‚Sie sollten die Startups in Deutschland nicht so gering schätzen.
Ich bin stolz darauf, was meine Doktoranden schaffen!‘ Dies schrieb der Kollege
Walter Tichy aus Karlsruhe als Kommentar zu meinem letzten Blog-Beitrag. Tichy
verursachte mir ein schlechtes Gewissen. Sein Lehrstuhl nimmt möglicherweise
eine Sonderstellung in Deutschland ein, was die Zahl und Qualität von
Firmengründungen betrifft, die aus ihm hervorgingen. Der Lehrstuhl von Peter Mertens in Erlangen hat eine vergleichbare Zahl von Ausgründungen aufzuweisen, wobei deren Schwerpunkt anders liegt, nämlich in der Wirtschaftsinformatik. Durch Tichys Reaktion fühlte ich mich
dabei ertappt, mal wieder einseitig kritisch geurteilt zu haben. Dabei ist es
ein besseres pädagogisches Prinzip, auch bescheiden aussehende Erfolge stets positiv
darzustellen.
Erfolgreiche Beispiele
Die TeamViewer AG mit Sitz im Göppingen ist das
Standardbeispiel eines deutschen Einhorns.
Als Einhorn
(engl. unicorn) bezeichnet man in den USA Firmen, die bereits vor ihrem
Börsengang die Milliardengrenze des Umsatzes überschritten hatten. Weitere
Firmen dieser Kategorie sind in Deutschland Zalando
und Rocket Internet. Sie sind beide in Berlin. Beide
stammen nicht aus der Informatik-Branche. Rocket Internet gilt als Inkubator
für andere Startups.
Die TeamViewer GmbH wurde 2005 gegründet und stellte ein Jahr
später die gleichnamige Fernwartungssoftware TeamViewer
vor. Insgesamt sei das Programm bereits auf über 1,5 Milliarden Geräten
installiert worden. Die Software TeamViewer war ursprünglich nur ein
Nebenprodukt des ehemals kleinen Softwarehauses, das das Programm zur
Unterstützung des eigenen Vertriebs entwickelte, der damit
Produktpräsentationen aus der Ferne durchführen konnte.
Das Unternehmen wurde 2009 durch die GFI Software S.A. aufgekauft,
die es 2014 für einen Betrag in Höhe von 870 Millionen Euro an die britische
Beteiligungsgesellschaft Permira weiterveräußerte. Im September 2019 erfolgte der Gang zur
Frankfurter Börse. Zum Ausgabepreis wurde Teamviewer mit 5,25 Mrd. Euro
bewertet. Seit Dezember 2019 wurde Teamviewer sowohl in den MDAX
als auch in den TecDAX aufgenommen. Vorstandsvorsitzender ist Oliver Steil. Der Gewinn
für 2019 lag über 300 Mio. Euro, eine deutliche Steigerung gegenüber den 230 Mio. im Vorjahr. Das Unternehmen hat mehr als 800 Mitarbeiter in Niederlassungen in
Deutschland, den USA, Australien, Armenien, Indien, Japan, China und Singapur.
Im Februar 2019 wurde bekanntgegeben, dass Teile des Unternehmens
in einen Neubau ziehen sollen, der ursprünglich als Erweiterungsbau des
Göppinger Rathauses geplant war. Obgleich die Stadt den Bau der Büros bereits
fünf Jahre zuvor auf den Weg gebracht habe, war man bereit, das Gebäude an
TeamViewer zu vermieten.
Ein Startup, das nach Tichys Angaben
aus seinem Lehrstuhl entsprang, ist aicas. Die aicas GmbH ist ein Softwareunternehmen mit Hauptsitz in Karlsruhe und
Tochtergesellschaften in Frankreich und den USA. aicas bietet Java-Technologie und
Analysetools für Echtzeit- und eingebettete Systeme. Das Flaggschiff heißt
JamaicaVM, eine Java Virtual Machine mit Echtzeit-Speicherbereinigung für zeit-
und sicherheitskritische Anwendungen wie Avionik, Automobilindustrie und
industrielle Prozesssteuerung. Ein weiteres Produkt ist Veriflux, ein
Analyse-Programm. Die Firma aicas wurde 2001 von James J. Hunt, Fridtjof B.
Siebert und Andy Walter gegründet.
An der TU
München hat ein Team von Robotik-Experten die NavVis GmbH gegründet. Ein zum
Patent angemeldete Trolley kartiert die Umgebung mittels Laserscannern.
