Das
Thema Digitalisierung ist ein wahrer Dauerbrenner. Es vergeht keine Woche, in
der es nicht im Fernsehen, in den Zeitungen oder in meinem Mail-Verkehr
vorkommt. Ich greife heute einige Beispiele heraus, von denen ich glaube, dass
sie interessant und erklärungsbedürftig sind. Die Auswahl von Themen belegt,
wie breit das Spektrum ist. Daher glaubt fast jeder, dass er Kompetenz besitzt,
die es ihm erlaubt mitzureden.
Jamaika-Konsens
Wie in
meinem letzten Blog-Beitrag beschrieben, scheint
die Politik vergessen zu haben, dass der Telekommunikatios-Markt privatisiert
wurde. Es ist mir daher nicht klar, welchem Anbieter die Jamaika-Parteien auf
die Beine helfen wollen. Im Zweifelsfalle ist es der ehemalige Staatskonzern Telekom.
Sein Marktanteil liegt derzeit unter 60% und ist rasant im Fallen. Ich selbst
habe nach über 50 Jahren seine Dienste gekündigt, da sie nicht mehr meine
Ansprüche erfüllten. Außerdem herrscht in der Politik anscheinend die Meinung
vor, dass man nur das Netz und die Geräte verfügbar machen muss. Alles andere
komme dann von selbst. Dieselbe Denkweise wurde in der Vergangenheit meistens auch
bei DV-Investitionen in Schulen angewandt. Daraus folgt nicht, dass sie richtig
ist. Meist scheiterten die Projekte an Problemen mit unabgestimmter oder
unbrauchbarer Software. Dass außerdem eine gewisse Schulung und
Wartungskompetenz erforderlich ist, wird leicht übersehen.
Bayrischer
Anstoß
Die bayrische Staatsregierung
ist besonders aktiv darin, die Industrie und Wirtschaft des Landes nach vorne zu
bringen. Hier die Selbstdarstellung der Bayrischen Digitalisierungs-Initiative:
Das
Zentrum Digitalisierung.Bayern (ZD.B) ist eine deutschlandweit einzigartige
Forschungs-, Kooperations- und Gründungsplattform, die als Impulsgeber in
Zusammenarbeit mit Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und öffentlichen
Maßnahmen wirkt.
Mein
Kollege Manfred Broy und seine
Mitarbeiter wollen von München aus die Fackel durch den gesamten
Freistaat Bayern tragen. Es geht hier vorwiegend um das Wecken von Bewusstsein,
das Knüpfen von Kontakten und die Schulung von Bannerträgen, so genannten
Evangelisten. Die wissenschaftliche Arbeit ist nach Themenplattformen
gegliedert.
Derzeit
existieren am ZD.B Themenplattformen zu den Bereichen Vernetze
Mobilität,
Cybersecurity, Digital
Engineering & Production, Digitale
Gesundheit/Medizin,
Digitalisierung
im Energiebereich
und Digitalisierung
in Bildung, Wissenschaft, Kultur.
Der Umfang der Initiative drückt sich in folgenden Zahlen aus: 20 neue Professuren zur Digitalisierung bayernweit (davon 15 besetzt), 10 Nachwuchsgruppen, ein Graduiertenkolleg, studentische Innovationslabore
und Verstärkung der Entrepreneurship-Ausbildung. Bayern gibt für das
Thema Digitalisierung in der ersten Phase 2,5 Milliarden aus und nach Kabinettsbeschluss dieses
Jahres in einer zweiten Phase ab 2018 bis 2022 noch einmal 3 Milliarden. Es ist zu hoffen, dass das Vorhaben Bayern
einen Schub verleiht und über Bayern hinaus zu ähnlichen Bemühungen Anstoß gibt.
Potsdamer Offensive
Das Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam ist bahnbrechend tätig auf dem Gebiet des internet-basierten Lernens. Seine Massen-Online-Kurse (engl. Massive Open Online Course, Abk. MOOC) haben riesige Teilnehmerzahlen. Das Angebot ist verfügbar über eine Pattform, die OpenHPI genannt wird. Der Kollege Christoph Meinel engagiert sich im Geiste Wilhelm von Humboldts und plädiert dafür, vermehrt digitale Techniken dafür einzusetzen, um die berufliche Qualifikation und die Allgemeinbildung auf allen Ebenen der Ausbildung zu verbessern.
