Freitag, 6. Dezember 2019

Extremisten unter uns und der Mord an Walter Lübcke

Gestern Abend sah ich eine Sendung bei Phoenix, die zwei der aktuell bei uns auftretenden Formen des Extremismus beschrieb. Die Sendung beschränkte sich auf rechten und linken Extremismus und ließ den islamischen Extremismus unerwähnt. Sie verglich Ziele und Erscheinungsformen.

Ziele und Erscheinungsformen des Extremismus

Die Linken berufen sich auf Marx, Lenin und Mao Zedong. Sie fordern die Abschaffung des Privateigentums und streben eine klassenlose Gesellschaft an. Sie wollen Nationalstaaten abschaffen und die Weltgemeinschaft an ihre Stelle setzen. Die Rechten träumen von der reinen Rasse und wollen alle Ausländer des Landes verweisen. Ihr Gesellschaftsideal ist der zentral gesteuerte Führerstaat. Die Islamisten wollen alles dem Weltbild des Propheten Allah unterordnen und keine anderen Gesellschaftsformen zulassen.

Politische Extremisten zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen fast jedes Mittel recht ist, solange es zum Ziel führt. Die Benutzung von Gewalt wird nicht ausgeschlossen. Die demokratische Grundordnung Deutschlands steht ihren Zielen im Wege und ist daher zu beseitigen. Nur die Rechten spielen heute eine Rolle bei Wahlen (NPD, AfD), die linken Aktivisten machen sich bei Aktionen wie im Hambacher Forst bemerkbar. Islamisten provozieren den Westen, indem sie theatralisch organisierte Anschläge durchführen wie in Paris oder Brüssel.

Der Bericht des Verfassungsschutzes gibt jährlich Zahlen zu den drei Gruppen. Für 2018 lauten sie:  Linke 32.000 (davon 9.000 gewaltbereit), Rechte 24.000 (12.000); Islamisten 26.000.

Mord an Walter Lübcke

Am 2. Juni 2019, kurz nach Mitternacht, wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) auf der Veranda seines Wohnhauses mit einem Pistolenschuss aus nächster Nähe getötet. Am 15. Juni 2019 wurde der aus Wiesbaden stammende Rechtsextremist Stephan Ernst festgenommen. Am 25. Juni legte er ein Geständnis ab, das er am 2. Juli jedoch widerrief. Die Tat begründete er mit Äußerungen Lübckes während der Flüchtlingskrise 2015. Lübcke hatte sich damals für die Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt und war der Hetze gegen diese von Seiten des Kasseler Ablegers der Pegida bei einer Bürgerversammlung in Lohfelden im Oktober 2015 öffentlich entgegengetreten. Dabei sagte er, wer die Werte der Verfassung ablehne, dem stehe es jederzeit frei, Deutschland zu verlassen. Anschließend haben Besucher der Veranstaltung diese Aussage als Videoausschnitt im Internet verbreitet. Lübcke war daraufhin Anfeindungen und Morddrohungen ausgesetzt.

Der Täter wohnte damals in Kassel rund einen Kilometer von der 2015 eingerichteten Erstaufnahmeeinrichtung entfernt, zwei Kilometer vom Bürgerhaus Lohfelden. Laut Ermittlern empörte er sich in einem Chat über Lübcke und nannte ihn einen Volksverräter. In seinen Handydaten fanden die Ermittler zahlreiche Hasskommentare und Drohungen („Entweder diese Regierung dankt in kürze ab oder es wird Tote geben“; „Schluss mit Reden es gibt tausend Gründe zu handeln und nur noch einen 'nichts' zu tun, Feigheit“). Bei der ersten Vernehmung gab Ernst zu, dass er bei jener Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Lohfelden war und Lübckes Aussage ein wesentlicher Grund seiner Tat gewesen sei. Die Aussage habe ihn „die ganze Zeit“ beschäftigt. Er sah darin einen Beweis, dass das deutsche Volk durch Ausländer ersetzt werden sollte.

