Hartmut
Wedekinds Beitrag in seinem Blog über Stephen
Hawking
löste in meinem Freundeskreis eine Diskussion aus. Ich möchte sie gekürzt
wiedergeben.
Zunächst ergänzte Wedekind seinen Blog-Eintrag in einer Mail wie folgt: Der Vatikan hat
den Urknall auch als Schöpfung eines Schöpfergottes bezeichnet, was
quantenmechanisch nach Hawking nicht stimmt. Sein letztes Buch ist absolut
lesenswert. Der Urknall entstand aus dem Nichts. Man hat Hawking aber vor
Jahren in allen Ehren im Vatikan empfangen und nicht mehr in den päpstlichen
Bann gestellt. Insofern lernte der Vatikan hinzu. Mit der Quantentheorie setzt
sich der Vatikan nicht auseinander. Das kann er auch gar nicht, obwohl der
Belgier Lemaitre, der den Urknall entdeckt hat, Jesuit war. Die Aufklärung
bricht seit Galileo wie ein Wackerstein auf den Vatikan ein. Der Vatikan aber
unterliegt regelmäßig (Kopernikus, Galilei, Keppler, und jetzt Hawking) und den
Kant hat der Vatikan auch nicht kapiert. So gesehen nehmen die Blamagen kein
Ende. Bloß keiner redet mehr darüber, weil der Vatikan erkenntnistheoretisch
unerheblich geworden ist.
Hans
Diel (HD):
Hier nur einige Bemerkungen zu Wedekinds Position.
- Dass
die Religionen bei wissenschaftlichen Fragen besser die größere Kompetenz der
entsprechenden Wissenschaftler anerkennen sollten, ist eine Erkenntnis, für die
man keine Erkenntnistheoretiker benötigt.
- Dass
Naturwissenschaftler nicht unbedingt die größere Kompetenz bei metaphysischen
und ethischen Fragen haben, ist zumindest meine Erkenntnis.
- Dass
sowohl der Vatikan als auch Hawking, erkenntnistheoretisch unerheblich sind, halte
ich für einen Fakt. (Ich muss allerdings zugeben, dass ich nicht kundig bin,
welche Erkenntnisse der Erkenntnistheoretiker und welche Erkenntnistheoretiker
erheblich sind.)
- Dass
die Theorie, dass der Urknall NICHT aus dem Nichts entstanden ist, die
WISSENSCHAFTLICH plausiblere Theorie ist, ist womöglich eine sinnvolle
Erkenntnis für einen Erkenntnistheoretiker. Klar ist aber auch, dass jegliche
Theorie bezüglich "was war vor dem (derzeit angenommenen) Urknall?"
nur zu einer (unendlichen) Folge von Urknall-Minus-1-, Urknall-Minus-2-,
....Theorien führt.
Es
macht durchaus Sinn, wenn sich Physiker Gedanken machen zu der Frage, was könnte der Urknall-1 gewesen sein − genauer: Gibt
es eine physikalisch sinnvolle Theorie, die erklärt, woraus der derzeit
angenommenen Urknall entstanden sein KÖNNTE? Dazu haben einige Physiker
Theorien veröffentlicht. Ohne Hawkings Theorie genau zu kennen, glaube ich
nicht, dass seine Theorie fundierter ist als die, die ich bisher vernommen
habe. Ich vermute, dass Hawking sich auch nicht zu der metaphysischen (oder
erkenntnistheoretischen?) Frage geäußert hat, was am Ende (Anfang) der Folge
Urknall-1, Urknall-2, .... war und ob diese Folge endlich ist (i.e., ob am
Anfang das Nichts war). Zu dieser Frage gestehe ich dem Vatikan genau so viel
Kompetenz zu wie Hawking.
Im
Übrigen verehre ich Einstein als Physiker, selbst da wo er widerlegt wurde. Für
mich ist er der Größte. Zu Fragen, die nicht die Physik betreffen, ist für mich
Einsteins Meinung nicht interessanter als die von Heisenberg, Dürr (einem
Schüler Heisenbergs), Gödel (einem Freund Einsteins), Hawking, Penrose oder
Hilbert.
