Freitag, 16. September 2011

Direkte Demokratie und der Euro

Im heutigen Beitrag wird es mal wieder politisch. Mit direkter Demokratie (auch: plebiszitärer Demokratie) bezeichnet die Bundeszentrale für politische Bildung 

eine demokratische Herrschaftsform, bei der die politischen Entscheidungen unmittelbar vom Volk (z.B. in Volksversammlungen und durch Volksabstimmung) getroffen werden und lediglich Ausführung und Umsetzung der Entscheidung einer Behörde überlassen werden.

Das Gegenstück ist die repräsentative Demokratie. Das ist die Staatsform, wie sie durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben wurde. In derselben Quelle heißt es dazu:

die politischen Entscheidungen und die Kontrolle der Exekutive (Regierung) [wird] nicht unmittelbar vom Volk, sondern von einer Volksvertretung (Parlament) ausgeübt. Die Ausübung der demokratischen Rechte der Bevölkerung ist … auf die Beteiligung an Wahlen und die Mitwirkung in Parteien, Verbänden und Initiativen beschränkt.

Immer wieder melden sich Protagonisten der direkten Demokratie zu Wort, die meinen, dass nur darin die Lösung aller Akzeptanzprobleme für das demokratische System der Bundesrepublik zu suchen sei. Das Nachbarland Schweiz gilt in dieser Hinsicht als Vorbild, wurden doch dort eine Reihe politischer Fragen auf diesem Wege entschieden. Auch Schweizer Politiker sagen nicht, dass dieses Verfahren für jedwedes Problem geeignet ist. Das gilt insbesondere für etwas schwierigere Probleme, bei denen die Lösungen nicht klar auf der Hand liegen. Die Situation des Euro, bzw. die Möglichkeiten seiner Rettung, sind ein typisches Beispiel eines schwierigen Problems. Es gibt vor allem keine bekannte Standardlösung.

Zum Problem selbst: Durch die Einführung des Euro wurde unterschiedlich leistungsfähigen Volkswirtschaften die Möglichkeit genommen, durch Wechselkursänderungen ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Andererseits gab es günstige Kredite, was Regierungen dazu verleitete, sich über alle Maßen zu verschulden. Erst in dem Moment, als Zweifel entstanden, dass die Kredite auch bedient werden können, gab es Probleme. Das begann im Mai 2010 mit Griechenland, erfasste aber auch Irland und Portugal.

Die seither ablaufende öffentliche Diskussion ist sehr verwirrend. Ich will sie vereinfachend in drei Stränge einteilen:

(a) Neoliberale, vorwiegend an Stammtische appellierende Argumente. Nur wenn die verschuldeten Länder die Konsequenzen ihres Tuns zu spüren bekommen, hat es eine erzieherische Wirkung.

(b) Soziale, von übergeordneten Zielen geleitete Überlegungen: Die Einigung Europas ist ein so wichtiges Ziel, dass wir dafür ruhig einiges Geld einsetzen sollten. Bei der deutschen Wiedervereinigung war es nicht anders.

(c) Dazwischen liegende, unsichere Positionen: Da man nicht weiß, was passiert, wenn man sich in Richtung von (a) oder (b) entscheidet, versucht man zunächst Zeit zu gewinnen.

Während die dritte Position eher taktisch bedingt ist, kommen bei den Alternativen (a) und (b) eminent politische Grundeinstellungen zum Ausdruck. Ich erspare mir zu erklären, welche politischen Parteien, Wirtschaftsinstitute oder Medien mehr entlang dem einen oder andern Strang argumentieren. Die maßgeblichen politischen Akteure scheinen sich im Moment nach Alternative (c) zu verhalten. Das ist sogar zu verstehen, da man Panikreaktionen der Bevölkerung oder Erschütterungen im Finanzgebäude (Stichwort: Lehman-Pleite) tunlichst vermeiden will. Diesem Zweck dient auch der geplante Rettungsschirm EFSF, über den gerade im Parlament diskutiert wird.

