Dieser Tage lauschte ich eine Stunde lang dem berühmten Paul Kirchhof (*1943)
zu. Er gab einem jungen Mann ein Interview mit dem Titel: ‚Es gibt ein
Grundrecht auf Zinsen‘. Zu finden ist es bei Youtube unter Mission Money.
Das Interview rief bei mir einige Gegenreaktionen hervor. An erster Stelle
erinnerte es mich an den folgenden Satz: ‚Si
tacuisses, philosophus mansisses‘. So pflegten einst die alten Römer in
einem solchen Fall zu sagen. Zu Deutsch: Hättest Du den Mund gehalten, würdest
Du weiterhin als kluger Mensch gelten.
EZB sei schuld
Der Mann (den Gerhard Schröder als ‚Professor aus Heidelberg‘
beschimpfte) mag ein guter Jurist sein. Bei dem Thema, das er in dem Interview
behandelte, hing er mich total ab. Seine Kernaussage war: Der EZB-Chef Mario
Draghi beraube die Bürger Europas um eines ihrer Grundrechte. Es sei ein von
der Verfassung garantiertes Recht, sein Geld so anzulegen, wie man möchte.
Immer hätten Sparer den Banken Geld gegeben und dafür Zinsen bekommen. Herr
Draghi habe nicht das Recht, diese Anlageform total zu zerstören.
Kirchhof befindet sich mit diesen Aussagen in keiner schlechten
Gesellschaft. Für viele Politiker ist Draghi zum Problemfall geworden. Sowohl
Deutschlands Banker wie seine Wirtschaftsweisen tönen ganz ähnlich. Er treibe durch
seine Politik nur die Immobilienpreise und die Aktienkurse in die Höhe. Die
armen Leute, besonders die traditionellen Sparer, würden darunter leiden. Er
verstärke damit nur die kritische Einstellung gegenüber Europa und gegen
Politik im Allgemeinen.
Anlagenformen
Wie die meisten Amerikaner, Briten, Schweizer und Skandinavier, so
sehe ich das Anlagengeschäft anders als viele Deutsche und Österreicher,
einschließlich des Herrn Kirchhof. Die wahren Anlageformen sind Rohstoffe,
besonders Edelmetalle, Immobilien oder Unternehmens-Beteiligungen. Rohstoffe
und Immobilien gewinnen an Wert, weil sie knapp sind oder knapper werden. Die
Menschheit wächst schneller als diese Güter nachwachsen. Zu den Beteiligungen
gehören in erster Linie Aktien. Bei Aktien lasse ich unternehmerisch veranlagte
Menschen für mich arbeiten. Sie gründen Unternehmen, deren wirtschaftlicher
Wert hoffentlich mit der Zeit zunimmt. Bei festverzinslichen Anlagen, also
Anleihen, sagt ein Unternehmer (oder ein Staat), dass er gerade ein Geschäft
machen will, wofür er keine neuen Aktien ausgeben möchte. Man verspricht daher einen
festen Zinssatz, z. Bsp. 5%. Staatliche Anleihen dienen oft einer Maßnahme zur
Verbesserung der Infrastruktur, etwa dem Autobahnbau.
Es ist aufgrund des Gesagten nicht verwunderlich dass in den
angelsächsischen Ländern die Aktienmärkte ein endlos erscheinendes Wachsen
erleben, die Kontinentaleuropäer aber traurig hinterhersehen. Europäer haben oft
wenig Vertrauen in die Wirtschaft. Der Staat soll richten, da er es nicht nur
besser weiß, sondern auch besser kann. Diese Rechnung hat nur dann eine Chance
aufzugehen, wenn die klügeren Köpfe für den Staat arbeiten, und nur die
dümmeren für die Wirtschaft. Dem ist – Gott sei Dank – nicht so, selbst in
Europa.
Zweck der Niederzinspolitik
Wenn jetzt die Währungsbanken (FED, EZB) sagen, sie vergeben Geld
zu niedrigeren Zinsen oder für null Zinsen, dann ist das eine (völlig perverse)
Maßnahme, die dazu dienen soll, der scheinbar an Geldmangel leidenden
Wirtschaft oder den Staaten zu helfen. Diese sollen investieren, und zwar auf
Teufel komm raus. Dummerweise tun sie es aber nicht. Sie konsumieren vielmehr das
Geld anstatt es zu investieren, oder bleiben einfach auf ihrem Geld sitzen.
