Freitag, 11. Januar 2013

Von Naisbitt zu Horx: Megathema Zukunft voll im Trend

Der amerikanische Politikwissenschaftler und frühere IBM-Mitarbeiter John Naisbitt setzte 1982 den Begriff der Megatrends in die Welt. Sein Buch gleichen Namens wurde in 57 Ländern veröffentlicht. Naisbitt lebt heute in Wien und Tianjin (China). Es gab mehrere Folgeveröffentlichungen, etwa die mit den Titeln Megatrends Asien (1995) oder China’s Megatrends (2010).

Der 1955 in Düsseldorf geborene, in Kiel und Frankfurt aufgewachsene Matthias Horx ist Journalist und bezeichnet sich selbst als ‚einflussreichster Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum‘. Sein 2011 erschienenes Buch Das Megatrend-Prinzip schwimmt auf der von Naisbitt ausgelösten Welle. Es ist keine Frage, dass das Nachdenken über die Zukunft auch für unsere Wirtschaft und Gesellschaft wichtig ist. Daher kamen in diesem Blog immer wieder Teilaspekte wie Altern, Bildung und Globalisierung zur Sprache. Ich las das Buch von Horx vor allem deshalb, um mir über die Breite des Themas Zukunft klar zu werden und um zu sehen, was im Markt der Meinungen heute besonders hoch gehandelt wird. Ich erwartete keine wissenschaftliche Ausarbeitung.

Nach Horx gibt es zurzeit elf Megatrends: Globalisierung, Frauenaufwertung, Individualismus, Altern, Urbanisierung, Mobilität, Neue Formen der Arbeit, Bildung, Gesundheit, Ökologie und Konnektivität. Ein Megatrend ist zwar groß, aber eher breit und langanhaltend als stark und überstürzend. Typischerweise ist sein Effekt etwa ein Prozent pro Jahr. Beispiele sind ein Prozent mehr Frauen in Führungspositionen pro Jahr oder ein Prozent durchschnittliche Steigerung der Lebenserwartung pro Jahr.

Jeder Trend wird von zwei möglichen Quellen gespeist, den Bedürfnissen der Menschen und den Möglichkeiten der Technik. An die Stelle von Bedürfnissen können Wünsche treten. Statt der Technik kann auch die Wirtschaft neue Möglichkeiten schaffen. Da jeder Trend eine Repriorisierung der derzeitigen Verhältnisse veranlasst, wird er auf Widerstand stoßen. Vorhandene Lösungen werden verbessert. Trends müssen daher nicht linear steigend sein. Sie können Pausen einlegen oder sogar eine Weile rückläufig sein. Manche Trends unterstützen sich gegenseitig. 

  Nicht-linearer Trend

Ein Schleifenbild entsteht dann, wenn man die Abzisse nicht als absolute (Kalender-) Zeit auffasst, sondern als relativen Abstand vom Endpunkt der Kurve.

Soweit das Grundsätzliche. Es folgen ausgewählte Aussagen zu den einzelnen Trends, die mir interessant erschienen. Es liegt mir fern, die Fülle des Materials vollständig wiederzugeben. Markante Aussagen zu andern Themen folgen im Anschluss.

Globalisierung: Das ist der am häufigsten zitierte Trend. Es gibt ihn – mit Unterbrechungen – seit Menschen aus Afrika auswanderten. Von 1961 bis 2003 haben sich Getreideerträge in Afrika verdoppelt. Es ist alles eine Frage der Arbeitsteilung, wie schon Adam Smith sagte. Ein Engländer hat es bewiesen, indem er einen Toaster selbst herstellte und das benötigte Eisen und Kupfer eigenhändig gewann. Volatilität ist kein Privileg amerikanischer Firmen. Durch ‚Glokalisierung‘ (Globalisierung verbunden mit Lokalisierung) erfolgt eine Optimierung mit einer verstärkten Bewertung von Transportkosten. Die Welt ist nicht ungerecht; sie ist kreuz und quer verwirrend.

Frauenaufwertung: Dass Geburtenraten überall auf der Welt fallen, wird noch nicht geglaubt. Es ist das Ergebnis von vier Trends (Urbanisierung, Frauen, Individualisierung und Alterung). Das Maximum von neun Mrd. wird in 2070 erreicht sein.

Individualismus: Individualismus braucht Verbundenheit. Kuschelhormon (Oxytocin) fördert Wir-Gefühl, aber auch Hass auf Andersgeartete.

Altern: Zunahme der Lebenserwartung ist in 186 von 194 Ländern festzustellen. Ausnahmen sind ‚failed states‘ (Haiti, Somalia), arme Länder (Mali, Äthiopien), Russland (wegen schlechtem Wodka) und Südafrika (wegen Aids). Altern bedeutet Tod der Ambitionen und Geburt der Akzeptanz. Weisheit ist höher integrierte mentale Konnektivität.

Urbanisierung: In 40 Stadtregionen wohnen zwei Drittel der Weltbevölkerung. Stadtleben macht gleichgültig (und ‚gleich gültig‘); entkoppelt von Raum; Suburbia ist nicht mehr das Ideal. Trend legt Schleife ein. Megastädte schrumpfen. Singapur funktioniert, weil es Disneyland mit Todesstrafe ist. Urbanisierung und Technisierung in dritter Welt lassen dennoch langfristigen Investitionsschub erwarten.

