter.
AntwortenLöschenHartmut Wedekind schrieb: Der Lindner beim Jamaika-Abschied:
AntwortenLöschen„Es ist besser nicht zu regieren als falsch zu regieren“. Das klingt ja fast wie das Klassische: „Accipere quam facere praestat iniuriam“ (Sokrates und dann auch Cicero und dann Paulus). „Es ist besser Unrecht zu erleiden als Unrecht zu tun.“ Wetten, dass Lindner das umgemünzt hat. Denn der Wortrhythmus und der Satzbau kommt einem sehr bekannt vor. Politiker sind schon raffiniert. Denn solche Sätze machen Eindruck, weil sie unstrittig erscheinen.