Im
Jahre 1995, also kurz vor Ende meiner Berufslaufbahn, erschien ein Buch im
Markt, das mir klar machte, in welch einem glücklichem Zeitabschnitt der
Geschichte ich gelebt hatte. Es war das Buch Das Ende der Arbeit
(engl. The end of work) von Jeremy
Rifkin (* 1945). Rifkin hatte argumentiert, dass es durch den
Produktivitätszuwachs in den vorangegangenen zwei Jahrzehnten zu einem
dramatischen Verschwinden von Fabrikarbeitsplätzen gekommen war. Dies galt
trotz des Wirtschaftswachstums im selben Zeitraum. Anhand weltweiter
Wirtschaftsdaten wurde prognostiziert, dass diese Entwicklung sich fortsetzen
würde. Rifkin erwartete, dass bis 2010 nur noch 12 % der arbeitenden
Menschen in der Industrieproduktion eingesetzt werden. Bis 2020 würden es nur
noch 2 % sein. Er sah ein großes Potential im Nonprofitsektor, der durch
„Steuerumschichtung“ finanziert werden müsse.
Rifkins Prognosen Im Detail
Rifkin argumentierte, dass es zu vermehrter Arbeitslosigkeit
in der Welt infolge der Ausbreitung von Automatisierung und Informationstechnologie
in der Arbeitswelt käme, während insbesondere in den USA mehrere Millionen
Arbeitsplätze in Produktion, Einzelhandel, Landwirtschaft und Dienstleistungen
durch die Digitale Revolution überflüssig würden.
Aus diesem Rückgang ergab sich für ihn auch die
Frage nach der Bestreitung des Lebensunterhaltes bei den durch Rationalisierung
und damit verbundene Prozesse überflüssig gemachten Angestellten und Arbeitern.
Er belegte, dass zwar in einigen Bereichen die Aufwertung der Employability der Betroffenen Abhilfe bringen kann, dies aber in
der Regel nur bei einer Minderheit der alten Belegschaft den gewünschten Effekt
zeitige – ein Großteil der Betroffenen finde sich in der Langzeitarbeitslosigkeit
wieder.
Parallel zum Verfall der Marktwirtschaft, einschließlich
des öffentlichen Sektors, würde ein dritter Sektor neuentstehen, der Nonprofit-Bereich.
Das sind freiwilligenbasierte, gemeinschaftsbezogene
Dienstleistungs-Organisationen, die mit öffentlicher Unterstützung neue
Arbeitsplätze schaffen, um etwa den Stadtverfall aufzuhalten oder soziale
Arbeit zu verrichten. Rifkin sieht hier ein großes Potential. Um
diesen dritten Sektor zu finanzieren, schlägt Rifkin am Beispiel der USA vor,
das Militärbudget nachhaltig zu reduzieren, eine Umsatzsteuer auf nicht
lebensnotwendige Waren und Dienstleistungen zu erheben, sowie mit Geldern aus Bundes-
und Länder-Haushalten ein Bedingungsloses
Grundeinkommen (BGE) anstelle reiner Wohlfahrts-Leistungen zu
finanzieren.
Lisa Herzogs Plädoyer für Arbeit als soziale Funktion
Der Titel Die Rettung der
Arbeit [2019, 224 S.] stellt einen möglicherweise ungewollten Bezug zu
Rifkins Bestseller her. Lisa Herzog (*1983) ist Politologin und Philosophin.
Sie lehrte an der Hochschule für Politik der TU München, ehe sie 2019 nach
Groningen wechselte.
Herzogs Buch ist wenig konkret. Sie führt aus, dass Arbeit zu
wichtig sei, um sie ihrem Schicksal zu überlassen. Sie erfülle ein tief
menschliches Bedürfnis. Sie stellt uns Menschen in soziale Räume. Sie sei mehr
als nur ein Instrument zum Geldverdienen. Sie sei kein notwendiges Übel, das
beendet werden muss. Wir sollten sie lieber verbessern als abschaffen. Wir
sollten uns nicht von Arbeit befreien, sondern die Arbeit befreien.
