Der
Zeitpunkt nach Weihnachten, an dem ich auf ärztliche Hilfe im Hospital
angewiesen war, war extrem ungünstig. Viele Hospitalärzte streikten. Im Januar
2020 streiken französische Hospitalärzte nicht nur, viele von ihnen kündigen
ihren Job. Mit der Begründung, dass sie vom Management daran gehindert werden,
ihren medizinischen Aufgaben und Pflichten gerecht werden zu können − aufgrund
unbefriedigender administrativer
Arbeiten, für die nicht studiert haben. Diese Streiks sind mehr als Protest,
sie sind Hinweise, dass sich Motive und Prozesse für
Arbeitsgruppenbildungen − nicht nur für Ärzte − grundlegend ändern, weil die
Dominanz kontrolle-orientierter, kommerzieller Arbeitsbewertungen
zunehmend weniger akzeptiert wird.
Die Ärzte sind überzeugt, dass es darauf
ankommt medizinische Qualitätsarbeit zu leisten. Generell wird die Qualität von
Produkten und Dienstleistungen durch deren tatsächlichen Wert für einen
Benutzer bestimmt. Nicht durch einen Verbraucher, für den ausschließlich
Quantität und Preis einer Ware zählt.
Die
Organisation befriedigender Arbeitsgruppen beruht nicht auf Kontrolle sondern
darauf, dass menschengerechte Prinzipien beachtet werden und zur Geltung kommen
können:
- Hineinversetzen in mitmenschliche Situationen (Empathie)
- Erwerb menschlicher Fähigkeiten
- Befriedigung vermittels sinnvoller Tätigkeit
- Bereitschaft zur Kooperation
- Gesellschaftliche Anerkennung (Respekt).
Ein tatsächlicher Traum
Es ist
fast unglaublich aber wahr, eine Nacht im Hospital hatte ich einen Traum:
Ich befand mich in einer Gruppe von
Menschen, die über ein Thema aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen heftig
stritten. Über das Thema und die Teilnehmer der kontroversen Auseinandersetzung
hatte ich beim Erwachen keine Erinnerung. Beim Erwachen aus dem Traum erinnerte
ich mich jedoch, dass ich von jemandem aus der Gruppe aufgefordert wurde, ich
sollte mich zu der Kontroverse äußern. Ich gab den Streitenden zu verstehen,
dass es völlig „normal' ist, unterschiedliche Ansichten zu vertreten: C'est la Vie. Es kommt oft nicht darauf an, Recht
zu behalten, sondern die Gelegenheiten zu nutzen, irrtümliche geistige
Vorstellungen zu erkennen. Nach meinen
Worten, die nichts zum Thema der Kontroversen beitragen wollten, schien sich
die gespannte Atmosphäre etwas zu entspannen.
Vielleicht trugen meine Worte dazu bei, den Streitenden Zeit zu geben,
ihre Vorstellungen zu überdenken. Zwei Hände applaudierten.
Anders als üblich behauptet, habe ich im
Alter nicht das Gefühl (die Angst), dass mir die Zeit davonrennt, um im Leben nichts
zu 'verpassen' und das Leben zu genießen. Im Gegenteil nehme ich mir alle Zeit, die ich brauche, um Situationen zu
reflektieren und Gedanken nachzugehen - eine Quelle beruhigender Gefühle.
Die
Entwicklung menschlicher geistiger
Vorstellungen hat eine lange Geschichte.
Sie ist
sowohl von wissenschaftlichen Erkenntnissen geprägt, als auch vom Erkennen
grundlegender menschlicher Irrtümer.
Parade der
Irrtümer
Descartes' Irrtum war die Annahme, dass
menschlicher Körper und Geist unterschiedlichen universellen Sphären angehören
und doch funktionieren: „cogito ergo sum“ − „Ich denke, also bin ich.“ ist eine
„Wahrheit so fest und
sicher, dass auch die überspanntesten Annahmen der Skeptiker sie nicht zu
erschüttern vermöchten“
Adam Smith' Irrtum war die Annahme, dass der Markt wie eine
“unsichtbare Hand“ für Gerechtigkeit und Wohlstand in einer Gesellschaft
'sorgt'.
Karl Marx' Irrtum war die Annahme, dass kapital-orientierten
Produktionsweisen langfristig zwangsläufig in kommunistisch-orientierte
Gesellschaftsverhältnisse münden.
Lenins Irrtum war die
Annahme, dass die Lehre von Karl allmächtig
sei und und Technik wird langfristig
sozialistisch-orientierte Gesellschaftsverhältnisse ermöglichen: "Die
Lehre von Karl Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist. Sie ist in sich
geschlossen und harmonisch, sie gibt den Menschen eine einheitliche
Weltanschauung, die sich mit keinerlei Aberglauben, keinerlei Reaktion,
keinerlei Verteidigung bürgerlicher Knechtung vereinbaren
läßt."…."Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen
Landes“
Mao Zedongs Irrtum war die Annahme; dass nur eine kommunistische Partei in der
Lage ist, langfristig
sozialistisch-orientierte Gesellschaftsverhältnisse zu schaffen: "Wir sind
verpflichtet, das Volk zu organisieren. Was die chinesischen Reaktionäre
betrifft, so sind wir verpflichtet, das Volk zu organisieren, damit es sie
niederschlägt. Für alles Reaktionäre gilt, dass es nicht fällt, wenn man es
nicht niederschlägt. Es ist die gleiche Regel wie beim Bodenkehren - wo der
Besen nicht hinkommt, wird der Staub nicht von selbst verschwinden."