Man kann nur hoffen, dass nach Ablauf weiterer Zeitperioden (möglichst nach Quartalen, nicht nach Jahren) eine Wende zum Guten, also Fortschritt, sichtbar wird. Im Falle eines überschuldeten Staates heißt dies, die Ausgaben wurden gesenkt oder die Einnahmen wurden erhöht, oder – besser noch – beides. Bleibt der Fortschritt auf Dauer aus, gibt es nur noch Alternativen (a) oder (b). Ob es dann zur Notstandsverwaltung, zur Staatspleite oder gar zu einem Austritt aus der Währungsunion kommt, ist sekundär. Die Kosten werden auf jeden Fall enorm sein. Einen externen Retter in höchster Not kann ich mir nicht vorstellen, obwohl manche Leute zurzeit bereits heimlich in Richtung China schielen. 

Es entsteht in den letzten Wochen fast der Eindruck, als ob nicht nur die Regierenden, sondern auch die rund 600 ins Parlament gewählten Vertreter des Volkes sich fachlich überfordert fühlen. Leider gibt es auch keinen Wissenschaftler, der in der Lage ist zu sagen, was am besten zu tun ist. Die FDP trägt sich daher mit dem Gedanken, ihre Mitglieder um Rat zu fragen, wie man das Euro-Problem am besten lösen kann. Bei der um ihr Überleben kämpfenden Partei hat man das Gefühl, dass es ihr primär darum geht, Aufmerksamkeit zu erheischen. Es geht anscheinend weniger um die Sachfrage als um deren öffentliche Wirkung. Einige Kommentatoren kritisieren bereits, warum man nur FDP-Mitglieder in Deutschland befragen wolle und nicht das gesamte europäische Wahlvolk. Außerdem erbrächte ein Volksentscheid die ideale Legitimation für die eventuell notwendigen harten Maßnahmen. 

Mein bisschen politisches Gespür sagt mir, dass sich die Demokratien in Europa damit keinen Gefallen erweisen würden. Es müsste dann nämlich noch eine europa-weite, monatelange aufklärende Kampagne stattfinden, damit der Souverän weiß, worüber er entscheiden soll. Wie schwierig dies werden kann, erleben wir gerade in Baden-Württemberg. Hier sollen im November die Bürger zwischen Main und Allgäuer Alpen entscheiden, ob in Stuttgart der Bahnhof nach unten verlegt werden soll. Die Hoffnung einiger Landespolitiker, dass diese Frage sich auf andere Art selbst erledigen würde, hat sich leider nicht erfüllt. Die Volksbefragung soll jetzt entweder eine von einer früheren Regierung rechtmäßig getroffene Entscheidung umdrehen, oder, wenn das Ergebnis andersherum ausfällt, die Grünen von ihrem Wahlversprechen entbinden. Ob wirklich eines von beiden eintreten wird, ist allerdings noch offen.

Die Quintessenz: Nicht immer werden in einer Demokratie Entscheidungen dadurch besser oder klarer, dass man mehr Menschen involviert. Manchmal muss zuerst die Exekutive und danach das Parlament die Verantwortung übernehmen. Alle Beteiligten müssen allerdings erklären, warum sie sich für die eine oder die andere der zur Wahl stehenden Alternativen entscheiden. Dass muss man von seinem Repräsentanten erwarten dürfen. Deshalb habe ich auch bei meinen Wahlkreisabgeordneten nachgesehen, welche Position er bezieht. Daraus, dass er die 29 Fragen und Antworten des Finanzministers auf seiner Homepage zitiert, schließe ich, dass er für den Rettungsschirm EFSF votieren wird.

1 Kommentar:

  1. Ich möchte die Gelegenheit nicht vorbei gehen lassen, ohne meinen Wahlkreisabgeordneten zu loben. Als ich ihm am 19.9. meinen Blog-Beitrag nach Berlin mailte, bekam ich prompt eine Antwort von seinem Büro. Darin hieß es, dass meine Annahme bezüglich seines Abstimmungsverhaltens richtig sei.

    Gestern gab er ein Interview in der hiesigen Lokalzeitung, in dem er erläuterte, warum er heute für den EFSF stimmen würde. Dabei benutzte er folgendes schöne Bild: „Einem Schiffbrüchigen muss man helfen. Man muss aber gleichzeitig aufpassen, dass man dabei nicht selbst untergeht.“

    Heute hat er sein Wort eingelöst und stimmte mit den 315 Abgeordneten der Koalition für die Vorlage der Regierung. Da auch die meisten Oppositionsabgeordneten dafür stimmten, gab es das recht ungewöhnliche Ergebnis. 523 dafür, 85 dagegen, 2 Enthaltungen.

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