Allerdings sollten Partizipation und demokratische Formen der
Governance viel stärker auch in der Wirtschaft gelten. Zwang und Schikane
sollten ein Ende haben. Es gäbe keinen technischen Determinismus, noch den der Märkte. Dass Wohlstand von der Spitze nach
unten durchtröpfele (engl.: trickle down),
das passiere nicht. Unternehmen entziehen sich lokaler Besteuerung.
Ökonomen ignorieren meist, dass Arbeit vor allem Sinn und
Befriedigung produziert. Sie sei mehr als nur Selbstverwirklichung. Wer nicht
arbeitet, dem fehlen wichtige soziale Kontakte. Technik sollte nicht nur zur Steigerung
der Effizienz dienen. Sie sollte auch die Qualität verbessern. Auch in der
Wirtschaft sollten Whistleblower als Helden gelten. Wäre dies der Fall, hätte
der VW-Skandal einen andern Verlauf genommen.
Traditionsgemäß sind Unternehmen keine Demokratien. Eine Ausnahme
bilden die Genossenschaften. Das Digitalisieren kann dem Demokratisieren
helfen. Sie ermöglicht eine bessere Kommunikation und daher mehr partizipative Entscheidungen.
Obwohl dies empirisch nicht belegt ist, sei es an der Zeit, es auszuprobieren.
Die Ungleichheit sei in Deutschland zu groß. Sie schüre Misstrauen in der
Gesellschaft.
Einordnung und Erklärungsansätze
Seit Marx und Engels gehört es zum Selbstverständnis oder gar zur
Berufskrankheit von Wirtschaftstheoretikern, dass sie Dystopien in die Welt
setzen, also Geschichten mit negativem Ausgang. Von Utopien lässt man lieber
die Finger. Bei ihnen bekommt man sehr leicht in den Ruf des kindhaften
Denkens. Des Weiteren kommt die Tatsache zum Tragen, dass schlechte Nachrichten
mehr Aufmerksamkeit bekommen und sich schneller verbreiten als gute
Nachrichten. Davon kann jeder Zeitungsredakteur ein Lied singen.
Aus den Reden vieler Politiker, vor allem denen der linken
Parteien des politischen Spektrums kann man den Eindruck gewinnen, dass es der
primäre Sinn der Wirtschaft sei, nicht-selbständige Arbeitsplätze zu schaffen.
Dabei ist dies nichts Anderes als eine Perversion wirtschaftlichen Denkens. Sie
wurde in die Welt gesetzt von Leuten, die sich dieser Bevölkerungsgruppe
gegenüber verpflichtet fühlen, oder aber ihr nach dem Mund zu reden pflegen.
Ein harter, aber sehr deutlicher Vergleich wäre, wenn man behaupten würde, dass
allgemein bildende Schulen primär die Aufgabe besäßen, das Inklusionsproblem zu
lösen. Früher gab es dafür so genannte Sonderschulen.
Eine ursprünglichere und sinnvollere Erklärung des Wirtschaftens
beginnt damit, dass Familien und andere Gruppierungen nach Wegen suchten, sich
zu ernähren, um zu überleben. Auf das Jagen und Sammeln in der Natur folgten
der Anbau von Nahrungsmitteln und die Viehzucht. Die dabei anfallenden Arbeiten
wurden zuerst von Familienmitgliedern übernommen. Später stellte sich heraus,
dass durch Arbeitsteilung zwischen den Familien und Gruppen zusätzliche Produkte
oder Dienste ermöglicht wurden, die die ursprüngliche Gruppe auf sich allein
gestellt nicht leisten konnte. Es entstand das Handwerk und die Krankenpflege sowie
– mit einigem zeitlichen Abstand – die Kunst.
Wer die Behauptung in die Welt setzt, dass die Arbeit als solche
abnimmt, missdeutet nicht nur die Natur des Menschen, der immer Bedürfnisse
oder Wünsche hat, die nur andere Menschen erfüllen können. Er nimmt außerdem
an, dass das seit Beginn der Menschheitsgeschichte so bewährte Prinzip der
Arbeitsteilung aufgegeben wird. Warum soll ich mir plötzlich die Haare selber
schneiden, wenn ich dies noch nie getan habe. Eine Alternative wäre sie wachsen
zu lassen.