Gleichzeitig fertigen Kameras ein dichtes Netz hochauflösender
360-Grad-Fotografien des gesamten Innenraums. Ein Browser-basierter
IndoorViewer ermöglicht das Umschauen im Gebäude, Wegfindung, die Interaktion
mit beliebig hinterlegten Points of Interest (z. B. Video- oder Audiodateien)
sowie präzise Punkt-zu-Punkt-Messungen. Die nächste Generation von NavVis wird
darüber hinaus die Innenraum-Navigation via Smartphone ermöglichen
(Turn-by-Turn). Ähnlich der menschlichen Orientierung benötigt diese visuelle
Positionsbestimmung keinerlei zusätzliche Infrastruktur im Gebäude, wie z. B.
WLAN-Hotspots, RFID oder Bluetooth. Das NavVis-Gründerteam besteht aus Robert
Huitl, Sebastian Hilsenbeck, Georg Schroth und Felix Reinshagen. Im Jahre 2018
konnten 31 Mio. Euro als Finanzierungskapital eingeworben werden.
Ein
Negativbeispiel
Ein
eher negatives Beispiel ist die Firma Streetscooter. Es ist dies ein
Elektroauto, das ein Lehrstuhl der TH Aachen konzipierte, damit die Deutsche Post
die durch sie verursachte CO2-Belastung in unseren Städten reduzieren konnte. Mit
den E-Lieferwagen Streetscooter wollten der Aachener Professor Günther Schuh
und die Deutsche Post den großen Autobauern zeigen, wie Elektromobilität geht.
Doch statt der großen Expansion kommt nun das Aus. Nach 100 Millionen Euro
Verlust stampft die Deutsche Post die Produktion von Streetscootern ein.
Für
Schuh liegt das einzig und allein an der Unfähigkeit der Post. Man habe
"Amateure eingesetzt, jegliche Verbesserung verboten und auf eine
Gelegenheit gewartet, das Geschäft unter einem Vorwand einzustellen",
schreibt der Aachener Professor im Handelsblatt. "Streetscooter wurde weder
eine ausreichende Finanzierung noch ein realistischer Zugang zum Kapitalmarkt
gewährt", kritisiert Schuh. Das Ende des E-Autos sei ein Armutszeugnis für
die Post und für Deutschland. Im Jahre 2010 hatte Schuh den Elektrotransporter
mit seinen Studenten der RWTH Aachen erfunden und gemeinsam mit Achim Kampker
Streetscooter gegründet. Im Jahre 2014 wurde das Startup von der Deutschen
Post-Tochter DHL übernommen. Für die Zukunft des Streetscooters hatte die Post
damals eine kräftige Expansion, einen Börsengang oder einen starken Partner aus
der Branche ins Spiel gebracht − doch all dies konnte sie nicht umsetzen.
Mit
Streetscooter geht ein sehr hoffnungsvolles deutsches Startup den Bach
hinunter. Es ist nicht immer einfach, wenn ein großer Konzern zu früh das Sagen
hat, noch konnte das Land NRW unter Achim Lachet die richtigen Schritte
einleiten. Im Übrigen darf die Umwelt mal wieder warten. Auf ihre Lobbyisten
ist wenig Verlass. Der Gründer war schon ein Rattenfänger − meinte ein Kommentator.
Nach seinem Ausstieg ist nicht mehr viel passiert. DHL/Post hat sich auf ein
Spiel eingelassen, dass sie nicht gewinnen konnten. Die Konzepte
Technik/Produktion der Hochschule (Aachen) waren nicht skalierbar für die
Massenproduktion. DHL hat dann eine Kooperation mit Ford gesucht, weil die
Technik der TU nicht brauchbar war. Nach dem Ausstieg von Ford stand die Post
alleine da!
Besonderheit der deutschen Situation
Es ist
vielleicht etwas voreilig, schon aus den vier angeführten Beispielen zu
Schlussfolgerungen überzugehen. Ein Blog erhebt nicht den Anspruch,
wissenschaftlichen Maßstäben gerecht werdende Methodik und Gründlichkeit zu
pflegen. Dafür können die Leser bereits am Tag des Erscheinens auf der ganzen
Welt ihre Reaktion und ihre Kommentare zur Verfügung stellen. Im Folgenden
wird der Eindruck wiedergegeben, der sich mit aufdrängt, falls ich einen Vergleich
anstelle, besonders bezüglich des Unterschieds zu Startups, wie wir sie vom
Silicon Valley her kennen:
(1) Das
Ziel, das wirtschaftlich erreicht werden soll, ist als recht bescheiden
anzusehen. Es steht fast immer ein von Experten abhängiger Spezialmarkt als
Zielscheibe zur Diskussion, nie ein allgemeiner Konsumentenmarkt. (2) Es ist nicht zu sehen, dass die zu erwartenden Folgen eines Erfolgs hinreichend in Betracht gezogen werden. Vor allem muss an die Möglichkeit gedacht werden, schnell zu wachsen, um neue Nutzer nicht unzumutbare Wartezeiten zuzumuten. Es ist kein Wille zu erkennen, schnell und massiv zu investieren, um zu expandieren.