Darmstädter
Perspektive
Mein
Blog-Partner Hartmut Wedekind schrieb diese Woche:
Ist
denn das so schwer, über Digitalisierung jenseits eines
(„politischen“)
Breitbandausbaus
zu reden? Vor langer Zeit hat eine berühmter Betriebswirt (ich greife
also in die Kiste der „Nicht-Fachidioten“) mal gesagt: Produktion, das
Hervorbringen von Gütern, ist eine Kombination von Produktionsfaktoren. Ich
brauche die Produktionsfaktoren nicht einzeln aufzuzählen. Wir gehen in eine
Firma uns schauen sie uns an. Was sehen wir: Wir sehen Arbeitsprozesse, die
einen Anfang und eine Ende haben. Jetzt versuchen wir, die Prozesse zu
begreifen und mit hoch entwickelten Systemen (z.B. BPMN) aufzuschreiben. Wir
gucken uns jeden einzelnen Teilprozess genau an, um die Frage zu beantworten,
ob eine Automatisierung, bzw. eine Digitalisierung evtl. auch im Globalen
möglich ist, und dann wie? Wenn ja, müssen wir explizit angeben,
wie das technisch auch möglich ist und was das kostet, bzw. einspart.
Schrittweise, zirkelfrei und alles explizit! Die Vernetzungskenntnisse einer
Industrie 4.0 stehen uns zur Verfügung. Das war’s dann, wenn wir damit
fertig sind, und: Unsere Aufgabe ist beendet und wir können nach Hause gehen
und meinetwegen Biertrinken. Den Fernseher aber, den schalten wir nicht mehr
an. Da wird ja nur über Digitalisierung dilettantisch gefaselt, an dem
wichtigen Begriff „Arbeitsprozess“ (workflow) mit all seinen Tücken
vorbei. Das liebt man nicht. Das ist ja etwas für Fachidioten ohne eine globale
„Feldherren-Sicht, die ja sooo wichtig ist“. Es laufen lauter
Digitalisierungs-Feldherren herum. Die sind aber, genau genommen,
entbehrlich! Die wissen das bloß nicht. Das ist auch ein Problem. Wer bringt
denen das bei?
Darauf
entgegnete ich:
Sie machen meines Erachtens einen Fehler, den deutsche
Techniker gerne machen. Wegen des von Henning Kagermann und Wolfgang Wahlster
lancierten Begriffs ‚Industrie 4.0‘ setzen Sie Wirtschaft = Produktion. Das
stimmte im England des 18. Jahrhundert. Heute ist aber der
Dienstleistungssektor der Wirtschaft
mindestens so groß wie der Produktionssektor. Heute wird Deutschlands Industrie
abgehängt von Firmen wie Amazon, Google, Facebook, Airbnb, Uber usw. Das sind
alles Dienstleister. Auch wir haben gute
Dienstleister. Sie heißen Aldi, Lidl, Axel Springer und neuerdings Flixbus. Die
Markennamen, die heute für Springer Geld verdienen, sind Stepstone, KaufDA und
Idealo. Entscheidend ist die Kundenbeziehung und die Logistik. Ohne
Digitalisierung und Netz ist da nichts. Bei Daimler und BMW tut sich irgendwann
auch etwas. Das sind dann aber andere Autos als die, die man bisher baute. Im
letzten SPIEGEL (Heft 47/2017) wird Flixbus beschrieben. Die Firma besitzt nur einen
einzigen Bus, vermittelt aber über 1000 Fahrten pro Tag, quer durch ganz
Europa. Meine Enkel fahren nur noch damit. Die Fahrpläne und Preise der
Bundesbahn sind im Vergleich dazu total antiquiert. Der Steuerzahler darf die Bundesbahn
demnächst subventionieren.
Pfälzer und Schweizer Sorgen
Katharina Zweig, eine junge Kollegin
aus Kaiserslautern, hat eine Bürger-Initiative (engl. Non-government
organization, Abk. NGO) namens AlgorithmWatch gegründet. Sie will Algorithmen
überwachen, um zu sehen, was gut funktioniert und was nicht. Sie sieht dies als
staatliche Aufgabe an, die derzeit nicht wahrgenommen wird. Mir scheint, dass
man sich da eine unbegrenzte Aufgabe gestellt hat. Alle Informatiker
Deutschlands zusammen genommen, wären überfordert.
Der Schweizer Physiker und Philosoph Eduard Käser zitiert
heute in der NZZ die
amerikanische Mathematikerin Cathy O’Neil wie folgt:
Ein immaterielles Wettrüsten der Algorithmen findet
statt, das für den Normalbürger unsichtbar bleibt, ihn aber aufgrund von
schlampiger Statistik, voreingenommenen Modellen und einem fast
gemeingefährlichen Vertrauen in computergenerierte Entscheidungen als
Kollateralopfer zurücklässt.