Dass von 'Employabilty' als Ziel tertiärer Ausbildung gesprochen wird, hat mich immer irritiert. Es ist doch nicht so, dass nur abhängig beschäftigte benötigt werden. Ohne selbstständige Unternehmer wäre unsere Wirtschaft schlecht dran.
AntwortenLöschenHartmut Wedekind aus Darmstadt schrieb: Ich habe im Rahmen des Liesmann-Philosophicums in Lech die Lisa Herzog gehört. Sie will Arbeit demokratisch, partizipativ , motivierend gestalten. Digitalisiert wird bei ihr auch. Wir müssen aber aufpassen, sagt sie, dass das sozial geschieht. Worte wie demokratisch, partizipativ gestalten kamen pausenlos vor. Ihr preisgekröntes Buch habe ich in den Mülleimer befördert. Das absolute Nichts. So reden Abgehängte aus der Soziologie, die überhaupt nichts mehr verstehen, aber so tun als ob. Im Wortqualm ersticken die eigentlich. Die reden abgeschlossen in ihren Zirkeln und bewundern sich gegenseitig in ihrem Sumpf. Die wagen es ja gar nicht, z.B. mal in eine Ingenieurwelt einzutreten, die sich seit der Frühzeit mit Arbeit befasst.
AntwortenLöschenDie Arbeitslosenquoten in den USA und in Deutschland hatten seit 1995 einen klar erkennbaren rückläufigen Trend (1995/2018 USA 5,6/4,0%; Deutschland 8,9/5,4%). Dabei stiegen in beiden Ländern die Gesamtzahlen der Beschäftigten.
AntwortenLöschenPeter Hiemann aus Grasse:
AntwortenLöschenAn der Diskussion über das Das Thema 'ôkosoziale' gesellschaftliche Verhältnisse' beteiligen sich Vertreter vieler Fachbereiche.
Seit 1990 existiert ein unabhängiger Verein 'Das Ökosoziale Forum'. Er engagiert für nachhaltige und faire Rahmenbedingungen in der globalisierten Wirtschaft. Das Ökosoziale Forum ist eine überparteiliche Plattform in verschiedenen Ländern, mit dem Ziel, die Idee der Ökosozialen Marktwirtschaft bekannt zu machen und in konkretes Handeln umzusetzen. Die Plattform vernetzt Personen und Organisationen, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen. Neben der Funktion als „Drehscheibe für ökosoziales Handeln“ organisiert das Ökosoziale Forum Veranstaltungen, generiert Wissen und leistet in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sowie in der breiten Öffentlichkeit Bewusstseinsbildung für ein sozial und ökologisch nachhaltiges Gesellschafts- und Wirtschaftssystem
Franz Josef Radermacher (*1950), Professor für Informatik an der Universität Ulm und Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung, befürwortet im Rahmen des Club of Rome eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft und engagiert sich in der Global Marshall Plan Initiative – einen “Planetary Contract für eine weltweite ökosoziale Marktwirtschaft“, die sich seit 2003 für eine gerechtere Globalisierung, für eine „Welt in Balance“, einsetzt. Radermacher betätigt sich auch an Aktionen der Organisation 'Ökosoziales Forum Europa'. Radermacher macht auf eine Fehlentwicklung aufmerksam, die von der Öffentlichkeit kaum verstanden wird, weil deren Verursacher Information darüber verweigern. Es betrifft die Konzentration von privater Kapitalmacht: „Viele Fachleute diskutieren jetzt darüber, wie schädlich es ist, wenn Kapital zu sehr konzentriert ist und auf welche Weise hoch-konzentriertes Kapital seine Interessen politisch durchsetzt.“
Polemische Bemerkungen sind nicht hilfreich, eine konstruktive Diskussion eines schwierigen Themasvoranzubringen.