(3) Es scheint nicht vorgesehen zu sein, auf massive Änderungen zu reagieren, die die Nutzer erwarten, sollten sie sich ernsthaft engagieren. Das Produkt mag an sich anregend sein, vielleicht benötigt es aber aus Sicht des Verbrauchers eine Ergänzung, ohne die es kaum Anwendung findet.
(4) Werbung und Vor-Ort-Betreuung scheint nicht vorgesehen zu sein, obwohl viele Märkte dies erwarten. Dass ein Produkt sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda von selbst verkauft ist ein Traum vieler Erfinder. In diesem Falle wächst der Markt nur beschränkt und sehr langsam.
(5) Ab einer gewissen Altersgrenze ist man nicht bereit, für das Startup vorübergehend oder dauernd die Hochschulkarriere aufzugeben, um dem Startup längerfristig zu helfen.
Bewertung
der Chancen im Weltmarkt
Selbst
dann, wenn man es schafft, einige der oben gelisteten Stolpersteine aus dem Weg
zu räumen, ist der Start aus Deutschland heraus mit Vor- und Nachteilen
verbunden. Diese sollen hier kurz angedeutet werden.
Deutschland
hat eine lange industrielle Tradition, aufgrund der gewisse Kompetenzen sehr
stark entwickelt sind. Außerdem genießt der Label ‚Made in Germany‘ bei vielen
mechanischen, optischen und chemischen Produkten einen Ruf, auf dem auch heute
noch aufgebaut werden kann. Die deutsche Automobil-Industrie profitiert
vermutlich von dem positiven Gesamtbild, über das Nachbarländer wie Frankreich
und Italien nicht verfügen.
Weniger
herausragend ist der Ruf, den Deutschland in der Informations- und Automatisierungstechnik
erworben hat. Hier eilen uns vor allem US-amerikanische Firmen voraus. Zu Apple,
Google, Amazon und Facebook gibt es kein in Deutschland beheimatetes Gegenstück.
Wenn deutsche Software-Produkte wie die von SAP trotzdem Weltstatus haben, dann
ist der mühsam erkämpft worden. Im Falle von SAP basiert er darauf, dass die Produkte
eine hohe betriebswirtschaftliche Kompetenz vermitteln und dass ein Paket mit
umfassender Funktionalität zusammengestellt werden konnte.
Mit
andern Worten, es gab in Deutschland eine Tradition, von der auch Neueinsteiger
profitieren konnten. Sie betraf aber primär viele Produkte des 20. Jahrhunderts.
Für neuere Produkte, insbesondere aus der Informatik-Branche gibt es diesen Sog-Effekt
nicht, den frühere Eintritte in den Markt hatten. Es ist dies jedoch kein Grund,
sich mit der Situation zufrieden zu geben und es nicht trotzdem zu versuchen. Einen
Gegner vom Berg aus anzugreifen ist immer leichter als vom Tal aus. Total
aussichtslos ist der Versuch nie. Wer aber nicht zu kämpfen versucht, hat eh
schon verloren.
Resumee
Die Antwort zur Titelfrage ist ein eher unscharfes Ja. Es überwiegen sicherlich die Fälle, die erfolgreich waren. Es gibt aber auch Fehlschläge, wobei diese fast immer den größeren Lärm verursachten. Über sie wird fast immer viel geredet und geschrieben. Die Erfolgreichen sind oft schweigsam. Sie arbeiten oder sie genießen.
Es ist keine Frage, dass allerorts Politiker gerne auf der Welle reiten, Förderer von Startups zu sein. So konkret wie in der Stadt Göppingen sind jedoch die wenigsten. Oft betätigen sie sich nur als Agenten ode Türöffner. Die Geschäftsideen müssen eh Andere bringen. Auch die aktuelle Arbeit am Ort müssen die Gründer machen. Es geht auch kaum anders, will man nicht in eine Planwirtschaft abrutschen.
Resumee
Die Antwort zur Titelfrage ist ein eher unscharfes Ja. Es überwiegen sicherlich die Fälle, die erfolgreich waren. Es gibt aber auch Fehlschläge, wobei diese fast immer den größeren Lärm verursachten. Über sie wird fast immer viel geredet und geschrieben. Die Erfolgreichen sind oft schweigsam. Sie arbeiten oder sie genießen.
Es ist keine Frage, dass allerorts Politiker gerne auf der Welle reiten, Förderer von Startups zu sein. So konkret wie in der Stadt Göppingen sind jedoch die wenigsten. Oft betätigen sie sich nur als Agenten ode Türöffner. Die Geschäftsideen müssen eh Andere bringen. Auch die aktuelle Arbeit am Ort müssen die Gründer machen. Es geht auch kaum anders, will man nicht in eine Planwirtschaft abrutschen.
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