Er fährt fort:
Aber die künstliche Intelligenz der Algorithmen «greift» uns nicht «an». Vielmehr macht sich in ihr ein Teil der menschlichen Intelligenz – nämlich der automatisierbare – breiter und breiter. Einseitige Denkdiät. Max Weber sprach von der Entzauberung der Welt durch wissenschaftliche und technische Rationalität. Das Gegenteil ist heute der Fall. Ein Riesenzauber kehrt zurück, in der Gestalt von Gadgets, die wir verehren, statt zu verstehen.
Die übertriebene Gläubigkeit an die Macht der künstlichen Intelligenz (KI) beunruhigt auch Informatiker. Ein prominentes Beispiel ist David Parnas mit seinem Beitrag in den Communications der ACM (10/2017). Fünfzig Jahre nach der Garmischer Konferenz scheinen die ingenieurmäßigen Methoden der Software-Entwicklung einen schweren Stand zu haben. Wer Digitalisierung in derselben Kategorie wie KI sieht, vergleicht Autofahren mit Ballonfahren.
Philosophische Utopien
Richard David Precht ist ein in der deutschen Öffentlichkeit sehr bekannter Publizist und Philosoph. Er hatte mehrere Bucherfolge und ist in allen Medien präsent. Ein Interview mit ihm zum Thema ‘Digitale Revolution in der Gesellschaft‘ habe ich mir mehrmals angehört. Nach seiner Meinung führt die Digitalisierung schnurstracks zur Massenarbeitslosigkeit. Rund 50% der heutigen Jobs würden verloren gehen. Als Lösung plädiert er für ein bedingungsloses Grundeinkommen für Alle. Auf die Frage, wer dann die nötigen Steuergelder generiert, hatte er eine überraschende Antwort. Es dürften keine Steuern mehr vom Einkommen erhoben werden, sondern nur noch indirekte Steuern. Als Beispiel nannte er die Finanzsteuer, aufgrund der bei jedem Geldgeschäft 2% einzubehalten sei. Wer also 100 Euro von seinem Konto abhebt, bekommt nur 98 Euro. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Banken und ihre Kunden dies ohne einen Volksaufstand akzeptieren werden.
Mein Verständnis
Nach
meinem Eindruck wird der Effekt der Digitalisierung teilweise unterbewertet,
teilweise (dramatisch) überbewertet. In den 30 Jahren, in denen ich mich aktiv
mit dem Thema befasste, war der Fortschritt beeindruckend. Die folgende Tabelle
soll dies veranschaulichen.
Fortschreiten der Digitalisierung
Die
Tabelle listet Erzeugnisse und Dienstleistungen, mit denen ich täglich
persönlich arbeite oder die ich in Anspruch nehme. Vor 50 Jahren standen
überall ‚As‘. Alle Erzeugnisse und Dienste waren analog, also meist auf Papier.
Inzwischen gibt es bei mir keine papiernen Zeitungen, Zeitschriften, Fotos und
neugekaufte Bücher mehr. Musik und Filme auf Vinylscheiben oder magnetischen bzw. photochemischen Trägern sind auch verschwunden.
Die
Spalte Verwaltung enthält Planung, Konzeption, Disposition und Abrechnung. Sie
taucht fast überall auf. Selbst bei den als analog bezeichneten Diensten
ist bei deren Verwaltung die Digitalisierung sehr weit fortgeschritten. Die
Darstellung soll vermitteln, dass Digitalisierung kaum als ein Thema der
Zukunft angesehen werden kann. Sie ist seit 30 Jahren auf dem Vormarsch.
Nachzügler wird es immer geben.
Warum
tun sich viele Menschen mit der Digitalisierung so schwer?
Wie die
Tabelle zeigt, sind ganz erhebliche Teile unseres Lebens betroffen. Es bleiben
aber auch viele Bereiche unverändert. Betroffen sind am stärksten diejenigen
Menschen und Tätigkeiten, die mit der Informations- und Wissensverarbeitung zu
tun haben. Zu sagen, dass alle diese Tätigkeiten entfallen, wäre eine
Irreführung. Sie ändern sich lediglich. Nicht die Verarbeitung von Information
und Wissen entfällt, sondern die Herstellung, das Bedrucken, der Verkauf und der Transport von
Papier (oder Vinyl). Der
Anteil dieser Tätigkeiten an der heutigen Wirtschaft ist vergleichbar dem
Anteil von Hufschmieden in der Pferde nutzenden Landwirtschaft voriger
Jahrhunderte.
Es ist
völlig verantwortungslos, aus der Digitalisierung eine Gefahr für die
Intellektualität und Würde des Menschen abzuleiten. Das Gegenteil ist der Fall.
