Montag, 15. Oktober 2018

Wahl in Bayern – ein paar Gedanken danach

Die gestrige Landtagswahl in Bayern hat nach meinem Dafürhalten ein paar Antworten gebracht auch zu Fragen, die überregional von Bedeutung sind. Ich will sie kurz beleuchten. Ich halte das Wahlergebnis nicht für einen epochalen Bruch, sondern für die Fortsetzung eines seit mindestens 5-6 Jahren erkennbaren Trends. Einige meiner Aussagen adressieren Behauptungen oder Vermutungen, die sich in zeitgenössischen Medien festzusetzen scheinen.

Starke Wählerwanderung

Der Vergleich dreier Wahlen in Bayern macht die Wählerwanderungen deutlich, die seit Jahren in diesem Bundesland stattfanden.


Vergleich dreier Wahlen in Bayern

Der große Verlierer, schon bei der letzten Bundestagwahl, war die CSU mit nahezu 9%. Sie verlor jetzt noch einmal, aber nur 1,6%. Anders war es bei der SPD. Sie verlor in beiden Wahlen je 5%. Der große Gewinner dieser Wahl sind die Grünen. Sie konnten sich fast verdoppeln und kamen auf 17,5%. Damit zieht Bayern dem Trend hinterher, der vor 5-6 Jahren in Baden-Württemberg begann. Die AfD konnte keine Gewinne erzielen gegenüber der Bundestagswahl. Sehr hart traf es die FDP. Sie verlor die Hälfte der Wähler, die sie vor einem Jahr hatte. Gewinnen konnten neben den Grünen nur die Freien Wähler (FW). Wählerwanderungen sind ein Zeichen dafür, dass Menschen sich nicht abgehängt fühlen und man der Politik etwas zutraut.

Hohe Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung an Landes-, Bundes- und Europawahlen wird oft als Maßstab für das demokratische Bewusstsein und das politische Interesse der Bevölkerung angesehen. Sie erreichte bei der jetzigen Wahl imposante 72,2 %, gegenüber 63,6% vor vier Jahren. Diese Steigerung ist vor allem der AfD zu verdanken. Ihr Potential war primär bei bisherigen Nicht-Wählern. Im Vergleich zu englischen und amerikanischen Wahlen sind diese Zahlen beeindruckend. Das allseitige Jammern, dass bei uns Politik und Gesellschaft sich verfremden, ist damit widerlegt.

Rechtsruck fand nicht statt

Die AfD scheint ihren Vormarsch in Landesparlamente fortzusetzen, aber mit geringeren Zahlen als sie bei der letzten Bundestagswahl erreichte. Vielleicht ist dies darauf zurückzuführen, dass die gigantische Bundestagsfraktion der AfD den Wählern zeigt, dass außer Lärm nicht viel von dieser Partei zu erwarten ist. Neben Nicht-Wählern sog sie auch von ‚Altparteien‘ ab, aber nur in geringerem Maße.

Rechnet man die Grünen zum Lager der Linksparteien, so ist der Linksdrall deutlicher als der Rechtsruck. Von den 18 zur Wahl stehenden Parteien gehört die Mehrzahl ins linke Lager, wobei dieser Begriff an Bedeutung und Prägnanz verloren hat. CSU, FW und FDP lassen sich als zur klassischen Mitte gehörend verorten.


Angebotsspektrum weitet sich aus

Neben den oben gelisteten sechs Parteien bewarben sich 12 weitere Parteien für den bayrischen Landtag. Aus Respekt für ihre Arbeit und ihren Einsatz möchte ich wenigstens ihre Namen erwähnen: Die Linke, Bayernpartei, Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), Piraten, Die Partei, Mut, Tierschutz, V-Partei, Die Franken, Gesundheitsforscher, Humanisten und Liberal-Konservative Reformer (LKR). Sieben von ihnen kandidierten das erste Mal. Sie  erhielten zusammen 5 % der Stimmen. Bei der Wahl 2013 kandidierten fünf andere Parteien, die jetzt nicht mehr dabei waren: REP, NPD, Frauenliste, Freiheit und Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo). Die Tatsache, dass Parteien kommen und gehen, zeugt für die Bedeutung, die man ihnen beimisst.