Ray Kurzweils Irrtum war die Annahme, dass menschliche Technologie die
biologischen Entwicklungsprozesse übersteigt. Erheblich erweiterte menschliche
Intelligenz breitet sich über das Universum aus. Muster von Materie und Energie
im Universum werden von intelligenten Prozessen und Wissen durchdrungen: „Wenn wir wichtige Meilensteine der
biologischen und technischen Entwicklung zusammen betrachten, sehen wir, dass
biologische Evolution nahtlos in die Entwicklung durch Menschenhand übergeht.“
Zeichen der Zeit
Am Beginn des 21. Jahrhunderts deutet der Zustand des
Planet Erde daraufhin, dass Homo sapiens sich eingestehen muss, dass er
leichtfertig dessen Zustand in eine prekäre Lage gebracht hat. Seine Annahme,
dass der Planet unbegrenztes ökonomisches Wachstum und menschlichen Wohlstand
verkraften kann, hat sich als Irrtum herausgestellt. Auch die Annahme, dass
universelle (allmächtige) Kräfte existieren, die den Planeten in jedem Fall vor
schädlichen Einflüssen der Menschen schützen wird, hat sich als Irrtum
herausgestellt.
Eine 'nüchterne' Perspektive
Ausgerechnet Larry Fink, der Chef
von Blackrock, dem wohl mächtigsten internationalen Vermögensverwalter,
verschickte gleich eine ganze Reihe von blauen Briefen. Einige gingen auch nach
Deutschland: an Siemens etwa, oder an die Deutsche Bank und den
Energieversorger RWE. Darin forderte Fink von den Firmen mehr ökologisches
Denken und Handeln ein.
Backrock-Vize Philipp Hildebrand
stimmte in den grünen Aufruf mit ein: "Wir müssen festhalten, dass Klimarisiken
auch Investitionsrisiken sind". Und diese Risiken könnten sich direkt auf
die Bewertungen und die Erträge einer Firma auswirken. Kunden forderten
inzwischen Lösungen von den Firmen ein, wie mit diesen Risiken umzugehen und
wie die Konzerne sie beispielsweise in neue Produkte integrieren könnten.
Das klingt vom Tonfall ähnlich, wie
ihn auch Fink angeschlagen hatte, als er seinen Brief begründete. Er habe ihn
nicht als Umweltschützer, sondern als Kapitalist geschrieben, so der
Blackrock-Chef. Geschäftssinn trifft Umweltbewusstsein sozusagen.
Dem vermeintlichen Widerspruch,
dass ausgerechnet Blackrock als Anteilseigner der größten Öl- und Gaskonzerne
weltweit nun grüner werden will, hält Hildebrand entgegen, dass "Öl noch
jahrzehntelang Teil der Weltwirtschaft sein wird" und dass die Umstellung
auf eine CO2-freie Wirtschaft ebenso lange dauern werde. Die Regierungen der
Welt werden noch lange an 'physikalisch-orientierten', an existierenden
kapital-orientierten, kapitalistischen Denkweisen festhalten. Langfristig
werden sich jedoch 'organisch-orientierte' Denkweisen durchsetzen.
Marx' Kompagnon Friedrich Engels vertrat übrigens das
evolutionär-orientierte Prinzip der Dialektik.
„Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung
sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, dass es wesentlich
Resultat, dass es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben
besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein.“
Engels
orientierte sich an Vorstellungen Friedrich Hegels. Hegel unterschied zwischen
mechanischen, physikalischen und organischen Prozessen. In mechanischen und
physikalischen Prozessen „fallen Vereinigung und Trennung der Stoffe noch
auseinander, in den organischen Prozessen sind beide Seiten untrennbar
verbunden. Die einzelnen anorganischen Prozesse sind voneinander unabhängig –
im Organismus dagegen folgt ein Prozess auf den anderen. Darüber hinaus ist der
Organismus grundsätzlich reflexiv strukturiert, während in den mechanischen und
physikalischen Reaktionen eine bloße Wechselwirkung stattfindet. Hegel hält
diese reflexive Struktur für das entscheidende Kriterium des Lebens: C'est la Vie.
Nach Ansicht des Soziologen Bruno
Latour sollen bei kulturellen Betrachtungen alle Wechselwirkungen zwischen
Natur und menschlicher Gesellschaft berücksichtigt werden: „Versuchen Sie nicht, lediglich die 'Natur' zu
definieren, denn dann müssen Sie auch das Wort 'Kultur' definieren; versuchen
Sie nicht, lediglich die 'Kultur' zu definieren, denn dann werden Sie sogleich
auch das Wort 'Natur' definieren müssen. Was heißt, dass wir es nicht mit
Bereichen zu tun haben, sondern mit ein und demselben Konzept − einem Konzept,
das in zwei Teile zerfällt. In der westlichen Tradition kann man nie von dem
einen Teil sprechen, ohne den anderen zu erwähnen. Es gibt keine andere
Definition der Natur als diese Definition der Kultur und keine andere Kultur
als diese Definition der Natur.“
Peter Hiemann schrieb: Ich sehe mich nicht als Vertreter der traditionellen Philosophie. Ich versuche - wie viele andere auch - aus meinen Beobachtungen und Erfahrungen Erkenntnisse zu gewinnen, die für mein Verhältnis zu Wissenschaft und Gesellschaft Sinn ergeben.
AntwortenLöschenDas Hospital habe ich aufgrund meines schlechten physischen Zustandes aufgesucht, und musste die langen Wartezeiten der 'Urgencyprozeduren' zu Zeiten des Medizinerstreiks erleben.