Ich lese heute ein Vielfaches der Bücher, die ich früher las. Erstens werden
mir viel mehr Bücher angeboten, also bekannt gemacht, als früher. Ich brauche
nicht mehr zu warten oder irgendwo hinzufahren, um sie abzuholen. Schließlich
kann ich die Schrift meiner Sehstärke und der Zimmerbeleuchtung gemäß anpassen.
Dass der Mensch die Fähigkeiten verliert, die er nicht mehr benötigt, hat schon
Sokrates (469 – 399 vor Chr.) mit Sorge erfüllt. Seit es handschriftliche
Aufzeichnungen der Werke des Homer gibt, sank die Zahl derer, die sie auswendig
kannten und sie von Ort zu Ort erzählten. Dafür aber gab es Leute, die 2000 Jahre
später und in 2000 km Entfernung von Athen die Ilias und Odyssee lasen,
allerdings nicht in handschriftlicher Form, sondern in lateinischen
Druckbuchstaben und deutscher Sprache. Sokrates mag dies für unmöglich und undenkbar gehalten haben.
Peter Hiemann aus Grasse schrieb: Ich bin der Ansicht, dass weder übertriebener Optimismus noch übertriebener Pessimismus der Diskussion über Digitalisierung dienlich ist. Experten unterschiedlichster Bereiche weisen darauf hin, dass mittels computergestützter Prozesse bei staatlichen Institutionen, bei Forschung und Entwicklung, bei Wirtschaftsunternehmen und bei 'Otto Normalverbraucher' ein neues menschliches Zeitalter angebrochen ist. Eine Flut neuer technischer digitalisierter Anwendungen werden die Arbeitswelt, ökonomische Kreisläufe und politische Bewegungen grundlegend verändern.
AntwortenLöschenBereits existierende digitalisierte Anwendungen geben Anlass, umfassende Überlegungen hinsichtlich gesellschaftlicher Konsequenzen anzustellen. ...
Homo sapiens betritt eine nächste grundlegende Phase der Industrialisierung: Industrie 4.0. Industrielle Prozesse sollen mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik so verzahnt werden, sodass menschliche Abhängigkeiten und fehleranfällige Eingriffe minimiert werden. Technische Grundlage hierfür sind digital vernetzte, 'intelligente' Systemkomponenten aller Art (IoT = Internet der Dinge), die weitgehend selbstorganisierte Produktionsprozesse ermöglichen sollen. Durch die Vernetzung soll es möglich werden, nicht mehr nur einen Produktionsschritt, sondern eine ganze Wertschöpfungskette zu optimieren. Das Netz soll alle Phasen des Lebenszyklus des Produktes einschließen – von der Idee eines Produkts über die Entwicklung, Fertigung, Nutzung und Wartung bis hin zum Recycling. (Wikipedia)
Noch ist offen, wie sich KI in Computeranwendungen niederschlagen wird. Unternehmen und Nutzer werden darüber entscheiden, Das selbstfahrende Auto ist das derzeit stärkste Symbol dafür, wie sich KI Experten die Zukunft vorstellen. Frank Chen sagt: „Der menschliche Bediener verschwindet aus allem, was sich bewegt…Lastwagenfahrer ist einer der am weitesten verbreiteten Jobs, und vielleicht in 5 Jahren, spätestens in 15 Jahren wird es diesen Job nicht mehr geben“. Schätzung der Beratungsfirma Deloitte: „Einer halben Million Mitarbeiter der britischen Finanzindustrie droht, in den kommenden Jahren durch Software ersetzt zu werden.“ Der Informatiker und Kognitionspsychologe Geoffrey Hinton: „Wir sollten umgehend aufhören, Radiologen auszubilden.“ Maschinen können besser Röntgenbilder analysieren.“
Auch die größten Technik-Optimisten ahnen inzwischen, dass die Gestaltung technischen und gesellschaftlichen Wandels auch politischer und geisteswissenschaftlicher Überlegungen bedarf. Bill Gates will, dass Tech Experten 'Normalsterbliche' beim technischen Wandel nicht verlieren: „Wenn die Menschen Angst vor dem Fortschritt haben, statt sich zu freuen, dann bekommen wir ein richtiges Problem.“ (Der Spiegel 14 / 2017: Zuckerbergs Zweifel).
Es bleibt zu hoffen, dass akademische Gruppen etwas zu Überlegungen beitragen werden, wie Gesellschaften zukünftig verträglich gestalten werden können. Die Unternehmen des Silicon Valley wie Facebook und Google werden allerdings die Diskussionen dominieren.