Ernst war Mitglied des Schützenclubs Sandershausen bei Kassel, hatte dort aber nach Angaben des Vereinsvorsitzenden keinen Zugang zu Schusswaffen. In Ernsts Wohnung fand die Polizei eine Schreckschusspistole und Unterlagen, wonach er eine Erlaubnis zum legalen Waffenbesitz anstrebte. Die Polizei fand in einem Erddepot auf dem Firmengelände seines Arbeitgebers fünf Schusswaffen, darunter die Tatwaffe, die später zweifelsfrei identifiziert wurde, sowie eine Pumpgun und eine Maschinenpistole vom Typ Uzi mit Munition.

Wer wie Ernst sich vier Jahre lang mit Mordgedanken trägt, der handelt nicht im Affekt. Er habe Lübckes Wohnanschrift gegoogelt und sei 2017 und 2018 mit einer Pistole in der Tasche dorthin gefahren, aber jedes Mal froh gewesen, die Tat nicht ausgeführt zu haben. Sein Tötungsplan sei durch die Kölner Silvesternacht 2015/16, den islamistischen Anschlag in Nizza 2016, Videos von weiteren islamistischen Anschlägen und schließlich die Ermordung von zwei nordeuropäischen Frauen in Marokko gewachsen. Für all das habe er Lübcke Mitschuld gegeben, aber mit niemandem darüber geredet. Schließlich habe er dann Lübcke wortlos erschossen.

Wirkung des Attentats und Rolle der Brandstifter

Die Problematik dieses Attentats ist, dass dadurch viele Menschen verunsichert werden. Zwei Fragen drängen sich auf (1) Kann dieser Staat seine Politiker und Verantwortungsträger überhaupt schützen? (2) Wäre es manchmal besser, anstatt seine Meinung zu sagen, den Mund zu halten? Ich verkneife es mir, hier eine Antwort zu versuchen.

Sollte Alexander Gauland von der AfD nicht seine Wortwahl überdenken, wenn er sagt, man müsse Angela Merkel davon jagen wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Oder Erika Steinbach, wenn sie Leute wie Walter Lübcke des Landesverrats bezichtigt und mit einem Galgen bedroht.

Viele Leute glauben, dass das Internet die Dinge sehr oft verschlimmert. Es brächte Leute auf Gedanken, auf die sie sonst nicht kämen oder nicht gebracht würden. Ich bin davon überzeugt, dass erst durch das Internet auch Dinge ans Licht kommen, von denen man sonst nie hören würde. Können nicht auch Gedanken existieren, von denen die Welt nie erfahren würde, dass es sie gibt, würde nicht das Internet so leicht zum Plaudern verführen, wie es das tut? Wovon das Herz voll ist, läuft ja manchmal der Mund über. Das gilt auch, wenn das was da sprudelt, eher einer Jauchegrube entstammt als einer Goldader.

3 Kommentare:

  1. Klaus Küspert aus St. Leon-Rot schrieb: Das stimmt. Und hoffen wir mal, dass nicht die andere „Außenseite“ auch mal wieder derart mörderisch aktiv wird wie nun vor über zwei Jahrzehnten

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  2. Nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 hat Deutschland etwa 90 so genannnte islamistische Gefährder in ihre Heimatländer abgeschoben. Dabei liegen Nordrhein-Westfalen (29) Baden-Württemberg (16) und Berlin (10) an der Spitze. In Rheinland-Pfalz und im Saarland liegt die die Zahl bei Null. Insgesamt laufen 225 Verfahren, davon 40% gegen Syrer.

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  3. Bei Rechten wie Linken gab ich - wenn auch sehr vereinfachend - die Motive an, die meines Erachtens eine Rolle spielen. Bei Islamisten mute ich mir dies nicht zu. Da fehlt mir der gedankliche Zugriff. Abschreckende Attentate werben doch nicht für eine Religion. Oder rächt man sich für frühere Repressalien, etwa während der Kreuzugszeit?

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