Peter
Hiemann (PH)
Ich habe Hartmut Wedekinds Blog-Eintrag wie folgt kommentiert: Einstein äußert
sich klar in einem seiner ganz späten Briefe (1954 an den jüdischen,
deutsch-amerikanischen Religionsphilosophen Eric(h) Gutkind), in dem er sich
ein Jahr vor seinem Tod explizit vom Begriff „Gott“ und der Bibel distanzierte:
„Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher
Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger aber doch reichlich primitiver
Legenden. Keine noch so feinsinnige Auslegung kann (für mich) etwas daran
ändern.“
Auch
das Judentum kommt in dem Brief nicht gut weg: „Für mich ist die unverfälschte
jüdische Religion wie alle anderen Religionen eine Incarnation des primitiven
Aberglaubens. Und das jüdische Volk, zu dem ich gerne gehöre und mit dessen
Mentalität ich tief verwachsen bin, hat für mich doch keine andersartige
Originalität als alle anderen Völker. Soweit meine Erfahrung reicht ist es auch
um nichts besser als andere menschliche Gruppen wenn es auch durch Mangel an
Macht gegen die schlimmsten Auswüchse gesichert ist. Somit kann ich nichts
‘Auserwähltes‘ an ihm wahrnehmen.“
Hartmut
Wedekind reflektierte meinen Hinweis auf Einstein: "Schönen Dank. Der
späte Sinneswandel eines Albert Einstein war mir nicht bekannt. Wenig
überrascht hat mich im Wikipedia-Beitrag für Georges Lemaitre, Jesuit und einer
der Entdecker des Urknalls, die folgende Bemerkung: „Auf einer Tagung im
November 1951 akzeptierte die Päpstliche Akademie der Wissenschaften Lemaîtres
Theorie. Papst Pius XII. führte in einem abschließenden Vortrag aus, der mit
dem Urknall zeitlich festlegbare Anfang der Welt sei einem göttlichen
Schöpfungsakt entsprungen.“ Bei Hawking können wir nachlesen, dass diese Auffassung
nicht haltbar ist. Wie so oft scheint die Kirche sich in kosmologischen Fragen
wieder einmal zu irren. Vielleicht dauert es wie im Falle Galilei wieder 300
Jahre, bis man aus einem mythologischen Traum erwacht. „Schuster bleib bei
deinen Leisten“, ist ein bekanntes deutsches Sprichwort." Soweit Wedekind.
Ich
möchte noch klarstellen: Ich nehme unterschiedliche religiöse Vorstellungen zur
Kenntnis. Ich halte jedoch eine fortlaufende Kommunikation zwischen Gläubigen
und Ungläubigen für gemeinschaftlich 'sinnlos', weil sie auf beiden Seiten
nicht zu Erkenntnis beiträgt. In diesem Sinn halte ich auch nichts vom Begriff
'Verehrung'. Kommunikation funktioniert nur auf der Basis, dass Vorstellungen
'respektiert' werden, und wenn es möglich ist, 'kooperierende' Gedanken
ausgetauscht werden (Niklas Luhmann: Systemtheorie).
Bertal
Dresen (BD):
Ich habe folgenden Kommentar zu Wedekinds Blog-Beitrag hinterlassen: Viele
Wissenschaftler wehren sich dagegen, wenn man sie als Atheisten bezeichnet.
Damit unterstelle man ihnen, etwas zu wissen, was sie nicht wissen können. Sie
bevorzugen die Bezeichnung Agnostiker. Andere wiederum bezeichnen dies als eine
nicht akzeptable Ausrede. Man kann sich doch nicht ein Leben lang dumm stellen,
um sich ja nicht zu einer Entscheidung durchringen zu müssen. Blaise Pascal
(1623-1662) meinte, es sei die bessere Wette an Gott zu glauben. Der zu
erwartende Gewinn sei dann größer als der zu erwartende Verlust.
PH: Blaise Pascal
unterstellte, dass alle Menschen wetten müssen, ob es Gott gibt oder ob es ihn
nicht gibt: "Es muß gewettet werden, das ist nicht freiwillig, ihr seid
einmal im Spiel und nicht wetten, daß Gott ist, heißt wetten, daß er nicht ist.
Was wollt ihr also wählen? [...] Ihr habt zwei Dinge zu verlieren, die Wahrheit
und das Glück und zwei Dinge zu gewinnen, eure Vernunft und euern Willen, eure
Erkenntniß und eure Seligkeit, und zwei Dinge hat eure Natur zu fliehen, den
Irrthum und das Elend. Wette denn, daß er ist, ohne dich lange zu besinnen,
deine Vernunft wird nicht mehr verletzt, wenn du das eine als wenn du das andre
wählst, weil nun doch durchaus gewählt werden muß. Hiemit ist ein Punkt erledigt.
Aber eure Seligkeit? Wir wollen Gewinn und Verlust abwägen, setze du aufs
Glauben, wenn du gewinnst, gewinnst du alles, wenn du verlierst, verlierst du
nichts. Glaube also, wenn du kannst.“
Pascal
irrte, dass man die von ihm vorgeschlagene Wette eingehen muss. Dem Irrtum, nicht zu glauben, und das Risiko,
Höllenqualen zu erleiden, muss man nicht 'fliehen', wenn man die Wette
verweigert. Dagegen ist es meines Erachtens immer gewinnbringend, sich ohne zu grosse
Erwartungen auf die Suche nach real verifizierbaren Erkenntnissen zu begeben. In diesem Fall
stellt sich die Frage nach gottgegebener Schöpfung nicht. Pascal hatte übrigens
recht: Wer nicht an Gott glaubt und Gott doch existiert, hat am Ende gar nichts
verloren, wenn er sich weiterhin der Suche nach real verifizierbaren Erkenntnissen widmet.
