Die Spiegel-Titelgeschichte
des letzten Wochenendes listete all die Patzer auf, die Steinbrück sich seit
seiner Ausrufung zum Kanzler-Kandidaten der SPD geleistet hat. Er redet nicht
nur unüberlegt, ignoriert dabei die Gefühle seiner eigenen Parteigenossen und ‒ ein typischer Managementfehler ‒ er legt sich die falschen Berater
zu. Die Quintessenz: Schon neun Monate vor der Wahl ist er ein Nicht-Kandidat.
Ich stimme mit der Schlussfolgerung voll überein, finde aber, dass einige
Gründe zu wenig betont wurden.
Jedermann hat das Recht, sein Ego auszuleben, auch Herr Steinbrück. Er
darf sich als Clown aufspielen oder als Raufbold präsentieren. Es ist dies ein
Recht, das man niemandem wegnehmen kann. Niemand ist gezwungen, sich zu
verbiegen. Von Vielfalt und Farbigkeit lebt die Demokratie. Wer Leute
überzeugen will, dass er geeignet ist, 80 Millionen Landsleute diplomatisch zu
vertreten, oder eine Mittelmacht wie Deutschland zu führen, muss allerdings etwas
anderes hervorheben. Es geht schließlich darum, sich für den anspruchsvollsten
Job in diesem Lande ‒ wenn
nicht sogar in ganz Europa ‒ zu
bewerben. Wer sich in dieses Abenteuer stürzt, tut es aus freien Stücken oder
aus Liebe zu einer Partei.
Nur jemand, der diesen Unterschied nicht zu kennen scheint, darf sich
über fallende Umfragewerte wundern. Es lässt sogar vermuten, dass es noch mehr
ähnliche Defizite gibt, die für den Job eines Bundeskanzlers ein Risiko
darstellen, die er sich jedoch nicht eingestehen will. Auf die Presse zu
schimpfen, oder sogar das Volk für dumm zu erklären, ist gefährlich. Dass
Steinbrück dies nicht tut, verrät, dass Sensibilität für ihn kein Fremdwort geblieben
ist.
Wie auch der Spiegel bemerkte, verwechselt Steinbrück möglicherweise die Zustimmung, die ihm bei Autorenlesungen und Beratergesprächen zufloss, mit einer Bewertung seines Charakters. Krimiautoren, Karikaturisten sowie Anlagen- und Versicherungsberatern passiert das nicht. Auch ich habe ihn nach einem Vortrag beklatscht. Er hatte die gestellte Aufgabe glänzend gelöst. Er hatte etwa hundert, vorwiegend gut situierte Rentner glänzend unterhalten. Dass er dabei auf seine eigene Partei losdrosch, wurde sogar als besonders unterhaltsam gewertet. Unter den Zuhörern waren vermutlich nur sehr wenige potentielle SPD-Wähler.
Über die für einen Kanzler nötige Qualifizierung kann man streiten.
Lange glaubte man, es müssten Juristen oder Ökonomen sein. Gerade zeigt eine
Physikerin, dass die naturwissenschaftliche Ausbildung noch sehr viel gesunden
Menschenverstand übrig lassen kann. Wie Ronald Reagan bewies, kann ein
Schauspieler sogar US-Präsident werden, vor allem dann wenn er vorher die
Schauspieler-Gewerkschaft geleitet hat. Worüber die Wähler sich vor einer wichtigen
Wahl klar zu werden versuchen, ist die Frage, mit welcher
Persönlichkeitsstruktur wir es bei dem Kandidaten zu tun haben. Dabei versucht
man, von einem Teil der Persönlichkeit auf die ganze Persönlichkeit zu schließen.
Schlecht ist es, wenn statt Vertrauen, das jeder Kandidat als Vorschuss erhält,
Misstrauen entsteht. Die Grenze, wo dies geschieht, liegt bei jedem Betrachter anders.
Für On-the-job-training möchten die Leute diesen Job nicht primär
verwenden. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Da keine noch so gute Ausbildung oder
vorbereitende Praxis ausreichen, um mit allen Situationen fertig zu werden, in
die dieses Amt einen bringen kann, sucht man nach Charakterzügen, die einen
beruhigen. Wie würde er Krisen bewältigen oder mit Leuten umgehen wie Putin und Obama, wie mit Cameron,
Hollande und Monti, oder mit Ländern wie Griechenland und Somalia? Es ist nicht
allein Weisheit, die gefragt ist. Abgesehen davon, dass eigentlich nur Greise
sie in nennenswertem Umfang besitzen, werden auch andere Eigenschaften gesucht.
Ich nenne nur einige: Ausdauer, Ausgeglichenheit, Empathie, Geduld, Pragmatismus,
Realismus und Toleranz. Das sind alles Tugenden, die man (noch)
nicht mit Steinbrück verbindet. Die beste
Wahlkampfstrategie, die Angela Merkel befolgen kann, ist gar nichts zu
sagen. Da dies nicht geht, sollte sie über die Kochkünste von Herrn Professor
Sauer schwärmen. Das Volk lechzt danach, endlich mehr darüber zu erfahren. Herr
Sauer ist Frau Merkels Ehemann.
Dass auch Politiker sich umorientieren können, fällt an dem Beispiel
des Guido Westerwelle auf. Noch sind beide, Steinbrück und Westerwelle, auf
gleichem Popularitätsniveau, der eine auf dem Weg nach unten, der andere auf
dem Weg nach oben. Dabei gilt, runter geht schneller als rauf. Sollte
Steinbrück verärgert den Kram hinschmeißen, käme wohl der Steinmeier dran. Der hätte
den großen Vorzug, dass er sein diplomatisches Training bereits absolviert hat.
Nur hatte er Steinbrück gegenüber zwei offensichtliche Schwächen und trat
deshalb zunächst einen Schritt zurück. Er langweilt die Zuhörer mit seinen
Reden und er hört auf seine Frau. Der dritte im Bunde der Ex-Kandidaten, der
Parteivorsitzende Gabriel, ist ein Charakter wie Steinbrück aber noch ohne die
Erfahrung eines wichtigen Bundesministeriums.
Im Übrigen: Sollten wir im Herbst eine große Koalition bekommen – was
sich die Mehrheit der Wähler ohnehin wünscht – dann hätte Steinbrück gute Chancen,
wieder einen Job zu bekommen. Wie vor fünf Jahren ließe er sich von der
Kanzlerin leicht einzäunen oder zähmen. Dass er diese politische Konstellation
für uninteressant erklärt, spricht nicht für ausgeprägten Realitätssinn. Ob er
in einer rotgrünen Regierung mit der SPD an der Spitze landen wird, ist
fraglich. Die Partei kann sehr leicht zum Juniorpartner absinken, so wie dies
in Baden-Württemberg geschehen ist. Dann könnte er noch Wirtschaftsminister
werden. Das ist ein Job, in dem Praktikanten wie Rösler und Sprücheklopfer wie er nur
geringen Schaden anrichten können. Nochmals Finanzminister sollte er nicht
werden. Das wäre ein Affront gegenüber der Schweiz. Zum Glück steht Jürgen Trittin
für diesen Job bereits bereit. Vielleicht kann der sogar schon ‚Grüezi‘ sagen.
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