Die CeBIT 2013, die gerade zu Ende ging, hatte "Shareconomy"
zu ihrem Leitthema erklärt. Als weltweit wichtigste
Veranstaltung der digitalen Wirtschaft rücke sie das Teilen und gemeinsame
Nutzen von Wissen, Ressourcen und Erfahrungen als neue Formen der
Zusammenarbeit ins Zentrum. Für die Wirtschaft und auch für die Gesellschaft sei
'Shareconomy' derzeit ein heiß diskutiertes Thema. So ähnlich verlautete Frank
Pörschmann, der CeBit-Chef. ‚Besitz war gestern. Heute wird geteilt,
getauscht und privat vermietet‘ das schrieb die Süddeutsche
Zeitung Ende letzten Jahres. Das
Thema hat viele Aspekte. Ich will es hier primär aus Sicht der Informatik
diskutieren, aber nicht nur. Durch die Möglichkeiten, die uns die Informatik in
dieser Hinsicht bietet, erhält es auch anderswo ein neues Gesicht, neue
Aktualität.
Blick in die Geschichte
Jäger und Sammler der Steinzeit oder im heute noch verbliebenen Regenwald
kennen keinen Besitz, außer ihren Jagdwaffen. In Anatolien erfand man vor
10.000 Jahren die Landwirtschaft. Bauern verbesserten den Boden, in den sie säten,
und zähmten Ziegen und Rinder. Das war
der erste nennenswerte Besitz, den Menschen erwarben. Aus Ehrfurcht oder
Dankbarkeit räumten sie ihren Göttern oder Königen gewisse Rechte an dem Besitz
ein. So entstand eine gedankliche Trennung zwischen Eigentum und Besitz. Könige
und Heerführer verteilten erobertes Land an Veteranen oder Leibeigne zur
Nutzung. Der Adel versprach den Bauern sie gegen Räuber und Eroberer zu
beschützen, wenn sie dafür einen Teil ihrer Felderträge abliefern würden.
So ging es in weiten Teilen Europas zu, bis die Franzosen ihren König
köpften. Das war 1792. Zuerst waren es
die Amerikaner, dann die Franzosen, die mit Eigentum im Besitz von Bürgern den
Begriff der Freiheit verbanden. Einige der neuen Eigentümer (oder der übrig
gebliebene Adel) übertrieben es. Deshalb forderte Karl Marx: ‚Enteignet die
Enteigner!‘ Er fand Anklang nur in der Hälfte der Welt. Dort wurde alles in eine
Gemeinwirtschaft überführt. Nicht nur Sozialisten und Kommunisten schworen
darauf, auch einige religiös motivierte Gruppen wie die Pilgerväter in
Neuengland und die Jesuiten in Paraguay. Erst seit 1989 gibt es in Ostberlin,
Moskau und Bejing wieder Privateigentum.
Nutzung, Besitz und Eigentum in
der Informatik
In der Informatik wurden anfangs weder Hardware noch Software verkauft,
sondern nur gegen monatliche Miet- bzw. Lizenzgebühren zur Nutzung überlassen.
Zu riskant war die neue Technik und zu teuer. Man wollte jederzeit aussteigen
können. Nur die Banken sahen es anders. Sie wollten den DV-Herstellern nicht
auch noch das Finanzierungsgeschäft überlassen. In den öffentlichen und
privaten Rechenzentren wurde verbrauchte CPU-Zeit oder Systemzeit sekundenweise
abgerechnet. Man erfand das Time-Sharing, sowohl als Technik wie als
Finanzmodell. Noch heute erinnere ich mich an die Begründung, die mir vor 50
Jahren ein Ingenieurbüro gab, als es den Dienst unseres Rechenzentrums plötzlich
nicht mehr in Anspruch nahm. ‚Wir müssen oft sonntags noch an unsern Angeboten
arbeiten. Wir haben uns daher einen eigenen Rechner gekauft.‘ Manche
Unternehmen sollen weniger gute Gründe gehabt haben, um sich den jeweils
größten verfügbaren Rechner anzuschaffen.