Mit
anderen Worten: Wer Pascals Wette nicht eingeht, ist vielleicht ein Atheist,
der den Glauben an Gottes Existenz verwirft, oder ein Agnostiker, der sich
nicht für Gott entscheiden kann oder will. Für mich und viele Wissenschaftler
ist der Begriff 'Gott' ohne Bedeutung. Ich kann mir nicht vorstellen, wie der
Glaube an gottgegebene Schöpfung zu einer physikalischen Erkenntnis beitragen
kann.
HD: Ich stimme Ihrem
letzten Satz voll zu. Ich gehe sogar noch weiter. Ich meine, dass auch ein
gottgläubiger Physiker bei der Suche nach physikalischen Erkenntnissen immer
von der Prämisse ausgehen muss, dass Gott dabei keine Rolle spielt (höchstens
bei der Erfindung der Gesetze). Andererseits, wenn ein Physiker beim Betrachten
der Schönheit der physikalischen Gesetze, sich in seinem Gottesglauben bestärkt
sieht (ich kenne viele, bei denen dies der Fall ist), ist er deshalb natürlich
auch kein schlechterer Physiker.
BD: Bekanntlich ist
Pascals Name unter Informatikern deshalb so vertraut, weil Niklaus Wirth einer
der vielen von ihm erfundenen Programmiersprachen diesen Namen gab. Ich glaube,
dass Wirth sich dabei weniger von den theologischen Gedanken Pascals leiten
ließ, als von seinen mathematischen Leistungen. Wer kennt zum Beispiel nicht
das Pascalsche Dreieck. Es ist die
Darstellung von Zahlen so, dass sich daraus gewisse Gesetzmäßigkeiten leicht
erkennen lassen. Leider starb Pascal bereits mit 39 Jahren. Er ist dennoch
unvergessen.
Leben nach dem Tode … Leben vor dem Leben … Geschichte vor dem Urknall … Fest gedachte Gottesvorstellungen … Gnadenstand der Welt … Erlösung der Menschen … Sünde … Hölle … Himmel … Seele … Wunder
AntwortenLöschenDas sind alle Begriffe, die nicht wissenschaftlich angefasst werden können. Welche Experimente zeigen irgendwas hiervon?
Was ist, wenn das menschliche Gehirn nach dem einen oder anderen unfassbaren theologischen Glauben sehnt? Was ist, wenn das Gehirn so verdrahtet ist, gewisse Glauben zu suchen? Können wir das mit einem Traum vergleichen?
Ich bin der Meinung, daß die Wissenschaft nichts über diese Begriffe sagen kann. Man kann höchstens über den Einfluss jenes Glaubens auf menschliches Tun und Wohlbefinden sprechen.
Kann man Bach fassen, ohne selbst in die Fassung des Glaubens zu sein oder zu steigen?
Calvin Arnason
Peter Hiemann schrieb: Sie haben natürlich recht, daß die Wissenschaft nichts über religiöse Vorstellungen und Emotionen sagen kann.
LöschenErlauben Sie mir aber den Hinweis, dass die Wissenschaft zu zwei Annahmen Ihres Gedankengebäudes wichtige Erkenntnisse gewonnen hat (Antonio Damasio: “Selbst ist der Mensch – Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins“):
Kein individuelles Gehirn gleicht einem anderen. Die Struktur eines individuellen Gehirns hat sich entsprechend der individuell einmaligen Struktur eines individuellen DNA-Programms, und entsprechend erlebter Ereignisse und Erfahrungen eines individuellen Lebenslaufs entwickelt (entfaltet). Ein Gehirn ist ein unglaublich komplexes neuronales Netzwerk, das zu unglaublich dynamischen Prozessen fähig ist. Es ist durchaus gerechtfertigt zu sagen : Wir sind Erinnerung (Steven Pinker). Dabei ist zu beachten, dass wir sowohl rationale Erfahrungen als auch die dazugehörigen bewertenden Gefühle in unseren Gedächtnissen verankern.
Mit anderen Worten: Das (abstrakte) menschliche Gehirn, das so verdrahtet ist, gibt es nicht. Es gibt aber sicher interessante individuelle Geschichten, die über die Erfahrungen erzählen, wie Vorstellungen „Leben nach dem Tode … Leben vor dem Leben …. Fest gedachte Gottesvorstellungen … Gnadenstand der Welt … Erlösung der Menschen … Sünde … Hölle … Himmel … Seele“ entstanden sind.
Mit vielen Grüssen Peter Hiemann
PS: Auch Ich liebe Bachs Musik. Bach gilt als Komponist, der in seinen Fugen äusserst komplexe klangliche Strukturen schuf.
Peter Hiemanns obiger Kommentar erinnert mich an ein Zitat, das ich letzte Woche fand: 'Wer Menschheit sagt, lügt*. Es soll von Carl Schmitt stammen, einem den Nazis sehr zugetanen Juristen.
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