Man beachte, dass es nicht allein die EZB ist, die diese Politik
betreibt. Ihren Ausgang nahm das Ganze von der FED, dem Federal Reserve System der USA.
Es war Allen Greenspan, der in den 1990er Jahren der amerikanischen Wirtschaft
eine Aufmunterungsspritze zukommen ließ. Man verpasste nach 2008 eine erneute
starke Dosis und hielt seither an dieser Politik fest. Es wäre ein Fehler
anzunehmen, dass der Dollar- und der Euroraum unabhängig voneinander seien. Ein
Schnupfen des Dollars kann beim Euro eine Lungenentzündung auslösen. Deshalb
bekommen beide analoge Medikamente, teilweise vorbeugend.
Durch die Politik des billigen Geldes werden Leute, die sich
bisher keine Gedanken darüber machten, wo man Geld nützlich verwenden könnte, plötzlich
gezwungen selbst nachzudenken oder sich klug zu machen. Schon immer wurden
gewisse Güter, die einmal knapp und teuer waren, plötzlich wieder billig, oder
billige Güter teuer. Es ist eine Illusion zu glauben, alles kann immer so
bleiben wie es ist. Seit wann ist es ein Verbrechen, die Leute dazu anzuregen,
selbst ein wenig nachzudenken anstatt andere für sich denken zu lassen?
Dass Niedrigzinsen dazu dienen könnten, das Projekt Euro zu
retten, lässt Kirchhof nicht gelten. Es verführe Staaten, die nicht gut
wirtschaften, dazu weiter mehr Ausgaben zu machen als sie sollten.
Aufgabe der EZB
Es kann meines Erachtens nicht die Aufgabe der EZB sein, eine
bestimmte Form der Profitgenerierung zu sichern. Sie muss allerdings dafür
sorgen, dass der Wert des Euro erhalten bleibt. Diese Aufgabe hat man nicht den
Parlamenten der Mitgliedstaaten überlassen. Da wäre sie in schlechten Händen
gewesen. Auch dem EU-Parlament traut niemand die nötige Kompetenz zu. Nur um
dieses hehre Ziel zu sichern, verfügt die EZB über gewisse Rechte. Sie darf
sogar ins Marktgeschehen eingreifen.
Laut Kirchhof gewähren diese Rechte der EZB eine Art von richterlicher
Unabhängigkeit. Es geht dabei aber ausschließlich um die Stabilisierung des
Geldwerts einer bestimmten Währung, nämlich des Euro, und nicht um die Umverteilung
von Einkommen. Ohne stabilen Geldwert kann eine freie Wirtschaft nicht
funktionieren. Die Grundlage unserer Demokratie würde erodieren.
Schuldenbremse des Grundgesetzes
Der deutsche Bundestag habe aus der Wirtschaftskrise von 2008 eine
sehr bewundernswerte Lehre gezogen, meint Kirchhof. Er habe zu verhindern
versucht, dass heutige Probleme auf Kosten zukünftiger Generationen gelöst
werden. Deshalb wurden sowohl Bund wie Länder angehalten, in ihren Haushalten
keine Schulden machen zu dürfen. Die ‚schwarze Null‘ wurde in der Verfassung
verankert.
Dass der Rest der Welt sich immer mehr verschuldet, sei – laut
Kirchhof − nicht zu übersehen. Staaten, die dies täten, gäben einen Teil ihrer
Souveränität auf. Die im Vertrag von Maastricht festgelegten
Verschuldungsgrenzen waren schon sehr kulant. Inzwischen halten sich nur noch
sehr wenige Staaten daran. Die Spitzenreiter in der EU bezüglich Schulden sind
Griechenland und Italien. Außerhalb Europas macht Argentinien gerade von sich
reden. Es ist nahe daran, seine Zahlungen einzustellen, also bankrottzugehen.
Mich erstaunt jedes Mal aufs Neue, wenn Politiker der Linken
feierlich verkünden, es sei jetzt wirklich an der Zeit die ‚schwarze Null‘
abzuschaffen. Wo waren dieses Leute eigentlich während der letzten 20 Jahre?
Das frage ich mich dann. Hier sollte man auf Kirchhof hören.