Etwa ab 1980 verflog die Unsicherheit der Nutzer. Sie wussten, dass sie
in Zukunft nicht mehr ohne eigene Rechner sein konnten oder wollten. Time
Sharing wurde uninteressant. Außerdem kamen die Minis auf. Die Preise für ein
Gesamtsystem (Hardware und Software) purzelten in den Bereich unter 100.000 DM.
Viele der neuen Nutzer saßen in Ingenieurabteilungen oder Ingenieurfirmen und
hatten auch weniger Geld als die Buchhalter. Es waren auch viele neue Lieferanten
im Markt, die genug Probleme hatten, sich selbst zu finanzieren. Sie wollten sich
nicht auch noch die Finanzierung der Kunden ans Bein binden. Sie wollten gleich
Geld sehen. Die alten Lieferanten passten sich an und zogen nach. Anstelle oder
zusätzlich zur Monatsmiete wurde ein Einmal-Kaufpreis (engl. one-time charge, abgek.
OTC) angeboten. Die Formel lautete
OTC = x * Monatsmiete, mit 24 ≥ x ≥ 48.
Obwohl die Kunden ihre Maschinen gewöhnlich mehr als vier Jahre
behielten, bewegte sich die Mehrheit recht zögerlich in Richtung OTC. Man
wollte sich die Möglichkeit offen halten, flexibel auf neue Produkte reagieren
zu können, die sich infolge des technischen Fortschritts laufend in den Markt drängten. Als
es wenig später die PCs gab, wurden diese von Endnutzern gekauft, nicht gemietet.
Das galt für Hardware wie Software. Die Software war in der Erstellung fast so
teuer wie früher. Ihre Preise fielen jedoch enorm, da die Herstellkosten statt
durch 1000 jetzt durch 100.000 dividiert werden konnten.
Im Internet wurde das Gefühl für Kosten ziemlich durcheinander
gebracht. Während sich auf der Hardware-Seite zunächst wenig änderte, ging bei
der Software alles drunter und drüber. Die OTCs verschwanden vollkommen. Software
war entweder in einer dienstbezogenen Nutzungsgebühr enthalten ̶
mal als monatliche Flatrate, mal nach
übertragenen Bytes bemessen ̶
oder war kostenlos. Der Vorteil einer Flatrate besteht darin, dass man
sie im Budget fest einplanen kann. Sie kann teurer sein als die detaillierte
Verbrauchsabrechnung, dafür macht sie weniger Sorgen. Da Rechner inzwischen wie
Handys aussehen oder nur noch über Handys zugegriffen werden, konkurriert man,
indem immer mehr Software-Funktionen durch die Flatrate abgedeckt werden. Was überhaupt
noch separat als kostenlose Software erschien, war meistens durch Werbung
finanziert. Diese Finanzierungsart ist so bestimmend geworden, dass man fast
vergaß, dass mit der Erstellung und Verbreitung von Software immer noch Kosten
verbunden sind. Für Software erwirbt man in der Regel kein Eigentum, sondern
nur Nutzungsrechte.
Auf zwei Sonderfälle sei verwiesen. Wegen der großen saisonalen
Schwankungen des Internet-Geschäfts, etwa bei Amazon, wurden Überkapazitäten geschaffen,
die zwischendurch als Informatik-Wolken (engl. clouds) zur Verfügung gestellt
werden. Auf dem Gebiet der ERP-Systeme hat der Erfolg von SAP Mitbewerber auf
den Plan gerufen, die sich durch fallweise Abrechnung nach Nutzerzahlen einen
Einstieg erhoffen (z. Bsp. Salesforce.com).
Durch Informatik unterstützte
Nutzungsmodelle
Als ich das erste Mal ein Taxi nicht per Telefon sondern per Internet bestellte, war ich beeindruckt, dass der Taxifahrer nicht mehr fragte, wo ich denn sei. Auch gibt es Städte, wo ich im Internet fragen kann, wo es freie Parkplätze gibt und mich anschließend dorthin leiten lasse. Eine viel zitierte Anwendung heißt Car Sharing. Sie ist für Leute, die selbst kein Auto mehr haben und trotzdem selbst fahren wollen. Man will sich auch nicht mühselig zum Stützpunkt einer Autovermietung am Bahnhof oder Flugplatz durchschlagen. Per Smartphone findet man ein freies Auto in der Nähe. Der Kunde identifiziert sich, öffnet das Auto und fährt los. Am Ende der Fahrt verschließt er das Auto und veranlasst die Abrechnung ̶ alles per Smartphone. Städte, die mit dieser Anwendung experimentieren, hoffen auf diese Weise den Innenstadtverkehr zu reduzieren. Als ‚Versuchsvehikel‘ dienen allerdings keine Luxuslimousinen sondern Kleinwagen.