Mobilität: Begann mit Auswanderung aus Afrika (siehe oben). Technik hat sich seither enorm verbessert.

Neue Arbeitsformen: Der Lohnarbeiter ist ein moderner Höriger. Beschäftigung wurde erkauft durch Entselbständigung. Das ist nichts für Kreative. Neuer Trend heißt Verwissenschaftlichung und Re-Verselbständigung. Gesellschaft benötigt neue Kooperationsformen, nicht nur 'wie Du mir, so ich Dir'. Mehr ‚fluide‘ Organisationen. Hartz-Reformen förderten Teilhabe an Gesellschaft statt Abhängen.

Bildung: Im Ausbildungssystem wird Produktivität vernichtet. Es schafft keine kreativen Eliten. Jäger und Sammler besaßen hervorragendes Wissen über die Natur; Straßenkinder kennen ihre Welt; heutige Bildung muss Könnerschaft für Morgen besorgen. Die Internet-Revolution erzeugt die freie Verfügbarkeit des Wissens. Welche Knappheit wird als Folge hervorgerufen? Mangel an Orientierung?

Gesundheit: Die Kindersterblichkeit ist in einigen Ländern der Dritten Welt (z.B. Sri Lanka) geringer als in einigen Schwellenländern (z.B. Türkei). Bei Demenz brechen verschüttete Konflikte auf. Lösung heißt Validieren. Epigenetik (Umwelt beeinflusst Phänotyp) reduzierte die Hoffnungen der Genetiker.

Ökologie: Verstädterung ist ein Gewinnspiel für die Umwelt.

Konnektivität: Lebewesen brauchen Energie und Konnektivität (Austausch von Information). Vertrauen spart Transaktionskosten; Zivilisation zentriert Verantwortung. Wissen entsteht schichtenweise; atomisiertes Wissen ist uninteressant. Nur Wissen, das wir mit andern teilen, ist nützlich.

Soweit die elf Megatrends. Die folgenden weiteren Aussagen fand ich ebenfalls beachtenswert.

Evolution: Megatrends sind Ausdruck des evolutionären Prinzips der Komplexität. Ausdifferenzierung ist sicherste Pfad der Evolution. Evolution hat uns die Fähigkeit gegeben eher einen Säbeltiger zu viel zu sehen als einen zu wenig.

Gesellschaft: Menschliche Gesellschaften sind problemlösende Organisationen mit sinkenden Grenzerträgen.

Innovation: Innovation ist nicht dadurch bestimmt, was möglich gemacht wird, sondern was genutzt wird. Die Entwicklung von Neuem wird umso langsamer, je mehr auf dem Spiel steht (J. Lanier)

Märkte: Märkte soll man nicht unterschätzen. Sie lenken Investitionen auf Wellness, Gesundheit und Bildung. Es gibt viele Teilmärkte; immer sind irgendwo Krisen. Bis 2008 galt Ökonomie als die letzte ‚harte‘ Wissenschaft. Nach Kondratjew ist der Markt keine Mathematik, sondern ein Kultursystem, in dem Technik und menschliche Organisation interagieren. Kondratjew wurde von Schumpeter weiterentwickelt.

Krisen: Krisen sind notwendig und produktiv. Es bilden sich neue Ordnungen heraus. Krisen sind ein Anreiz zu höherer Komplexität. Das gilt auch für die Euro-Krise.

Komplexität: Durch Feedback erlöste Kompliziertheit oder dynamische Adaptivität. Eine Bakterie ist so kompliziert wie ein Passagierflugzeug. Beide funktionieren dank Feedback-Schleifen und Systemhilfe. Komplexe Systeme brauchen viel Energie; Knappheit von Ressourcen führt zur Spezialisierung. Komplexität ist Kollaterialbonus (sic!) der Evolution, nicht ihr Ziel.

Emergenz: Wechselbeziehungen zwischen Einzelteilen führen zu neuen Eigenschaften, die kein Einzelteil besitzt.

Resilienz: Zurückspringen auf Ausgangsform, auch Robustheit; neues Modewort wird den Begriff Nachhaltigkeit ablösen. Eine Gesellschaft muss resilient sein, d.h. fähig Lernprozesse zu organisieren.

Ein mir bisher unbekannter Guru scheint es Horx angetan zu haben. Er hieß Clare Graves (1914-1986) und lebte im Staat New York. Nach dessen Meinung sind die Lösungen von Heute die Probleme von Morgen. Er erklärte die Entwicklung eines Individuums vom Baby bis zum Greis anhand derselben Prinzipien wie die Geschichte der Menschheit. Die vom Individuum erzeugten Bewältigungsstrategien des Ichs verursachen neue Organisationsweisen der Gruppe. In einer Art Spirale werden abwechselnd Individualismus und Konnektivität betont und weiterentwickelt. Es gibt noch kein deutsches Buch darüber. Vielleicht wird es nie eins geben. Abschließend empfiehlt er, sich mit so bekannten ‚Großhistorikern‘ wie Jared Diamond, Niall Ferguson und Ian Morris zu befassen, aber auch mit wissenschaftlichen Querdenkern wie Antonio Damasio, David Deutsch und Martin Nowak. Zumindest Morris und Damasio sind den Lesern dieses Blogs bereits begegnet.

Nachtrag am 20.1.2013: Martin Nowak kommt im übernächsten Eintrag vor.

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