Alte deutsche (Un-)Tugend
Man möge sich auch daran erinnern, wer dem Volk verkündete, dass
Sparen eine besonders den Deutschen gut anstehende Tugend sei. Das waren ein in
blaue Marine-Truppen verliebter Kaiser und ein großer nationaler Führer (auch
Gröfaz genannt). Die Banken warben dafür, dass man sie (oder den Staat) doch
nachdenken lassen sollte, wo Geld gebraucht würde oder wie Geld für einen
arbeitet. Das sollte doch das Mütterchen oder den Mann von der Straße nicht
behelligen. So kam unter anderem der Weltspartag zustande. Damit ist nicht
gemeint, dass man keine Altersvorsorge betreiben soll. Man soll diese aber
nicht genau so machen, wie dies unseren Eltern und Großeltern nahegelegt wurde.
Hartmut
Wedekind aus Darmstadt meinte dazu:
Paul
Kirchhof betrachtet die Verfassung mit ihren Grundrechten wie eine Heilige
Schrift. Das ist sie aber nicht. Die Freiheit des Menschen ist der einzige
metaphysische Inhalt der Verfassung.
Zinsen
sind ein Entgelt für den Produktionsfaktor Kapital (sagt die VWL), wie Lohn für
Arbeit und Rente für Grund und Boden. Nullzinsen hat der Marxismus immer
gefordert, das Christentum übrigens auch. Nur die Juden durften Zins erheben
und waren deshalb verpönt. Aber: Wenn man sich zinsfrei Geld leihen kann, das
man auch hoffentlich wieder zurückzahlt, ist das als Unterstützung aufzufassen.
Man kann das Verleihen wie jede Unterstützung ja auch sein lassen. Nicht
zurückgezahlte Schulden führen zur Blasenbildung.
Die
Grundfrage ist doch: Ist Geldkapitalhergabe eine Leistung im ökonomischen Sinne
oder nicht? Wenn man beliebig viel Geld druckt, ist die Frage beantwortet. Die
Frage bleibt: Warum haben wir noch keine Rieseninflation? Antwort: Die Banken
stecken bis zum Hals voller Geld und können damit nichts anfangen. Die
Investitionsfähigkeit der Volkswirtschaft ist gegenüber diesem Volumen gering.
Und die
EZB kennt sogar Strafzinsen. Das ist der eigentliche Unsinn. Man stelle sich
vor, ein Arbeiter müsste Geld an der Arbeitsstelle abliefern (negativer Lohn).
Dass da
irgendwas aus dem Ruder gelaufen ist, sieht ein Blinder mit dem Krückstock. Es
geht den Draghis doch nur darum, dass die Südländer exorbitante, konsumtive
Schulden machen dürfen. Griechenland: BIP x 1,8. (3 mal mehr als Maastricht (=
nur noch eine Stück Papier) erlaubt). Griechenland dürfte knapp zwei Jahre
nichts als arbeiten, nichts essen, um die Schulden abzuarbeiten. "Die Welt
ist aus den Fugen" (engl.: the world
is out of joint) sagte Hamlet.
Enkel Marcus äußerte sich wie folgt:
Man sollte die EZB nicht verteufeln und ihre Rolle nicht überinterpretieren.
Sie hat einen Job, den Wert des Euros zu erhalten. Fertig.
Im Übrigen werden Fragen aufgeworfen, die mich auch interessieren.
Ich gebe sie wieder mit einer ganz kurzen Stellungsnahme:
- Sollte sich jeder mit Aktien oder anderen Anlageformen auseinandersetzen (müssen)? Nein!
- Sollte man die Menschen dazu zwingen nachzudenken (nur weil es "kein Verbrechen" ist)? Nein!
- Brauchen wir unter Berücksichtigung der aktuellen Demografie und Wirtschaftslage ein Umdenken in der Altersvorsorge? Ja!
- Wie sinnvoll ist die schwarze Null? Oder Staatsschulden im Allgemeinen? Weiß es nicht!
- Ist es Generationengerechtigkeit die Haushaltskasse möglichst schuldenfrei zu hinterlassen, aber dafür auch marode Straßen und Schulen? Nein!
- Brauchen wir ein gesellschaftliches Umdenken pro Startups, Selbstständigkeit und Investitionen? Ja!
Im Grunde ist diese Diskussion von der Thematik
"Sicherheit" überschattet. Mit Sicherheit meine ich, Abwehr von
Risiken aller Art.