Die Fahrzeuge einer
Carsharing-Organisation sind meist auf fest angemieteten Parkplätzen über eine
Stadt oder einen größeren Ort verteilt. Die Standorte befinden sich häufig bei
Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs (Bahnhöfe, Tramknoten, Endstationen von
Buslinien usw.), wo sie von den Mitgliedern gut erreichbar sind. Die vorab
reservierten Fahrzeuge werden meist benutzt, um von diesen Knotenpunkten aus
abgelegenere Ziele zu erreichen.
Unter Couch Surfing
versteht man einen Web-Dienst, der dazu dient, kostenlose Unterkunft auf Reisen
zu finden. Man kann auch selbst eine Unterkunft oder etwas anderes anbieten,
wie z.B. einem Reisenden die Stadt zu zeigen. Ende Juli 2011 zählte Couch Surfing
nach eigenen Angaben über drei Millionen Mitglieder in etwa 80.000 Städten.
Es gibt unzählige Formen der anteiligen Nutzung wirtschaftlicher Güter.
Manche sind uralt, manche machen erst Sinn dank der Fortschritte der Informatik.
Über Mietwohnungen und gemietete Ferienwohnungen redet kaum jemand. Backhäuser
und Badehäuser wurden seit dem Mittelalter gemeinschaftlich genutzt. Der Gemeinde-Bulle
oder die Gemeinde-Wiese (Almende) stand einer Genossenschaft frei zur Verfügung.
Neben privaten Autos gibt es fast überall den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV).
Er wird, um Umweltbelastungen und Staus zu vermeiden, in den meisten Städten
besonders gefördert. Mietautos gibt es schon immer, seit es Autos gibt. Das
Mieten von Flugzeugen, Tankschiffen, Lastwagen, Bau- oder Landmaschinen ist so
gebräuchlich wie das Leihen von Fahrrädern, Skiern, Schlittschuhen, Fräcken,
Brautkleidern, Arbeitskitteln und Babywaagen.
Immer mehr Unternehmen reduzieren die Zahl ihrer Festangestellten zu
Gunsten von Freischaffenden und Leiharbeitern. Investitionen in Produktionsmittel
(inkl. Büroräume, Lagerflächen) werden abgewogen gegenüber einer möglichen Fremdvergabe
(engl. outsourcing). Der Hauptgrund für die anteilige Nutzung von
Wirtschaftsgütern sind primär die zeitlichen Schwankungen in Bedarf und
Nachfrage. Oft sind es auch die unterschiedliche Verfügbarkeit und die
relativen Kosten von Kapital, die die Entscheidung beeinflussen. Neuerdings
spielt die Idee der Nachhaltigkeit und der reduzierten Umweltbelastung hinein.
Wie
weit dieses Denken uns bringt, zeigt eine spezielle Form, die mich geradezu fasziniert.
Sie heißt Food Sharing. Hat man einen
Salatkopf gekauft, verbraucht aber nur die Hälfte, lohnt es sich, die andere
Häfte im Internet anzubieten, anstatt sie in den Mülleimer zu werfen. Hat man
einen Interessenten gefunden, muss er unter Umständen die halbe Stadt (oder den
halben Landkreis) durchqueren, um die Ware abzuholen. Ein Asylant, der für UPS
fährt, ist vermutlich noch zu teuer, ganz abgesehen, von der Umweltbelastung
durch Abgase. Was hier fehlt, ist eine Art Flaschenpost, die alle Häuser einer
Stadt verbindet. Wird es richtig gemacht, wäre dies eine tolle Geschäftsidee. Es
wäre die physikalische Ergänzung des Internet.