Städte wählen anders als das breite Land

In den Städten wie München, Augsburg, Nürnberg, Erlangen usw.  zeigt sich der Wählerwandel am deutlichsten. In Bayern waren traditionsgemäß sämtliche Direktmandate in der Hand der CSU. Zum ersten Mal gewann eine andere Partei eines oder gar mehrere Direktmandate. Es waren die Grünen, die fünf der sechs Münchner Direktmandate gewannen. Dass die beiden Ko-Vorsitzenden, Katharina Schulze und Ludwig Hartmann, dazu gehören, macht die Sache besonders interessant. Es erinnert an Berlin-Kreuzberg, wo Hans-Christian Ströbele mehrmals ein Direktmandat für die Grünen gewann. Es war dies bisher das einzige von Grünen gewonnene Direktmandat.

Hierzu eine Bemerkung: Das in angelsächsischen Ländern bevorzugte Mehrheitswahlrecht kennt nur Direktmandate. Das war in Deutschland bis zum ersten Weltkrieg ebenfalls der Fall. Erst die Weimarer Verfassung führte Verhältniswahlen ein, wodurch die Sitzverteilung mehr an die Gesamtstimmenzahl angepasst wurde. Mit anderen Worten: Eine Partei, die 49,9% der Stimmen hat, aber über kein Direktmandat verfügt, ist sonst nicht im Parlament vertreten. Im Bund, wo beide Wahlformen kombiniert werden, führt dies zu dem Problem der Ausgleichs- und Überhangmandate.

Landesthemen überwiegen

Bei einer Landtagswahl stehen Landesprobleme zur Diskussion. Das klingt wie eine  Weisheit, die zwar unbestritten ist, an die sich jedoch niemand hält. Im Falle Bayern ist diese Problematik ganz offensichtlich und von besonderer Brisanz. Der seit Jahrhunderten schwelende Kampf gegen gesamtdeutsche Belange treibt auch heute noch die seltsamsten Blüten.

Auf Wunsch der CSU hielten sich Angela Merkel und andere CDU-Politiker aus dem bayrischen Wahlkampf heraus. ‚Im Wahlkampf sei ihm ein Bundeskanzler lieber als eine Bundeskanzlerin‘, so wird Markus Söder zitiert. Er ließ sich daher mit dem Österreicher Sebastian Kurz ablichten, aber nicht mit Angela Merkel. Ob dies eine gute Strategie war, darf bezweifelt werden. Auch dass Horst Seehofer Berlin als die Quelle aller seiner Probleme ansah, wird sich noch rächen.

PS: Dies ist Beitrag Nummer 555 seit Januar 2011. Eine solche Ausdauer und Produktivität hatte ich mir selbst nicht zugetraut. 

3 Kommentare:

  1. Die obigen Aussagen zu Wählerwanderungen will ich etwas korrigieren und erweitern. Die Grünen erhielten von SPD 200, CSU 180, Nicht-Wählern 120. Die AfD bekam von CSU 180, Nicht-Wählern 120. Die CSU gewann bei Nicht-Wählern 200, SPD 100. Anders als in meiner ersten Analyse vermutet, gingen Nicht-Wähler nicht bevorzugt zur AfD, Alle Zahlen sind mit Tausend zu multiplizieren.

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  2. Die gestrige Landtagswahl in Hessen setzte den Trend der Bayernwahl fort. Lediglich die Wahlbeteiligung fiel leicht. Die CDU konnte sich als stärkste Partei retten, obwohl sie 11 Prozentpunkte verlor. Die Grünen sind gleichauf mit der SPD, die 10 Punkte verlor. Ob man die 7% der FDP benötigt, um die bisherige Politik fortzusetzen, ist fraglich.

    Dass die CDU und SPD alle Schuld auf Berlin schieben, scheint mir auf einer Fehlbeurteilung zu beruhen. Man nimmt an, dass es die Hessen nicht interessiert, was in ihrem Lande geschieht. Die Koalition zu beenden, in die beide Parteien vom Bundespräsidenten hineingeschubst wurden, löst überhaupt kein Problem, selbst dann nicht, wenn man das Überleben der SPD für essentiell hält. Es schafft nur neue Probleme. Die AfD erzielte höhere Zahlen in Hessen als in Bayern, da die Freien Wähler in Hessen sehr schwach sind (3%).

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  3. Angela Merkel nahm das Wahlergebnis in Hessen zum Anlass, den Verzicht auf die im Dezember anstehende Neuwahl zur CDU-Vorsitzenden zu verkünden. Als Kandidaten werden genannt: Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn und Friedrich Merz.

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