Information und Wissen als
Sonderfall
Ich bin noch immer etwas überrascht, wenn in diesem Zusammenhang von Information
und Wissen gesprochen wird. Das Teilen ist hier nicht das Gleiche wie bei
physikalischen Gütern. Man ist immer noch geneigt an Bücher und klassische
Bibliotheken zu denken, wo es um physikalische Objekte geht, die vergriffen,
ausgeliehen oder verloren sein können. Das ist endgültig vorbei.
Wer vom Wissen teilen redet, denkt meist am Wikipedia. Millionen tragen
bei, Millionen nutzen es. Bezeichnend ist, das bei Umfragen ein altersbedingter
Unterschied zu Tage tritt. Junge Menschen (unter 35 Jahren) möchten gerne
Information und Wissen teilen, ältere Menschen jedoch nicht. Zum Teil kommt der
Unterscheid daher, dass es älteren Mitbürgern oft an Vorstellungskraft fehlt,
was heute möglich ist. Manchmal kommt auch der unterschiedlich stark ausgeprägte
Glaube an Utopien zum Tragen. Überlagert wird das Ganze von der Frage der
Anerkennung geistigen Eigentums. ‚Der
Kampf um das geistige Eigentum wird die größte Schlacht, die Sie je gesehen
haben‘ sagte Jeremy Rifkin in seinem bereits im Jahre 2000 erschienen Buch Access ̶
Das Verschwinden des Eigentums. Bis jetzt scheint er Recht zu behalten. Rifkin hat vieles von dem
vorhergesagt, mit dem heute experimentiert wird.
Schlussbemerkungen
Das Interesse, das die ‚Shared economy‘ zurzeit erfährt, hat sowohl
viele alte, aber auch einige neue Wurzeln. Vieles war schon einmal da, manches
kommt wieder wie die Mode. Durch das Internet entsteht eine Markt-Transparenz,
wie wir sie bisher nicht kannten. Es sind nicht nur mehr potentielle Kunden
erreichbar, es ist auch eine erheblich schnellere Vermittlung möglich. Die
Transaktionskosten sinken, Leerzeiten werden verringert. Manchmal werde ich den
Eindruck nicht los, dass es sich z.B. im Falle des Car Sharing zunächst nur um ein
Schlagwort handelt. Da wo es nicht eine Werbeaktion eines Autoherstellers ist,
hat es zumindest einmal einem Verkäufer zu einem größeren Abschluss verholfen. Städte
oder Gemeinden wurden zu einer Investition überredet, von der es sich erst noch
zeigen muss, ob sie sich rentiert. Noch sucht man nach Lösungen und ist bereit
Risiken einzugehen.
Manche ältere Leser werden sich auch an Garrett Hardins Buch erinnern über
die Tragik der Almende (engl. Tragedy of Commons).
Am Überweiden der Almende wurde hier klar gemacht, dass öffentliche Güter nicht
die Zuwendung und Pflege genießen, die Privatbesitz erfährt. Mit dem Mittelalter
endeten vielerorts die Almenden. Es wurden Zäune gezogen, um Privatbesitz
abzugrenzen. Viele Güter, die vorher geteilt wurden, erhielten Konkurrenz durch Produkte, die auch privat erschwinglich waren. Der zunehmende Wohlstand beschleunigte die Entwicklung in Richtung des vermehrten Privatbesitzes. Das private Schwimmbad und das private Flugzeug mögen Endpunkte einer
Entwicklung gewesen sein. Ob der private Rechner einst einer sein wird,
bezweifele ich jedoch. Bei vielen Besitzgütern ergibt die wirtschaftliche
Betrachtung nicht den alleinigen Maßstab. Auch Prestige und Sicherheit sind
sehr menschliche Bedürfnisse.
Nicht zu verwechseln ist die ‚Shared economy‘ mit der so genannten Schenkökonomie
(engl. Gift economy). Sie wird oft als bedeutender Zukunftstrend
hochstilisiert. Sie unterscheidet sich jedoch dadurch, dass eine finanzielle
Gegenleistung für das geteilte Produkt oder den geteilten Dienst ausgeschlossen
ist.